Geschichte der Kirche
14 Getrennt zu sein ist schwer


„Getrennt zu sein ist schwer“, Kapitel 14 von: Heilige: Die Geschichte der Kirche Jesu Christi in den Letzten Tagen, Band 2, Keine unheilige Hand, 1846–1893, 2019

Kapitel 14: „Getrennt zu sein ist schwer“

Kapitel 14

Getrennt zu sein ist schwer

Bild
Ein Mann zieht einen Handkarren

Ende März 1855 hatte Ann Eliza Secrist schon neun Monate nichts von ihrem Mann Jacob gehört. Der jüngsten Auseinandersetzung mit Walkara waren einige Postsendungen zum Opfer gefallen. Außerdem waren die Postrouten im Winter nicht passierbar – sicherlich auch ein Grund für das Ausbleiben der Briefe. Ann Eliza wollte Jacob schreiben, wusste aber nicht, wohin sie ihre Briefe schicken sollte. Zuletzt hatte sie gehört, dass er in der Schweiz das Evangelium verkündete. Allerdings war aus einem Brief von Daniel Tyler, einem der dortigen Missionsleiter, hervorgegangen, dass er nicht wusste, wo genau Jacob tätig war.1

Über ein Jahr zuvor hatte Jacob geschrieben, er werde bald nach Utah zurückkehren. Noch sechs Monate, dann wäre es drei Jahre her, seit er auf Mission berufen wurde, und Ann Eliza ging davon aus, dass er um diese Zeit heimkommen werde. Einige Missionare, die mit ihm aus dem Territorium aufgebrochen waren, waren schon wieder zurück, und die Kinder fragten allmählich, warum nicht auch ihr Vater heimgekommen war.2

In letzter Zeit hatte sich in der Familie vieles ereignet. Als der Konflikt zwischen den Siedlern und den Ute ausgebrochen war, hatte Eliza es vorgezogen, nicht wieder auf die Farm zu ziehen. Sie wollte lieber in Salt Lake City bleiben, wo es sicherer war. Eine Zeit lang hatte sie einen Teil ihres Hauses in der Stadt an eine Familie aus Schottland vermietet, die gerade erst angekommen war. Auch hatte sie zwei Schweine gemästet, damit sie und die Kinder im Winter ausreichend zu essen hatten. Die Kinder gingen zur Schule, verbesserten sich im Lesen und lernten das Evangelium. Sie war, seit Jacob fort war, mit den Mitteln der Familie stets sorgsam umgegangen und hatte, so gut sie konnte, Schulden vermieden.3

Am 25. März 1855 besuchten drei Glaubensbrüder aus der Schweiz Ann Eliza und die Kinder. Einer von ihnen war Serge Louis Ballif, einer der ersten Bekehrten aus dem Alpenland. Er war einer der führenden Brüder in der Schweizer Mission gewesen, als Jacob dort eintraf. Bevor Serge und seine Familie nach Zion aufgebrochen waren, hatte Jacob ihm eine schriftliche Schilderung seiner Mission sowie Geschenke für Ann Eliza und die Kinder mitgegeben.

Am Ende seines Missionsberichts hatte Jacob einige Gedanken über seinen Missionsdienst festgehalten. „Ich habe bisher nur wenig erreicht, und wie viel Gutes ich hier in der Schweiz noch vollbringen werde, wird allein die Zeit zeigen“, schrieb er. „Ich durfte erleben, dass sich einige wenige sehr über meine Botschaft gefreut haben, und vertraue darauf, dass ich noch erleben werde, wie sich in diesem Land Heilige über meine schlichten Worte und Lehren freuen.“4

Seinen Töchtern Louisa und Mary Elizabeth hatte Jacob jeweils eine Schere geschickt und ihnen aufgetragen, dafür zu sorgen, dass sie ihren Glanz behielt. Moroni schickte er eine kleine Schachtel mit einer Menge Spielzeugsoldaten und einigen Murmeln, die er mit seinem zweijährigen Bruder Nephi teilen sollte. Auch hatte er seinen Söhnen versprochen, ihnen aus Europa Schwerter mitzubringen.5

Nachdem Ann Eliza gelesen hatte, was Jacob erlebt hatte, schrieb sie ihm. Den Brief sandte sie an das Missionsbüro in Liverpool in England mit der Bitte um Weiterleitung. Sie fasste sich kurz, da sie sich nicht sicher war, ob der Brief Jacob noch vor seiner Heimkehr erreichen würde. Wie immer schrieb sie, was es bei den Kindern und auf der Farm Neues gab.

