Generalkonferenz
Die Glaubensleiter
Frühjahrs-Generalkonferenz 2022


Die Glaubensleiter

Unglaube verhindert, dass wir Wunder wahrnehmen können, wohingegen eine von Glauben an den Erretter geprägte Einstellung die Mächte des Himmels freisetzt

Wie beeinflussen die mit dem Leben verbundenen Herausforderungen unseren Glauben an Jesus Christus? Und wie wirkt sich unser Glaube darauf aus, wie viel Freude und Frieden wir in diesem Leben erfahren?

Es war 1977. Das Telefon klingelte und die Nachricht zerriss uns das Herz. Carolyn und Doug Tebbs waren nach Abschluss ihres Studiums gerade dabei, in ihr neues Haus zu ziehen. Das Ältestenkollegium half mit, den Umzugswagen zu beladen. Bevor Doug zurücksetzte, warf er einen letzten Blick nach hinten, um sich zu vergewissern, dass der Weg frei war. Was er nicht sehen konnte, war, dass seine kleine Tochter Jennie genau im falschen Moment hinter den Lastwagen sprang. Von einem Augenblick auf den anderen war ihre geliebte Jennie von ihnen gegangen.

Was würde nun geschehen? Würden der tief empfundene Schmerz und das unfassbare Verlustgefühl eine unüberbrückbare Kluft zwischen Carolyn und Doug auftun? Oder würde beides sie irgendwie zusammenschweißen und ihren Glauben an den Plan des Vaters im Himmel festigen?

Der Weg durch ihre Bedrängnisse hindurch war lang und leidvoll, aber von irgendwoher nahmen sie die geistigen Reserven, um die Hoffnung nicht zu verlieren, sondern an ihrem Weg festzuhalten.1 Irgendwie schaffte es dieses unglaubliche Paar, sogar noch mehr wie Christus zu werden. Entschlossener. Mitfühlender. Beide glaubten daran, dass Gott ihnen zu seiner Zeit ihre Bedrängnisse zum Gewinn weihen werde.2

Obwohl Schmerz und Verlustgefühl nie ganz verschwanden und auch nicht völlig verschwinden konnten, wurden Carolyn und Doug durch die Gewissheit getröstet, dass ihre geliebte Jennie – wenn beide nur unbeirrt auf dem Weg der Bündnisse blieben – für immer zu ihnen gehören wird.3

Ihr Beispiel hat meinen Glauben an den Plan des Herrn gestärkt. Wir können nicht alles überblicken – aber Gott schon. Der Herr sagte zu Joseph Smith im Gefängnis zu Liberty: „Dies alles [wird] dir Erfahrung bringen und dir zum Guten dienen[.] Des Menschen Sohn ist unter das alles hinabgefahren. Bist du größer als er?“4

Wenn wir den Willen des Herrn annehmen, zeigt er uns, wie wir mit ihm wandeln können.5 Als junger Missionar in Tahiti wurde ich gebeten, einem kranken Baby einen Segen zu geben. Wir legten ihm die Hände auf und segneten es, wieder gesund zu werden. Sein Gesundheitszustand begann sich zu verbessern, aber dann wurde es wieder krank. Wir gaben ihm einen zweiten Segen, jedoch mit dem gleichen Ergebnis. Ein drittes Mal bat man uns um einen Segen. Wir flehten den Herrn an, dass sein Wille geschehen möge. Kurz darauf kehrte dieser kleine Geist in seine himmlische Heimat zurück.

Aber wir verspürten inneren Frieden. Wir wollten, dass das Baby weiterlebte, aber der Herr hatte andere Pläne. Seinen Willen anzunehmen, statt auf unserem zu beharren, ist der Schlüssel dazu, ungeachtet unserer Umstände Freude zu finden.

Der einfache Glaube an Jesus Christus, den wir entwickeln, während wir nach und nach etwas über ihn erfahren, kann in uns verbleiben, während wir uns den Herausforderungen des Lebens stellen. Unser Glaube an Jesus kann und wird uns durch die komplexen Probleme des Lebens führen. Ja, wir werden feststellen, dass den komplexen Problemen des Lebens Einfachheit gegenübersteht,6 wenn wir beständig „in Christus [verbleiben], erfüllt vom vollkommenen Glanz der Hoffnung“7.

Der Sinn des Lebens besteht unter anderem darin, solche potenziellen Stolpersteine zu Trittsteinen werden zu lassen, während wir das erklimmen, was ich die Glaubensleiter nenne – eine Leiter, weil dies andeutet, dass der Glaube nicht starr ist. Je nach unseren Entscheidungen kann es mal nach oben und mal nach unten gehen.

