Geschichte der Kirche
Disziplinarmaßnahmen in der Kirche


„Disziplinarmaßnahmen in der Kirche“, Themen im Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche

„Disziplinarmaßnahmen in der Kirche“

Disziplinarmaßnahmen in der Kirche

In den Satzungen und Bündnissen der Kirche, die heute als Lehre und Bündnisse 20 kanonisierte heilige Schrift sind, ist umrissen, wie die geschäftlichen Angelegenheiten der Kirche zu regeln sind, unter anderem auch, welche Disziplinarmaßnahmen bei „Übertretern“ durchzuführen sind. Diese Richtlinien wurden durch Offenbarung an Joseph Smith empfangen und im Juni 1830 bei der ersten Konferenz der Kirche vorgestellt. Im Hinblick auf die Abendmahlsgebete und die Verfahrensweise bei Taufe und Ordinierung wird darin auf das Buch Mormon Bezug genommen. Desgleichen werden die Führer der Kirche darin angewiesen, die heiligen Schriften zu Hilfe zu nehmen, wenn sie Disziplinarverfahren in der Kirche beaufsichtigen.1 Im Buch Mormon wird hervorgehoben, wie wichtig Vergebung ist, den Führern der Kirche die Verantwortung übertragen, zu richten, und erklärt: „Wer auch immer von seinen Sünden nicht umkehren will, der soll meinem Volk nicht zugezählt werden.“2

Den Satzungen und Bündnissen zufolge mussten Angelegenheiten der Kirche, einschließlich Entscheidungen über Disziplinarmaßnahmen, bei Konferenzen der Kirche oder in formellen Versammlungen von Ältesten oder Mitgliedern behandelt werden. Die Teilnehmer dieser Konferenzen erörterten jeden Vorwurf, der gegen ein Mitglied der Kirche erhoben wurde, hörten sich Zeugenaussagen und Geständnisse an und trafen dann hinsichtlich des Standes des Beschuldigten eine Entscheidung. Bei den ersten Konferenzen wurde eine Vielzahl von Fällen zum Abschluss gebracht, darunter Fälle von häuslicher Gewalt, öffentlicher Kritik an der Kirche und von anderem Fehlverhalten.3

Im November 1831 wurden in einer Offenbarung an Joseph Smith konkretere Verfahrensweisen umrissen, wie Mitglieder der Kirche gemaßregelt werden sollten. In der Offenbarung wird der Bischof als „Richter in Israel“ bezeichnet, der den Auftrag hat, mit der Unterstützung seiner Ratgeber Disziplinarentscheidungen zu treffen. Es hieß darin auch, dass schwierige Fälle an den „Präsidenten des Hohen Priestertums“, oder Präsidenten der Kirche, weitergeleitet werden konnten. Dieser konnte bis zu zwölf weitere Hohe Priester dazu berufen, ihn zu unterstützen.4

Im Februar 1834 gründete Joseph Smith den ersten Hoherat in Kirtland in Ohio. Er folgte dabei einem Muster, das dem ähnelt, das in der Offenbarung vom November 1831 umrissen worden war. Einige Monate später genehmigte er die Bildung eines zweiten Hoherats in Missouri. Diese beiden Räte, über die die Erste Präsidentschaft und die Präsidentschaft des Pfahles Missouri präsidierten, regelten alle Streitigkeiten und Disziplinarverfahren, die nicht von einem Bischof bearbeitet werden konnten. Die Räte dienten außerdem als Berufungsgerichte, wenn jemand mit der von einem Bischofsrat getroffenen Entscheidung nicht zufrieden war. Das Protokoll der ersten Sitzung des Hoherats, das heute im Buch Lehre und Bündnisse zu finden ist, enthielt ausführliche Anweisungen, wie die Ratsgremien Disziplinarverfahren angehen sollten.5

In frühen Offenbarungen wurde der Vollmacht der Disziplinarräte der Kirche Grenzen gesetzt. Wenn ein Mord vorlag, führte das beispielsweise zwar zum Entzug der Gemeinschaft, doch wurden solche Fälle den Justizbehörden übergeben, damit diese sie rechtlich beurteilen konnten. In einer Stellungnahme der Kirche aus dem Jahr 1835 wurde verdeutlicht, dass die kirchlichen Gerichte keinerlei Befugnis hatten, jemanden sein Leben oder sein Eigentum zu nehmen. Vielmehr konnten sie den Betreffenden allenfalls „aus ihrer Vereinigung ausschließen und ihm die Gemeinschaft entziehen“6.

