1990–1999
Die Kraft, von innen heraus heil zu werden
April 1995


Die Kraft, von innen heraus heil zu werden

Zur erlösenden Macht Jesu gehört es auch, daß er dem Tod den Stachel nehmen und die geistige Gesundheit eines Menschen, der schwer zu kämpfen hat, wiederherstellen kann.

Brüder und Schwestern, ich bin zutiefst dankbar für den wundervollen Einfluß, den Präsident Hunter in seiner kurzen Amtszeit als Prophet auf die Mitglieder der Kirche gehabt hat. Von Hawaii bis Westafrika habe ich gesehen, wie die Mitglieder seiner Aufforderung, Christus ähnlicher zu werden und in den Tempel zu gehen, nachgekommen sind. Heute bestätige ich Gordon B. Hinckley als den Propheten, Seher und Offenbarer und als den Präsidenten der Kirche. Als ich die Pressekonferenz gesehen habe, in der die neue Erste Präsidentschaft sich vorstellte, hat mir der Heilige Geist von ihrer prophetischen Berufung und von der Vorbereitung, die ihr vorausgegangen ist, Zeugnis gegeben. Damals wie heute habe ich, was Präsident Monson und Präsident Faust als seine Ratgeber und Präsident Packer als Amtierenden Präsidenten des Kollegiums der Zwölf betrifft, die gleiche Bestätigung gespürt. Die Art, wie der Herr seinen Propheten vorbereitet, ist ein wunderbares Werk, ja, ein Wunder.

Ich war vor kurzem auf der Beerdigung des Sohns eines Freundes. Der junge Mann war ein paar Tage zuvor mit Freunden spät abends mit dem Auto nach Hause unterwegs gewesen. Der Fahrer eines anderen; Autos war eingeschlafen. Sein Auto hatte die Mittelplanke durchbrochen und war; frontal mit dem anderen Auto zusammengeprallt. Der Unfall war so schnell geschehen, daß auf der Straße kaum Bremsspuren zu sehen waren. Beide Wagen waren völlig zerstört. Drei Menschen kamen bei dem Unfall ums Leben, darunter der siebzehnjährige Sohn meines Freundes.

Ich habe über diesen Unfall nachgedacht und auch über das, was der Tod uns lehren kann - vor allem wenn ein Mensch stirbt, den wir lieben. Als erstes lehrt er uns, daß das Leben kurz ist, ob man mit siebzehn stirbt oder mit achtzig. Für einen Siebzehnjährigen sind achtzig Jahre eine Ewigkeit Für einen Siebzigjährigen sind achtzig Jahre keine lange Bewährungszeit. Zweitens erinnert der Tod uns daran, daß dem Menschen ein Geist innewohnt. Als wir den Leichnam unseres jungen Freundes betrachteten, war uns klar, daß nicht nur ’Blut den Körper verlassen hatte. Das Licht seines Geistes belebte seine Gesichtszüge nicht mehr, seine Augen strahlten nicht ( ”mehr. Auch er hatte den Geist aufgegeben, jedoch im zarten, jungen Alter.

Der Tod lehrt uns ferner, wie wichtig die ewige Familie ist. So wie die Eltern ein Neugeborenes auf der Erde begrüßen, so, und das lesen wir in den heiligen Schriften, begrüßen liebevolle Familienmitglieder die Geister im Paradies und sind ihnen bei der Umstellung auf das neue Leben behilflich (siehe Genesis 25:8; 35:29; 49:33). Als ich dort vor dem Sarg stand, wurde mir bewußt, daß die Trennung nicht nur für die Eltern ein Schock war, sondern auch für de jungen Mann, der sich ja plötzlich auf der anderen Seite des Schleiers fand. Ich nehme an, daß er seinen Eltern gern noch einmal gesagt hätte, daß er sie lieb hat. Brüder und Schwestern, den Himmel gibt es nur wenn die Familie ewig ist.

