1990–1999
„Hört auf den Propheten”
Oktober 1994


„Hört auf den Propheten”

Welch ein Trost ist es doch zu wissen, daß der Herr auch weiterhin einen Kommunikationsweg zu seinen Kindern offenhält, und zwar durch den Propheten.

Schwester Grassli, im Namen meiner Enkelkinder und Hunderttausender großartiger junger Menschen in der Kirche, die Sie so inspiriert geführt haben, danken wir Ihnen aus ganzem Herzen. Danke!

Der 6. April 1830 ist für die Heiligen der Letzten Tage ein wichtiges Datum. Es ist der Tag, an dem die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage gegründet wurde. Übersetzung und Druck des Buches Mormon waren abgeschlossen, das Priestertum war wiederhergestellt worden, und der Herr gab nun Anweisung, daß seine Kirche wieder auf Erden gegründet werden sollte.

Einige der künftigen Mitglieder der Kirche kamen zu diesem besonderen Anlaß im Haus von Peter Whitmer Senior in Fayette im Staat New York zusammen. Die Versammlung war schlicht. Joseph Smith, damals 24 Jahre alt, eröffnete die Versammlung und benannte fünf der Anwesenden, die zusammen mit ihm den gesetzlichen Bestimmungen des Staates New York für die Gründung einer Religionsgemeinschaft Genüge tun sollten. Nachdem sie zu feierlichem Gebet niedergekniet hatten, schlug Joseph Smith vor, ihn selbst und Oliver Cowdery als Lehrer und geistige Berater der neugegründeten Kirche zu berufen. Alle Anwesenden hoben die rechte Hand, und damit war das Muster für die Bestätigung der Führer der Kirche gegeben.

Bei jener Versammlung wurde die Offenbarung empfangen, die in Abschnitt 21 des Buches, Lehre und Bündnisse’ steht. In dieser Offenbarung spricht der Herr wie folgt zu dem Propheten Joseph Smith:

„Siehe, ein Bericht soll von euch geführt werden, und darin sollst du ein Seher genannt werden, ein Übersetzer, ein Prophet, ein Apostel Jesu Christi, ein Ältester der Kirche nach dem Willen Gottes des Vaters und durch die Gnade deines Herrn Jesus Christus, denn du wirst vom Heiligen Geist inspiriert, ihren Grund zu legen und sie zu höchst heiligem Glauben aufzubauen. (LuB 21:1,2.)

Heute durften wir die rechte Hand heben und Howard W. Hunter als unseren Präsidenten bestätigen. Das ist ein historisches Ereignis, und es bietet uns Gelegenheit, darüber nachzudenken, was für ein Segen es doch ist, daß uns ein Prophet Gottes führt. Ich meine, am Ende dieser denkwürdigen Versammlung sollten wir innehalten und bedenken was es heißt, den Präsidenten unserer Kirche als Seher und Offenbarer zu bestätigen.

Als erstes ist da der Titel Seher. Mose, Samuel, Ezechiel und viele andere waren Seher. Sie waren Seher, weil sie mehr als andere Sterbliche mit einer klareren Vision der Herrlichkeit und Macht Gottes gesegnet waren.

Die vielleicht beste Beschreibung eines Sehers finden wir im Buch Mormon, und zwar dort, wo Ammon das Land Lehi-Nephi findet. Bei Ammons Ankunft gab es viel Jubel im Land. König Limhi sprach zu seinem Volk und bat Ammon, zu erzählen, was ihren Brüdern seit der Trennung widerfahren war. Dann schickte König Limhi die Menschen nach Hause, und er befahl, Ammon die Platten vorzulegen, auf denen sein Volk seit der Abreise aus Zarahemla ei-.nen Bericht geführt hatte. Sobald Ammon den Bericht gelesen hatte, wollte der König wissen, ob er die Sprache von anderen Berichten übersetzen könne, die er, der König, in seinem Besitz hatte. Doch Ammon antwortete, er könne es nicht. Und er sagte:

„Ich kann dir, o König, mit Bestimmtheit von einem Mann sagen, der die Aufzeichnungen übertragen kann; denn er hat etwas, womit er schauen und alle Aufzeichnungen übertragen kann, die aus alter Zeit stammen; und es ist dies eine Gabe von Gott. … Und der König sagte, ein Seher sei größer als ein Prophet.

Und Ammon sagte, ein Seher sei ein Offenbarer und auch ein Prophet; und eine größere Gabe könne kein Mensch haben, außer er besitze die Macht Gottes, was aber kein Mensch kann; dennoch kann einem Menschen große Kraft von Gott gegeben sein.