In unserem Bestreben, Glauben an den Erretter aufzubauen, erfassen wir die Liebe Gottes zu uns vielleicht nicht voll und ganz und befolgen seine Gesetze vielleicht aus Pflichtgefühl. Schuldgefühle können sogar – anstelle von Liebe – zu unserem Hauptbeweggrund werden. Vielleicht haben wir ja noch nicht erlebt, wie es ist, eine echte Beziehung zum Herrn zu haben.

Bei unserem Bemühen, unseren Glauben zu stärken, mag uns das, was Jakobus sagte, verwirren. Er rief uns in Erinnerung, dass „Glaube ohne Werke nutzlos ist“8. Wir können ins Straucheln geraten, wenn wir meinen, alles hinge von uns ab. Wenn wir uns zu sehr von uns selbst abhängig machen, kann das unsere Fähigkeit behindern, auf die Mächte des Himmels zuzugreifen.

Aber wenn wir uns wahrem Glauben an Jesus Christus nähern, ändert sich nach und nach unsere Einstellung. Wir erkennen, dass Gehorsam und Glaube an den Erretter uns würdig machen, seinen Geist immer bei uns zu haben.9 Gehorsam ist dann kein lästiges Übel mehr, vielmehr streben wir eifrig danach.10 Wir erkennen, dass wir durch Gehorsam gegenüber Gottes Geboten sein Vertrauen erlangen können. Weil er uns vertraut, empfangen wir mehr Licht. Dieses Licht führt uns auf unserem Weg und lässt uns klarer erkennen, welche Richtung wir einschlagen sollen.

Das ist aber noch nicht alles. Während unser Glaube an den Erretter wächst, stellen wir eine allmähliche Veränderung fest, die ein göttliches Verständnis unserer Beziehung zu Gott mit sich bringt – eine stetige Entwicklung weg von „Was will ich?“ hin zu „Was will Gott?“. Wir wollen es dem Erretter gleichtun und uns „nicht wie ich will, sondern wie du willst“11 verhalten. Wir wollen Gottes Werk tun und ein Werkzeug in seinen Händen sein.12

Unser Fortschritt erstreckt sich bis in alle Ewigkeit. Präsident Russell M. Nelson hat erklärt, dass es noch so viel mehr gibt, was der Vater im Himmel uns erkennen lassen möchte.13 Während wir Fortschritt machen, entwickeln wir ein besseres Verständnis dieser Worte des Herrn an Joseph Smith: „Denn wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr von seiner Fülle empfangen und in mir verherrlicht werden[;] darum sage ich euch: Ihr werdet Gnade um Gnade empfangen.“14

Wie hoch wir auf der Glaubensleiter klettern, liegt bei uns. Elder Neil L. Andersen hat erklärt: „Ihr Glaube hängt nicht vom Zufall ab, sondern von Ihren Entscheidungen.“15 Wir können uns dazu entschließen, die Entscheidungen zu treffen, die erforderlich sind, um unseren Glauben an den Erretter zu vergrößern.

Bedenken Sie, wie Entscheidungen sich auswirken: Laman und Lemuel etwa stiegen die Glaubensleiter hinab, wohingegen Nephi immer höher kletterte. Am deutlichsten erkennbar ist der Unterschied wohl, wenn wir Nephis Reaktion betrachten, nämlich „Ich will hingehen und … tun“16, und die von Laman und Lemuel, die gerade erst einen Engel gesehen hatten, aber fragten: „Wie ist es möglich, dass der Herr [uns helfen] wird?“17

Unglaube verhindert, dass wir Wunder wahrnehmen können, wohingegen eine von Glauben an den Erretter geprägte Einstellung die Mächte des Himmels freisetzt.

Selbst wenn unser Glaube schwach ist, wird die Hand des Herrn immer ausgestreckt sein.18 Vor Jahren erhielt ich den Auftrag, die Präsidentschaft eines Pfahls in Nigeria neu zu bilden. In letzter Minute wurde der Termin geändert. Es gab in dem Pfahl einen Mann, der es vorgezogen hatte, am ursprünglichen Tag der Konferenz die Stadt zu verlassen. Er wollte nicht riskieren, als Pfahlpräsident berufen zu werden.

