Geschichte der Kirche
24 Eine gewaltige Aufgabe


„Eine gewaltige Aufgabe“, Kapitel 24 von: Heilige: Die Geschichte der Kirche Jesu Christi in den Letzten Tagen, Band 2, Keine unheilige Hand, 1846–1893, 2020

Kapitel 24: „Eine gewaltige Aufgabe“

Kapitel 24

Eine gewaltige Aufgabe

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Gebäude der Frauenhilfsvereinigung

„In fast jeder Ortschaft des Territoriums, wo Bedarf an einem Laden herrscht, sind bereits Genossenschaftsläden eingerichtet worden“, schrieb George Q. Cannon am 19. Mai 1869 in einem Leitartikel der Deseret Evening News. „Wenn erst einmal jede Frau im Territorium mit diesen Läden Bekanntschaft gemacht hat, werden die Geschäfte so natürlich laufen, wie Wasser einen Hang hinunterläuft.“1

Der Tenor des Leitartikels, was die Frauen und deren Bedeutung innerhalb der Genossenschaftsbewegung anbelangte, beeindruckte Sarah Kimball, die Leiterin der Frauenhilfsvereinigung der Gemeinde Salt Lake City 15. Zusammenarbeit war unerlässlich, wenn das Volk der Heiligen zu Selbstversorgern werden wollte. Viele der Waren in den Genossenschaftsläden wurden von den Frauen in Handarbeit hergestellt, und sie selbst kauften dort auch häufig ein.

Brigham Young vertrat den Standpunkt, alle Bestrebungen, Zion aufzurichten, ganz gleich wie banal, seien Teil des heiligen Werks des Herrn. Seit kurzem drängte er die Heiligen dazu, nur in Genossenschaftsläden oder Geschäften einzukaufen, bei denen irgendwo die Aufschrift „Heilig dem Herrn“ angebracht war. Frauen, die ihre Einkäufe in solchen Geschäften tätigten, trügen damit zum Wohlergehen der Heiligen bei, denn sie unterstützten dann ja keine Kaufleute von außerhalb der Kirche.2

Sarah und ihre Frauenhilfsvereinigung hatten schon angefangen, für den Genossenschaftsgedanken zu werben. Im Jahr zuvor hatten sie in ihrer Gemeinde mit dem Bau eines Hauses für die Frauenhilfsvereinigung begonnen. Das neue zweigeschossige Gebäude sollte nach den Plänen von Joseph Smiths Laden in Nauvoo errichtet werden, in dem die erste Frauenhilfsvereinigung gegründet worden war. Im Obergeschoss war ein Arbeitsraum für die Frauen vorgesehen, wo sie Gott verehren und sich Kunst und Wissenschaft widmen konnten. Im Erdgeschoss sollte sich der Genossenschaftsladen befinden, in dem Wollstoff, Garnspulen, Flickenteppiche, Trockenobst, Mokassins und andere von den Mitgliedern der Frauenhilfsvereinigung hergestellte Waren verkauft oder im Tausch gehandelt werden sollten.3 Wie es auch bei anderen kleinen Genossenschaftsläden der Fall war, konnte der Laden zudem als Vertriebspartner der größten Genossenschaft der Stadt, der Zion’s Cooperative Mercantile Institution, fungieren.

Das Gebäude wäre nach seiner Fertigstellung das erste dieser Art in der Kirche. Die Frauenhilfsvereinigungen trafen sich ansonsten üblicherweise bei jemandem zuhause oder im Gemeindehaus. Sarah, eines der Gründungsmitglieder der ersten Frauenhilfsvereinigung in Nauvoo, wünschte sich jedoch einen Ort, wo die Frauen der Gemeinde Salt Lake City 15 ihre gottgegebenen Kräfte und Fähigkeiten ausbauen und vertiefen konnten.4

Das ganze letzte Jahr über war Sarah eine treibende Kraft hinter dem Bau des Gebäudes gewesen. Zwar hatte man ihr angeboten, für das Projekt unentgeltlich ein Grundstück aus städtischem Besitz zur Verfügung zu stellen, doch sie und die anderen Frauen der Vereinigung hatten darauf bestanden, für das Grundstück einhundert Dollar zu bezahlen.5 Als die Gemeinde dann den ersten Spatenstich vorgenommen hatte, hatte Sarah mit einem Hammer und einer silbernen Kelle dem Maurer bei der Ecksteinlegung geholfen.

