Generalkonferenz
Mit ganzem Herzen
Herbst-Generalkonferenz 2022


Mit ganzem Herzen

Wir sollten Jünger Jesu sein, die freudig und mit ganzem Herzen unseren persönlichen Weg der Nachfolge gehen

Manchmal ist es hilfreich, wenn man vorher weiß, was einen erwartet.

Gegen Ende seines Wirkens sagte Jesus seinen Aposteln, dass schwere Zeiten anbrechen würden. Aber er sagte auch: „Lasst euch nicht erschrecken!“1 Ja, er werde fortgehen, aber er werde sie nicht allein zurücklassen.2 Er werde seinen Geist senden, um ihnen zu helfen, sich zu erinnern, standhaft zu bleiben und Frieden zu finden. Der Erretter erfüllt sein Versprechen, bei uns – seinen Jüngern – zu sein, aber wir müssen ständig auf ihn blicken, damit wir seine Gegenwart erkennen und uns daran erfreuen können.

Die Jünger Christi waren schon immer schweren Zeiten ausgesetzt.

Eine liebe Freundin ließ mir einen alten Zeitungsartikel aus dem Nebraska Advertiser, einer Zeitung im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, vom 9. Juli 1857 zukommen. Darin stand: „Heute in aller Frühe zog hier eine Gruppe Mormonen auf ihrer Reise ins Salzseetal durch. Frauen (nicht gerade besonders elegant), die wie Tiere Handkarren zogen; eine [Frau] stürzte im schwarzen Schlamm, was zu einem kurzen Halt der Kolonne führte. Kleine Kinder stapften in ihren eigentümlichen Kleidern ihren Müttern hinterher und sahen nicht weniger entschlossen aus.“3

Ich habe viel über diese schlammdurchnässte Frau nachgedacht. Warum hat sie den Karren alleine gezogen? War sie eine alleinerziehende Mutter? Woher nahm sie die innere Stärke, den Mut und die Ausdauer, eine so strapaziöse Reise durch den Schlamm auf sich zu nehmen, ihr gesamtes Hab und Gut in einem Handkarren in eine unbekannte Heimat in der Wüste zu ziehen – und dabei von Beobachtern verspottet zu werden?4

Präsident Joseph F. Smith bezog sich auf die innere Stärke dieser Pionierfrauen, als er sagte: „Hätte man eine dieser Frauen von ihrer Überzeugung von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage abbringen können? Hätte man ihren Verstand bezüglich der Mission des Propheten Joseph Smith verfinstern können? Hätte man sie blind machen können, was die göttliche Mission Jesu Christi, des Gottessohns, betrifft? Nein, niemals. Warum? Weil sie es wussten. Gott offenbarte es ihnen, und sie wussten es, und keine Macht der Erde hätte sie von dieser Wahrheit abbringen können.“5

Brüder und Schwestern, solche Männer und Frauen zu sein, ist der Auftrag unserer Zeit – Jünger, die tief in sich die Kraft finden, weiterzumachen, wenn sie aufgerufen sind, durch die Wüste zu ziehen; Jünger mit Überzeugungen, die uns von Gott offenbart wurden; Nachfolger Jesu, die freudig und mit ganzem Herzen ihren eigenen persönlichen Weg der Nachfolge gehen. Als Jünger Jesu Christi glauben wir an drei grundlegende Wahrheiten und entwickeln uns darin.

1.) Wir können unsere Bündnisse halten, auch wenn es nicht leicht ist

Wenn Ihr Glaube, Ihre Familie oder Ihre Zukunft gefährdet sind – wenn Sie sich fragen, warum das Leben so schwer ist, obwohl Sie Ihr Bestes geben, um das Evangelium zu leben –, dann denken Sie daran, dass der Herr uns gesagt hat, dass wir mit Schwierigkeiten rechnen müssen. Schwierigkeiten sind Teil des Plans und bedeuten nicht, dass Sie im Stich gelassen wurden; sie sind Teil dessen, was es bedeutet, zum Herrn zu gehören.6 Er war schließlich „ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut“7.

