1990–1999
Die Gemeindefamilie gehört zu dem Plan, den der hi
Oktober 1993


Die Gemeindefamilie gehört zu dem Plan, den der hi

Ich fordere Sie auf: lieben Sie die Gemeinde, zu der Sie gehören engagieren Sie sich, haben Sie Freude daran, lernen Sie daraus.

Es ist gut, mit Abertausenden, die über Satelliten mit uns verbunden sind, in solch einer inspirierenden Atmosphäre zusammenzukommen. Ich glaube, daß unser himmlischer Vater weiß: unsere Beziehung zu ihm und unsere Verantwortung ihm gegenüber sind zwar sehr persönlicher Natur, aber wir werden doch gestärkt, wenn wir als Gruppe zusammenkommen. Wir müssen oft daran erinnert werden, daß wir ein Teil von etwas Großem und Wunderbarem sind, zu dem wir das Unsrige beitragen. Jeden Sonntag in den Versammlungen in aller Welt stehen die Jungen Damen auf und sagen gemeinsam: „Wir sind (nicht: ich bin) Töchter des himmlischen Vaters, der uns liebt und den wir lieben. Wir wollen als Zeugen Gottes auftreten usw.”

Das Lernen in Gruppen ist so wichtig, daß der himmlische Vater es so eingerichtet hat, daß wir in einer Gruppe zur Welt kommen, der grundlegendsten, heiligsten und mächtigsten Gruppe auf der Erde, nämlich in der Familie. Wir haben in den vergangenen zwei Tagen gute Ratschläge für die Familie

gehört. Ich möchte darauf aufbauend über die Gemeinde beziehungsweise den Zweig als Familie sprechen - die kirchliche Grundeinheit, der wir als Mitglieder der Kirche Jesu Christi angehören.

Heute Nachmittag werde ich der Einfachheit halber das Wort Gemeinde benutzen; es umfaßt beides, Gemeinde und Zweig, da beide dem gleichen Zweck dienen. Eine Gemeinde ist nicht dazu da, die Familie zu ersetzen, sondern die Familie und die Erziehung zur Rechtschaffenheit, die dort stattfindet, zu unterstützen. Die Gemeinde ist ein weiterer Ort, wo es genug Verpflichtung und Energie gibt, um eine Art Sicherheitsnetz, eine Familie für alle, zu bilden, besonders dann, wenn unsere Familie uns nicht alle Lernerfahrungen vermitteln kann, die wir brauchen, um zum himmlischen Vater zurückzukehren.

Es ist mein Wunsch und Gebet, daß wir in den nächsten paar Minuten die Gemeinde als Familie besser schätzen lernen und uns von neuem dazu verpflichten, positiv an dieser Gemeinschaft der Heiligen mitzuwirken.

Die Gemeindefamilie gibt uns das Gefühl, daß wir dazugehören

Robert Frost sagt in seinem Gedicht „Der Tod des Tagelöhners”:

Zuhause - das ist da, wo sie einen aufnehmen

müssen,

wenn man kommt. Ich würde es so nennen: Etwas, was man sich irgendwie nicht erst

verdienen muß.

Eine Gemeinde ist auch etwas, das Sie sich irgendwie nicht verdienen müssen. Die Mitgliedschaft in der Kirche Jesu Christi gibt uns dieses Zuhause. In einer Gemeinde, wie in einer Familie, ist jeder Mensch anders und jeder wertvoll. Paulus sagt: „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie. … Auch der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen Gliedern.” (l Korinther 12:13,14.) Der Herr hat uns angewiesen: „Ihr sollt euch oft versammeln; und ihr sollt niemandem verbieten, zu euch zu kommen.” (3 Nephi 18:22.)

Vor einigen Monaten besuchten wir unsere Kinder, die in einem anderen Bundesstaat wohnen. Ich ging mit unserem zweieinhalbjährigen Enkel von der Kapelle zum Kindergarten. Während er voller Energie den Gang hinuntermarschierte, begrüßten ihn mindestens fünf Leute mit Namen -Jugendliche, Kinder und Erwachsene.