„Sinn und Zweck dieses Gebäudes“, hatte sie, auf dem Eckstein stehend, erklärt, „besteht darin, der Vereinigung zu ermöglichen, ihre Bemühungen, ihre Mittel, ihre Neigungen und ihre Talente noch vollkommener zu vereinen, und zwar zur Weiterentwicklung – physisch, gesellschaftlich, moralisch, intellektuell, geistig und finanziell – und zum größeren Nutzen aller.“6

In den folgenden sechs Monaten hatten die Frauen Bauarbeiter angeheuert und die Bauarbeiten beaufsichtigt, die sich nunmehr dem Ende zuneigten. Im Geiste der Zusammenarbeit und des Genossenschaftsgedankens hatten die Frauen Geld aufgebracht und ihre Mittel zusammengelegt, um das Bauwerk mit Holzjalousien und Teppichen auszustatten. Einige wollten wissen, wieso denn die Frauenhilfsvereinigung der Gemeinde 15 so erfolgreich war, wo sie doch keineswegs zu den wohlhabendsten Gemeinden der Kirche gehörte. Ihnen entgegnete Sarah schlicht und einfach: „Das liegt daran, dass wir im Gleichklang handeln und das, was wir bekommen, ständig nutzen und einsetzen.“7

Einen Tag nachdem der Leitartikel in den Deseret Evening News erschienen war, zeigte ihn Sarah den Schwestern ihrer Frauenhilfsvereinigung. „Welch wundervolle Veränderungen treten ein, wenn sich die Frauen an diesem umwälzenden Werk der Erneuerung beteiligen“, stand dort zu lesen. „Überträgt man ihnen Verantwortung, dann beweisen sie, dass sie Großartiges leisten können.“

Sarah sah darin den Anbruch einer neuen Zeit für die Frauen. „Noch nie zuvor“, sagte sie der Frauenhilfsvereinigung, „wurde sowohl in aller Öffentlichkeit als auch privat so viel über die Frauen, ihre Fähigkeiten und ihre Aufgaben geredet wie heute.“8


Zu der Zeit, als die Frauenhilfsvereinigung der Gemeinde 15 ihr Versammlungshaus baute, beförderten bereits leistungsstarke Dampflokomotiven Passagiere und Güter in raschem Tempo quer durchs ganze Land. Auch wenn die Erste Präsidentschaft der weltlichen Einflüsse wegen, die durch die neue Zugverbindung in das Territorium gelangten, Bedenken hegte, ging sie doch davon aus, dass es durch sie einfacher und günstiger sein würde, Missionare auszusenden und Mitglieder in Zion zu sammeln. Eine Woche nach Fertigstellung der transkontinentalen Bahnlinie setzte Brigham Young daher den ersten Spatenstich für eine kircheneigene Eisenbahnlinie, die Salt Lake City mit Ogden verbinden sollte.9

Derweil war Joseph F. Smith in Salt Lake City als Sekretär im Büro des Geschichtsschreibers der Kirche beschäftigt. Er war dreißig Jahre alt und hatte in der Kirche mehr Verpflichtungen denn je. Drei Jahre zuvor, kurz nach seiner Rückkehr aus Hawaii, war er zum Apostelamt berufen und als Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft eingesetzt worden.10

Im Frühsommer des Jahres 1869 bereitete sich Joseph F. Smith nun auf eine neue Herausforderung vor. Seine Cousins Alexander und David Smith wollten nämlich das Territorium besuchen. Sie waren Söhne des Propheten Joseph Smith, lebten in Illinois und gehörten der Reorganisierten Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage an. In Alexanders und Davids Augen war ihr älterer Bruder Joseph Smith III. der Prophet und der rechtmäßige Nachfolger im Werk ihres Vaters.

