2000–2009
Ein Gott der Wundertaten
April 2001


Ein Gott der Wundertaten

“Ich glaube, dass wir alle von diesen kleinen Wundertaten Zeugnis geben können.”

So wie Moroni in alter Zeit glaube auch ich an einen Gott der Wundertaten. Moroni hat an die Menschen in unserer Evangeliumszeit geschrieben: “Siehe, ich werde euch einen Gott der Wundertaten zeigen, … und es ist dieser selbe Gott, der die Himmel und die Erde und alles, was darinnen ist, erschaffen hat.” (Mormon 9:11.) Moroni hat verkündet, dass Jesus Christus viele mächtige Wundertaten gewirkt hat, dass viele mächtige Wundertaten durch die Hand der Apostel gewirkt wurden und dass ein Gott, der gestern, heute und für immer derselbe ist, auch heute ein Gott der Wundertaten sein muss (siehe Mormon 9:18; 9:9).

Denken Sie an die Wunder im Alten Testament. Denken Sie daran, wie Mose das Rote Meer teilte. Allen folgenden Generationen der Israeliten waren die großen Wunder, die zu ihrer Befreiung aus Ägypten geführt hatten, ein nicht zu leugnender Beweis dafür, dass Gott lebt und sie liebt.

Viele Propheten im Buch Mormon, so auch Nephi, haben auf die Geschichte von Mose verwiesen, damit die Menschen an einen Gott glauben, der sein Volk aus der Not erretten kann (siehe 1 Nephi 4:1–3). Andere Propheten haben die Menschen an die Wunder erinnert, die sie selbst erlebt hatten und die sie doch eigentlich von der Macht Gottes hätten überzeugen müssen.

Im Neuen Testament erklärt der Apostel Johannes, warum er viele Wundertaten des Erretters aufgeschrieben hat – nämlich “damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist” (Johannes 20:30,31).

In dieser Evangeliumszeit können wir alle ein großes Wunder mitverfolgen, nämlich die Wiederherstellung des Evangeliums Jesu Christi auf der Erde. Es nahm seinen Anfang, als ein Junge in einen Wald bei Palmyra im Bundesstaat New York ging und einem Gott sein Herz ausschüttete und seine Fragen vorlegte, von dem er dachte, dass er ihm antworten würde – dem Gott der Wundertaten. Und tatsächlich sind in dieser Evangeliumszeit Wundertaten geschehen – mächtige Wundertaten – zu denen auch das Hervorkommen des Buches Mormon gehört, das ja selbst ein weiterer Zeuge für Jesus Christus ist.

Doch genauso wichtig wie diese “mächtigen Wundertaten” sind die kleineren “privaten Wundertaten”, die in uns den Glauben an den Herrn erwecken. Diese Wundertaten geschehen, wenn wir die Eingebungen des Geistes im täglichen Leben wahrnehmen und beherzigen.

Ich bin dankbar für den Lehrer, der uns Schüler dazu anhielt, die Eingebungen des Geistes niederzuschreiben. Er wies uns an festzuhalten, was wir fühlten und was daraufhin geschah. So wurden wir auf Kleinigkeiten aufmerksam. Eines Tages musste ich in großer Hektik mehrere Hausaufgaben erledigen und gleichzeitig Reisevorbereitungen treffen. Ich war gerade im Wasch- und Trockenraum meines Studentenwohnheims gewesen, um meine Wäsche aus der Waschmaschine zu holen und in den Trockner zu legen. Leider waren alle Trockner belegt und mussten auch noch einige Zeit laufen. Niedergeschlagen ging ich wieder nach oben, denn wenn die Trockner fertig waren, musste ich schon unterwegs sein. Ich war kaum wieder in meinem Zimmer, als ich das Gefühl hatte, ich solle noch einmal in den Keller gehen und nach der Wäsche schauen. Das ist doch albern, dachte ich – ich war ja gerade erst dort gewesen. Aber weil ich bemüht war, auf den Geist zu hören, ging ich doch. Zwei Trockner waren leer – und ich schaffte es, alle meine Aufgaben zu erledigen. Konnte dem Herrn wirklich daran gelegen sein, mir in einer so geringen, für mich aber wichtigen Angelegenheit den Weg zu ebnen? Seither habe ich durch viele ähnliche Erfahrungen begriffen, dass der Herr uns in allen Lebensbereichen hilft, wenn wir bemüht sind, ihm zu dienen und seinen Willen zu tun.

