Generalkonferenz
Ein Rahmen für persönliche Offenbarung
Herbst-Generalkonferenz 2022


Ein Rahmen für persönliche Offenbarung

Wir müssen den Rahmen verstehen, in dem der Heilige Geist wirkt. Wenn wir uns innerhalb des Rahmens bewegen, kann der Heilige Geist erstaunliche Erkenntnisse freisetzen.

Wie viele von Ihnen bin auch ich im Laufe der Jahre sehr von Elder Dieter F. Uchtdorf beeinflusst worden. Das ist zumindest teilweise der Grund für das, was ich jetzt sage.1 Ich hoffe, er verzeiht mir …

Gut geschulte Piloten steuern ihr Flugzeug so, wie es seinen technischen Möglichkeiten entspricht, und befolgen Anweisungen von Fluglotsen zur Nutzung der Start- und Landebahn und zur Flugbahn. Einfach gesagt: Piloten bewegen sich innerhalb eines gewissen Rahmens. Ganz gleich, wie brillant oder talentiert sie sind: Nur wenn sie beim Fliegen innerhalb dieses Rahmens bleiben, können Piloten gefahrlos das enorme Potenzial eines Flugzeugs freisetzen und seine wunderbaren Zwecke erfüllen.

In ähnlicher Weise empfangen wir persönliche Offenbarung innerhalb eines gewissen Rahmens. Nach der Taufe empfangen wir eine erhabene, aber auch praktische Gabe: die Gabe des Heiligen Geistes.2 Wenn wir uns bemühen, auf dem Weg der Bündnisse3 zu bleiben, ist es der Heilige Geist, der uns alles zeigt, was wir tun sollen.4 Wenn wir unsicher oder beunruhigt sind, können wir Gott um Hilfe bitten.5 Die Verheißung des Erretters könnte nicht deutlicher sein: „Bittet und es wird euch gegeben … Denn wer bittet, der empfängt.“6 Mit der Hilfe des Heiligen Geistes können wir unser göttliches Wesen in unsere ewige Bestimmung umwandeln.7

Die Verheißung persönlicher Offenbarung durch den Heiligen Geist ist ehrfurchtgebietend, wie ein Flugzeug in der Luft. Und wie Piloten müssen wir den Rahmen verstehen, in dem der Heilige Geist wirkt, um persönliche Offenbarung zu geben. Wenn wir uns innerhalb des Rahmens bewegen, kann der Heilige Geist erstaunliche Erkenntnisse, Weisung und Trost freisetzen. Außerhalb dieses Rahmens können wir, wie brillant oder talentiert wir auch sein mögen, getäuscht werden und abstürzen und verbrennen.

Die heiligen Schriften stellen das erste Element dieses Rahmens für persönliche Offenbarung dar.8 Wenn wir uns an den Worten Christi weiden, die wir in den heiligen Schriften finden, regt dies persönliche Offenbarung an. Elder Robert D. Hales hat gesagt: „Wenn wir Gott ansprechen möchten, beten wir. Und wenn wir wollen, dass er zu uns spricht, forschen wir in den heiligen Schriften.“9

Aus den Schriften erfahren wir auch, wie wir persönliche Offenbarung empfangen.10 Dabei bitten wir um das, was recht und gut ist,11 nicht um das, was Gottes Willen widerspricht.12 Wir bitten nicht „in böser Absicht“, mit unlauteren Motiven, um uns selbst Vorteile zu verschaffen oder unserem Vergnügen nachzugehen.13 Vor allem aber müssen wir den Vater im Himmel im Namen Jesu Christi bitten14 und daran glauben, dass wir empfangen werden.15

Das zweite Element des Rahmens besteht darin, dass wir persönliche Offenbarung nur innerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs empfangen und nicht innerhalb der Aufgabenbereiche anderer. Mit anderen Worten: Wir starten und landen auf der uns zugewiesenen Start- oder Landebahn. Wie wichtig gut definierte Start- und Landebahnen sind, wurde bereits zu Beginn der Wiederherstellung deutlich. Hiram Page, einer der acht Zeugen für das Buch Mormon, behauptete, Offenbarungen für die ganze Kirche zu empfangen. Mehrere Mitglieder ließen sich täuschen und falsch beeinflussen.

