Generalkonferenz
Ehrfurcht vor Christus und seinem Evangelium
Frühjahrs-Generalkonferenz 2022


Ehrfurcht vor Christus und seinem Evangelium

Mögen unsere Gedanken an das, was unser Auge gesehen und unser Herz verspürt hat, unser Erstaunen über das Sühnopfer des Erretters vergrößern

Ich habe einen lieben Freund, ein brillanter Universitätsprofessor im Ruhestand, ein erfolgreicher Autor und, vor allem, ein bekennender Jünger Jesu Christi. Er hat schon Dutzende Male das Heilige Land besucht, um an Konferenzen teilzunehmen, wissenschaftliche Forschung zu betreiben und Führungen zu leiten. Ihm selbst zufolge ist er jedes Mal erstaunt, wenn er das Land besucht, wo Jesus einst wandelte, weil er zweifelsohne etwas Neues, Verblüffendes und Faszinierendes über den Erretter, dessen irdisches Wirken und dessen geliebtes Heimatland erfährt. Die Ehrfurcht meines Freundes, die bei seinen Erzählungen über all seine Erfahrungen im Heiligen Land zutage tritt, ist ansteckend. Sein Erstaunen bildet seit jeher die Grundlage seiner enormen Leistungen und seines akademischen Strebens.

Immer wenn er von seinen Erfahrungen erzählt und ich seine Begeisterung spüre, denke ich darüber nach, wie viel mehr das Evangelium Jesu Christi uns sozusagen geistig in Erstaunen versetzen kann und sollte und wie sich das wohl auf uns als seine Jünger und auf unseren Weg zum ewigen Leben auswirken kann. Das Erstaunen, von dem ich spreche, ist das Gefühl der Ergriffenheit, Ehrfurcht oder Verblüffung, das all denen wohlbekannt ist, die den Erretter und seine Lehren von ganzem Herzen zum Mittelpunkt ihres Lebens machen und demütig seine Gegenwart in ihrem Leben anerkennen. Solch ein Gefühl des Erstaunens, hervorgerufen durch den Einfluss des Heiligen Geistes, weckt die Begeisterung dafür, freudig nach der Lehre Christi zu leben.1

Die heiligen Schriften enthalten etliche Beispiele dafür, worin sich diese Empfindung kundtut. Zum Beispiel brachte der Prophet Jesaja die Tiefe seiner Dankbarkeit für den Herrn zum Ausdruck, indem er sich an ihm freute.2 Die Menschen, die Jesus in der Synagoge in Kafarnaum predigen hörten, waren voll Staunen über seine Lehre und darüber, mit welcher Kraft er sie verkündete.3 Ebendieses Gefühl drang auch dem jungen Joseph Smith in jede Faser seines Herzens, als er in der Bibel einige Verse aus dem ersten Kapitel des Jakobusbriefes las, die ihn dazu bewogen, sich um Weisheit von Gott zu bemühen.4

Meine Brüder und Schwestern, wenn wir wahrhaft Ehrfurcht vor Jesus Christus und seinem Evangelium haben, sind wir glücklicher, das Werk Gottes erfüllt uns mit mehr Begeisterung und wir erkennen in allem die Hand des Herrn an. Darüber hinaus ist dann unser Studium des Wortes Gottes tiefgründiger, wir beten mit festerer Absicht, verehren Gott andächtiger und dienen eifriger im Reich Gottes. Ein solches Verhalten trägt dazu bei, dass der Einfluss des Heiligen Geistes in unserem Leben häufiger zu spüren ist.5 Dementsprechend wird unser Zeugnis vom Erretter und von seinem Evangelium gestärkt, wir sorgen dafür, dass Christus in uns lebendig bleibt,6 und wir leben so, dass wir „in ihm verwurzelt und auf ihn gegründet [bleiben], gefestigt durch den Glauben [und] voller Dankbarkeit“7. Wenn wir so leben, entwickeln wir eine größere geistige Widerstandskraft und sind davor geschützt, in die Falle zu tappen und geistig gleichgültig zu werden.

