1990–1999
Dann wird dein Vertrauen stark werden
Oktober 1994


Dann wird dein Vertrauen stark werden

Jede kluge Entscheidung, jede verantwortungsbewußte Anwendung des Priestertums und jeder Akt des Dienens vergrößert unser Vertrauen in den Herrn.

Wie für viele von Ihnen ist es auch für mich ein Vergnügen, den außergewöhnlichen Leistungen herausragender Sportler zuzuschauen. Es begeistert mich immer wieder, wenn ich sehe, wie unzählige Trainingsstunden, Hingabe und Opfer in einem außergewöhnlichen Spiel, einem Touchdown in letzter Sekunde, einem Siegestor oder in spannenden Freiwürfen ihre Erfüllung finden. Es erstaunt mich immer wieder, wie Basketballspieler an die Freiwurflinie treten und beständig, Wurf um Wurf, unter größter Anspannung den Ball ganz ruhig in den Korb gleiten lassen - ohne daß er auch nur den Ring berührt. Letztes Jahr hat Jeff Hornicek, nachdem er in der Mitte der Spielsaison zu den Utah Jazz gestoßen ist, bei dreiunddreißig Freiwürfen hintereinander jedesmal einen Treffer erzielt - das war der Mannschaftsrekord in dieser Saison. Er hat mit großem Selbstvertrauen geworfen.

Ich bin sehr an Freiwurf-Rekorden interessiert, denn ich habe auf der High-School wohl ebenfalls einen Freiwurf-Rekord aufgestellt, der nie aufgeschrieben wurde, bis heute aber sicher unerreicht geblieben ist. Es war in einem Spiel zwischen meiner Schule, der Preston High, und der Malad High in Idaho. Gespielt wurde in der alten Turnhalle der Malad -High-School im Jahr 1954.

Gleich zu Beginn des Spiels wurde ich gefoult, als ich gerade werfen wollte, und erhielt dafür zwei Freiwürfe. Ruhig trat ich an die Freiwurflinie heran, setzte die Fußspitze etwa 3 Millimeter von der Linie entfernt auf und imitierte mein damaliges Basketball-Idol, Bob Cousy, so gut wie möglich, indem ich den Ball zweimal prellte und in den Händen drehte, tief Luft holte und dann warf. Es war eine ziemlich gute Imitation - bis ich den Ball losließ. Ich verpaßte den Korb bei beiden Würfen.

Nur wenige Augenblicke später stand ich nach einem weiteren Foul schon wieder an der Freiwurflinie und wiederholte die Prozedur. Zu meiner Verzweiflung warf ich wieder zweimal daneben. Wie das Schicksal so spielt, stand ich bereits nach sechs, sieben Minuten Spielzeit wieder an der Freiwurflinie und verfehlte meinen sechsten und siebten Freiwurf. Als ich zum neunten und zehnten Freiwurf ansetzte, bemerkte ich, daß der Korb, der zu Beginn des Spiels von normaler Größe gewesen war, auf magische Weise anfing zu schrumpfen. Jedesmal, wenn ich wieder an der Freiwurflinie stand, wurde er kleiner und kleiner.

Mein Selbstvertrauen wurde nicht gerade gestärkt, als ich den gequälten Ausdruck im Gesicht meiner Mannschaftskameraden und die gelassene Heiterkeit und das Augenzwinkern in den Augen meiner Gegner sah, jedesmal wenn ich mich der Freiwurflinie näherte. Als ich zum fünfzehnten Mal den Korb verfehlte, waren meine Arme und Beine völlig steif, und ich konnte sehen, daß der Korb so klein wurde, daß nicht einmal ein Softball hindurchpaßte. Als ich an der Freiwurflinie stand, um den achtzehnten Freiwurf zu verfehlen, schien der Korb so klein zu sein wie ein Loch auf dem Golfplatz, und ich wußte, nicht einmal Bob Cousy hätte eine Chance. Ich warf nicht mit viel Selbstvertrauen.

Glücklicherweise ertönte bald der Summer, der das Ende des Spiels anzeigte, so daß mein Rekord bei achtzehn Fehlwürfen hintereinander stehen blieb - ein Rekord, der nicht so leicht zu erreichen ist und den sicher keiner von Ihnen Sportbegeisterten jemals erlebt hat. Als ich das Spielfeld verließ, war ich völlig niedergeschmettert, und vor mir stand die erschreckende Aufgabe, mich darauf vorzubereiten, daß ich in zukünftigen Spielen wieder vor die Freiwurflinie treten mußte. Dabei ging es nicht einmal so sehr um die Freiwürfe, sondern vielmehr um mein Selbstvertrauen.

