2000–2009
Von neuem geboren
April 2001


Von neuem geboren

“Der volle Nutzen der Sündenvergebung durch das Sühnopfer des Erretters setzt mit der Umkehr und der Taufe ein und wird größer, sobald wir den Heiligen Geist empfangen haben.”

Liebe Brüder und Schwestern und Freunde, die Aufgabe, zu Ihnen allen zu sprechen, liegt mir sehr am Herzen. Ich bete, dass Sie mich verstehen.

Meine Taufe war einer der Höhepunkte in meinem Leben. Ich war acht Jahre alt. Meine Eltern lehrten mich und meine Brüder, wie bedeutsam diese wichtige heilige Handlung ist. Meine Mutter erklärte mir, nach meiner Taufe würde ich für alles, was ich tat und was nicht richtig war, verantwortlich sein. Ich erinnere mich noch lebhaft an den Tag meiner Taufe. Ich wurde im Taufbecken im Tabernakel auf dem Tempelplatz getauft. Die Täuflinge trugen den einteiligen weißen Taufanzug; einer nach dem anderen wurden sie behutsam die Stufen ins Wasser hinunter geleitet. Eines der Kinder, die an jenem Tag getauft wurden, war nicht völlig untergetaucht worden, deshalb wurde die heilige Handlung wiederholt. Das war nötig, weil die Taufe, wie die heiligen Schriften besagen, den Tod, die Grablegung und die Auferstehung symbolisiert und nur durch Untertauchen vollzogen werden kann.1 Das entspricht auch dem Beispiel des Erretters, der sich im Jordan taufen ließ, wo es viel Wasser gab. Darum schreibt Matthäus: “Kaum war Jesus getauft und aus dem Wasser gestiegen.”2

Ich war zwar erst acht Jahre alt, aber die Worte des Taufgebets drangen mir tief in die Seele. Bruder Irvin G. Derrick, der mich taufte, nannte meinen Namen und sagte dann: “Beauftragt von Jesus Christus, taufe ich dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.”3

Seit meiner Taufe sind über 11 Millionen Menschen auf ähnliche Weise und kraft derselben Vollmacht durch die Taufe Mitglied der Kirche geworden. Sie wurden in zugefrorenen Seen, im Meer und in Teichen, von denen manche eigens zu diesem Zweck angelegt worden waren, getauft. Einer dieser Teiche ist von großer historischer Bedeutung. 1840 erfüllte Wilford Woodruff, der damals einer der Zwölf Apostel war, eine Mission in England. Er fühlte sich gedrängt, sich in eine ländliche Gegend bei Ledbury zu begeben. Dort lernte er John Benbow kennen, der eine große Farm mit einem kleinen Teich hatte. John stellte ihn einer Gemeinde der Vereinigten Brüder vor, die sich die Evangeliumsbotschaft anhören wollten. Später schrieb er in sein Tagebuch, dass ihm am 7. März 1840 keine weitere Hilfe zur Verfügung stand und: “Ich verbrachte den größten Teil des … Tages damit, einen Tümpel zu säubern und für Taufen vorzubereiten, denn mir war klar, dass viele diese heilige Handlung empfangen würden. Danach taufte ich sechshundert Menschen in diesem Tümpel.”4

Der Erretter hat uns erklärt, dass alle Menschen von neuem geboren werden müssen. Nikodemus, ein führender Jude, kam heimlich des Nachts zum Erretter und sagte: “Rabbi, wir wissen, du bist ein Lehrer, der von Gott gekommen ist; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist.

Jesus antwortete ihm: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.”5

Nikodemus war bestürzt; er fragte: “Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Er kann doch nicht in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden.”

Jesus erklärte, er spreche von der geistigen Neugeburt. Er sagte:

“Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.

Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist.”6

Wir alle müssen geistig von neuem geboren werden – ob wir nun acht oder 80 oder sogar 90 Jahre alt sind. Als Schwester Luise Wulff aus der DDR sich 1989 taufen ließ, rief sie: “Mit vierundneunzig Jahren wurde ich von neuem geboren!”7 Mit unserer ersten Geburt gelangen wir ins Erdenleben. Unsere zweite Geburt beginnt, wenn wir von jemandem, der das Priestertum Gottes trägt, im Wasser getauft werden; sie ist vollendet, wenn wir konfirmiert werden – und “dann kommt die Vergebung [unserer] Sünden durch Feuer und den Heiligen Geist”8.