Wie Joseph III. waren auch Alexander und David davon überzeugt, dass ihr Vater die Mehrehe weder gelehrt noch praktiziert habe. Ihrer Ansicht nach hatte Brigham Young diesen Grundsatz erst nach dem Tod ihres Vaters eingeführt.11

Trotz eines gelegentlichen Briefverkehrs standen sich Joseph F. und seine Cousins nicht sonderlich nahe. Joseph F. hatte Alexander drei Jahre zuvor zuletzt getroffen, als dieser 1866 auf dem Weg zu einer Mission in Kalifornien auch in Salt Lake City Halt gemacht und dort gepredigt hatte. Wohl wissend, dass die Heiligen seine Ansichten über seinen Vater und die Mehrehe bestreiten würden, hatte sich Alexander damals vorbereitet und Aussagen seines Vaters und Hyrum Smiths aus der Times and Seasons, der Zeitung der Kirche in Nauvoo, mitgebracht, die den Anschein erweckten, als sprächen sich die beiden gegen die Mehrehe aus und würden die Beteiligung der Heiligen daran abstreiten.12

Schon 1866 hatte Joseph F. den Standpunkt seines Cousins widerlegen wollen, doch es war ihm nicht gelungen. Zu seiner Verwunderung fanden sich nämlich kaum schriftliche Belege, aus denen sich eine Verbindung zwischen dem Propheten Joseph und der Mehrehe herstellen ließ. Joseph F. wusste, dass Joseph Smith diesen Grundsatz einigen treuen Heiligen kundgetan hatte, darunter auch Brigham Young und weiteren, die nun im Territorium Utah lebten. Doch er musste feststellen, dass darüber so gut wie gar keine schriftlichen Aufzeichnungen geführt worden waren.

Dann gab es da noch die Offenbarung des Herrn über die Ehe, die 1843 von Joseph Smith aufgezeichnet und 1852 erstmals veröffentlicht worden war. Die Offenbarung machte deutlich, dass ein Mann und eine Frau kraft der Vollmacht des Priestertums für die Ewigkeit aneinander gesiegelt werden können. Aus der Offenbarung ging zudem hervor, dass Gott gelegentlich die Mehrehe anordnet, damit Kinder in rechtschaffenen Familien großgezogen werden und somit die göttliche Verheißung, Abraham mit zahlreichen Nachkommen zu segnen, in Erfüllung geht.13

Diese Offenbarung war jedenfalls ein schwer zu widerlegender Beweis dafür, dass Joseph Smith die Mehrehe gelehrt und gelebt hatte. Alexander hatte die Echtheit dieser Offenbarung jedoch abgestritten, und Joseph F. war es nicht gelungen, weitere schriftliche Belege für die Mehrehen des Propheten zu finden.14 „Was die Aufzeichnungen betrifft“, hatte er zu seinem Cousin gesagt, „die stehen auf deiner Seite.“15

Nun, da Joseph F. wusste, dass Alexander nochmals, und diesmal in Begleitung von David, nach Utah kommen wollte, machte er sich wiederum auf die Suche nach Beweisen für die Mehrehen Joseph Smiths.16 Die Mehrehe gehörte unverrückbar zu Joseph F. Smiths Leben, und er war fest entschlossen, sie zu verteidigen. Einige Jahre zuvor hatte sich seine erste Frau, Levira, von ihm scheiden lassen. Teilweise war dies darauf zurückzuführen gewesen, dass sich durch seine zweite Frau, Julina Lambson, bereits bestehende Spannungen in der Beziehung verschärft hatten. Inzwischen hatte Joseph F. noch eine dritte Frau geheiratet, Sarah Ellen Richards.17 Für ihn bedeutete ein Angriff auf die Mehrehe zugleich auch eine Bedrohung der Bündnisbeziehungen, die die Grundlage seines Familienlebens bildeten.

Im Laufe der vergangenen drei Jahre hatte Joseph F. zudem mehr Einsicht in die Vorgehensweise gewonnen, wie sein Onkel und sein Vater den ernstzunehmenden Gefahren, die ihnen in Nauvoo drohten, begegnet waren. Um sich und die Kirche gegen Kritiker zur Wehr zu setzen, hatten sie manchmal Gerüchte über die Mehrehe in Nauvoo dadurch zerstreut, dass sie deren unrechte Ausübung in gedruckten Stellungnahmen anprangerten – ohne sich dabei gegen die kraft der rechten Vollmacht zulässige Ausübung auszusprechen. Aus diesen Vorsichtsmaßnahmen ließ sich auch erklären, weshalb es so gut wie keine schriftlichen Belege gab, die den Propheten und Hyrum mit der Ausübung der Mehrehe in Verbindung brachten.18