Einige Aspekte der Disziplinarordnung der Kirche haben sich im Laufe der Zeit und entsprechend fortdauernder Offenbarung geändert. In der Anfangszeit der Kirche wurden Disziplinarentscheidungen öffentlich bekannt gemacht, und oft haben die Mitglieder in Versammlungen der Kirche ihre Sünden bekannt. Da in vielen Kulturkreisen die Privatsphäre sehr an Bedeutung gewonnen hat, behandelt die Kirche Disziplinarverfahren mittlerweile vertraulicher. Wenn die Mitglieder der Kirche einander in den Anfangstagen der Kirche vor einem Gericht der Kirche anklagten, führten sie oft auch vage Gründe wie etwa „unchristliches Verhalten“ an. Im Laufe der Zeit hat die Kirche konkretere Richtlinien für die örtlichen Führer erlassen. Heute betreffen die meisten Disziplinarverfahren schwerwiegende Verstöße gegen geltende Maßstäbe der Kirche. In einigen Fällen geht es auch um anhaltende öffentliche Kritik an den Führern oder den Richtlinien der Kirche.

Die im Zusammenhang mit der Disziplinarordnung der Kirche gebrauchten Begriffe haben sich ebenfalls geändert. In der Anfangszeit der Kirche konnten Disziplinarräte einem Mitglied im Hinblick auf die Kirche und ihre Führer den Mund verbieten oder den „Berechtigungsschein“ eines Ältesten aberkennen, wodurch es ihm untersagt war, eine Mission zu erfüllen, zu predigen oder andere offizielle Aufgaben zu übernehmen. In extremeren Fällen wurde das Mitglied seitens des Rates von der Gemeinschaft „abgeschnitten“, was bedeutete, dass seine Mitgliedschaft aufgehoben wurde. Heute kommen die Disziplinarräte zu einem dieser vier Ergebnisse: 1. Rat erteilen, statt eine formelle Disziplinarmaßnahme in die Wege zu leiten; 2. eine formelle Bewährung einleiten, bei der dem Betreffenden vorübergehend bestimmte Aktivitäten nicht offenstehen, etwa vom Abendmahl zu nehmen; 3. die Gemeinschaft entziehen, wobei der Betreffende zwar Mitglied bleibt, ihm während seiner Umkehr jedoch die Teilnahme an den meisten Aktivitäten nicht offensteht oder 4. den Betreffenden aus der Kirche ausschließen.

Einige grundlegende Aspekte der Disziplinarordnung der Kirche haben sich auch mit der Zeit nicht verändert. Von den Mitgliedern der Kirche wird erwartet, dass sie sich als Jünger Jesu Christi an hohe sittliche Maßstäbe halten. Wenn jemand diese Selbstdisziplin nicht übt, kann seine Teilnahmeberechtigung eingeschränkt werden. Auch kann ihm die Mitgliedschaft in der Kirche entzogen werden.7 Jedoch ist kein irdisches Urteil endgültig: Einem Mitglied, das umkehrt, können seine Segnungen und seine Gemeinschaftsrechte wiederhergestellt werden. In einem kirchlichen Disziplinarverfahren wird lediglich über den Stand des Betreffenden in der Kirche entschieden. Einige Fälle werden jedoch an Zivilgerichte verwiesen, etwa wenn gesetzliche Richtlinien oder die Sicherheit der Opfer dies erforderlich machen. In allen Fällen muss die Entscheidung des Rates nach Beratung, unter der Führung durch den Geist, getragen von Nächstenliebe und unter Berücksichtigung sowohl der Bedürfnisse des Betreffenden als auch der Verpflichtungen der Kirche getroffen werden. Elder M. Russell Ballard hat gesagt: „Eine Disziplinarmaßnahme der Kirche soll nicht das Ende des Vorgangs sein – vielmehr soll sie der Anfang einer Gelegenheit sein, voll und ganz in die Gemeinschaft und zu allen Segnungen der Kirche zurückzukehren.“8

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