Vor ein paar Jahren berichtete Albert Peters davon, wie er und sein Mitarbeiter erlebt hatten, dass ein Mann von neuem geboren wurde. Sie gingen eines Tages zu der Hütte von Atiati im Dorf Sasina auf Samoa. Dort trafen sie einen unrasierten, verwahrlosten, verkrümmten Mann an, der auf dem Bett lag. Er bat sie, hereinzukommen und sich vorzustellen. Er freute sich, als er hörte, dass sie Missionare waren, und wollte ihre Botschaft hören. Sie nahmen mit ihm die erste Missionarslektion durch, gaben ihm Zeugnis und gingen wieder. Während sie weggingen, unterhielten sie sich über Atiatis Gesundheitszustand. Er hatte vor 22 Jahren Polio gehabt und konnte seitdem die Arme und Beine nicht mehr gebrauchen. Wie sollte jemand, der so behindert war, jemals getauft werden?

Als sie ihren neuen Freund am nächsten Tag besuchten, waren sie von der Veränderung bei Atiati sehr überrascht. Er strahlte und war sauber rasiert; sogar die Bettwäsche war gewechselt worden. “Heute”, sagte er, “fange ich wieder an zu leben, da gestern meine Gebete erhört wurden und Sie zu mir [kamen]… . Seit mehr als 20 Jahren warte ich darauf, dass jemand zu mir kommt und mir sagt, dass er das wahre Evangelium Christi hat.”

Mehrere Wochen lang unterwiesen die beiden Missionare diesen aufrichtigen, intelligenten Mann in den Grundbegriffen des Evangeliums, und er erhielt ein festes Zeugnis von der Wahrheit und davon, dass er sich taufen lassen musste. Er bat sie, mit ihm zu fasten, damit er die Kraft hatte, ins Wasser hinabzusteigen und sich taufen zu lassen. Das nächstgelegene Taufbecken war über zehn Kilometer entfernt. Sie trugen ihn zu ihrem Auto, fuhren zum Gemeindehaus und setzten ihn auf eine Bank. Ihr Distriktsleiter begann den Gottesdienst mit seinem festen Zeugnis von der heiligen Handlung der Taufe. Dann hoben Elder Peters und sein Mitarbeiter Atiati hoch und trugen ihn zum Taufbecken. Da sagte Atiati: “Bitte setzt mich ab.” Sie zögerten, und er sagte noch einmal: “Bitte setzt mich ab.”

Sie standen verwirrt da, aber Atiati lächelte und rief: “Dies ist das wichtigste Ereignis meines Lebens. Ich weiß ohne Zweifel in meinem Herzen, dass dies der einzige Weg zu ewiger Errettung ist. Ich möchte mich nicht zu meiner Errettung tragen lassen!” Da setzten sie Atiati auf den Boden. Mit großer Anstrengung schaffte er es, sich hochzuziehen. Der Mann, der 20 Jahre bewegungslos dagelegen hatte, stand jetzt. Langsam, einen zitternden Schritt nach dem anderen, stieg Atiati ins Wasser hinab, wo der erstaunte Missionar ihn bei der Hand nahm und taufte. Dann bat er darum, vom Taufbecken in die Kapelle getragen zu werden, wo er als Mitglied der Kirche konfirmiert wurde.

Atiati machte weiter Fortschritte. Er konnte schließlich sogar mit Hilfe eines Stocks wieder laufen. Er erklärte Elder Peters, er habe am Morgen seiner Taufe gewusst, dass er wieder laufen würde. Er sagte: “Da der Glaube einen unnachgiebigen Berg versetzen kann, zweifelte ich nicht, dass er meine Gliedmaßen heilen würde.”9 Ich glaube, wir können sagen, dass Atiati wahrhaftig von neuem geboren worden war.

Wie Atiati werden wir bei der Taufe geistig aus Gott geboren und erhalten das Anrecht darauf, das Abbild Christi in unseren Gesichtsausdruck aufzunehmen.10 Wir sollten eine mächtige Wandlung im Herzen erfahren11, damit wir “neue Geschöpfe” werden können12, und Glauben an die Erlösung durch unseren Herrn und Erretter, Jesus Christus, üben, um unseren Maßstab für die Würdigkeit einhalten zu können. Der Maßstab dafür, ob jemand würdig ist, sich taufen zu lassen, ist deutlich:

“Alle diejenigen, die sich vor Gott demütigen und getauft zu werden wünschen, die mit reuigem Herzen und zerknirschtem Geist vortreten und vor der Kirche bezeugen, dass sie von all ihren Sünden wahrhaftig umgekehrt sind und willens sind, den Namen Jesu Christi auf sich zu nehmen, die entschlossen sind, ihm bis ans Ende zu dienen, und durch ihre Werke wahrhaft kundtun, dass sie vom Geist Christi zur Vergebung ihrer Sünden empfangen haben, sollen durch die Taufe in seine Kirche aufgenommen werden.”13

