1990–1999
Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Kinder
Oktober 1993


Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Kinder

Wenn ein Kind das Gefühl hat, daß es offen über seine Gefühle, Probleme und Erfolge sprechen kann, dann entsteht eine wunderbare Beziehung zwischen ihm und seinen Eltern.

Der Herr hat zu den Einwohnern Zions gesagt: „Und sie sollen ihre Kinder auch lehren, zu beten und untadelig vor dem Herrn zu wandeln.” (LuB 68:28.)

Früh an einem Samstagmorgen, während ich als Pfahlpräsident diente, erhielt ich einen Anruf von Bischof Nelson, der um Hilfe bat. Er sagte, die Familie Janzen aus seiner Gemeinde habe während eines Familienausflugs in den Bergen ihren siebenjährigen Sohn Matthew verloren. Wegen Einbruchs der Dunkelheit hatte man die Suche am Freitagabend abbrechen müssen. Aber innerhalb kurzer Zeit fuhren am Samstagmorgen über hundert Mitglieder aus dem Pfahl zum vereinbarten Treffpunkt, um sich der Suche anzuschließen. Nach mehreren Stunden gründlichen Suchens auf Pfaden und Straßen und im Gelände wurde der kleine Matthew schließlich gefunden. Können Sie sich die Freude vorstellen, als Mutter und Vater ihn dann in die Arme schließen konnten? Ich hörte, wie die Eltern, die vor Dankbarkeit weinten, ihn fragten: „Was ist eigentlich passiert?” Er antwortete: „Ich bin falsch abgebogen und habe mich verlaufen. Als es dunkel wurde, habe ich versucht, mir einen Unterschlupf zu bauen und zu schlafen, aber es war so kalt, daß ich nicht schlafen konnte. Da habe ich mich auf einem Stein hingekniet und gestern Abend und dann wieder heute morgen fünfmal gebetet. Ihr habt mir doch immer gesagt, falls ich mich mal verlaufe, würde ich euch wiederfinden, wenn ich zum himmlischen Vater betete und auf dem Weg blieb. Der himmlische Vater hat meine Gebete erhört.”

Eider Richard L. Evans hat gesagt: „Hier werden wir nicht noch einmal vorbeikommen. Und in unserer schnelllebigen Zeit ist laut und unüberhörbar dieser dringende Ruf zu vernehmen: Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Kinder! Immer mehr Fachleute sagen uns, daß ein Kind in sehr jungen Jahren geformt wird.” (Improvement Era, November 1970, Seite 125.)

In dem hektischen Leben, das die meisten von uns führen, ist das einfache Anliegen der Eltern, genügend Zeit dafür zu finden, das zu tun, was sie tun möchten, oft ein großes Problem. In der Regel haben alle Eltern den Wunsch, gute Eltern zu sein, und sind sich dessen bewußt, daß die Kinder die Evangeliumsgrundsätze und einen Einblick in das Evangelium am besten zu Hause vermittelt bekommen. Als der auferstandene Herr bei den Nephiten war, hat er auf die folgenden Worte Jesajas verwiesen: „Und allen deinen Kindern wird die Lehre vom Herrn zuteil werden; und groß wird der Friede deiner Kinder sein.” (3 Nephi 22:13.)

Vor einigen Wochen, als ich eine Pfahlkonferenz auf den Philippinen besuchte, wo ich derzeit wohne, hörte ich zu, wie der elfjährige Joseph mit kindlichem Glauben am Podium stand und folgendes zum Ausdruck brachte: „Meine Schwester hatte Zahnweh. Ich sagte ihr :,Bitte Papa doch um einen Segen/ Er gab ihr einen, und es ist weggegangen. Meine Eltern haben mich beten gelehrt, als ich klein war. Ich habe mich dabei komisch ausgedrückt, aber ich weiß, daß der himmlische Vater mich hört. Wir haben immer in den Schriften gelesen, als ich jünger war. Ich habe sie damals nicht verstanden, aber jetzt verstehe ich sie.”

Wie wichtig Eltern und Familie sind, können wir gar nicht überbetonen. Manche Familien der Heiligen der Letzten Tage sind das, was wir eine „traditionelle Familie” nennen, die aus Eltern und Kindern besteht, die alle in einer dauerhaften Beziehung zusammen sind, wo Mutter und Vater gemeinsam für die Kinder da sind. Andere haben den Verlust eines Elternteils erlebt und gehören zu den vielen Familien mit nur einem Elternteil. Ich bin selbst in einer solchen Familie aufgewachsen. Mein Vater ist bei einem Bauunfall ums Leben gekommen, als ich zwei Jahre alt war, und meine Mutter hatte dann sieben Kinder allein zu erziehen. Auch in einer Familie mit nur einem Elternteil dauert die Familie fort, denn eine Familie ist ewig.