Mir ist sehr wohl bewußt, daß Jeff Hornicek, als er seinen Rekord aufstellte, jedesmal, wenn er an die Freiwurflinie trat, voller Selbstvertrauen war, und der Korb wurde auf magische Weise immer größer und größer. Selbstvertrauen - das ist der große Unterschied.

In Abschnitt 121 des Buches, Lehre und Bündnisse’, Vers 45, sagt der Herr zu Joseph Smith in einer Stunde tiefer Verzweiflung im Gefängnis von Liberty: „Laß Tugend immerfort deine Gedanken zieren; dann wird dein Vertrauen stark werden in der Gegenwart Gottes, und die Lehre des Priestertums wird dir auf die Seele träufeln wie Tau vom Himmel.” Was für eine wunderbare Verheißung für uns Priestertumsträger - Vertrauen in der Gegenwart Gottes!

Jeder der heute hier Anwesenden in dieser großen Gemeinschaft von Priestertumsträgern ist von Gott berufen und ordiniert worden. Wir sind seine Boten und sind den heiligen Bund mit ihm eingegangen, daß wir das Priestertum ehren und großmachen wollen; das ist unser wichtigster und heiligster Auftrag auf Erden. Ich wiederhole: es ist unser wichtigster Auftrag auf Erden, das Priestertum zu ehren und großzumachen. Das ist wichtiger, als bei entscheidenden Freiwürfen einen Treffer zu erzielen. Das ist wichtiger, als einen Touchdown-Paß aufzufangen oder ein Tor zu schießen. Das ist wichtiger, als von Altersgenossen akzeptiert zu werden. Das ist wichtiger, als ein entscheidendes Geschäft abzuschließen.

Jedesmal, wenn wir das Priestertum anwenden, entweder aufgrund eines Auftrags oder indem wir freiwillig einen Dienst verrichten, ist es, als ob wir an die Freiwurflinie treten. Jedesmal, wenn das Priestertum durch eine Versuchung oder eine Prüfung auf die Probe gestellt wird, ist es, als ob wir an die Freiwurflinie treten. Die Treffer und Fehlwürfe, die dieser Prüfung vorausgegangen sind, haben eine große Auswirkung darauf, wie erfolgreich unser nächster Wurf sein wird. Unser geistiges Selbstvertrauen wird zu einem großen Teil von unseren früheren geistigen Erfolgen und - leider auch von unseren früheren geistigen Mißerfolgen bestimmt. Unsere früheren Entscheidungen haben einen großen Einfluß darauf, wie unser geistiger Basketballkorb aussieht, ob er groß ist oder klein, wenn wir das nächstemal an die Freiwurflinie treten.

Wir können nicht sagen, wir wollen uns nur in der Jugend ein wenig die Hörner abstoßen oder uns ein wenig in den Randbereichen der Sünde aufhalten. Es gibt keine Randbereiche der Sünde. Jede Tat, ob gut oder schlecht, hat Folgen. Jede gute Tat steigert unsere Fähigkeit, Gutes zu tun und gegen Sünde oder Versagen besser gewappnet zu sein. Jede Übertretung, wie geringfügig sie auch sein mag, macht uns empfänglicher für den Einfluß des Satans, wenn er uns das nächstemal versucht. Der Satan übernimmt uns Zentimeter um Zentimeter, er täuscht uns, was die Konsequenzen sogenannter kleiner Sünden angeht, bis er uns in größeren Übertretungen fängt. Nephi beschreibt diese Methode so: der Satan beschwichtigt uns, wiegt uns in Sicherheit und umgarnt uns schmeichlerisch, bis er uns „mit seinen furchtbaren Ketten faßt, aus denen es keine Befreiung gibt” (2 Nephi 28:22; siehe auch Vers 21). Es gibt keine Randbereiche der Sünde. Wir sind ständig dabei, unsere Freiwürfe zu werfen, und der Korb wird entweder größer oder, wie der Satan es will, kleiner. Entweder wird unser Vertrauen in den Herrn stärker, oder unser Vertrauen in den Satan wird stärker.