Ich glaube, dass wir alle von diesen kleinen Wundertaten Zeugnis geben können. Wir kennen Kinder, die um Hilfe bei der Suche nach einem verlorenen Gegenstand beten und diesen dann auch finden. Wir kennen junge Menschen, die den Mut entwickelt haben, als Zeugen Gottes aufzutreten, und seine helfende Hand spüren. Wir kennen Freunde, die vom letzten Geld den Zehnten zahlen und dann durch ein Wunder doch in der Lage sind, ihr Schulgeld oder ihre Miete zu bezahlen oder die es irgendwie schaffen, ihre Familie zu ernähren. Wir können von Gebeten berichten, die erhört wurden, und von Priestertumssegen, die Mut vermittelt, Trost geschenkt und zur Genesung geführt haben. Solche alltäglichen Wundertaten machen uns mit der Hand des Herrn in unserem Leben vertraut.

Ich habe viel über dieses Thema nachgedacht, und zwar wegen eines Ereignisses, das sich in den letzten Monaten in unserer Familie zugetragen hat. Unsere Tochter und ihr Mann brauchten eine Weile, um einander zu finden. Und obwohl sie sich von ganzem Herzen Kinder wünschten, gelang es ihnen mehrere Jahre lang nicht, sich diesen Traum zu erfüllen. Sie beteten und bemühten sich um Priestertumssegnungen und ärztliche Hilfe. Und schließlich erfuhren sie zu ihrer großen Freude, dass Zwillinge unterwegs waren.

Doch leider verlief die Schwangerschaft nicht ohne Komplikationen. Dreieinhalb Monate vor dem errechneten Geburtstermin setzten die Wehen ein und die werdende Mutter wurde ins Krankenhaus gebracht. Zuerst hofften die Ärzte noch, sie könnten die Wehen einige Wochen hinauszögern. Doch bald war es sogar fraglich, ob sie überhaupt noch die achtundvierzig Stunden Zeit hatten, die erforderlich waren, um die unreifen Lungen der Babys mit Hilfe von Medikamenten funktionsfähig zu machen.

Eine Krankenschwester kam von der Neugeborenen-Intensivstation, um den Eltern Bilder von den Maschinen zu zeigen, an die die Kinder angeschlossen werden mussten, sollten sie lebend zur Welt kommen. Sie erklärte ihnen auch die Risiken – Augenschäden, Lungenkollaps, Körperbehinderungen, Gehirnschäden. Die Eltern hörten niedergeschlagen und doch hoffnungsvoll zu. Und dann ließ es sich trotz aller Bemühungen der Ärzte nicht mehr verhindern, dass die Babys zur Welt kamen.

Sie wurden lebend geboren. Erst kam das Mädchen und dann der Junge – sie wogen zusammen weniger als 1800 Gramm. Die beiden wurden eiligst auf die Intensivstation gebracht und an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Außerdem bekamen sie eine Magensonde, und es wurden intravenöse Schläuche gelegt. Darüber hinaus wurden sie rund um die Uhr beobachtet. Sie vertrugen nicht viel Licht, sie vertrugen nicht viel Lärm, und ihre Körperfunktionen mussten ständig überwacht werden. Das Krankenhaus mit seiner viele Millionen Dollar teuren Ausstattung sowie den vielen wundervollen Ärzten und Krankenschwestern war bemüht, das Wunder des Mutterleibes nachzubilden.

Jeden Tag ereigneten sich zahllose kleine Wunder: Eine kollabierte Lunge heilte und funktionierte entgegen jeder Wahrscheinlichkeit wieder normal; eine Lungenentzündung wurde besiegt; weitere lebensgefährliche Infektionen traten auf und wurden überwunden; intravenöse Schläuche funktionierten nicht und wurden ersetzt. Nach zweieinhalb Monaten hatte der kleine Junge fast ein Kilo zugenommen und konnte mit einer Sauerstoffmaske selbstständig atmen. Das Beatmungsgerät wurde entfernt; er lernte zu saugen, und seine dankbaren Eltern nahmen ihn zusammen mit den Überwachungsgeräten mit nach Hause.

Das kleine Mädchen zog sich immer wieder selbst den Beatmungsschlauch aus der Luftröhre und löste damit jedes Mal Alarm auf der Kinderstation aus. Vielleicht mochte sie nicht hinter ihrem Bruder zurückstehen, dachten wir. Doch ihr Rachen schloss sich jedes Mal wieder; sie konnte einfach nicht selbstständig atmen. Ihr Rachen war so stark entzündet, dass die Ärzte den Beatmungsschlauch nur noch unter großen Schwierigkeiten einführen konnten. Sie wäre fast gestorben. Sie machte weniger Fortschritt als erwartet, weil sie auf das Beatmungsgerät angewiesen war.