„Ich habe, seit du fort bist, die ganze Zeit über mein Allerbestes gegeben“, schrieb sie. „Möge Gott dich stets segnen und bewahren, darum bete ich aufrichtig als deine dich liebende Ehefrau.“6


Als George Q. Cannon am 5. Mai 1855 aufwachte, erwartete ihn ein frostiger Frühlingsmorgen im Salzseetal. Er war Ende November aus Hawaii heimgekehrt.7 Zwölf Tage nach seiner Rückkehr hatte er sich einen schlecht sitzenden Anzug geliehen und Elizabeth Hoagland im Haus ihrer Eltern geheiratet – ein Augenblick, den er und Elizabeth schon herbeigesehnt hatten, bevor George auf Mission gegangen war.8

Fünf Monate nach der Eheschließung wurde das Paar nun eingeladen, der Weihung des Endowment Houses beizuwohnen, eines neuen Gebäudes auf dem Tempelblock, in dem die Mitglieder heilige Handlungen empfangen konnten, solange der Tempel noch in Bau war.

Nach der Weihung sollte Elizabeth das Endowment empfangen, und sie und George sollten aneinander gesiegelt werden. Dann wollten die beiden nach San Francisco aufbrechen, wohin George auf Mission berufen worden war, um dort die hawaiianische Übersetzung des Buches Mormon zu veröffentlichen.

George und Elizabeth kamen kurz vor acht Uhr morgens am Endowment House an. Es war ein schlichtes, schmuckloses Gebäude mit stabilen Lehmziegelmauern, vier Schornsteinen und einem Sandsteinfundament. Innen war es in mehrere Räume für das Endowment und die Siegelungen unterteilt.

Brigham Young leitete den Weihungsgottesdienst, der im Dachgeschoss stattfand, und Heber Kimball sprach das Weihungsgebet. Nach dem Gebet erklärte Brigham das Gebäude für rein und verkündete, dass es das Haus des Herrn sei.9 Heber, Eliza Snow und andere ließen dann fünf Männern und drei Frauen, darunter Elizabeth, das Endowment zukommen. Danach siegelte Heber George und Elizabeth für Zeit und Ewigkeit.

Wie geplant sagte das Paar noch am selben Tag seinen Angehörigen Lebewohl. Elizabeth war Lehrerin und war noch nie von ihrer Familie getrennt gewesen, daher erwartete George, dass ihr der Abschied schwerfallen würde. Doch sie blieb gefasst. Abraham Hoagland – ihr Vater, der in Salt Lake City Bischof war – gab dem Paar einen Segen und forderte es auf, das Rechte zu tun. „Sorge gut für Elizabeth und behandle sie liebevoll“, trug er George auf.10

Das Paar reiste auf der gleichen Route, die George schon 1849 nach Kalifornien genommen hatte, Richtung Süden. Am 19. Mai erreichten die beiden Cedar City – gleichzeitig mit der Ersten Präsidentschaft, die sich von der noch jungen Eisenindustrie am Ort ein Bild machen wollte. George war beeindruckt, welchen Fortschritt die Heiligen dort gemacht hatten. Sie hatten nicht nur ein Eisenwerk errichtet, sondern auch gemütliche Häuser, ein Gemeindehaus und einen Schutzwall um die Stadt herum.11

Am nächsten Tag gründete Brigham Young einen Pfahl und berief einen Mann namens Isaac Haight, darüber zu präsidieren.12

Später unterhielten sich George und Elizabeth im Heim der Familie Haight mit Brigham Young und Jedediah Grant, der 1854 nach dem Tod von Willard Richards in die Erste Präsidentschaft berufen worden war. Brigham und Jedediah segneten George, dass bei allem, was er schrieb und veröffentlichte, Weisheit und Inspiration walten mögen und dass er stets furchtlos sprechen möge. Auch segneten sie Elizabeth, an Georges Seite ein gutes Werk zu vollbringen und eines Tages wieder mit ihren Lieben im Salzseetal vereint zu sein.

Danach forderte Brigham George auf, seine literarische Begabung nach besten Kräften zu entfalten. „Donnere!“, setzte Jedediah hinzu. „Lass sie wissen, dass du ein Cannon bist.“13


Ungefähr zu der Zeit, als die Cannons nach Kalifornien aufbrachen, erhielt die dreizehnjährige Martha Ann Smith einen Brief aus Hawaii von ihrem älteren Bruder Joseph F. Smith. „Ich bin gesund und wohlauf“, schrieb er fröhlich, „und ich bin um einiges gewachsen, seit du mich zuletzt gesehen hast.“

Ob er damit körperliches oder geistiges Wachstum meinte, ließ Joseph offen. Offenbar lag ihm viel mehr daran, seiner jüngeren Schwester brüderlichen Rat zu erteilen, als sein neues Leben als Missionar im Pazifikraum zu beschreiben.