Solch eine Gleichgültigkeit ist geprägt von dem allmählichen Verlust unserer Begeisterung dafür, uns voll und ganz dem Evangelium des Herrn zu verschreiben. Sie beginnt im Allgemeinen mit dem Empfinden, dass wir bereits jegliches Wissen und alle Segnungen, die wir für unser Glück in diesem Leben brauchen, erlangt haben. Aufgrund dieser Selbstzufriedenheit betrachten wir die Gaben des Evangeliums sozusagen als etwas Selbstverständliches, und von da an vernachlässigen wir es womöglich, uns regelmäßig in die Grundlagen des Evangeliums Jesu Christi8 zu vertiefen, und vernachlässigen die Bündnisse, die wir geschlossen haben. Infolgedessen entfernen wir uns nach und nach vom Herrn, wir schwächen unsere Fähigkeit, ihn zu hören,9 die Größe seines Werkes wird uns gleichgültig und wir verlieren jedes Gefühl dafür. Zweifel an den Wahrheiten, die wir bereits erhalten haben, könnten in Herz und Verstand dringen und uns für die Versuchungen des Feindes anfällig machen.10

Pastor Aiden Wilson Tozer, ein berühmter Autor und tapferer Christ, schrieb: „Selbstzufriedenheit ist der Todfeind jeglichen geistigen Wachstums.“11 Ist nicht genau das kurz nach der Geburt Christi dem Volk Nephi widerfahren? Es „staunte allmählich immer weniger über ein Zeichen oder ein Wunder vom Himmel“ und glaubte „alles nicht mehr …, was es gehört und gesehen hatte“. So kam es, dass der Satan „seine Augen verblendete und es verleitete zu glauben, die Lehre von Christus sei etwas Törichtes und etwas Unnützes“12.

Meine lieben Brüder und Schwestern, aus seiner vollkommenen und grenzenlosen Liebe heraus und da er unsere menschliche Natur13 kennt, hat der Erretter den Weg festgelegt, wie wir es vermeiden können, in die Falle zu tappen und geistig gleichgültig zu werden. Folgende Aufforderung des Herrn schenkt uns eine größere Perspektive, vor allem angesichts der vielschichtigen Welt, in der wir leben: „Lerne von mir und höre auf meine Worte; wandle in der Sanftmut meines Geistes, dann wirst du Frieden haben in mir.“14 Wenn wir dieser Aufforderung des Erretters nachkommen, beweisen wir damit unsere Demut, unseren Wunsch, belehrbar zu sein, und unsere Hoffnung, mehr wie er zu werden.15 Die Aufforderung schließt ein, dass wir ihm dienen und uns um Gottes Kinder kümmern, „mit [unserem] ganzen Herzen, aller Macht, ganzem Sinn und aller Kraft“16. Von zentraler Bedeutung bei unseren Bemühungen sind natürlich die zwei wichtigsten Gebote: den Herrn, unseren Gott, zu lieben und unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst.17

Ein solches Verhalten entspricht dem göttlichen Charakter Jesu und war in allem, was er während seines Wirkens auf der Erde tat, klar ersichtlich.18 Wenn wir uns daher bewusst und wahrhaft dem Bemühen verschreiben, auf ihn zu blicken und von seinem vollkommenen Beispiel zu lernen,19 lernen wir ihn besser kennen. Dann wächst in uns der begeisterte Wunsch, den höchsten Maßstab an die Lebensweise, die von uns erwartete Vorbildrolle und die Gebote, die wir befolgen sollen, in unser Leben aufzunehmen. Wir gewinnen auch mehr Einsicht, Weisheit, göttliche Charakterzüge sowie Gunst bei Gott und unserem Nächsten.20 Ich kann Ihnen versichern: Wir sind dann besser in der Lage, den Einfluss und die Liebe des Erretters in unserem Leben zu spüren. Dadurch nehmen unser Glaube, unser Wunsch, rechtschaffen zu handeln, sowie die Motivation, dem Erretter und unseren Mitmenschen zu dienen, zu.21 Darüber hinaus wird unsere Dankbarkeit für die Segnungen und Herausforderungen des Erdenlebens gefestigt und Bestandteil unserer wahren Gottesverehrung.22

Meine lieben Freunde, all dies bestärkt uns in unserem geistigen Erstaunen über das Evangelium und bewegt uns dazu, die Bündnisse, die wir mit dem Herrn eingehen, freudig zu halten – selbst inmitten der Prüfungen und Herausforderungen, die wir durchleben. Damit sich diese Ergebnisse einstellen, müssen wir uns natürlich mit Glauben und wirklichem Vorsatz in die Lehren des Erretters vertiefen23 und bestrebt sein, seine Eigenschaften in unsere Verhaltens- und Lebensweise aufzunehmen.24 Außerdem müssen wir uns dem Herrn durch Umkehr weiter nahen,25 indem wir uns um seine Vergebung und seine erlösende Macht in unserem Leben bemühen und seine Gebote halten. Der Herr selbst hat verheißen, dass er unsere Pfade ebnet, wenn wir ihm mit ganzem Herzen vertrauen, ihn auf all unseren Wegen zu erkennen suchen und nicht auf eigene Klugheit bauen.26