Bei der vierten Lektion, vielleicht der wichtigsten, geht es um den Sinn des Lebens. Damit das Leben einen Sinn hat, muß mehr daran sein als nur das vergängliche Vergnügen der Jugend. Es muß einen Plan geben. Der Tod muß Teil dieses Plans sein, auch wenn er durch einen Unfall eintritt. Der Wesenskern dieses Plans ist, daß wir Glauben an unseren Schöpfer entwickeln und daß wir ihn kennenlernen. Unser Leben erhält auch dadurch einen Sinn, daß wir auf unsere ewige Bestimmung hoffen und Freude erfahren.

Der Tod lehrt uns, daß wir in der Sterblichkeit keine Fülle der Freude erfahren und daß wir immerwährende Freude nur mit der Hilfe des Herrn erfahren können (siehe LuB 93:33,34). So wie der Gelähmte am Teich Betesda, um geheilt zu werden, jemanden brauchte, der stärker war als er (siehe Johannes 5:1-9), so sind wir darauf angewiesen, daß das Wunder des Sühnopfers Jesu Christi unsere Seele von Kummer und Sünde heilt. Wenn trauernde Eltern und Angehörige an Jesus Christus und an seinen Plan glauben, dann wird dem Tod der Stachel genommen, denn Jesus nimmt den Kummer des Trauernden auf sich und tröstet ihn durch den Heiligen Geist. Durch Christus werden gebrochene Herzen getröstet und Friede vertreibt Besorgnis und Kummer. Letzte Woche habe ich von den Eltern des Jungen einen Brief erhalten, in dem sie mir mitteilten, daß sie durch den Glauben an Christus inneren Frieden gefunden haben. Sie wissen, daß sie ihren Sohn wiedersehen und in Ewigkeit mit ihm Zusammensein werden. Wie Jesaja über Jesus Christus gesagt hat: „Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. … Durch seine Wunden sind wir geheilt.” (Jesaja 53:4,5.)

Auch der Prophet Alma hat über die heilende Kraft Christi gesprochen, nämlich als er zu den Gideoniten sprach. Alma sagte in bezug auf Christus: „Er wird hingehen und Schmerzen und Bedrängnisse und Versuchungen jeder Art leiden; und dies, damit sich das Wort erfülle, das da sagt, er werde die Schmerzen und Krankheiten seines Volkes auf sich nehmen. … Und er wird ihre Schwächen auf sich nehmen, auf daß sein Inneres von Barmherzigkeit erfüllt sei, … damit er gemäß dem Fleische wisse, wie er seinem Volk beistehen könne.” (Alma 7:11,12.) Woher die Schmerzen auch rühren, Jesus versteht sie, und er kann sowohl den Geist als auch den Leib heilen.

Als Person der Gottheit kennt Jesus Christus einen jeden von uns. Jesaja und der Prophet Abinadi haben in bezug auf Christus gesagt: „Wenn seine Seele zu einem Opfer für Sünde geworden ist, wird er seine Nachkommen sehen.” (Mosia 15:10; siehe auch Jesaja 53:10.) Abinadi erklärt, seine Nachkommen, das seien die Rechtschaffenen, diejenigen, die den Propheten nachfolgen (siehe Mosia 15:11). Im Garten Getsemani und am Kreuz hat Jesus einen jeden von uns gesehen und nicht nur unsere Sünden auf sich genommen, sondern auch unsere tiefsten Gefühle erfahren, damit er wisse, wie er uns trösten und stärken kann.

Zur erlösenden Macht Jesu gehört es auch, daß er dem Tod den Stachel nehmen und die geistige Gesundheit eines Menschen, der schwer zu kämpfen hat, wiederherstellen kann. Die heiligen Schriften enthalten zahlreiche Beispiele dafür, aber eine junge koreanische Schwester hat mir dies unauslöschlich eingeprägt. Anfang 1994 habe ich Kim Young Hee, eine junge Frau in den Zwanzigern, auf einer Pfahlkonferenz kennengelernt. Mir fiel ihre wundervolle Ausstrahlung auf; sie saß in einem Rollstuhl auf dem Podium, da sie eine Ansprache halten sollte. Als sie an der Reihe war, schob ein Bruder den Rollstuhl neben das Rednerpult, damit sie sehen und gesehen werden konnte. Er gab ihr ein Mikrophon, und dann erzählte sie uns ihre Geschichte.