Daraufhin offenbarte der Herr: „Niemand wird bestimmt werden, Gebote und Offenbarungen in dieser Kirche zu empfangen, ausgenommen mein Diener Joseph Smith[,] bis ich … einen anderen an seiner Stelle bestimmen werde.“16 Lehre, Gebote und Offenbarungen für die Kirche liegen im Zuständigkeitsbereich des lebenden Propheten, der sie vom Herrn Jesus Christus empfängt.17 Diese Start- und Landebahn gehört dem Propheten.

Vor Jahren erhielt ich einen Anruf von einem Mann, der wegen Hausfriedensbruch verhaftet worden war. Er erklärte mir, es sei ihm offenbart worden, dass unter dem Erdgeschoss eines Gebäudes, das er zu betreten versucht hatte, weitere heilige Schriften begraben seien. Er behauptete zu wissen, dass er, sobald er die zusätzlichen heiligen Schriften erlangt habe, die Gabe des Übersetzens erhalten, neue heilige Schrift hervorbringen und die Lehre und Richtung der Kirche beeinflussen würde. Ich antwortete ihm, dass er sich irre, und er bat mich inständig, darüber zu beten. Ich erwiderte ihm, dass ich das nicht tun würde. Er beschimpfte mich und beendete den Anruf.18

Der Grund, warum ich gar nicht erst über diese Sache beten musste, war gleichermaßen einfach wie tiefgreifend: Nur der Prophet empfängt Offenbarung für die Kirche. Es „widerspricht der Ordnung Gottes“19, dass andere solche Offenbarung empfangen, die auf die Start- und Landebahn des Propheten gehört.

Persönliche Offenbarung aber ist zu Recht Sache des Einzelnen. Sie können beispielsweise Offenbarung dazu empfangen, wo Sie leben, welchen Beruf Sie ausüben oder wen Sie heiraten sollen.20 Führer der Kirche können Lehre vermitteln und inspirierten Rat geben, aber die Verantwortung für diese Entscheidungen liegt bei Ihnen. Offenbarung dieser Art ist für Sie bestimmt – das ist Ihre Start- und Landebahn!

Das dritte Element des Rahmens ist, dass persönliche Offenbarung im Einklang mit den Geboten Gottes und den Bündnissen steht, die wir mit ihm geschlossen haben. Stellen Sie sich ein Gebet wie dieses vor: „Vater im Himmel, die Gottesdienste der Kirche sind langweilig. Darf ich dich am Sabbat in den Bergen oder am Strand anbeten? Ist es in Ordnung, dass ich nicht in die Kirche gehe und nicht vom Abendmahl nehme, aber dennoch die Segnungen bekomme, die für die Sabbatheiligung verheißen sind?“21 Nach solch einem Gebet können wir erwarten, dass Gott antwortet: „Mein Kind, ich habe bereits meinen Willen zum Sabbat offenbart.“

Wenn wir um Offenbarung zu etwas bitten, wozu Gott schon deutliche Anweisungen gegeben hat, laufen wir Gefahr, unsere Gefühle falsch zu deuten und das zu hören, was wir hören möchten. Ein Mann berichtete mir einmal über seine Schwierigkeiten, die finanzielle Situation seiner Familie zu stabilisieren. Er kam auf die Idee, Gelder zu veruntreuen, um das Problem zu lösen, betete darüber und hatte das Gefühl, eine bestätigende Offenbarung empfangen zu haben, dass er das tun solle. Ich wusste, dass er getäuscht worden war, weil er sich um eine Offenbarung bemüht hatte, die einem Gebot Gottes widerspricht. Der Prophet Joseph Smith warnte: „Nichts kann … den Menschenkindern mehr schaden, als dass sie unter dem Einfluss eines falschen Geistes stehen, dabei aber meinen, sie hätten den Geist Gottes.“22

Nun mag man einwenden, dass auch Nephi ein Gebot brach, als er Laban umbrachte. Diese Ausnahme setzt jedoch nicht die Regel außer Kraft, dass persönliche Offenbarung im Einklang mit Gottes Geboten steht. Für diese Begebenheit gibt es keine einfache Erklärung, die völlig zufriedenstellend ist, aber ich möchte einige Aspekte hervorheben. Ausgangspunkt war nicht, dass Nephi fragte, ob er Laban umbringen könne. Das hatte er nicht im Sinn. Laban zu töten brachte Nephi keinen Vorteil, sondern verschaffte einer künftigen Nation und einem Bundesvolk heilige Schriften. Und Nephi war sich sicher, dass es Offenbarung war – in diesem Fall war es sogar ein Gebot Gottes.23