„Ich könnte dir so manchen Rat geben, Marty, der dir dein ganzes Erdenleben lang von Nutzen wäre“, erklärte er selbstbewusst. Er forderte sie auf, auf ihre älteren Geschwister zu hören und sich nicht mit ihren Schwestern zu streiten. „Sei ernsthaft und bete immer“, riet er ihr, „dann trittst du in die Fußstapfen deiner Mutter.“14

Martha Ann war ihrem Bruder für diesen Rat dankbar. Sie war zwar erst elf Jahre alt gewesen, als ihre Mutter starb, doch erinnerte sie sich noch lebhaft an sie. Von klein auf hatte Martha Ann ihre verwitwete Mutter kaum jemals lächeln gesehen. Ja, wenn Martha Ann und ihre Geschwister ihre Mutter überhaupt einmal zum Lachen brachten, waren sie recht stolz auf ihre Leistung. Dennoch war Mary eine liebevolle Mutter gewesen, und Martha Ann kam die Welt ohne sie leer vor.

An ihren Vater Hyrum Smith konnte Mary Ann sich weniger gut erinnern. Sie war erst drei gewesen, als er starb, aber sie wusste noch, dass ihre Mutter ihm einmal eine Hose genäht hatte. Nachdem er sie angezogen hatte, war er mit den Händen in den Hosentaschen stolz auf und ab gegangen. Sie erinnerte sich an ihn als liebevoll, freundlich und gütig im Umgang mit seinen Kindern.15

Kurz nachdem die Familie Smith im Salzseetal angekommen war, hatte sie sich an einem Bach unweit einer Schlucht südöstlich der Stadt niedergelassen und gemeinsam eine Farm aufgebaut. Wenige Jahre später wurde die Gemeinde Sugar House gegründet, zu der sie und ihre Nachbarn gehörten. Geleitet wurde diese Gemeinde von Bischof Abraham Smoot, einem von Wilford Woodruffs ersten Bekehrten, und benannt hatte man sie nach einer Zuckerrübenfabrik in der Gegend, in der die Kirche unter der Leitung von Bischof Smoot Melasse herstellen ließ.16

Martha Ann und ihre Geschwister unterstützten einander, als sie neue Prüfungen bewältigen mussten. Der milde Winter 1854/55 hatte im ganzen Territorium zu großer Trockenheit geführt. Da es nur wenig geschneit hatte, führten die Flüsse und Bäche kaum Wasser. Man war aber auf das Schmelzwasser aus den Bergen angewiesen. Die Dürre belastete Martha Anns Familie wie alle anderen auch. Wochen vergingen und es fiel kaum Regen. Der Boden im Salzseetal wurde immer trockener und die Feldfrüchte, die die Heiligen früher im Jahr ausgesät hatten, gingen ein. Die Bewässerungsgräben trockneten nach und nach aus und wurden rissig.17

Zu allem Übel befielen Scharen von Grashüpfern die Siedlungen, verschlangen die spärlichen Feldfrüchte und machten die Aussicht auf eine gute Ernte zunichte. Die Heiligen in Sugar House und anderen Siedlungen versuchten, mehr Saatgut auszubringen, doch die Dürre erschwerte die Aussaat, und sie wurden die Grashüpfer nicht los.18

Prüfung über Prüfung schien die Smiths zu ereilen. Man konnte nur erahnen, welche Folgen die Dürre und die Grashüpferplage für die Heiligen haben würden. Als Jüngste in ihrer Familie hatte Martha Ann nicht die gleichen Aufgaben wie ihre älteren Geschwister.19 Doch von allen Heiligen wurde erwartet, dass sie zusammenarbeiteten, um Beschwernisse zu überwinden und zum Aufbau Zions beizutragen. Was konnte sie tun?