Unterwegs hatte er einen schrecklichen Unfall, blieb aber unverletzt. Dies veranlasste ihn, darüber nachzudenken, warum sein Leben verschont worden war. Er überdachte die Entscheidung, die er getroffen hatte. Er kehrte um und nahm am neuen Termin demütig an der Konferenz teil. Und ja, er wurde als neuer Pfahlpräsident berufen.

Elder Neal A. Maxwell hat gesagt: „Man [kann] nur dann wirklich glücklich sein …, wenn man den eigenen Willen am Willen Gottes ausrichtet. Alles andere ergibt nur ein kleineres Maß.“19

Nachdem wir alles getan haben, „was in unserer Macht liegt“, ist es an der Zeit, „ruhig [zu] stehen, um die Errettung Gottes zu sehen“20. Das habe ich erlebt, als ich als betreuender Bruder Familie McCormick zugeteilt war. Mary Kay und Ken waren schon 21 Jahre lang miteinander verheiratet. Mary Kay diente treu in ihren Berufungen. Ken war kein Mitglied der Kirche und hatte auch kein Interesse daran, eines zu werden, aber weil er seine Frau liebte, ging er mit ihr zur Kirche.

Eines Sonntags fühlte ich mich gedrängt, Ken Zeugnis zu geben. Ich fragte ihn, ob das in Ordnung wäre. Seine Antwort war ein klares, deutliches „Nein, danke“.

Das verwunderte mich. Ich hatte eine Eingebung verspürt und mich bemüht, dieser zu folgen. Ich war versucht, zu schlussfolgern, dass ich meinen Teil getan hatte. Aber nachdem ich gebetet und nachgedacht hatte, konnte ich erkennen, dass ich zwar ganz richtige Absichten gehabt, mich aber zu sehr auf mich selbst und zu wenig auf den Herrn verlassen hatte.

Später besuchte ich die beiden erneut, diesmal jedoch mit einer anderen Einstellung. Ich wollte nun einfach nur ein Werkzeug in den Händen des Herrn sein und dem Geist folgen. Zusammen mit meinem getreuen Betreuungspartner Gerald Cardon betrat ich das Zuhause der McCormicks.

Kurz darauf fühlte ich mich gedrängt, Gerald zu bitten, das Lied „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“21 vorzusingen. Er warf mir einen fragenden Blick zu, aber da er Vertrauen in meinen Glauben hatte, kam er meiner Bitte nach. Eine herrliche geistige Atmosphäre erfüllte das Zimmer. Ich erhielt die Eingebung, Mary Kay und Kristin, die Tochter der McCormicks, zu bitten, Zeugnis zu geben. Während sie das taten, war der Heilige Geist noch stärker zu spüren. Nachdem Kristin Zeugnis gegeben hatte, liefen Ken Tränen über die Wangen.22

Gott hatte die Führung übernommen. Herzen wurden nicht nur berührt, sondern wandelten sich für immer. 21 Jahre des Unglaubens wurden durch die Macht des Heiligen Geistes weggewaschen. Eine Woche später ließ sich Ken taufen. Ein Jahr später wurden Ken und Mary Kay im Haus des Herrn für Zeit und alle Ewigkeit aneinander gesiegelt.

Gemeinsam hatten wir erlebt, was es bedeutet, an die Stelle unseres Willens den Willen des Herrn treten zu lassen, und unser Glaube an ihn nahm zu.

Bitte denken Sie, während Sie bestrebt sind, die Glaubensleiter zu erklimmen, über ein paar Fragen nach, die von Gottes Propheten gestellt wurden:

Habe ich den Stolz abgelegt?23

Gebe ich dem Wort Gottes in meinem Herzen Raum?24

Lasse ich zu, dass mir meine Bedrängnisse zum Gewinn geweiht werden?25

Bin ich willens, dass mein Wille im Willen des Vaters verschlungen wird?26

Wenn mir so zumute gewesen ist, als sollte ich den Gesang der erlösenden Liebe singen, ist mir dann auch jetzt danach zumute?27

Lasse ich Gott in meinem Leben siegen?28

Wenn Sie feststellen, dass Ihr derzeitiger Weg im Widerspruch zu Ihrem Glauben an den Erretter steht, dann machen Sie sich bitte wieder auf den Weg zu ihm. Ihre Erhöhung und die Ihrer Nachkommen hängen davon ab.

Mögen wir den Samen des Glaubens tief in unser Herz pflanzen. Mögen wir diesen Samen nähren, indem wir uns an den Erretter binden und treu die Bündnisse halten, die wir mit ihm geschlossen haben. Im Namen Jesu Christi. Amen.