Generalkonferenz
Die Welt heilen
Frühjahrs-Generalkonferenz 2022


Die Welt heilen

Wunden und Meinungsverschiedenheiten können überwunden und sogar beseitigt werden, wenn wir Gott, unser aller Vater, und Jesus Christus, seinen Sohn, ehren

Brüder und Schwestern, es ist wunderbar, dass wir in dieser herrlichen Osterzeit zusammenkommen und von Gottes Dienern Rat und Weisung erhalten können.

Die heilige Führung und die Lehren unseres Vaters im Himmel helfen uns, das Leben in diesen gefahrvollen Zeiten zu meistern. Wie prophezeit wurde, verwüsten „Feuer und Unwette[r]“, „Krieg[e], Kriegsgerücht[e] und Erdbeben an verschiedenen Orten“, „allerart Gräuel“1, „Plage[n]“2, „Hungersnöte“3 und Seuchen Familien, Gesellschaften und ganze Nationen.

Es gibt noch eine andere Geißel, die die Welt heimsucht, nämlich Angriffe auf unsere Religionsfreiheit. Diese zunehmende Tendenz zielt darauf ab, die Religion und den Glauben an Gott aus dem öffentlichen Leben, den Schulen, den gesellschaftlichen Normen und dem gesellschaftlichen Diskurs zu entfernen. Die Gegner der Religionsfreiheit versuchen, die Äußerung von tief empfundenen Überzeugungen einzuschränken. Sie kritisieren und belächeln Glaubenstraditionen.

Eine solche Haltung grenzt die Menschen aus und wertet persönliche Prinzipien, Fairness, Respekt, Religiosität und Gewissensfreiheit ab.

Was ist unter Religionsfreiheit zu verstehen?

Sie umfasst die Freiheit der Religionsausübung in all ihren Formen: Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Freiheit, nach persönlichen Überzeugungen zu handeln, und die Freiheit anderer, dies ebenso zu tun. Die Religionsfreiheit erlaubt es jedem von uns, selbst zu entscheiden, woran wir glauben, wie wir nach unserem Glauben leben und handeln und was Gott von uns erwartet.

Bestrebungen, die Religionsfreiheit einzuschränken, sind keineswegs neu. Im Laufe der Geschichte haben gläubige Menschen durch die Hand anderer großes Leid erfahren. Den Mitgliedern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage erging es da nicht anders.

Seit unseren Anfängen fühlten sich viele Menschen, die Gott suchten, zu dieser Kirche hingezogen, weil sie die göttliche Lehre vermittelt, darunter den Glauben an Jesus Christus und sein Sühnopfer, die Umkehr, den Plan des Glücklichseins und das Zweite Kommen unseres Herrn.

Unser erster Prophet der Neuzeit, Joseph Smith, und seine Anhänger wurden von Widerstand, Verfolgung und Gewalt geplagt.

Inmitten des Aufruhrs im Jahr 1842 veröffentlichte Joseph Smith 13 grundlegende Glaubenssätze der wachsenden Kirche, darunter diesen: „Wir beanspruchen das Recht, den allmächtigen Gott zu verehren, wie es uns das eigene Gewissen gebietet, und gestehen allen Menschen das gleiche Recht zu, mögen sie verehren, wie oder wo oder was sie wollen.“4

Seine Aussage ist umfassend, befreiend und respektvoll. Das ist der Wesenskern der Religionsfreiheit.

Der Prophet Joseph Smith hat zudem gesagt:

„Ich [erkläre] angesichts des Himmels ohne Scheu, dass ich gleichermaßen bereit bin, zur Wahrung der Rechte eines Presbyterianers, eines Baptisten oder sonst eines guten Mannes irgendeiner anderen Glaubensgemeinschaft zu sterben. Denn das gleiche Prinzip, das die Rechte eines Heiligen … mit Füßen tritt, das tritt auch die Rechte eines Römisch-Katholischen oder jedes anderen Glaubensbekenners mit Füßen, der sich unbeliebt gemacht hat und zu schwach ist, sich selbst zu verteidigen.

Die Freiheitsliebe ist es, die meine Seele inspiriert – bürgerliche und religiöse Freiheit für das ganze Menschengeschlecht.“5

Dennoch wurden die Mitglieder in den Anfangstagen der Kirche angegriffen und über tausende von Kilometern vertrieben, von New York über Ohio bis nach Missouri, wo der Gouverneur anordnete, dass die Mitglieder der Kirche als Feinde zu gelten hätten und ausgerottet oder aus dem Bundesstaat vertrieben werden müssten.6 Sie flohen nach Illinois, aber die Qual ging weiter. Eine Meute ermordete den Propheten Joseph Smith in der Annahme, seine Vernichtung werde die Kirche zerstören und die Gläubigen zerstreuen. Doch die Gläubigen blieben standhaft. Joseph Smiths Nachfolger, Brigham Young, führte Tausende in einem unfreiwilligen Exodus rund 2.000 Kilometer gen Westen in den heutigen Bundesstaat Utah.7 Meine eigenen Vorfahren gehörten zu diesen ersten Pionieren und Siedlern.