Sie war als junge Frau gesund gewesen, hatte eine ausgezeichnete Stellung und war mit dem Leben zufrieden. Sie war keine Christin. Dann hatte sie 1987 einen schrecklichen Autounfall gehabt, nach dem sie von der Taille abwärts gelähmt war. Nach dem Krankenhausaufenthalt war sie ins Haus ihrer Eltern zurückgekehrt. Sie wußte nicht, was das Leben ihr noch bringen sollte. Sie war völlig entmutigt und fühlte sich innerlich leer. Da klopfte es eines Tages an der Tür. Ihre Mutter machte auf, und zwei Amerikanerinnen standen da. Sie wollten gern von Jesus Christus erzählen. Die Mutter zögerte, aber die Tochter hörte die Stimmen und bat sie herein. Es waren Missionarinnen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Kim Young Hee erklärte sich bereit, sich die Missionarslektionen anzuhören. Sie las das Buch Mormon, betete, um zu erfahren, ob es wahr sei, besuchte die Kirche, empfing das Zeugnis, daß Gott die Kirche wiederhergestellt hat, und ließ sich taufen.

Als sie auf der Pfahlkonferenz Zeugnis gab, sagte sie: „Ich weiß, daß der himmlische Vater nicht die äußere Erscheinung ansieht, sondern das Herz. Ich weiß auch, daß das wahre Wunder die innere Heilung ist, die Herzensänderung, das Aufgeben des Stolzes. Auch wenn mein irdischer Körper in der Sterblichkeit nicht geheilt werden kann, so hat doch mein Geist die heilende Kraft des Heiligen Geistes gespürt. Und in der Auferstehung wird mein Geist in einem völlig wiederhergestellten, vollkommenen Körper wohnen, und ich werde eine Fülle der Freude erfahren.”

Während ich ihr zuhörte, gab mir der Geist Zeugnis vom großen Wunder des Sühnopfers und von der Macht Jesu Christi, ein gebrochenes Herz zu heilen, nämlich von innen heraus zu heilen. Jetzt erhielt das Gleichnis Jesu von den zehn Aussätzigen eine neue Bedeutung. Lukas berichtet, daß Jesus auf zehn Aussätzige traf. Als sie ihn sahen, schrien sie: „Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!” Jesus erwiderte: „Geht, zeigt euch den Priestern!” Sie gingen fort und waren rein. Einer kam zurück, warf sich vor den Füßen Jesu zu Boden und dankte ihm. Da sagte Jesus: „Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die übrigen neun?” Und dann sagte der Herr zu dem einen, der zurückgekommen war: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen.” (Siehe Lukas 17:12-19.) Der dankbare Aussätzige war innerlich und nicht nur äußerlich geheilt worden und war jetzt ganz gesund. Neun Aussätzige wurden nur äußerlich geheilt, und nur einer hatte den Glauben, den er brauchte, um völlig geheilt zu werden. Der zehnte Aussätzige und Schwester Hee wurden durch ihren Glauben an Jesus Christus und an die heilende Kraft des Sühnopfers auf ewig geheilt.

Das Sühnopfer Jesu Christi im Garten Getsemani und am Kreuz ist etwas ganz Persönliches und etwas Unbegrenztes. Unbegrenzt, da es in Ewigkeit gültig ist. Persönlich, weil Jesus Christus die Schmerzen, das Leid und die Krankheiten eines jeden Menschen spürte. Deshalb kann er unseren Kummer auf sich nehmen und unsere Last leichter machen, damit wir von innen heraus geheilt werden - völlig geheilt - und in seinem Reich immerwährende Freude erfahren können. Möge unser Glaube an Gott den Vater und den Sohn uns allen helfen, ganz gesund zu werden. Im Namen Jesu Christi. Amen