Mir wird immer klarer, dass dem Vater im Himmel mehr an meinem Wachstum als Jüngerin Jesu Christi gelegen ist als an meiner Behaglichkeit. Auch wenn mir dieser Umstand nicht immer gefällt – so ist es nun einmal!

Aus einem bequemen Leben geht keine Kraft hervor. Die Macht, die wir brauchen, um den Herausforderungen unserer Zeit standzuhalten, ist die Macht des Herrn, und seine Macht entspringt unseren Bündnissen mit ihm.8 Uns auf unseren Glauben zu stützen, wenn uns starker Gegenwind entgegenbläst – jeden Tag aufrichtig bestrebt zu sein, das zu tun, was wir dem Erretter zu tun versprochen haben, auch und gerade dann, wenn wir müde oder beunruhigt sind oder mit belastenden Fragen und Problemen ringen –, das bedeutet, nach und nach sein Licht, seine Stärke, seine Liebe, seinen Geist und seinen Frieden zu empfangen.

Das Ziel beim Beschreiten des Weges der Bündnisse besteht darin, sich dem Erlöser zu nähern. Er ist das Ziel, nicht unser vollkommener Fortschritt. Es ist kein Wettlauf, und wir dürfen uns nicht mit anderen vergleichen. Auch wenn wir stolpern, ist er bei uns.

2.) Wir können im Glauben handeln

Als Jünger Jesu Christi wissen wir, dass der Glaube an ihn aktives Handeln erfordert – vor allem in schwierigen Zeiten.9

Vor vielen Jahren beschlossen meine Eltern, im ganzen Haus neuen Teppich zu verlegen. Am Abend vor der Lieferung des neuen Teppichs bat meine Mutter meine Brüder, die Möbel aus den Zimmern zu tragen und die Teppiche dort herauszureißen, damit der neue Teppich verlegt werden konnte. Meine damals siebenjährige Schwester Emily schlief bereits. Während sie schlief, räumten sie leise alle Möbel aus ihrem Zimmer, mit Ausnahme des Bettes, und rissen dann den Teppich heraus. Nun, wie es ältere Brüder manchmal tun, beschlossen sie, ihr einen Streich zu spielen. Sie nahmen ihre restlichen Habseligkeiten aus dem Schrank und von den Wänden und hinterließen einen völlig leeren Raum. Dann schrieben sie einen Zettel und klebten ihn an die Wand: „Liebe Emily, wir sind umgezogen. Wir melden uns in ein paar Tagen und sagen dir, wo wir sind. Alles Liebe, deine Familie.“

Als Emily am nächsten Morgen nicht zum Frühstück erschien, machten sich meine Brüder auf die Suche nach ihr – und da stand sie, traurig und verlassen hinter einer geschlossenen Tür. Emily dachte später über diese Erfahrung nach: „Ich war niedergeschmettert. Doch was wäre geschehen, wenn ich einfach die Tür geöffnet hätte? Was hätte ich wohl gehört? Was hätte ich gerochen? Mir wäre klar gewesen, dass ich nicht alleine bin. Mir wäre klar gewesen, dass ich wirklich geliebt werde. Der Gedanke, etwas an meiner Situation zu ändern, kam mir nicht einmal in den Sinn. Ich gab einfach auf und blieb weinend in meinem Zimmer. Hätte ich doch nur die Tür geöffnet.“10

Meine Schwester stellte aufgrund dessen, was sie sah, eine Vermutung an, die aber nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach. Ist es nicht interessant, dass wir, genau wie Emily, manchmal so sehr von Traurigkeit, Schmerz, Mutlosigkeit, Sorgen, Einsamkeit, Wut oder Enttäuschung überwältigt sind, dass es uns gar nicht in den Sinn kommt, einfach etwas zu unternehmen, die Tür zu öffnen, im Glauben an Jesus Christus zu handeln?

