Geschichte der Kirche
Rassentrennung


„Rassentrennung“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche, 2022

„Rassentrennung“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche

Rassentrennung

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden viele jahrhundertealte Systeme der rassistischen Sklaverei, die von den europäischen Nationen aufrechterhalten worden waren, allmählich abgeschafft. Die meisten gerade erst unabhängig gewordenen Staaten in Spanischamerika schafften die Sklaverei zwischen 1830 und den 1850er Jahren ab. Die europäischen Kolonialmächte verboten die Sklaverei, wobei Großbritannien im Jahr 1833 den Anfang machte. In den Vereinigten Staaten wurde die Sklaverei 1865 mit der Ratifizierung des 13. Zusatzartikels zur Verfassung abgeschafft. Leider blieben die rassistischen Vorurteile, die durch die Sklaverei angefacht und verstärkt worden waren, weit verbreitet. In vielen Teilen der Welt wurden neue Gesetze erlassen und Gepflogenheiten eingeführt, um die Rassentrennung aufrechtzuerhalten und die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Vorteile der Menschen europäischer Abstammung zu bewahren.1

Einige dieser neuen Systeme waren eindeutig und offenkundig. Beispielsweise wurden in Teilen der Vereinigten Staaten ab den 1870er Jahren sogenannte Jim-Crow-Gesetze erlassen, die unter anderem die Rassentrennung in allen öffentlichen Einrichtungen anordneten und Regelungen einführten, die viele Schwarze daran hinderten, ihr Wahlrecht auszuüben oder außerhalb ihrer Ethnie zu heiraten.2 Die Apartheidgesetze, die zwischen 1900 und 1948 in Südafrika eingeführt wurden, verboten ebenso die Ehe zwischen verschiedenen Ethnien, schränkten berufliche und politische Möglichkeiten ein und schufen getrennte Wohngebiete für schwarze und weiße Südafrikaner.3 Selbst nachdem soziale Bewegungen wie die Bürgerrechtsbewegung der USA in den 60er Jahren und der südafrikanische Kampf gegen die Apartheid diese rechtlichen Hindernisse aus dem Weg geräumt hatten, traten oftmals subtilere Formen sozialer und wirtschaftlicher Diskriminierung an deren Stelle.

Religiöse Organisationen reagierten ganz unterschiedlich auf diese Gegebenheiten. In einigen Kirchen durften schwarze Mitglieder am Gottesdienst teilnehmen, jedoch nur in einem getrennten Sitzbereich. In anderen Fällen spalteten sich Kirchen tatsächlich konfessionell auf.4 Beispielsweise wurde Richard Allen, ein schwarzer Geistlicher, Ende des 18. Jahrhunderts Mitbegründer der African Methodist Episcopal Church, weil er und andere schwarze Methodisten in anderen Methodistengemeinden diskriminiert worden waren.5 Diese getrennten Kirchen schufen wertvolle Räume für Schwarze, sich Ausdruck zu verschaffen und ihre Solidarität zu stärken. Schwarze Kirchen im Süden der Vereinigten Staaten wurden zu wichtigen kulturellen Einrichtungen und trugen wesentlich zu den Bestrebungen der Bürgerrechtsbefürworter bei, mehr Gleichberechtigung für schwarze Amerikaner zu erreichen. Die Trennung führte jedoch auch zu einer Entfremdung und ablehnenden Haltung gegenüber schwarzen Gottesdienstbesuchern.6