Als Nephi und seine Brüder aufgefordert wurden, nach Jerusalem zurückzukehren, um die Messingplatten zu holen, sah Nephi aufgrund seiner vergangenen Erfahrungen und Vorbereitung den Korb als sehr groß an. Er wußte, daß er es schaffte. Er sagte: „Ich will hingehen und das tun, was der Herr geboten hat; denn ich weiß, der Herr gibt den Menschenkindern keine Gebote, ohne ihnen einen Weg zu bereiten, wie sie das vollbringen können, was er ihnen geboten hat.” (l Nephi 3:7.) Dagegen sahen Laman und Lemuel, die bereits seit langer Zeit immer wieder murrten und ihre Pflicht vernachlässigten, den Korb als sehr klein an und lehnten sich auf. Laman und Lemuel hatten nicht den Glauben oder das Vertrauen, das aus rechtschaffener Vorbereitung erwächst. Sie glaubten nicht, daß sie einen Treffer erzielen konnten.

Als David sich zum Kampf gegen Goliat stellte, riet Saul ihm ab und hielt ihm vor, daß er nur ein Kind war und keinesfalls gegen diesen Riesen Goliat kämpfen konnte. David antwortete: „Dein Knecht hat für seinen Vater die Schafe gehütet. Wenn ein Löwe oder ein Bär kam und ein Lamm aus der Herde wegschleppte, lief ich hinter ihm her, schlug auf ihn ein und riß das Tier aus seinem Maul.” (l Samuel 17:34,35.) David hatte bereits einige Freiwürfe hinter sich, und für ihn sah der Korb sehr groß aus.

Als Joseph Smith in den Wald ging und als er mit der Übersetzung des Buches Mormon begann und als er die Kirche mit nur sechs Mitgliedern gründete, war sein Vertrauen in den Herrn stark.

Der Erretter hat davon gesprochen, daß er uns Zeile um Zeile, Weisung um Weisung gibt. Auf dieselbe Weise bereiten wir uns vor, unsere Berufung groß zu machen, nämlich Tat um Tat. Jede gute Tat macht den Korb größer und bereitet uns darauf vor, daß wir unsere Berufung weiter groß machen. Wenn ihr Jungen, die ihr das Aaronische Priestertum tragt, würdig und andächtig das Abendmahl segnet und austeilt, wird der Basketballkorb ein wenig größer, ebenso euer Vertrauen in den Herrn und eure Fähigkeit, rechtschaffen zu handeln.

Denjenigen, die den sogenannten kleinen Versuchungen widerstanden haben, fällt es in dem Moment, wo sie größeren Prüfungen ausgesetzt sind, leichter, den Satan zu überwinden. Denjenigen unter euch, die durch Schriftstudium und Gebet eine Beziehung zum himmlischen Vater und zum Erretter entwickelt haben, erscheint der Korb groß, und euer Vertrauen wird stark.

Mir ist deutlich bewußt, daß der Korb für jeden von uns unterschiedlich groß ist. Manche haben vielleicht so ein Gefühl, als hätten sie gerade achtzehn Fehlwürfe hinter sich, und der Korb, in den sie nun treffen sollen, ist sehr klein geworden. Ich habe Menschen kennengelernt, junge und alte, deren frühere Entscheidungen oder Taten dazu geführt haben, daß sie das Vertrauen in sich und den Herrn völlig verloren haben. Es war, als ob ihre Arme und Beine steif wären, und die Aufgabe, den Kreislauf von Sünde und Versagen zu durchbrechen, war scheinbar nicht mehr zu bewältigen. Wenn wir jedoch die Mission des Erretters richtig verstehen, dann wissen wir, daß unser Korb durch wahre Umkehr wieder die normale Größe erreichen kann. Jede kluge Entscheidung, jede verantwortungsbewußte Anwendung des Priestertums und jeder Akt des Dienens vergrößert unser Vertrauen in den Herrn.

Brüder im Priestertum, laßt uns mit unseren Freiwürfen Treffer erzielen, laßt uns unsere Pflicht tun - jedesmal, wenn wir an die Freiwurflinie herantreten -, damit unser Vertrauen in der Gegenwart Gottes stark wird, damit die Lehre des Priestertums uns auf die Seele träufelt wie Tau vom Himmel denn wir sind das Priestertum Gottes. Das bezeuge ich demütig im Namen Jesu Christi. Amen.