Als ihr Bruder schon zwei Monate zu Hause war, schlugen die Ärzte als letzten Ausweg eine Operation vor – eine Operation, die es ihr ermöglichen würde, durch ein Loch in der Luftröhre selbstständig zu atmen; eine Operation, die einerseits ihre Magenprobleme durch eine seitliche Öffnung am Körper beheben würde, andererseits ihren kleinen Körper aber für viele weitere Monate schwächen und sich vielleicht sogar ein Leben lang schädlich auswirken würde. Während die Eltern noch mit der Entscheidung rangen, bekamen alle Angehörigen einen Brief von einer Tante. Sie erklärte darin die Situation – wie notwendig es sei, den richtigen Zeitpunkt zu finden, wie wichtig es sei, das Beatmungsgerät zu entfernen – und schlug deshalb vor, dass wir erneut gemeinsam Glauben üben und durch Fasten und Beten um ein weiteres Wunder bitten – sofern dies der Wille des Herrn sei. Wir sollten unser Fasten am Abend des 3. Dezember mit einem Gebet abschließen.

Ich möchte aus einem Brief vorlesen, der am Morgen des 4. Dezember allen Angehörigen zugesandt wurde: “Liebe Familie, ein Wunder ist geschehen! Der Herr hat uns gesegnet. Wir danken euch von ganzem Herzen dafür, dass ihr für unser kleines Mädchen gefastet und gebetet habt. Gestern Morgen wurde das Beatmungsgerät entfernt. Sie atmet jetzt seit vierundzwanzig Stunden selbstständig. Für uns ist das ein Wunder. Die Ärzte wagen zwar noch keine Prognose, aber wir sind dem Herrn und euch sehr dankbar. Wir beten darum, dass dies der Anfang vom Ende ihres Krankenhausaufenthaltes sein möge. Und wir wagen sogar zu hoffen, dass sie Weihnachten zu Hause ist.”

Sie hat es dann geschafft, Weihnachten zu Hause zu sein. Beiden Kindern geht es inzwischen gut. Unsere Familie hat erlebt, wie für sie “das Rote Meer geteilt” wurde. Wir können bezeugen, dass es heute einen “Gott der Wundertaten” gibt, der seine Kinder liebt und sie segnen möchte, dass es ihn gestern gab und auch immer geben wird.

Genau wie Sie wissen auch wir, dass nicht alle Bitten an den Herrn so erhört werden, dass nicht alles Fasten so beantwortet wird, wie man es sich erhofft. Auch in unserer Verwandtschaft hat es Todesfälle, schwere Erkrankungen und Scheidungen gegeben. Kinder haben einen anderen Weg eingeschlagen. Wir verstehen nicht immer die Gründe für die Prüfungen, die das Erdenleben uns auferlegt. Doch unser Glaube ist gewachsen, und Ihr Glaube vielleicht auch, als wir beobachtet haben, wie Angehörige, Freunde und sogar Menschen, die wir nur dem Namen nach kennen, voller Glauben an den Herrn die schwersten Prüfungen ertragen haben. Auch sie haben den Gott der Wundertaten erkannt und bezeugen im Augenblick der höchsten Not, dass der Herr sie kennt, liebt und segnet, was immer die Zukunft auch für sie bereithalten mag. Sie sind für immer an ihn und aneinander gesiegelt, und sie sind bereit, ihren Willen dem seinen zu unterwerfen.

Wie sind sie an diesen Punkt gelangt? Wie finden wir Zugang zu dem stillen Wunder, das der Herr wirkt, wenn er uns, seine Kinder, in würdige Erben des Gottesreiches verwandelt? Ich glaube, dieses Wunder ist nur deshalb möglich, weil “Gott die Welt so sehr geliebt [hat], dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat” (Johannes 3:16). Ich glaube, dieses Wunder geschieht, wenn wir den Eingebungen des Geistes nachgeben, den natürlichen Menschen ablegen und voll von Gottesliebe sind (siehe Mosia 3:19). “Dank dem Sühnopfer Christi [können] alle Menschen errettet werden …, indem sie die Gesetze und Verordnungen des Evangeliums befolgen.” (3. Glaubensartikel.) Alle Menschen – das bin ich, das sind Sie – wir alle können teilhaben am Sühnopfer, der größten aller Gaben Gottes.

Gott hat wirklich das Rote Meer geteilt, und er hat uns das Buch Mormon geschenkt. Er kann uns von unseren Sünden heilen, und er kann und wird uns, seine Kinder, im Alltag segnen. Ich weiß, dass er lebt und uns liebt und dass er heute der Gott der Wundertaten ist. Im Namen Jesu Christi, amen.