Joseph gab ihr in seinem nächsten Brief weitere Ratschläge. „Sei geduldig und langmütig“, schrieb er. „Sei durch und durch Mormonin, dann wirst du gesegnet.“20


Gut anderthalbtausend Kilometer weiter östlich in der Prärie brachen in einer kleinen Auswanderersiedlung namens Mormon Grove der dänische Bekehrte Nicolai Dorius und eine Wagenkolonne mit fast vierhundert Heiligen aus Dänemark, Norwegen, Neuschottland und England ins Salzseetal auf.21 Die Hauptleute der Abteilungen gingen davon aus, dass die Reise vier Monate dauern würde. Nicolai konnte also erwarten, bereits im September seine inzwischen siebzehnjährige Tochter Augusta wiederzusehen.22

Sechs Monate zuvor hatte Nicolai mit seinen drei jüngsten Töchtern Caroline, Rebekke und Nicolena Kopenhagen verlassen. Da seine Söhne Johan und Carl noch in Norwegen auf Mission gewesen waren, hatte er sich nicht persönlich von ihnen verabschieden können.23

Auswanderern wie Nicolai lag nicht nur wegen ihres Glaubens an das wiederhergestellte Evangelium Jesu Christi viel daran, nach Zion zu kommen. Sie wollten auch der Schlechtigkeit der Welt entrinnen und im verheißenen Land für sich und ihre Familie ein besseres Leben aufbauen. Beflügelt von den begeisterten Schilderungen amerikanischer Missionare stellten sich viele von ihnen das Salzseetal wie einen Garten von Eden vor und brachten jedes erdenkliche Opfer, um dorthin zu gelangen.24

Die Überquerung des Ozeans hatte etwa sechs Wochen gedauert. Peter Hansen, der erste Missionar in Dänemark, übernahm an Bord des Schiffes die Leitung der Abteilung. Er und seine beiden Ratgeber unterteilten die Heiligen in sieben Gruppen und beriefen Älteste dazu, in den einzelnen Einheiten für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. Als das Schiff in New Orleans anlegte, lobte der Kapitän ihr gutes Benehmen.

„Hätte ich die Wahl, würde ich in Zukunft nur noch Heilige der Letzten Tage mitnehmen“, sagte er.25

Von New Orleans aus fuhren Nicolai und seine Töchter zusammen mit ihrer Abteilung mit dem Dampfschiff auf dem eisigen Mississippi flussaufwärts. Sie erlebten einen Schicksalsschlag, als die sechsjährige Nicolena schon bald nach der Abreise aus New Orleans erkrankte und starb. In den nächsten Tagen starben noch mehr Menschen. Noch vor Nicolais Ankunft in Mormon Grave starb auch die vierzehnjährige Caroline. Nur er und die elfjährige Rebekke waren noch übrig, um Augusta nach ihrer Ankunft in Utah in die Arme zu schließen.26

In Mormon Grove fanden die ausgewanderten Heiligen vorübergehend Beschäftigung. Von ihrem Lohn kauften sie Ochsen, Wagen und Proviant für den Treck in den Westen.27 Dann wurden Abteilungen gebildet. Nicolai, Rebekke und weitere Heilige aus Dänemark und Norwegen wurden einer Abteilung zugeteilt, die von Jacob Secrist geführt wurde.28 Jacob, der fast drei Jahre von seiner Frau und seinen vier Kindern getrennt gewesen war, konnte das Wiedersehen in Utah kaum erwarten. Da in der Abteilung vorwiegend Dänisch gesprochen wurde und er kein Dänisch konnte, war er darauf angewiesen, dass Peter Hansen für ihn dolmetschte.29

Die Abteilung verließ Mormon Grove am 13. Juni 1855. Auf dem Weg in den Westen verlor Jacob mit den Auswanderern aus Skandinavien oftmals die Geduld. Die meisten von ihnen hatten noch nie Ochsen angetrieben, und manchmal brauchten sie vier Männer, um zwei Ochsen dazu zu bringen, geradeaus zu gehen.30 Noch beunruhigender war der Gesundheitszustand der Abteilung. In der Regel gab es in den Abteilungen der ausgewanderten Heiligen nur wenige oder gar keine Todesfälle,31 doch in Secrists Abteilung starb schon am Ende des ersten Tages ein Mann an Cholera. Acht weitere Todesfälle folgten im Laufe der nächsten zwei Wochen.32

Die Ältesten im Lager fasteten und gaben den Kranken Segen der Heilung und des Trostes, doch die Cholera forderte noch mehr Menschenleben. Gegen Ende Juni wurde auch Jacob selbst zu schwach, um mit den Planwagen Schritt zu halten. Andere Führer der Abteilung schickten ihm eine Kutsche, und als er sich dem Lager wieder anschloss, gaben ihm die Ältesten einen Segen. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich jedoch immer mehr, und er starb am 2. Juli am Nachmittag. Die Auswanderer hätten seine sterblichen Überreste gern ins Salzseetal zu seiner Frau und seinen Kindern überführt, da sie aber keine Möglichkeit hatten, den Leichnam vor dem Verwesen zu bewahren, beerdigten sie ihn am Wegesrand.33