„Hi, Benjamin.” „Hallo, Benjamin.” „Morgen, Benjamin.” Ich war von Herzen dankbar dafür, daß Benjamin die Erfahrung macht, daß auch er zur Gemeindefamilie gehört.

Zeit seines Lebens wird die Gemeindefamilie für ihn tun, was seine Familie allein nicht tun kann.

In der Aprilkonferenz 1992 hat die JD-Präsidentin, Janette C. Hales, die erwachsenen Mitglieder aufgefordert, die Namen der Jugendlichen in der Gemeinde zu lernen und sie dann beim Namen zu nennen. (Generalkonferenz, April 1992.) Jetzt möchte ich die Aufforderung erweitern und die Jungen Männer und die Jungen Damen auffordern, die Namen der Erwachsenen und der Kinder zu lernen. Überwindet eure Schüchternheit und begrüßt jede Woche so viele Mitglieder wie möglich mit Namen. Unsere Gemeinde wird ein besserer Ort, wenn, wie Benjamin, jeder auf dem Weg von der Kapelle zum Klassenzimmer vier-, fünfmal seinen Namen hört. Wir können alle dazu beitragen.

In der Gemeindefamilie findet man immer ein offenes Ohr

Jemand hat einmal gesagt, es sei den Menschen wichtiger, verstanden zu werden, als geliebt zu werden. Ja, wir lernen einen Menschen wirklich mehr lieben, wenn wir ihm

geduldig und achtungsvoll zuhören. Ich glaube, unser Taufbund verlangt das. Wie können wir mit den Trauernden trauern und einer des anderen Last tragen (siehe Mosia 18:8,9), wenn wir nicht zuhören, um zu erfahren, worin diese Last besteht?

Wir erkennen und entwickeln unsere Gedanken im Gespräch. Das Sprechen selbst ist ein Wertungs- und Lernprozeß.

Es ist sehr tröstlich, wenn der andere beim Zuhören bedenkt, daß unsere Äußerungen keine endgültigen Aussagen sind, sondern unsere Art, uns an einen tieferen Einblick heranzutasten.

Wir dürfen aber auf keinen Fall so zuhören, wie Laman und Lemuel einander zugehört haben. Sie unterstützten vereintes Murren. Wenn andere Gemeindemitglieder klagen, andere beschuldigen und negative Geschichten verbreiten, brauchen wir Selbstdisziplin, um das Feuer ihrer Verärgerung nicht noch zu schüren. Vereintes Murren ist ein glimmendes Feuer, das in Flammen ausbrechen und eine Gemeinde zerstören kann.

Die Gemeindefamilie macht uns Mut

Beckys und Dannys zweites Kind war eine Frühgeburt. Im Rückblick auf die Tage, dann Wochen und Jahre der Sorge um ihr schwerkrankes Kind sagte Becky: „Es war schwer für meine Mutter, einfach zuzuschauen. Sie hätte mir diese schwere Prüfung gern abgenommen. Wir wohnten in einem weit entfernten Bundesstaat, und Mutter rief mich an und kam sich so hilflos vor, wenn sie von unseren täglichen Schwierigkeiten hörte. Eines Tages sagte sie mir:, Becky, ich weiß nicht, wie du das schaffen sollst, aber ich bin sicher, daß du es kannst.’ Dieser Ansporn war für mich wie ein Wendepunkt.”

Als Gemeindefamilie können wir den gleichen Ansporn vermitteln wie Beckys Mutter.

Wenn Freunde mir ihr Vertrauen bekunden, besonders wenn ich mich von schwierigen Umständen überfordert fühle, brennt das Licht am anderen Ende des Tunnels heller. Der feste Glaube an die Gemeindemitglieder kann oft viel wertvoller sein als ein Mittagessen oder ein selbstgebackenes Brot. Eine Mutter war mit dem Zubereiten des Essens beschäftigt, als ihr kleiner Junge in die Küche gerannt kam.