Das vierte Element des Rahmens ist, dass wir erkennen, was Gott uns bereits persönlich offenbart hat, aber gleichzeitig für weitere Offenbarung von ihm offen sind. Wenn Gott eine Frage beantwortet hat und die Umstände sich nicht geändert haben, warum sollten wir dann eine andere Antwort erwarten? Joseph Smith geriet 1828 in dieses problematische Szenario: Der erste Teil des Buches Mormon war bereits übersetzt, als Martin Harris, ein finanzieller Unterstützer und einer der ersten Schreiber, Joseph um Erlaubnis bat, die übersetzten Seiten mitzunehmen und seiner Frau zu zeigen. Joseph war sich nicht sicher, was er tun sollte, und betete um Führung. Der Herr sagte ihm, dass Martin die Seiten nicht mitnehmen dürfe.

Martin bat Joseph, Gott noch einmal zu fragen. Joseph tat es, und die Antwort war, wenig überraschend, die gleiche. Aber Martin drängte Joseph, ein drittes Mal zu fragen, und Joseph tat es. Dieses Mal antwortete Gott nicht mit Nein. Stattdessen war es, als ob Gott sage: „Joseph, du weißt, was ich davon halte, aber du hast Entscheidungsfreiheit.“ Joseph war erleichtert, freie Hand zu haben, und beschloss, Martin zu gestatten, 116 Manuskriptseiten mitzunehmen und sie ein paar Angehörigen zu zeigen. Die übersetzten Seiten gingen verloren und wurden nie wieder gefunden. Der Herr tadelte Joseph scharf.24

Joseph lernte, was der Prophet Jakob im Buch Mormon so ausdrückt: „Trachtet nicht, dem Herrn Rat zu erteilen, sondern, Rat aus seiner Hand anzunehmen. Denn … er [gibt] mit Weisheit … Rat.“25 Jakob warnte, dass es zu nichts Gutem führt, wenn wir um etwas Falsches bitten. Er sagte voraus, dass die Menschen in Jerusalem „nach dem [trachten würden], was sie nicht … verstehen können“, „über das Ziel“ hinausschauen würden und den Erretter der Welt gänzlich übersehen würden.26 Sie stolperten, weil sie um etwas baten, was sie weder verstehen würden noch hätten verstehen können.

Wenn wir persönliche Offenbarung für unsere Situation empfangen haben und sich die Umstände nicht geändert haben, hat Gott unsere Frage bereits beantwortet.27 Beispielsweise bitten wir manchmal wiederholt um die Zusicherung, dass uns vergeben worden ist. Wenn wir umgekehrt sind, von Freude erfüllt sind und ein ruhiges Gewissen haben sowie Vergebung für unsere Sünden empfangen haben, müssen wir nicht erneut fragen, sondern können auf die Antwort vertrauen, die Gott bereits gegeben hat.28

Aber auch wenn wir auf Gottes frühere Antworten vertrauen, müssen wir für weitere persönliche Offenbarung offen sein. Schließlich lassen sich im Leben nur wenige Bestimmungsorte ohne Zwischenlandung erreichen. Uns muss klar sein, dass persönliche Offenbarung „Zeile um Zeile“ und „Weisung um Weisung“29 empfangen werden kann und dass offenbarte Weisung stückweise gegeben werden kann und dies auch oft der Fall ist.30

Die Elemente des Rahmens für persönliche Offenbarung überschneiden sich und untermauern einander. Aber innerhalb dieses Rahmens kann und wird der Heilige Geist alles offenbaren, was wir in die Höhe schnellend ansteuern müssen und was wir brauchen, um auf dem Weg der Bündnisse nicht an Vorwärtsschub zu verlieren. Somit können wir durch die Macht Jesu Christi gesegnet werden, so zu werden, wie der Vater im Himmel uns haben möchte. Bitte bringen Sie das Vertrauen auf, persönliche Offenbarung für sich selbst in Anspruch zu nehmen, und zwar mit Klarheit darüber, was Gott offenbart hat, im Einklang mit den heiligen Schriften und den Geboten, die er durch seine berufenen Propheten gegeben hat, und innerhalb Ihres eigenen Zuständigkeitsbereichs und Ihrer Entscheidungsfreiheit. Ich weiß, dass der Heilige Geist Ihnen alles zeigen kann und wird, was Sie tun sollen.31 Im Namen Jesu Christi. Amen.