Rassentrennung und die Kirche Jesu Christi

Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage hat nie eine Rassentrennung in den Gemeinden angeordnet.7 Dennoch führten einige örtliche Führer zwischen dem späten 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts zeitweise getrennte Gottesdienste in ihren Gemeinden ein, die üblicherweise die örtlichen gesellschaftlichen Normen widerspiegelten. Viele schwarze Mitglieder der Kirche fanden Freundschaft und Unterstützung in der Gemeinschaft der Kirche, aber viele erlebten auch, dass sie nicht erwünscht waren oder von ihren weißen Brüdern und Schwestern schlecht behandelt wurden, sodass es schwierig war, überhaupt in der Kirche zu bleiben.8 Andere fanden Möglichkeiten, in ihrem Umfeld Gemeinschaft zu finden und füreinander da zu sein.9 Beispielsweise hielten Len und Mary Hope in Ohio sowie William Paul und Clara Daniels in Kapstadt mit Unterstützung von Missionaren sowie den örtlichen Zweigführern zuhause Gottesdienste ab, damit sie und ihre Familien geistig genährt wurden, auch wenn sie von manchen weißen Mitgliedern in ihren Zweigen nicht willkommen geheißen wurden.10 In Utah bauten treue hawaiianische Pioniere eine Gemeinschaft namens Iosepa auf, nachdem sie in Salt Lake City Diskriminierung erfahren hatten.11 In El Paso in Texas waren spanischsprachige Jugendliche sehr erfolgreich in Schauspiel und Sport in der Kirche, obwohl sie jahrelang nicht mit weißen Jugendlichen an den Regionalwettkämpfen der Kirche teilnehmen durften.12

In einer Offenbarung aus dem Jahr 1978 wurde die vorherige Einschränkung der Kirche hinsichtlich der Ordinierung zum Priestertum und der uneingeschränkten Tempelarbeit für Mitglieder schwarzafrikanischer Abstammung aufgehoben.13 Diese Offenbarung führte dazu, dass die Kirche in Afrika und in anderen Teilen der Welt mit einer ethnisch vielfältigen Bevölkerung aufblühen konnte. Dieses Wachstum unterstrich die Notwendigkeit von mehr Einigkeit, Liebe und gegenseitigem Respekt unter Mitgliedern verschiedener Herkunft.

Die Struktur und Organisation der Kirche fördert die Gemeinschaft von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Heilige der Letzten Tage besuchen die Versammlungen der Kirche gemäß der geografischen Grenzen ihrer Gemeinde, sodass die ethnische, wirtschaftliche und demografische Zusammensetzung der Gemeinden der Heiligen der Letzten Tage in der Regel der des jeweiligen örtlichen Umfelds entspricht. Auch die verschiedenen ehrenamtlichen Aufgaben in der Gemeinde erleichtern das Miteinander. So kann es sein, dass ein schwarzer Bischof über eine größtenteils weiße Gemeinde präsidiert oder dass eine Frau aus Lateinamerika zusammen mit einer Asiatin Familien verschiedenster Herkunft besucht. Unabhängig von Hautfarbe oder ethnischer Herkunft besuchen die Mitglieder der Kirche einander, kümmern sich umeinander und arbeiten Seite an Seite als Lehrer, Jugendführer und bei zahlreichen anderen Aufgaben in ihrer Gemeinde vor Ort.

Manche Mitglieder der Kirche tun sich nach wie vor schwer mit den Verschiedenheiten und Unterschieden zwischen ethnischen Gruppen. 2020 forderte Präsident Russell M. Nelson die Mitglieder der Kirche eindringlich auf, sich hierin zu verbessern. „Wir müssen prinzipiell Respekt vor der Würde eines jeden Menschen aufbringen, ungeachtet seiner Hautfarbe, seines Glaubens oder seiner Überzeugung“, erklärte er. „Und wir müssen unermüdlich Brücken bauen, um einander zu verstehen, anstatt Mauern zu errichten, die uns trennen“14

Verwandte Themen: Sklaverei und deren Abschaffung, Einschränkungen bei Priestertum und Tempel

  1. Siehe David Eltis und David Richardson, Hg., Atlas of the Transatlantic Slave Trade, Yale University Press, New Haven 2010; David Brion Davis, Inhuman Bondage: The Rise and Fall of Slavery in the New World, Oxford University Press, New York 2006

  2. Siehe C. Vann Woodward, The Strange Career of Jim Crow: A Commemorative Edition, Oxford University Press, New York 2002; Leon F. Litwack, Trouble in Mind: Black Southerners in the Age of Jim Crow, Alfred A. Knopf, New York 1998

  3. Siehe John W. Cell, The Highest Stage of White Supremacy: The Origins of Segregation in South Africa and the American South, Cambridge University Press, Cambridge 1982. Die meisten dieser Apartheidgesetze wurden nach 1989 aufgehoben; Südafrika nahm 1994 eine neue Verfassung an, in der Bürgern, denen es in der Apartheid verwehrt worden war, das Wahlrecht gegeben wurde.