Bild
Elder Jones mit Wes

Ein Mann namens Wes, den ich vor kurzem kennengelernt habe und der heute bei der Konferenz dabei ist, kam der Aufforderung Christi nach, etwas über ihn und sein Evangelium zu erfahren, und verspürte nach und nach die Ehrfurcht vor seiner Liebe, nachdem er sich 27 Jahre lang vom Weg der Bündnisse ferngehalten hatte. Er erzählte mir, dass er eines Tages über Facebook von Elder Jones kontaktiert wurde, einem Missionar, der vorübergehend in Wesʼ Gebiet diente, bevor er dann zu der Mission in Panama aufbrach, der er ursprünglich zugewiesen worden war. Als Elder Jones auf Wesʼ Profil stieß, spürte er – ohne schon zu wissen, dass dieser bereits ein Mitglied der Kirche war –, wie der Heilige Geist ihn führte, und er wusste, dass er Wes unverzüglich kontaktieren sollte. Rasch folgte er dieser Eingebung. Wes war über diese unerwartete Kontaktaufnahme erstaunt und erkannte, dass der Herr um ihn wusste, ungeachtet dessen, dass Wes weit vom Weg der Bündnisse entfernt war.

Von da an kommunizierten Wes und die Missionare häufig miteinander. Elder Jones und sein Mitarbeiter standen Wes jede Woche mit guten Taten und geistigen Botschaften zur Seite, wodurch Wes seine Ehrfurcht vor dem Erretter und dessen Evangelium wiedererlangte. Die Flamme seines Zeugnisses von der Wahrheit und von der Liebe des Erretters wurde wieder entfacht. Wes verspürte den Frieden, den der Tröster bringt, und erlangte die nötige Kraft, um zur Herde zurückzukehren. Er erzählte mir, dass diese Erfahrung ihn geistig und seelisch wieder zum Leben erweckt hatte. Sie half ihm, seine über Jahre aufgestaute Bitterkeit, die von schwierigen Erfahrungen hergerührt hatte, hinter sich zu lassen.

Wie mein schon erwähnter Freund, der viel nachsinnende Professor, bemerkt hat, kann man stets etwas Wunderbares und Faszinierendes über Jesus Christus und dessen Evangelium dazulernen.27 Der Herr hat wunderbare Verheißungen ausgesprochen, die sich auf all jene erstrecken – darunter auch auf uns –, die mehr über ihn erfahren und seine Worte in ihr Leben aufnehmen möchten. Zu Henoch sagte er: „Siehe, mein Geist [soll] auf dir [ruhen], darum werde ich alle deine Worte rechtfertigen; und die Berge werden vor dir weichen, und die Flüsse werden sich aus ihrem Lauf wenden, und du wirst in mir verbleiben und ich in dir; darum wandle mit mir!“28 Durch seinen Diener König Benjamin verkündete der Herr: „[Ihr werdet] die Kinder Christi genannt werden, seine Söhne und seine Töchter; denn siehe, am heutigen Tag hat er euch geistig gezeugt; denn ihr sagt, euer Herz habe sich durch Glauben an seinen Namen gewandelt; darum seid ihr aus ihm geboren und seid seine Söhne und seine Töchter geworden.“29

Ich verheiße Ihnen daher im Namen des Erretters: Wenn wir uns aufrichtig und beständig bemühen, von ihm zu lernen und seinem Beispiel zu folgen, werden seine göttlichen Eigenschaften in unsere Gedanken und unser Herz geschrieben,30 wir werden mehr wie er und werden mit ihm wandeln.31

Meine lieben Brüder und Schwestern, ich bete darum, dass wir stets Ehrfurcht vor Jesus Christus und seiner vollendeten, grenzenlosen und vollkommenen Liebe haben. Mögen unsere Gedanken an das, was unser Auge gesehen und unser Herz verspürt hat, unser Erstaunen über das Sühnopfer des Erretters vergrößern, denn sein Sühnopfer kann unsere geistigen und seelischen Wunden heilen und uns helfen, ihm näherzukommen. Mögen wir über die großen Verheißungen staunen, die der Vater in seinen Händen hält und die er für diejenigen bereitet hat, die treu sind:

„Das Reich ist euer, und seine Segnungen sind euer, und die Reichtümer der Ewigkeit sind euer.

Und wer alles mit Dankbarkeit empfängt, der wird herrlich gemacht werden.“32

Jesus ist der Erlöser der Welt, und dies ist seine Kirche. Für all diese Wahrheiten gebe ich Zeugnis im ehrfurchtgebietenden, heiligen und erhabenen Namen unseres Erretters Jesus Christus. Amen.