Nicolai, Rebekke und der Rest der Abteilung setzten ihre Reise fort. Der August verging, ebenso die ersten Septemberwochen. Es gab keinen weiteren Ausbruch von Cholera. Am 6. September erklommen sie den letzten Gebirgspass und lagerten an einem kleinen Wasserlauf. Ihr Ziel war jetzt nicht mehr fern.

Am nächsten Morgen wuschen sich die Auswanderer und zogen in Vorbereitung auf ihre Ankunft im Salzseetal saubere Kleidung an. Peter Hansen sagte zwar, dass sie sich erst zurechtmachen sollten, wenn sie in der Stadt ankamen, da noch ein staubiger Weg vor ihnen lag, aber die Auswanderer zogen es vor, den Staub in Kauf zu nehmen.

Auf den letzten Kilometern ihrer Reise waren sie voller Hoffnung und konnten es kaum erwarten, den Ort zu sehen, über den sie schon so viel gehört hatten. Doch als sie im Salzseetal ankamen, erblickten sie keinen Garten von Eden. Sie fanden ein von Dürre heimgesuchtes Becken vor, das so weit das Auge reichte mit Salbeisträuchern, völlig ausgetrockneten Salzschichten und Grashüpfern bedeckt war.34


Die Nachricht, dass Jacob Secrist gestorben war, erschien am 8. August in den Deseret News, etwa einen Monat bevor seine Abteilung im Salzseetal ankam. In dem Artikel wurde nicht nur von ihm, sondern auch vom Tod zweier weiterer Missionare, Albert Gregory und Andrew Lamoreaux, berichtet. Auch sie waren auf dem Heimweg nach Utah gestorben. „Diese unsere Brüder reisten voller Vorfreude Richtung Heimat“, hieß es in dem Beitrag. „Doch der Ratschluss einer allweisen Vorsehung ging in Erfüllung, und wie gute Soldaten fügten sie sich sanftmütig und in voller Rüstung. Sie ruhen nun von ihren Mühen aus, und ihre Taten folgen ihnen nach.“35

Etwa zu dieser Zeit erhielt Ann Eliza den letzten Brief von Jacob. Er war vom 21. Mai datiert und kam aus St. Louis. „Ich bin bei guter Gesundheit und im Begriff, auf dem Missouri flussaufwärts weiterzureisen“, stand darin unter anderem. „Möge der Gott Israels dich mit den Segnungen seines Geistes und mit Gesundheit, Glauben und einem langen Leben segnen.“36

Nachdem seine Abteilung Anfang September angekommen war, überbrachten zwei Männer Ann Eliza Jacobs Habseligkeiten und ein Pferd. Wie versprochen, hatte Jacob für jeden der Jungen ein Schwert und Stoff für einen guten Anzug mitgebracht. Für die Mädchen hatte er Kleider und Stoffe besorgt. Auf seinem Wagen waren außerdem seine Briefe und andere Schriftstücke sowie ein Jahresvorrat an Lebensmitteln und anderem, was die Familie so brauchte.37

Wie sie es sich einige Jahre zuvor vorgenommen hatte, zog Ann Eliza mit ihren Kindern wieder auf die Farm nördlich von Salt Lake City. Die Briefe, die sie und Jacob einander geschrieben hatten, wurden verstaut und aufbewahrt. In einem davon, den Ann Eliza im ersten Jahr von Jacobs Mission geschrieben hatte, hatte sie sich über die Opfer Gedanken gemacht, die zu bringen sie berufen worden waren.

„Von den Menschen getrennt zu sein, die man auf der Welt am liebsten hat, erscheint schwer“, hatte sie geschrieben, „aber wenn ich darüber nachdenke, wofür sie ausgesandt wurden – nämlich beim Aufbau des Gottesreiches mitzuhelfen –, habe ich keinen Grund, mich zu beklagen oder zu murren.“

Weiter schrieb sie: „Und das muss ich auch nicht, denn ich weiß, dass in jener Welt, wo es weder Trauer noch Klage gibt, sondern alle Tränen von meinen Augen abgewischt werden, meine Erhöhung umso erhabener sein wird.“38


Als im Oktober 1855 die Generalkonferenz stattfand, wusste Brigham Young, dass die Heiligen im Territorium Utah in Schwierigkeiten steckten. Grashüpfer hatten viele ihrer Gärten und Felder verwüstet, und was die Grashüpfer übrig gelassen hatten, hatte die Dürre vernichtet. Staubwolken wehten über die Täler, und Flächenbrände fraßen sich durch die trockenen Schluchten und vernichteten das Futter für das Vieh. Da es für die Ochsen, die in ihren Gespannen Steine zur Tempelbaustelle zogen, nicht genügend Futter gab, wurde die Arbeit am Haus des Herrn eingestellt.