  4. Siehe April E. Holm, A Kingdom Divided: Evangelicals, Loyalty, and Sectionalism in the Civil War Era, Louisiana State University Press, Baton Rouge 2017

  5. Siehe Dennis C. Dickerson, The African Methodist Episcopal Church: A History, Cambridge University Press, Cambridge 2020

  6. Siehe Richard L. Wood, Faith in Action: Religion, Race, and Democratic Organizing in America, University of Chicago Press, Chicago 2002

  7. „Ethnische Herkunft und Priestertum“, Evangeliumsthemen, https://www.churchofjesuschrist.org/study/manual/gospel-topics/race-and-the-priesthood?lang=deu

  8. Ronald G. Coleman und Darius A. Gray, „Two Perspectives: The Religious Hopes of ‚Worthy‘ African American Latter-day Saints before the 1978 Revelation“, Kapitel 3 in: Newell G. Bringhurst und Darron T. Smith, Hg., Black and Mormon, University of Illinois Press, Urbana 2004, Seite 50–59; Jessie L. Embry, „Spanning the Priesthood Revelation, 1978: Two Multigenerational Case Studies“, Kapitel 4 in: Bringhurst and Smith, Hg., Black and Mormon, Seite 60–81

  9. Viele Beispiele finden sich unter „Century of Black Mormons“, J. Willard Marriott Library, University of Utah, https://exhibits.lib.utah.edu/s/century-of-black-mormons/page/welcome

  10. Len R. Hope, „The Testimony of Bro. Len R. Hope“, Zeugnis von Len R. Hope und Mary Hope, 1938, MS 20111, Historisches Archiv der Kirche, https://catalog.churchofjesuschrist.org/assets?id=72c48317-499c-4223-9b9d-4df6b6ecc585; Coleman und Gray, „Two Perspectives“, Seite 54–56; Khumbulani D. Mdletshe, „The Latter-day Saints and Race Issues in South Africa“, Mormon Studies Review, 7. Jahrgang, 2020, Seite 44f., 48; siehe auch „Im Himmel verzeichnet“, Kapitel 16 von: Heilige: Die Geschichte der Kirche Jesu Christi in den Letzten Tagen, Band 3, Unerschrocken, erhaben und unbeirrbar, 1893–1955, 2022, https://www.churchofjesuschrist.org/study/history/saints-v3/part-2/16-written-in-heaven?lang=deu

  11. Tracey E. Panek, „Life at Iosepa, Utahʼs Polynesian Colony“, in: Laurie F. Maffly-Kipp und Reid L. Neilson, Hg., Proclamation to the People: Nineteenth-Century Mormonism and the Pacific Basin Frontier, University of Utah Press, Salt Lake City 2008, Seite 170–181

  12. Interview mit Mitgliedern der Gemeinde El Paso 3, El Paso, Texas, 20. September 2014, Transkript, Seite 24f., OH 7221, Historisches Archiv der Kirche, https://catalog.churchofjesuschrist.org/record/e634c61e-33c6-4ed9-8f71-d4689da8debf/0

  13. Siehe Amtliche Erklärung Nr. 2

  14. Sydney Walker, „President Nelson Condemns Racism, Pleads for Peace“, Church News, 1. Juni 2020, https://www.thechurchnews.com/leaders-and-ministry/2020-06-01/president-nelson-addresses-race-in-social-media-post-185657; siehe auch „Präsident Nelson postet über Rassismus und ruft zur Achtung der Menschenwürde auf“, Pressemitteilung vom 3. Juni 2020, https://presse-de.kirchejesuchristi.org/artikel/praesident-nelson-postet-ueber-rassismus-und-ruft-zur-achtung-der-menschenwuerde-auf; Sarah Jane Weaver, „President Nelson Calls upon Latter-day Saints ‚To Lead Out in Abandoning Attitudes and Actions of Prejudice‘“, Church News, 4. Oktober 2020, https://www.thechurchnews.com/leaders-and-ministry/2020-10-04/general-conference-october-2020-sunday-morning-session-president-nelson-race-prejudice-equality-194725