Seit diesen Tagen heftiger Verfolgung ist die Kirche des Herrn stetig auf fast 17 Millionen Mitglieder angewachsen, von denen weit über die Hälfte außerhalb der Vereinigten Staaten leben.8

Im April 2020 feierte unsere Kirche den 200. Jahrestag der Wiederherstellung des Evangeliums mit einer Proklamation an die Welt, die von der Ersten Präsidentschaft und dem Kollegium der Zwölf Apostel verfasst wurde. Einleitend heißt es: „Wir erklären feierlich, dass Gott seine Kinder in jedem Land der Welt liebt.“9

Unser geschätzter Prophet Russell M. Nelson hat dies weiter ausgeführt:

„Wir glauben daran, dass alle Kinder Gottes in Freiheit leben und freundlich und gerecht behandelt werden sollen.

Wir alle sind Brüder und Schwestern. Jeder ist ein Kind des himmlischen Vaters, und er liebt uns. Sein Sohn, der Herr Jesus Christus, fordert uns alle auf, zu ihm zu kommen, ‚ob schwarz oder weiß, geknechtet oder frei, männlich oder weiblich‘ (2 Nephi 26:33).“10

Schauen wir uns vier Punkte an, wie die Gesellschaft und der Einzelne von der Religionsfreiheit profitieren.

Erstens: Die Religionsfreiheit steht im Einklang mit den beiden wichtigsten Geboten und stellt Gott in den Mittelpunkt unseres Lebens. Im Matthäusevangelium lesen wir:

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.“11

„Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“12

Ob in einer Kapelle, einer Synagoge, einer Moschee oder einer Blechhütte – die Jünger Christi und alle gleichgesinnten Gläubigen können ihre Hingabe an Gott durch ihren Gottesdienst und die Bereitschaft, seinen Kindern zu dienen, zum Ausdruck bringen.

Jesus Christus ist das vollkommene Beispiel für solche Liebe und solchen Dienst. Während seines irdischen Wirkens stand Jesus den Armen bei,13 heilte die Kranken14 und die Blinden.15 Er speiste die Hungrigen,16 schloss kleine Kinder in seine Arme,17 und vergab denen, die ihm Unrecht getan und ihn sogar gekreuzigt hatten.18

In den heiligen Schriften heißt es, dass Jesus umherzog und Gutes tat.19 Das müssen wir auch tun.

Zweitens: Die Religionsfreiheit fördert den Ausdruck von Glauben, Hoffnung und Frieden.

Als Kirche schließen wir uns mit anderen Religionen zusammen und schützen Menschen aller Glaubensrichtungen und Überzeugungen und ihr Recht, ihre Ansichten zu äußern. Das heißt nicht, dass wir ihre Überzeugungen annehmen oder sie die unseren, aber wir haben mit ihnen mehr gemeinsam als mit denen, die uns zum Schweigen bringen wollen.

Vor kurzem habe ich die Kirche auf dem jährlichen interreligiösen G20-Forum in Italien vertreten. Es hat mir Mut gemacht und Auftrieb gegeben, als ich mit Regierungs- und Glaubensvertretern aus aller Welt zusammentraf. Ich erkannte, dass Wunden und Meinungsverschiedenheiten überwunden und sogar beseitigt werden können, wenn wir Gott, unser aller Vater, und Jesus Christus, seinen Sohn, ehren. Der große Heiler aller ist unser Herr und Heiland Jesus Christus.

Ich erlebte einen bemerkenswerten Moment, als ich meinen Vortrag beendete. Keiner der sieben vorangegangenen Redner hatte in irgendeiner Form einer Glaubenstradition oder im Namen Gottes geschlossen. Während meines Vortrags überlegte ich: „Sage ich jetzt einfach danke und setze mich oder schließe ich ‚im Namen Jesu Christi‘?“ Ich erinnerte mich daran, wer ich war, und ich wusste, dass der Herr von mir erwartete, dass ich am Ende meiner Botschaft seinen Namen ausspreche. Also tat ich es. Im Nachhinein betrachtet, war dies meine Gelegenheit, meinem Glauben Ausdruck zu verleihen, und dank der Religionsfreiheit konnte ich Zeugnis für seinen heiligen Namen ablegen.

Drittens: Religion inspiriert Menschen dazu, anderen zu helfen.