Joseph F. ging nun daran, diese Lücke in den Aufzeichnungen zu schließen. Zu diesem Zweck holte er eidesstattliche Erklärungen von denen ein, die gleich in den ersten Jahren eine Mehrehe eingegangen waren. Einige der Frauen, mit denen er sprach, waren für dieses und das nächste Leben an Joseph Smith gesiegelt worden. Andere waren nur für die Ewigkeit an den Propheten gesiegelt worden. Joseph F. trug außerdem zusammen, was seiner Tante Emma über die Mehrehe bekannt gewesen war. Seine älteste Schwester Lovina hatte eine Zeit lang, nachdem die meisten Heiligen bereits in den Westen gezogen waren, bei Emma gewohnt. Sie bestätigte, dass Emma ihr einmal erzählt hatte, sie habe in die Siegelungen ihres Mannes an einige seiner weiteren Frauen eingewilligt und diesen Zeremonien auch beigewohnt.

Den Frühsommer über trug Joseph F. also derlei Aussagen zusammen, während er jeden Tag die Ankunft seiner Cousins erwartete.19


Für den 22. Juli 1869 beraumte Sarah Kimball das erste Treffen im neuen Gebäude der Frauenhilfsvereinigung der Gemeinde 15 an. „Dieses Haus wurde zum Nutzen aller errichtet“, verkündete sie den anwesenden Frauen.20

Zwei Wochen später, am 5. August, weihte die Erste Präsidentschaft das Gebäude. Dabei sang ein Chor ein neues Lied von Eliza Snow. Es handelte davon, welche Rolle das Gebäude der Frauenhilfsvereinigung zum Schutze Zions spielen sollte:

Lasst Einigkeit und Gottes Kraft

in diesem Hause sein!

Dass jede wirket hier und schafft

zu Gottes Ruhm allein.

Wir weihn, o Gott, dir dieses Haus.

Mög Lieb und Kraft hier ruhn

für Zions Wohl tagein, tagaus

bei allem, was wir tun.21

Die Erste Präsidentschaft war hocherfreut, dass das Gebäude die Ideale wirtschaftlicher Zusammenarbeit und lokaler Herstellung verkörperte. In seiner Rede hob Brigham hervor, wie wichtig es sei, dass Frauen und Männer gemeinsam für Zion arbeiten. „Große Umwälzungen sind auf Erden vonnöten“, stellte er fest. „Eine gewaltige Aufgabe steht uns bevor, die aller Mittel, Talente und aller Unterstützung, die nur möglich ist, bedarf.

Die Unterstützung durch die Frauen ist dabei genauso unentbehrlich wie die durch die Männer“, fuhr er fort. „Unsere Frauenhilfsvereinigungen sind zum Nutzen sowohl der Armen als auch der Reichen da. Sie sind für alle Lebensumstände gedacht und dienen dem Wohlergehen der gesamten Gemeinschaft der Heiligen der Letzten Tage.“22

Bei einem Treffen später im selben Monat untermauerte Sarah seine Worte mit ihrem Zeugnis vom Wert der Zusammenarbeit und erklärte, dass diese ein Aspekt jenes Modells sei, das der Herr für Zion angedacht habe. Die Herstellung vor Ort war ihrer Ansicht nach für das Wohlergehen der Heiligen ein Muss.

„Wir dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren“, beharrte sie, „bei keinem einzigen Treffen.“23


Alexander und David Smith kamen im Sommer nach Salt Lake City und verbrachten die erste Nacht bei Joseph F. Smiths älterem Bruder John, dem präsidierenden Patriarchen der Kirche, und dessen Frau Hellen. Zwei Tage später statteten Alexander und David Brigham Young einen Besuch ab in der Hoffnung, die Genehmigung zu erhalten, im Tabernakel, das gelegentlich auch anderen religiösen Gruppierungen für ein Treffen zur Verfügung gestellt wurde, zu predigen. Brigham ließ sich die Bitte der beiden Brüder durch den Kopf gehen, doch er und weitere Führer der Kirche waren skeptisch, was die Beweggründe der beiden betraf, und verweigerten ihnen die Bewilligung.24