Die Taufe durch Untertauchen im Wasser ist “die einleitende heilige Handlung des Evangeliums; auf sie muss die Taufe durch den Geist erfolgen, damit sie vollständig ist”14. Der Prophet Joseph Smith sagte einmal: “Man kann ebenso gut einen Sandsack taufen wie einen Menschen, wenn es nicht im Hinblick auf die Sündenvergebung und zur Erlangung des Heiligen Geistes geschieht. Die Taufe mit Wasser ist nur die halbe Taufe; sie nützt nichts ohne die andere Hälfte, und das ist die Taufe vom Heiligen Geist.”15

Der volle Nutzen der Sündenvergebung durch das Sühnopfer des Erretters setzt mit der Umkehr und der Taufe ein und wird größer, sobald wir den Heiligen Geist empfangen haben. Wie Nephi sagte, ist die Taufe das Tor, “dann kommt die Vergebung eurer Sünden durch Feuer und den Heiligen Geist”16. Das Tor der Taufe eröffnet uns den Weg zu weiteren Bündnissen und Segnungen durch das Priestertum und die Segnungen des Tempels.

Die große Gabe des Heiligen Geistes wird zusammen mit der Mitgliedschaft in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage durch die Konfirmierung übertragen, durch das Händeauflegen seitens derer, die die Priestertumsvollmacht tragen. Das machte Paulus den Ephesern klar, als er fragte: “Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, als ihr gläubig wurdet? Sie antworteten ihm: Wir haben noch nicht einmal gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt.

Da fragte er: Mit welcher Taufe seid ihr denn getauft worden? Sie antworteten: Mit der Taufe des Johannes.

Paulus sagte: Johannes hat mit der Taufe der Umkehr getauft und das Volk gelehrt, sie sollten an den glauben, der nach ihm komme: an Jesus.

Als sie das hörten, ließen sie sich auf den Namen Jesu, des Herrn, taufen.

Paulus legte ihnen die Hände auf und der Heilige Geist kam auf sie herab.”17

Wer diese Geistesgabe besitzt und würdig ist, kann bei allem, was er tut – sowohl in geistiger als auch in zeitlicher Hinsicht – größere Einsicht erlangen, das Leben wird reicher, und er kann sich bei allem führen lassen. Der Heilige Geist gibt uns Zeugnis von der Wahrheit; er prägt unserer Seele ein, dass es Gott Vater und seinen Sohn Jesus Christus wirklich gibt, und das mit solcher Gewissheit, dass keine irdische Macht oder Gewalt uns von dieser Erkenntnis trennen kann.18 Die Gabe des Heiligen Geistes nicht zu besitzen ist ungefähr so, als hätte man einen Körper ohne Immunsystem.

Wir glauben daran, dass der Geist Christi mit jedem Menschen ist.19 Das ist etwas anderes als die Gabe des Heiligen Geistes.

Der Prophet Joseph Smith hat erklärt: “Zwischen dem Heiligen Geist und der Gabe des Heiligen Geistes besteht ein Unterschied.”20 Viele Menschen außerhalb der Kirche haben schon durch die Macht des Heiligen Geistes Offenbarungen erhalten, die sie davon überzeugt haben, dass das Evangelium wahr ist. Dank dieser Macht erhält ein aufrichtiger Untersucher schon vor der Taufe ein Zeugnis vom Buch Mormon und von den Grundsätzen des Evangeliums. Das Wirken des Heiligen Geistes ist allerdings eingeschränkt, wenn man die Gabe des Heiligen Geistes noch nicht erhalten hat.

Wer nach der Taufe und Konfirmierung die Gabe des Heiligen Geistes besitzt, kann mehr Licht und Zeugnis erhalten, und zwar deswegen, weil die Gabe des Heiligen Geistes “ein beständiges Zeugnis und eine höhere Gabe ist als die gewöhnliche Kundgebung des Heiligen Geistes”21. Es ist die höhere Gabe, weil die Gabe des Heiligen Geistes “reinigend wirken und einen Menschen von aller Sünde reinigen und heiligen kann”22.