Wenn der Religion der Raum und die Freiheit gewährt wird, sich zu entfalten, vollbringen gläubige Menschen einfache und mitunter heldenhafte gute Taten. Der altjüdische Ausdruck „Tikun Olam“, der „die Welt wiederherstellen oder heilen“ bedeutet, spiegelt sich heute in den Bemühungen so vieler Menschen wider. Wir pflegen Partnerschaften mit Catholic Charities, die unter dem Namen Caritas Internationalis bekannt ist, mit Islamic Relief sowie mit zahlreichen jüdischen, hinduistischen, buddhistischen, sikhistischen und christlichen Organisationen wie der Heilsarmee und der National Christian Foundation. Gemeinsam helfen wir Millionen von Menschen in Not, zuletzt durch die Unterstützung von Kriegsflüchtlingen mit Zelten, Schlafsäcken und Nahrungsmitteln20 und durch die Bereitstellung von Impfstoffen, einschließlich solcher gegen Polio21 und COVID.22 Die Liste der Maßnahmen ist umfangreich, aber der Bedarf ist es ebenso.

Es steht außer Frage, dass gläubige Menschen, die zusammenarbeiten, einen wichtigen Beitrag leisten können. Gleichzeitig nehmen sich Einzelne dem Einzelnen an, oft unbemerkt, und verändern im Stillen das Leben des Betreffenden.

Ich denke an das Beispiel im Lukasevangelium, als Jesus Christus der Witwe von Naïn zur Seite stand. Jesus, begleitet von einer Gruppe von Jüngern, traf auf den Trauerzug der Witwe, die ihren einzigen Sohn zu Grabe trug. Ohne ihn stand sie seelisch, geistig und sogar finanziell vor dem Abgrund. Als Jesus ihr tränenüberströmtes Gesicht sah, sagte er: „Weine nicht!“23 Dann berührte er die Bahre, auf der der Leichnam lag, und die Träger blieben stehen.

„Jüngling“, gebot er, „ich sage dir: Steh auf!

Da setzte sich der Tote auf und begann zu sprechen und Jesus gab ihn seiner Mutter zurück.“24

Die Auferweckung eines Toten ist ein Wunder, aber mit jeder freundlichen und fürsorglichen Tat für einen Menschen in Not können auch wir alle unseren Bündnissen entsprechend Gutes tun und wissen, dass Gott mit uns ist.25

Und viertens: Die Religionsfreiheit wirkt als einigende und verbindende Kraft für die Ausformung von Werten und Moralvorstellungen.

Im Neuen Testament lesen wir von vielen, die sich von Jesus Christus abwandten und über seine Lehre murrten: „Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?“26

Dieser Aufschrei ist auch heute noch von denen zu hören, die versuchen, Religion aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen und ihren Einfluss zu unterbinden. Wenn die Religion nicht mehr dazu beiträgt, den Charakter zu formen und schwere Zeiten zu bewältigen, wer dann? Wer wird Ehrlichkeit, Dankbarkeit, Vergebung und Geduld lehren? Wer wird den Vergessenen und Unterdrückten mit Nächstenliebe, Mitgefühl und Güte begegnen? Wer wird sich derer annehmen, die anders sind und doch Beachtung verdienen – was auf alle Kinder Gottes zutrifft? Wer wird seine Arme den Bedürftigen entgegenstrecken und dafür keine Gegenleistung verlangen? Wer wird den Frieden und den Gehorsam gegenüber den Gesetzen achten, die über den aktuellen Trends stehen? Wer wird der Bitte des Erretters nachkommen: „Dann geh und handle du genauso“?27

Wir sind es! Ja, Brüder und Schwestern, wir tun das.

Ich rufe Sie auf, sich für die Sache der Religionsfreiheit einzusetzen. Sie ist Ausdruck des gottgegebenen Prinzips der Entscheidungsfreiheit.

Die Religionsfreiheit schafft Gleichgewicht, wenn es um konkurrierende Weltanschauungen geht. Das Gute an der Religion, ihre Reichweite und die täglichen Werke der Liebe, zu denen die Religion anhält, können sich nur dann vervielfachen, wenn wir die Freiheit schützen, grundlegende Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen und danach zu handeln.

Ich gebe Zeugnis, dass Russell M. Nelson der lebende Prophet Gottes ist. Ich bezeuge, dass Jesus Christus diese Kirche führt und leitet. Er hat für unsere Sünden gesühnt, wurde ans Kreuz geschlagen und ist am dritten Tag auferstanden.28 Durch ihn können wir bis in alle Ewigkeit leben, und diejenigen, die es sich wünschen, können zu unserem Vater im Himmel zurückkehren. Diese Wahrheit verkünde ich der ganzen Welt. Ich bin dankbar für die Freiheit, dies tun zu können. Im Namen Jesu Christi. Amen.