Im Büro des Geschichtsschreibers trug Joseph F. Smith indes weiterhin Beweise dafür zusammen, dass Joseph Smith die Mehrehe gelehrt und gelebt hatte. Dabei erweiterte er seinen Kenntnisstand, und damit auch den der Kirche, über die Mehrehe in Nauvoo erheblich. Abgesehen davon, dass er weitere eidesstattliche Erklärungen einholte, durchforstete er auch die Tagebücher William Claytons, der sowohl Schreiber als auch Freund und Vertrauter des Propheten Joseph gewesen war. Williams Tagebuch war eine der wenigen Quellen aus Nauvoo, in denen die ersten Mehrehen genauer dokumentiert waren, und lieferte somit den Beweis, dass auch der Prophet daran beteiligt gewesen war.25

Wenn Joseph F. gerade nicht im Büro des Geschichtsschreibers oder zuhause bei seiner Familie war, amtierte er im Endowment House. Anfang August ließen er und George Q. Cannon das Endowment ihrem Freund Jonathan Napela zukommen, der Ende Juli aus Hawaii nach Salt Lake City gereist war in der Absicht, die heilige Handlung zu empfangen, den Hauptsitz der Kirche zu besichtigen und Brigham Young und weitere Heilige zu treffen.26

Alexander und David Smith waren noch in der Stadt, und wo auch immer sie eine Rede hielten, waren sie sich einer großen Zuhörerschaft gewiss. Wohlhabende Kaufleute, die gegen die Genossenschaftsbewegung der Kirche eingestellt waren, mieteten in der Hoffnung, Brigham Youngs Einfluss zu schwächen, eine große protestantische Kirche an, in der die beiden Brüder Vorträge halten und Brighams Führungsstil sowie die Kirche im Allgemeinen kritisieren konnten. Wie es schon drei Jahre zuvor Alexander getan hatte, stützten sich die beiden Brüder auch diesmal vorwiegend auf Zitate aus der Times and Seasons, um die Beteiligung ihres Vaters an der Mehrehe zu widerlegen.

Gleichzeitig hielten jedoch auch Joseph F. Smith und weitere Führer der Kirche allerorts in den Gemeindehäusern der Stadt Predigten zum Thema Mehrehe in Nauvoo.27 Am 8. August sprach Joseph F. in Salt Lake City und legte seinen Zuhörern einige Beweise vor, die er über die ersten Mehrehen zusammengetragen hatte. Er ging auch auf die Aussagen seines Vaters und seines Onkels in der Times and Seasons zur Ausübung der Mehrehe ein.

„Ich kenne nur diese Tatsachen“, erklärte er. „Jeder weiß, dass die Leute damals nicht bereit dafür waren und dass Vorsicht geboten war“, fügte er hinzu. „Sie waren umgeben von Feinden und in einem Bundesstaat, in dem diese Lehre sie ins Zuchthaus gebracht hätte.“

Joseph F. ging davon aus, dass sein Vater und sein Onkel sich so verhalten hatten, weil sie ihr Leben und das anderer Männer und Frauen, die in Mehrehe lebten, nicht gefährden wollten. „Die Brüder waren damals nicht so frei, wie wir es hier sind“, fuhr er fort. „Der Teufel wütete in Nauvoo, und es gab ringsherum Verräter.“28


Im September verhöhnte Elias Harrison, Heiliger der Letzten Tage und Redakteur des Utah Magazine, einer Zeitschrift, die er mit der finanziellen Unterstützung seines Freundes William Godbe, eines der wohlhabendsten Kaufleute in der Kirche, herausgab, in einer Kolumne Alexander und David Smith und deren missionarischen Einsatz. Mit spitzer Feder setzte Elias die Reorganisierte Kirche herab und warf den beiden Brüdern vor, sie hätten vom geistlichen Wirken ihres Vaters „nicht den blassesten Schimmer“.