„Mama, willst du mit mir Darts spielen?” Sie konnte ihn schlecht auf später vertrösten, also ging sie mit ihm nach unten. Als sie im Spielzimmer ankamen, sagte sie: „Aber ich kenne die Regeln doch gar nicht und weiß nicht, wie man das spielt.” „Ach, es ist gar nicht schwer”, sagte er mit einem zuversichtlichen Lächeln. „Ich stehe hier und werfe die Pfeile, und du stehst da drüben und sagst:, Wunderbar, wunderbar!’” Das sind doch wohl leichte Regeln.

„Wunderbar, wunderbar!” Dazu kleine Briefe, Händeschütteln, Umarmungen - all das tut einer Gemeinde so gut. Positives Bestärken beeinflußt das Verhalten zum Guten, während Kritik negatives Verhalten stabilisiert und Veränderungen blockiert.

George Eliot, eine englische Schriftstellerin des neunzehnten Jahrhunderts, hat einmal gesagt: „Wozu leben wir, wenn nicht dazu, einander das Leben zu erleichtern?” (Middlemarch, London, 1965, Seite 789.) Wir können einander das Leben erleichtern, indem wir unsere Gemeinde zu einem Hort der Geborgenheit machen, indem wir freundlich, annehmend, tolerant, hilfsbereit und positiv sind. Die unter uns, die Kinder und Jugendliche unterrichten, müssen besonders darauf bestehen - und zwar voll Achtung und Güte - daß ihre Schüler eine Redensweise und ein Benehmen zeigen, das Respekt vor den Mitmenschen bekundet. Niemand darf in einer Klasse der Kirche erniedrigt werden oder sich wertlos vorkommen.

Die Gemeindefamilie ist ein Zufluchtsort

Ich kenne eine junge Familie, die 1992 in dem Sommer voller Gewalt im Süden von Los Angeles wohnte. Sie konnten die Hitze, die von den Bränden ausging, fühlen, als sie da völlig verängstigt in ihrer Wohnung saßen. Sie riefen ihre Eltern in Salt Lake City an. Die Familienmitglieder machten ihnen Mut und versprachen, für sie zu beten. Aus solch einer Entfernung konnten sie nicht mehr tun. Es war ein Gemeindemitglied, das dafür sorgte, daß die Parkins sich und ihr Baby in Sicherheit bringen konnten. Sie blieben bei Mitgliedern, bis sie wieder in ihre Wohnung zurückkehren konnten. Sie waren in Sicherheit.

Bei jeder Naturkatastrophe und bürgerlichen Unruhe gibt es ähnliche Vorkommnisse. Bischöfe und Kollegiumspräsidenten, die nach einem Hurrikan nach den Familien in ihrem Gebiet schauen, Mitglieder, die Essen und Wolldecken mitbringen - es ist egal, wo Sie leben oder was für eine Katastrophe eintritt. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage gerät nicht aus den Fugen, und die Ordnung bleibt gewahrt. Die Gemeinden und Pfähle Zions sind eine „Zuflucht vor dem Sturm” (LuB 115:6).

Die Gemeindefamilie bietet uns die Möglichkeit, uns zu engagieren

Wir können unsere Zeit und unsere Talente in unbegrenztem Maße einsetzen. Hoffentlich engagieren wir uns überall, wohin wir auch kommen, aber gerade die Gemeindestruktur bietet gute Schulungsmöglichkeiten.

Ich hatte zwanzig Jahre in derselben Gemeinde gewohnt, dann heiratete ich und zog in eine weit entfernte Stadt, wo mein Mann studierte. Die Leute waren freundlich, aber ich war von Natur aus schüchtern, und es fiel mir schwer, mich einzuleben. An einem Sonntagmorgen, als ich von der letzten Bank hinten in der Kapelle aufstand, um zur Sonntagsschule zu gehen, begrüßte mich ein Bruder von der Bischofschaft mit Lächeln und Handschlag. Bruder Goates war einer der vielen, denen es wichtig gewesen war, uns kennenzulernen. Er gab mir die Hand und sagte: „Virginia, setz dich nicht mehr in die letzte Reihe, und hör auf, nur an dich zu denken.”