Ein Seher aber kann wissen, was vergangen ist, und auch, was kommen wird, und dadurch wird vieles offenbart werden, oder vielmehr wird Geheimes kundgetan werden, und Verborgenes wird ans Licht kommen, und was nicht bekannt ist, wird dadurch kundgetan werden, und dadurch wird auch das kundgetan werden, was auf eine andere Weise nicht gewußt werden kann.” (Mosia 8:13,15-17.)

Was heißt es, ein Prophet zu sein? Im Griechischen bedeutet das Wort Prophet „inspirierter Lehrer”. (Encyclopedia of Mormonism, Band 3, Seite 1164.) Das hebräische Wort für Prophet bedeutet: „Jemand, der eine Botschaft von Gott bekanntgibt.” Eider John A. Widtsoe sagt dazu:

„Ein Prophet ist ein Lehrer. Das ist die grundlegende Bedeutung des Wortes. Er lehrt die gesamte Wahrheit, nämlich das Evangelium, das der Herr den Menschen offenbart; und unter Inspiration macht er es den Menschen verständlich. Er erläutert die Wahrheit. Überdies zeigt er auf, daß der Mensch nur durch Gehorsam gegenüber den Gesetzen Gottes glücklich wird. Diejenigen, die vom Weg der Wahrheit abkommen, ruft er zur Umkehr. Er wird zum Kämpfer für die Durchsetzung der Absichten Gottes bezüglich der Menschheit. Sein Lebenszweck besteht darin, den Plan der Errettung hochzuhalten. All dies tut er aufgrund seiner engen Verbindung zum Herrn, bis er, voller Kraft, erfüllt vom Geist des Herrn’ ist. (Evidences and Reconciliations, Bookcraft, 1943, Seite 204f.)

Als mein Vater die L.D.S. – High - School besuchte, wohnte und arbeitete er im Haus von Präsident Joseph F. Smith. In seiner Lebensgeschichte schreibt er über Präsident Smith:

„Die meisten großen Menschen, die ich kennengelernt habe, verlieren an Größe, sobald man sie gut kennt. Nicht so der Prophet Joseph F. Smith. Jede alltägliche Handlung trug zu seiner Größe bei. Für mich war er auch dann ein Prophet, wenn er sich die Hände wusch oder die Schnürsenkel löste.”

Mein Vater erzählt, wie er eines Nachts spät nach Hause ins Beehive House kam und der Prophet ihn durch eigenes Tun belehrt hat. Ich zitiere wieder aus der Lebensgeschichte meines Vaters:

„Vorsichtig ging ich durch das Büro, dann durch das Studierzimmer zu der Tür am Fuß der Treppe, die zu meinem Schlafzimmer führte. Die Tür ging aber nicht auf. Ich drückte und drückte, doch vergebens. Schließlich gab ich auf und ging zurück zu einem Teppich, den ich im Flur bemerkt hatte; ich wollte bis zum Morgen darauf schlafen.

In der Dunkelheit stieß ich gegen eine halboffene Tür, und davon wachte der Prophet auf. Er schaltete das Licht ein, und als er sah, wer da war, kam er die Treppe herunter und erkundigte sich nach meinen Schwierigkeiten.

,Die Tür zu meinem Zimmer ist abgeschlossen’, sagte ich. Er ging zur Tür, und statt zu drücken zog er daran. Da ging die Tür auf. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er sich über meine Tollpatschigkeit aufgeregt hätte, denn durch Gedankenlosigkeit hatte ich ihn um kostbaren Schlaf gebracht. Doch er lächelte nur und fragte nicht weiter, was dieser eigenartige Stalljunge da nur angestellt hatte. Er deutete auf die halboffene Tür am anderen Ende des Flurs.

,Ich will dir etwas zeigen.’ Mitten in der Nacht nahm er sich die Zeit zu erklären:, Taste nie in der Dunkelheit mit seitlich ausgestreckten Händen umher, denn dann kannst du eine Tür übersehen, und du läufst dagegen. Streck die Arme aus, aber halte die Hände zusammen; so fühlst du mit den Händen und nicht mit dem Kopf.’ Ich bedankte mich und ging in mein Zimmer. Er wartete, bis ich an der Treppe war, und ging dann wieder zu Bett.”

Ist ein Prophet nicht jemand, der uns Türen öffnen lehrt, von denen wir dachten, wir könnten sie nicht selbst öffnen – Türen zu mehr Licht und Wahrheit? Ist ein Prophet nicht wie zwei Hände vor dem Körper der Kirche, die den Mitgliedern helfen, ihren Weg durch die dunklen Flure der Welt zu finden? Ist ein Prophet nicht jemand, der geduldig wartet und zuschaut, während wir uns dorthin begeben, wo wir sein sollen?