„Sie stützen sich auf gewisse Aussagen aus dem Buch Mormon, aus dem Buch Lehre und Bündnisse und der Times and Seasons und versuchen damit voll Übereifer zu beweisen, ihr Vater hätte nie Polygamie praktiziert“, schrieb Elias. „Doch worauf läuft das hinaus? David und Alexander können beweisen, dass Joseph Smith die Polygamie abgestritten hat, und wir können beweisen, dass er sie praktiziert hat.“29

Obwohl Elias in so manchem Artikel für die Kirche eintrat, tat er dies nur, um die wahren Absichten hinter der Veröffentlichung des Utah Magazine zu verschleiern. Schon seit Beginn der Genossenschaftsbewegung widersetzten sich William Godbe und er still und heimlich dem Rat der Ersten Präsidentschaft, die Heiligen sollten lieber Mitglieder unterstützen und nicht bei Händlern einkaufen, die ihre Gewinne nicht dazu nutzten, die örtliche Wirtschaft zu stärken.30 Dieser Widerstand gegen die Erste Präsidentschaft verlangte William große Raffinesse ab. William war schließlich nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch Stadtrat in Salt Lake City und Mitglied der Bischofschaft der Gemeinde 13. Außerdem war er ein Schwiegersohn und guter Freund Brigham Youngs.31

Wie Elias stand auch William auf dem Standpunkt, der Prophet sei altmodisch und übe zu großen Einfluss auf das Leben der Heiligen aus. Vor der Genossenschaftsbewegung hatten Kaufleute wie William mehr Kontrolle über den örtlichen Markt gehabt und hatten hohe Preise verlangen können, wodurch sie reich geworden waren. Durch das neue System versuchte die Kirche nun jedoch, die Preise niedriger zu halten, um ärmere Heilige sowie die Genossenschaftsläden zu unterstützen.

William, der seine Marktanteile schwinden sah, missfiel an Brigham vor allem, dass dieser die Zusammenarbeit unter den Mitgliedern als etwas Heiliges betrachtete. In zunehmendem Ausmaß bedienten sich Elias und er des Utah Magazine, um Gleichgesinnte gegen die Kirche aufzustacheln.32

Diese vorsätzliche Auflehnung hatte im Jahr davor auf einer Geschäftsreise nach New York Gestalt angenommen. Die beiden Männer hatten damals die ersten Versuche gemacht, bei spiritistischen Sitzungen mit Verstorbenen Kontakt aufzunehmen. Der Spiritismus erfreute sich nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg großer Beliebtheit, da sich viele Menschen danach sehnten, mit ihren Lieben, die dem Krieg zum Opfer gefallen waren, in Verbindung zu treten. Die Führer der Kirche brandmarkten solche Praktiken jedoch schon seit langem als falsche Offenbarungen des Widersachers.

William und Elias schlugen diese Warnungen jedoch in den Wind und gerieten immer tiefer in den Sog solcher Séancen. Sie waren davon überzeugt, tatsächlich mit Geistwesen wie Joseph Smith, Heber Kimball, Aposteln wie Petrus, Jakobus und Johannes und sogar mit dem Erretter selbst gesprochen zu haben. Überzeugt davon, dass diese Kontakte tatsächlich stattgefunden hatten, fühlten sich William und Elias zu der besonderen Mission berufen, die Kirche von allem, was in ihren Augen unrichtig war, zu säubern. Zurück in Utah begannen sie also damit, neben lobenden Artikeln im Utah Magazine auch unterschwellig Kritik an den Führern der Kirche und deren Richtlinien zu äußern.33

Bald nach Veröffentlichung seiner Kolumne über die beiden Brüder Smith wurden Eliasʼ Angriffe auf Brigham Young und die Richtlinien der Kirche immer heftiger. Er behauptete, die Genossenschaftsbewegung beraube die Heiligen des gesunden Wettbewerbs, der notwendig sei, um die Wirtschaft in Utah anzukurbeln. Diese sei nämlich zu schwach, als dass sie sich durch lokale Produktion aufrechterhalten könne. Er kam auch zu dem Schluss, die Heiligen wären selbstsüchtig und würden ihr Eigeninteresse nicht dem Wohle der Gemeinschaft unterordnen wollen.34