Da die Taufe durch Wasser und durch den Geist für die vollständige Errettung wesentlich ist, müssen laut Gottes ewigem Plan alle seine Kinder diese Möglichkeit erhalten, auch diejenigen, die in vergangenen Jahrhunderten gelebt haben. Die Lehre von der Taufe der Lebenden für die Verstorbenen im Tempel war schon in der Urkirche bekannt und wurde dort praktiziert. Paulus führt in seiner bedeutenden Abhandlung über die Auferstehung aus: “Wie kämen sonst einige dazu, sich für die Toten taufen zu lassen? Wenn Tote gar nicht auferweckt werden, warum lässt man sich dann taufen für sie?”23 Etwas so Wesentliches für jemanden zu tun, der es nicht selbst tun kann, ist wahrhaft christlich. Dadurch, dass Jesus sein Leben hingegeben hat, um für die Sünden aller Menschen zu sühnen, hat er für uns etwas getan, was wir nicht selbst tun können. Der Prophet Maleachi hält diesen Gedanken fest, als er vom Kommen des Propheten Elija spricht und sagt: “Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne ihren Vätern, damit ich nicht kommen und das Land dem Untergang weihen muss.”24 Das wird zum großen Teil durch die stellvertretende Arbeit für die Verstorbenen bewerkstelligt.

Keine andere Organisation auf der Erde tut mehr, um Maleachis Verheißung zu erfüllen, als die Kirche. Mit großem Aufwand und vielen Anstrengungen ist die Kirche inzwischen zum Treuhänder des größten Schatzes an familienbezogenen Aufzeichnungen in der ganzen Welt geworden. Die Kirche hat jetzt auf der Internet-Website FamilySearchTM 660 Millionen Namen.25 Diese Unterlagen sind jedem, der daran interessiert ist, unentgeltlich zu Forschungszwecken zugänglich.

Da seit meiner Taufe durch Wasser schon so viele Jahre vergangen sind, habe ich die Gaben des Geistes, die mit der Taufe durch den Geist verbunden sind, sehr schätzen gelernt. Ich wurde vor 72 Jahren von jemandem, der die entsprechende Vollmacht hatte, nämlich Joseph A. F. Everett, einem guten Freund meiner Eltern, einem besonders guten Mann, konfirmiert.

Ich bete demütig, der Geist des Herrn möge der Bedeutung dessen, wovon ich gesprochen habe, sein Siegel aufdrücken. Ich bezeuge, dass wir erst dann vollständig bekehrt sind, wenn wir “als neue Menschen leben”26 und im Herzen von unseren “früheren Sünden” gereinigt worden sind27. Dies kann nur zustande kommen, wenn wir aus Wasser und dem Geist durch die Taufe von neuem geboren werden und die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. Auf diese Weise empfangen wir Vergebung von Gott, wodurch wir im Herzen wissen können, dass uns unsere Sünden vergeben worden sind.28 Ich weiß, dass dies wahr ist, und bezeuge es im Namen Jesu Christi, amen.

  1. Bible Dictionary, “Baptism”, Seite 618, siehe auch Matthäus 3:16; Apostelgeschichte 8:37–39; Römer 6:1–6; Kolosser 2:12; LuB 20:72–74; 128:12,13.

  2. Matthäus 3:16.

  3. Siehe LuB 20:73.

  4. Zitiert in Matthias F. Cowley, Wilford Woodruff: History of His Life and Labors (1964), Seite 117.

  5. Johannes 3:2,3.

  6. Johannes 3:4–6.

  7. Der Stern, Juni 1994, Seite 24.

  8. 2 Nephi 31:17.

  9. Siehe Albert Peters, “Ein zitternder Schritt nach dem anderen”, Der Stern, Juni 1995, 29 ff.

  10. Siehe Alma 5:14.

  11. Siehe Alma 5:14.

  12. Siehe Mosia 27:26.

  13. LuB 20:37.

  14. Bible Dictionary, “Baptism”, Seite 618.

  15. Lehren des Propheten Joseph Smith, Seite 320.

  16. 2 Nephi 31:17; siehe auch LuB 19:31.

  17. Apostelgeschichte 19:2–6.

  18. Siehe 2 Nephi 31:18.

  19. Siehe LuB 93:2.

  20. Lehren des Propheten Joseph Smith, Seite 203.

  21. James R. Clark, Hg., Messages of the First Presidency, Band 5, [1965–1975], 5:4.

  22. Bible Dictionary, “Holy Ghost”, Seite 704.

  23. 1 Korinther 15:29.

  24. Maleachi 3:23,24. (Siehe auch LuB 138:47; Joseph Smith–Lebensgeschichte 1:39).

  25. Siehe www.familysearch.org.

  26. Römer 6:4.

  27. Siehe 2 Petrus 1:9.

  28. Siehe Mosia 4:3.