Geschichte der Kirche
Godbeiten


„Godbeiten“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche

„Godbeiten“

Godbeiten

Die Godbeiten waren eine Protestbewegung in den späten 60er und frühen 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, die sich gegen Brigham Youngs Führung und seine Wirtschaftspolitik stellte. Sie nannten sich selbst die „Neue Bewegung“ und gründeten schließlich die sogenannte Kirche Zions. Sie vertraten Interessen im Bereich Handel und Bergbau im Gegensatz zu landwirtschaftlichen Interessen, sprachen sich für Kapitalismus anstelle wirtschaftlicher Zusammenarbeit aus und begeisterten sich für spiritistische Séancen. Ihre Führerschaft bestand größtenteils aus Neubekehrten, die gebürtige Briten waren und aus der Geschäftswelt und Intellektuellenkreisen kamen. Anführer der Bewegung war William Godbe, ein reicher Kaufmann aus Salt Lake City; später war es der ehemalige Apostel Amasa Lyman.

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Godbes Geschäftsgebäude

Die Bewegung der Godbeiten kam 1869 auf, als Reaktion auf ein neues Wirtschaftssystem in Form von Handelsgenossenschaften, die Brigham Young ins Leben gerufen hatte. Young befürchtete, Kapitalisten wie Godbe würden zu Lasten der Armen riesige Profite aus Exporten herausschlagen. Um die Macht der Kapitalisten zu verringern, regte er an, dass Ortschaften ihre Mittel zusammenlegten, ihre eigenen Waren herstellten und sie zu günstigen Preisen in Genossenschaftsläden verkauften.1 Godbe und seine Anhänger protestierten gegen die Koordinierung durch die Kirche als einen Eingriff in die Wirtschaft und einen Affront gegen die Gewissensfreiheit.

1870 schlossen sich die Godbeiten mit anderen zusammen, um die Liberale Partei zu gründen und sich dem Einfluss der Kirche in weltlichen und politischen Angelegenheiten entgegenzustellen. Die Führer der Kirche wiederum unterstützten die Gründung der Peopleʼs Party, die ausdrücklich die Interessen der Heiligen der Letzten Tage förderte. Durch diese Neuordnung in der Politik Utahs, die sich an religiösen Belangen orientierte, nahmen die Spannungen zwischen Mitgliedern der Kirche und ihren andersgläubigen Nachbarn zu, insbesondere in dem Zeitraum, der der Anerkennung Utahs als Bundesstaat im Jahr 1896 vorausging.2

Viele Godbeiten begehrten gegen die religiöse Autorität der Führer der Kirche auf, indem sie den Anspruch erhoben, bei spiritistischen Séancen neue Offenbarungen empfangen zu haben. Eine ausgedehnte spiritistische Bewegung, deren Anhänger glaubten, Menschen könnten mit den Geistern Verstorbener kommunizieren, war in den Vereinigten Staaten populär geworden. Nachdem Godbe an mehreren Séancen teilgenommen hatte, behauptete er, die Geister von Joseph Smith und anderen hätten ihn durch Lebende, sogenannte „Medien“, angewiesen, die Kirche zu reformieren. Seine Anhänger hielten regelmäßig Séancen ab, in der Hoffnung, mit verstorbenen Propheten, Verwandten oder einflussreichen historischen Persönlichkeiten zu kommunizieren. Durch diese angeblichen Offenbarungen vertiefte sich der Konflikt zwischen einigen Godbeiten und der Führung der Kirche.3

In dieser Zeit stellten die Godbeiten die größte und streitbarste Gegenbewegung zu Brigham Youngs Führung im Territorium Utah dar. Die Bewegung bestand zwar nur kurz, doch traf sie zeitlich mit einer Veränderung der Einflussnahme der Kirche auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten in Utah zusammen. Das genossenschaftliche Ideal der Heiligen, für ein gemeinsames Interesse zusammenzuarbeiten, blieb bestehen, doch nun boten vorrangig die Gemeinden der Kirche und nicht mehr die Städte und Ortschaften Unterstützung, was das finanzielle Wohl der Mitglieder der Kirche anging. Später nahm die zentrale Planung an Bedeutung ab und freiwillige Beiträge des Einzelnen und der Familien – der Zehnte und das Fastopfer – wurden zur vorherrschenden Methode, das Reich Gottes in materiellen Belangen zu unterstützen.

Vor dem Auftreten der Godbeiten war Widerstand gegen die Kirche vorwiegend von außen gekommen – von protestantischen Kritikern, die weit entfernt von den Mitgliedern der Kirche wohnten. Die Protestbewegung der Godbeiten jedoch rief mitten in Utah eine Zeitung ins Leben (später Salt Lake Tribune genannt), deren Berichterstattung im späten 19. Jahrhundert bewusst feindselig gegenüber der Kirche war. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts war die Zeitung aber zu einem freundlichen, wenn auch gelegentlich kritischen, Nachbarn der kircheneigenen Deseret News geworden. Die Hinterlassenschaft des Widerstands durch die Godbeiten hatte sich zu einem neutraleren journalistischen Werk gewandelt. Die politischen, geschäftlichen, spiritistischen und journalistischen Anliegen der Protestbewegung der Godbeiten entwickelten sich bis zu den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts auseinander, und spätestens in den frühen 90er Jahren waren die führenden Köpfe der Bewegung entweder verstorben oder hatten sich aufgrund unterschiedlicher Bestrebungen zerstreut.

Verwandte Themen: Politische Neutralität, Genossenschaftsbewegung

Anmerkungen

  1. Siehe Thema: Genossenschaftsbewegung

  2. Siehe Thema: Politische Neutralität

  3. Siehe Ronald W. Walker, Wayward Saints: The Godbeites and Brigham Young, University of Illinois Press, Urbana 1998, Seite 118–122, 254–261