Am 16. Oktober veröffentlichte Elias schließlich einen Leitartikel, in dem er dazu aufrief, die Bergbauindustrie in Utah zu fördern. Über die Jahre hatte Brigham Young zwar in einige von der Kirche unternommene Bergbauprojekte eingewilligt, jedoch befürchtet, die Entdeckung wertvoller Erze würde dem Territorium größere soziale Probleme und eine gewisse Klassentrennung bescheren. Diese Bedenken veranlassten ihn dazu, sich auf das Heftigste gegen externe Bergbauprojekte im Territorium auszusprechen.35

Schon bald wurde es jedermann klar, dass Elias und William planmäßig gegen die Kirche zu Felde zogen. Am 18. Oktober kamen Orson Pratt, Wilford Woodruff und George Q. Cannon mit den beiden Männern und einigen ihrer Bekannten zusammen. Elias war äußerst verbittert, und keiner der beiden war bereit, die Erste Präsidentschaft im Amt zu unterstützen. Fünf Tage später erklärte William bei einer Versammlung der Schule der Propheten in Salt Lake City, er sei Brighams Rat in wirtschaftlicher Hinsicht wider besseres Wissen gefolgt und glaube nicht, dass der Prophet das Recht habe, die Heiligen in wirtschaftlichen Fragen anzuleiten. Noch vehementer sträubte Elias sich gegen Brighams Führungsanspruch. „Es ist falsch! Völlig falsch!“, schrie er.36

Einige Tage danach traf sich der Hoherat von Salt Lake City mit Elias und William in der Stadtverwaltung. Elias warf den Führern der Kirche vor, sie verhielten sich, als seien sie und ihre Worte unfehlbar. William nahm für sich und Elias in Anspruch, sie hätten den Rat nur verworfen, weil sie einer höheren geistigen Quelle gefolgt seien, womit sie auf die spiritistischen Séancen anspielten.

„Wir lassen dabei das Priestertum keineswegs außer Acht“, versicherte er, „aber wir stellen fest, dass jenseits des Schleiers eine Macht existiert, von der seit jeher schon Einfluss und Weisung ausgehen und die den menschlichen Willen auf seinem Aufwärtspfad anzuleiten vermag.“

Nach den Ausführungen der beiden Männer wandte sich Brigham an den Hoherat: „Ich habe in diesem Reich ausschließlich und immer nur nach einem gestrebt“, sagte er, „und zwar danach, dass Männer und Frauen in allem dem Herrn Jesus Christus gehorchen.“

Er bestätigte, dass alle Menschen das Recht hätten, eigenständig zu denken, so wie auch die Führer der Kirche das Recht hätten, ihnen der Offenbarung gemäß Rat zu erteilen. „Wir arbeiten in Einklang mit dem Erretter“, erklärte er. „Er wiederum arbeitet in Einklang mit seinem Vater, und gemeinsam mit dem Sohn arbeiten wir alle zusammen an unserer und der gesamten Menschheit Errettung.“

Brigham wies auch die Vorstellung zurück, die Führer der Kirche seien unfehlbar. „Ein Mensch, der das Priestertum trägt, ist nicht gegen Fehler gefeit“, erklärte er. „Ich erhebe keinerlei Anspruch darauf, unfehlbar zu sein.“ Aber dass er ein fehlbarer Mensch war, bedeutete nicht, dass Gott nicht zum Wohl der Heiligen durch ihn wirken konnte.

Falls William und Elias im Utah Magazine die Kirche weiterhin kritisieren wollten, stünde ihnen dies laut Brigham frei. Er werde sich jedoch weiterhin in Wort und Tat für den Genossenschaftsgedanken und die Zusammenarbeit unter den Heiligen einsetzen, ungeachtet dessen, was sie oder sonst ein Händler von auswärts taten oder sagten. „Ich überlasse es den Leuten, so zu handeln, wie sie es wünschen“, sagte er. „Ich habe das Recht, sie zu beraten, und sie haben das Recht, meinen Rat anzunehmen oder abzulehnen.“

Am Ende der Anhörung schlug der Pfahlpräsident vor, William und Elias unter dem Gesichtspunkt des Abfalls vom Glauben aus der Kirche auszuschließen. Der Hoherat unterstützte den Antrag, und abgesehen von sechs Leuten, die allesamt Mitarbeiter von Elias und William waren, unterstützten alle im Raum den Beschluss.37