Die heiligen Schriften sind voll von Beispielen von Männern und Frauen, Jüngern Christi, die, als sie vor dem Unmöglichen standen, einfach handelten – die im Glauben aufstanden und sich auf den Weg machten.11

Zu Aussätzigen, die um Heilung baten, sagte Christus: „Geht, zeigt euch den Priestern! Und es geschah, während sie hingingen, wurden sie rein.“12

Sie gingen zu den Priestern, um sich ihnen zu zeigen, als ob sie bereits geheilt wären, und während sie unterwegs waren, wurden sie geheilt.

Ich möchte zudem anmerken: Wenn Ihnen der Gedanke, inmitten Ihres Schmerzes etwas zu unternehmen, unmöglich erscheint, dann machen Sie bitte den einen Schritt, sich Hilfe zu holen – bei einem Freund, einem Angehörigen, einem Führungsverantwortlichen in der Kirche oder bei Fachleuten. Das kann der erste Schritt zur Hoffnung sein.

3.) Wir können Gott freudig und mit ganzem Herzen treu sein13

In schweren Zeiten versuche ich, daran zu denken, dass ich mich schon vor meinem Erdenleben dafür entschieden habe, Christus nachzufolgen, und dass die Herausforderungen, die meinen Glauben, meine Gesundheit und mein Durchhaltevermögen betreffen, Teil dessen sind, warum ich hier bin. Und ich darf auf keinen Fall meinen, die heutige Prüfung stelle Gottes Liebe zu mir in Frage, noch darf ich aus meinem Glauben an ihn Zweifel werden lassen. Prüfungen bedeuten nicht, dass der Plan scheitert; sie sind Teil des Plans und sollen mir helfen, Gott zu suchen. Ich werde mehr wie Christus, wenn ich geduldig ausharre und inmitten von Leid hoffentlich noch inständiger bete, so wie er es getan hat.14

Jesus Christus war das vollkommene Beispiel dafür, unseren Vater von ganzem Herzen zu lieben – seinen Willen zu tun, koste es, was es wolle.15 Ich möchte seinem Beispiel folgen und es ihm gleichtun.

Ich finde das Beispiel der Witwe inspirierend, die Christus mit ganzem Herzen und ganzer Seele nachfolgte und ihre zwei kleinen Münzen in den Opferkasten warf. Sie gab alles, was sie hatte.16

Jesus Christus erkannte den wahren Reichtum ihrer Gabe, während andere nur das sahen, was sie nicht hatte. Dasselbe gilt für einen jeden von uns. Er sieht unsere Mängel nicht als Versagen an, sondern als Gelegenheiten, Glauben auszuüben und zu wachsen.

Abschluss

Liebe Mitjüngerinnen und Mitjünger Jesu Christi, ich entscheide mich von ganzem Herzen dafür, auf der Seite des Herrn zu stehen. Ich entscheide mich dafür, mich an die Seite seiner auserwählten Diener zu stellen – Präsident Russell M. Nelson und die Apostel –, denn sie sind sein Sprachrohr und die Verwalter der heiligen Handlungen und Bündnisse, die mich an den Erretter binden.

Wenn ich stolpere, stehe ich immer wieder auf und verlasse mich auf die Gnade und die helfende Macht Jesu Christi. Ich bleibe meinem Bund mit ihm treu und kläre meine Fragen, indem ich mich mit Gottes Wort befasse, Glauben ausübe und auf die Führung des Heiligen Geistes vertraue. Ich strebe jeden Tag nach seinem Geist, während ich Kleines und Einfaches tue.

Dies ist mein Weg der Nachfolge.

Und bis zu dem Tag, da die alltäglichen Wunden des Erdenlebens geheilt sind, hoffe ich auf den Herrn und vertraue ihm – seinem Zeitplan, seiner Weisheit, seinem Plan.17

Arm in Arm mit Ihnen möchte ich für immer an seiner Seite stehen. Mit ganzem Herzen. Denn wir wissen: Wenn wir Jesus Christus von ganzem Herzen lieben, gibt er uns dafür alles.18 Im Namen Jesu Christi. Amen.