Auf einmal sah ich alles aus einem anderen Blickwinkel. Er hatte recht, ich wußte nur nicht, wie ich aufhören sollte, nur an mich zu denken. Wie dem auch sei, die Wochen vergingen, ich nahm eine Berufung an, und das brachte mich automatisch von der letzten Reihe weg, weil ich jetzt wirklich auch an andere denken mußte. Mein Trost und meine Zuversicht wuchsen in gleichem Maße. Berufungen und Aufgaben sind eine gute Methode, am Leben anderer Anteil zu nehmen.

Es mag paradox klingen, aber wenn wir uns auf die Bedürfnisse anderer konzentrieren, lassen wir uns weniger von unseren eigenen Bedürfnissen beherrschen.

In der Gemeindefamilie können wir das Evangelium lernen und praktizieren

Eine WdR-Lehrerin nahm eine Lektion zum Thema Fasten durch. Sie sprach mit den Eltern der Kinder und richtete es dann so ein, daß die Kinder Bruder Dibble, ein Mitglied der Gemeinde, besuchten. Er war sehr krank. Als sie ihn besuchten, erklärte Schwester McRae, daß die Klasse sich in der PV mit dem Thema Fasten beschäftigt habe. Die meisten Kinder hatten noch nie gefastet, und sie wollten gern am darauffolgenden

Samstag für Bruder Dibble fasten und beten. Ihm liefen Tränen über das Gesicht, als er ihnen sagte, wie dankbar er für die Kinder, das Evangelium und das Prinzip des Fastens sei. Am Sonntag knieten Schwester McRae und ihre Klasse nach dem Fasten im Klassenzimmer nieder und beteten für Bruder Dibble und beendeten ihr Fasten.

Ich bin schon immer der Meinung: wenn jemand etwas lernen soll, dann braucht er nicht nur Erklärungen, sondern auch Erfahrungen. Das sagt Alma, wenn er uns auffordert, mit dem Wort einen Versuch zu machen (siehe Alma 32:27). Schwester McRaes WdR-Kinder bekamen beides, die Erklärung und die Erfahrung. Sie lernten und praktizierten die Lehre vom Fasten im wunderbaren Versuchsraum für das Lernen im Evangelium - nämlich in ihrer Gemeinde.

Wie Schwester McRaes WdR-Klasse lernen die Jungen Damen in ihrem Unterricht am Sonntag die Grundsätze des Evangeliums. Dann werden sie aufgefordert, mit dem Wort einen Versuch zu machen, nämlich indem sie anhand der Anleitung Mein Fortschritt Erfahrungen mit den JD-Idealen machen. Es ist der gleiche Prozeß: erst kommt die Erklärung, dann die Erfahrung.

Der himmlische Vater erwartet, daß wir uns in unserer Gemeinde engagieren. Es gehört zu seinem Plan. Aber Schwester Pearce, so werden Sie vielleicht sagen, Sie haben eine so idealistische Vorstellung von einer Gemeinde - so ist meine Gemeinde nicht!

Sie meinen, in Ihrer Gemeinde gibt es ganz normale Menschen? Menschen, die egoistisch, selbstgerecht, ungelernt und unzuverlässig sind? Das freut mich! Wie könnte es sonst eine richtige Lernstätte sein, wo man die Grundsätze des Evangeliums übt - wie Geduld, Ausharren, Nächstenliebe und Vergebung -, wenn es keine Leute und Situationen gäbe, die es erforderlich machen, daß wir diese Grundsätze auch anwenden? Das Wunder dabei ist, daß wir wirkliche Menschen sind, aber in einem genialen Verband, den Gott dazu erdacht hat, um uns zu helfen, so zu werden, wie er ist.

Ich fordere Sie auf: lieben Sie die Gemeinde, zu der Sie gehören - engagieren Sie sich, haben Sie Freude daran, lernen Sie daraus. Jeder von uns kann sich seine Gemeinde als Zionsgemeinde vorstellen und dann daran mitwirken, daß diese Vorstellung Wirklichkeit wird. Ich bezeuge, daß die Gemeindefamilie ein bedeutsamer und wundervoller Teil des Plans des himmlischen Vaters ist. Mögen wir sie besser nutzen, um geistig zu wachsen und einmal in seine Gegenwart zurückzukehren. Darum bete ich im Namen Jesu Christi. Amen.