Noch nie zuvor konnte das geschriebene oder das gesprochene Wort aus so vielen Quellen auf uns herniedergehen. In den Medien finden wir Analytiker, die andere Analytiker analysieren und uns mit ihren Meinungen und voneinander abweichenden Ansichten geradezu überwältigen.

Welch ein Trost ist es doch zu wissen, daß der Herr auch weiterhin einen Kommunikationsweg zu seinen Kindern offenhält, und zwar durch den Propheten. Welch ein Segen ist es doch zu wissen, daß wir eine Stimme haben, bei der wir sicher sein können, daß sie den Willen des Herrn verkündet. Der Prophet Amos sagt: „Nichts tut Gott, der Herr, ohne daß er seinen Knechten, den Propheten, zuvor seinen Ratschluß offenbart hat.” (Amos 3:7.)

Der Herr wußte natürlich, daß seine Lehre rein gehalten werden mußte und daß ihre Auslegung nur einer einzigen Quelle anvertraut werden durfte. Wir sind natürlich alle aufgefordert, zu lernen und so viel Wissen zu sammeln, wie es uns in diesem Leben möglich ist. Wir werden angehalten zu diskutieren und miteinander Gedanken auszutauschen, um unser Verständnis zu erweitern. Der Herr hat jedoch nur eine einzige Quelle für die Verkündigung seiner grundlegenden Lehren.

Selbst als Generalautoritäten der Kirche sind wir angewiesen: „Zur Wahrung der Einheitlichkeit in der Auslegung von Lehre und Richtlinien wenden Sie sich bitte an das Büro der Ersten Präsidentschaft, wenn es darum geht, Fragen im Zusammenhang mit der Lehre oder den Richtlinien zu beantworten, auf die weder die heilige Schrift

noch das Handbuch Allgemeine Anweisungen eindeutig eingeht.”

Auf diese Weise werden Auseinandersetzungen, Verwirrung und Meinungsverschiedenheiten ausgemerzt.

Präsident Brigham Young hat uns versichert, daß wir den Propheten völlig vertrauen können. Er hat gesagt:

„Der Allmächtige führt diese Kirche, und er wird niemals zulassen, daß ihr irregeführt werdet, wenn ihr eure Pflicht tut. Ihr könnt nach Hause gehen und so friedlich schlafen wie ein Säugling im Arm seiner Mutter, denn es besteht keinerlei Gefahr, daß eure Führer euch vom Weg abbringen; denn würden sie es versuchen, so würde der Herr sie schnell von der Erde hinwegfegen. Eure Führer versuchen, nach besten Kräften gemäß ihrer Religion zu leben.” (Journal ofDiscourses, 9:289.)

Durch die Bestätigung eines neuen Präsidenten haben wir uns heute feierlich verpflichtet, auf seine Stimme zu hören. Der Herr hat Howard W. Hunter zu unserem Propheten, Seher und Offenbarer bestimmt.

Am Ende einer Regionskonferenz im Marriott - Center der Brigham-Young-Universität verließ Präsident Hunter das Gebäude durch den West-Tunnel; dabei zeigte sich, was für ein Geist ihn beseelt. Es war zu der Zeit, als er gerade wieder stehen konnte und mit der Gehhilfe umgehen lernte, aber er war noch recht unsicher. Mein Sohn Lee hatte mit dreien seiner Kinder der Konferenz beigewohnt und verließ das Gebäude durch denselben Tunnel. Als Lee und die Kinder durch den Tunnel gingen, lief Lees Sohn Justin mehr kreuz und quer als geradeaus. Dabei kam der Junge dem Präsidenten gefährlich nahe. Lee warnte seinen Sohn: „Halte Präsident Hunter nicht auf!”

Der Präsident blieb einen Augenblick stehen, wandte den Kopf, lächelte und sagte augenzwinkernd: „Nichts kann mich aufhalten.”

Das ist bezeichnend für Präsident Hunter. Entschlossenheit, erreichte Ziele, Glaube und echte, christliche Liebe kennzeichnen sein Leben. Er inspiriert uns alle. Er ist unser Prophet. Wir sitzen ihm zu Füßen und sind bereit, uns an der Weisheit dieses wahren und treuen Knechtes zu laben, der uns führt. Wir stehen bereit, auf seine Stimme zu hören, weil wir wissen: er spricht für den Herrn.

Möge Gott uns segnen, auf daß wir demjenigen folgen, der als unser Prophet, Seher und Offenbarer berufen ist. Ich bezeuge, daß Präsident Hunter durch die Hand Gottes für diese große und wichtige Aufgabe bewahrt und vorbereitet worden ist. Er ist der Diener des Herrn. Das bezeuge ich im Namen dessen, dem diese Kirche gehört, nämlich des Herrn und Erretters, Jesus Christus. Amen