Brigham und seine Ratgeber glaubten, dass die Dürre und die Plage eine „sanfte Zurechtweisung“ vom Herrn waren. „Schenkt den Einflüsterungen des Heiligen Geistes Beachtung und führt den Herrn nicht in Versuchung, eine noch schwerere Rute zur Züchtigung über uns zu bringen“, wiesen sie die Heiligen in jenem Herbst an, „damit wir diesen Strafgerichten des Königs des Himmels in der Höhe in größerem Maße entrinnen mögen.“39

Noch mehr beunruhigte Brigham, wie sich die Zerstörung auf die Sammlung auswirkte. Während die Missionsreisen nach Indien, China und Siam zu nur wenigen Bekehrungen geführt hatten, hatten die Missionen in Europa und in Südafrika Zweige mit Heiligen hervorgebracht, die sich nun in Zion sammeln wollten. Auszuwandern war jedoch kostspielig, und die meisten Neubekehrten waren arm und benötigten ein Darlehen aus dem Ständigen Auswanderungsfonds.40

Unglücklicherweise hatte die Dürre die Wirtschaft in Utah, die fast vollständig auf gute Ernten angewiesen war, ruiniert. Ihrer Lebensgrundlage beraubt, konnten viele Heilige keinen Zehnten zahlen oder ihr Darlehen aus dem Fonds nicht zurückzahlen. Und schon bald entstanden der Kirche hohe Schulden, da sie sich Geld leihen musste, um die großen Wagenkolonnen, die sich in diesem Jahr auf den Weg in den Westen machten, mitzufinanzieren.41

Im Oktober 1855 betonte die Erste Präsidentschaft in einem Rundschreiben an die Mitglieder der Kirche, dass Spenden für den Auswanderungsfonds dazu beitrugen, andere Heilige an einen Ort zu bringen, wo sie fleißig sein und ehrliche Arbeit leisten konnten. „Dies ist wahre Nächstenliebe“, verkündete die Präsidentschaft, „die Hungrigen nicht nur zu speisen und die Nackten nicht nur zu kleiden, sondern sie auch in die Lage zu versetzen, sich durch Arbeit ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.“42

Brigham und seine Ratgeber forderten die Heiligen auf, für den Ständigen Auswanderungsfonds zu spenden, was sie nur konnten. Da sie wussten, dass die meisten Heiligen nicht viel erübrigen konnten, schlugen sie außerdem eine erschwinglichere Möglichkeit vor, in den Westen zu ziehen. Anstatt mit teuren Ochsen und Wagen konnten Auswanderer künftig mit Handkarren nach Zion kommen.

Die Erste Präsidentschaft erklärte, dass Handkarren viel günstiger seien als Planwagen und man damit schneller über die Prärie komme. Jeder Handkarren sollte aus einem hölzernen Kasten auf einer Radachse und zwei Wagenrädern bestehen. Da Handkarren kleiner als Wagen waren, würden die Auswanderer allerdings weniger Ausrüstung und Proviant mitnehmen können. Doch könnte man den Handkarrenabteilungen auf halbem Weg mit Planwagen aus dem Salzseetal entgegenkommen, um bei Bedarf zu helfen.

„Alle Heiligen, denen es möglich ist, sollen sich in Zion sammeln und kommen, solange sie noch können“, verkündete die Erste Präsidentschaft. „Sie sollen zu Fuß kommen, mit Handkarren oder Schubkarren; sie sollen sich die Lenden gürten und vorwärtsgehen, und nichts soll sie daran hindern oder sie aufhalten.“43

Brigham erzählte sofort dem Apostel Franklin Richards, dem Präsidenten der Europäischen Mission, von diesem Vorhaben. „Ich möchte, dass es angemessen erprobt wird“, schrieb er. „Du wirst sehen, sobald es erst einmal erprobt wurde, wird es die beliebteste Art und Weise werden, die Prärie zu durchqueren.“44