Kaum eine Aufgabe verlangt uns mehr ab als die, gute Eltern zu sein. Selbst mit den besten Absichten erleben gewissenhafte, gute Eltern manchmal Verzweiflung, Versagen und Schmerz, wenn ihre Kinder sich nicht richtig entscheiden und nicht so werden, wie wir es gern hätten. Sogar in solchen Umständen ist es sehr wichtig, daß die Eltern für ihren Sohn oder ihre Tochter, die vom Weg abgekommen sind oder sie enttäuschen, beten, daß sie sie lieben und nie die Hoffnung aufgeben. Präsident Howard W. Hunter hat einmal gesagt: „Eltern zu sein ist etwas sehr Bedeutsames. Die Ergebnisse unserer Bemühungen werden ewige Folgen für uns und für die Jungen und Mädchen, die wir erziehen, haben. Jedem, der Vater beziehungsweise Mutter wird, ist es strikt auferlegt, seine Kinder zu beschützen und zu lieben und ihnen zu helfen, zum himmlischen Vater zurückzukehren.” (Generalkonferenz, Oktober 1983.)

Die Eltern müssen die besten Lehrer ihrer Kinder sein. Die Kirche hilft den Eltern bei der Erziehung, aber sie hilft eben nur. Die Kirche kann nicht für die Eltern einspringen. Eider Richard L. Evans hat einmal gesagt: „Die Familie ist auch der Ursprung unseres Lebens, und in einem gewissen Sinn bestimmt sie auch unser ewiges Leben. Und so bitten wir die Eltern, sich die nötige Zeit zu nehmen, um den Kindern, die Gott ihnen geschenkt hat, näherzukommen. In der Familie soll Liebe herrschen; wir sollen zärtlich miteinander umgehen. Wir müssen unsere Kinder belehren und für sie sorgen und dürfen unsere Verantwortung nicht auf andere abschieben. Möge Gott es geben, daß wir nie zu beschäftigt sind, um das zu tun, worauf es am meisten ankommt; denn die Familie formt den Menschen.” (Richard Evans’ Quote Book, Salt Lake City, 1971, Seite 21.)

Wir tragen alle als Eltern große Verantwortung, und ich möchte, um Ihnen zu helfen, einige Gedanken erwähnen, die Eltern verwenden können, um ihre Familie gegen weltliche Versuchungen zu wappnen, und die die Liebe und Einigkeit und den Erfolg bringen, die doch jedermann sich wünscht.

1. Fangen Sie früh an. „Der Kolumnist Sydney Harris wurde einmal von einem besorgten Vater gefragt:, Wie kann ich meinen sechzehnjährigen Sohn dazu bringen, daß er auf mich hört?’ Die Antwort lautete schlicht und einfach:, Schrumpfen Sie ihn auf sechs Monate herab, und fangen Sie von vorn an, aber anders.’

Das ist für Eltern mit schwierigen Teenagern vielleicht nicht gerade ein ermutigender Rat, aber für diejenigen, die sich gerade an das Abenteuer der Elternschaft wagen, mag es als Erinnerung daran dienen, daß Liebe und Erziehung sich nicht aufschieben lassen.” (Jon M. Taylor, Ensign, Oktober 1972, Seite 9.) In einer Offenbarung an den Propheten Joseph Smith erklärt der Herr, daß alle Kinder wegen der Erlösung durch Christus vor dem Herrn schuldlos sind. Er sagt weiter: „Ich aber habe euch geboten, eure Kinder in Licht und Wahrheit aufzuziehen.” (LuB 93:38,40.)

2. Richtig miteinander reden. Eltern müssen viel zuhören; sie dürfen nicht nur reden. Und sie müssen aufgeschlossen und mit offenem Herzen zuhören. Wenn ein Kind das Gefühl hat, daß es offen über seine Gefühle, Probleme und Erfolge sprechen kann, dann entsteht eine wunderbare Beziehung zwischen ihm und seinen Eltern.

3. Setzen Sie Liebe und Einigkeit an die erste Stelle. Es ist wichtig, daß Sie Ihren Kindern zeigen, daß Sie sie liebhaben und was Sie für sie empfinden. Dies kann durch viele kleine Taten und Gesten geschehen, wie zum Beispiel: ein Kind abends im Bett zudecken, nachdem man seinem Gebet zugehört hat, oder es tröstend umarmen und ihm zuhören, auch wenn es sich nicht besonders weh getan hat. Regen Sie Ihre Kinder dazu an, einander durch das Besuchen von Sportwettkämpfen und Konzerten zu unterstützen, wenn ein Familienmitglied daran beteiligt ist.

4. Unternehmen Sie gemeinsam etwas. Ferien und Freizeitaktivitäten, aber auch Arbeitsprojekte für die Familie sind für die Eltern eine gute Gelegenheit, zu lehren, wie wichtig es ist, eine gute Arbeitsmoral zu entwickeln. Gemeinsame Aktivitäten geben Kindern und Eltern die Gelegenheit, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten.

5. Sorgen Sie für Gelegenheiten, Unabhängigkeit und Verantwortungsbewußtsein zu lernen. Bringen Sie Ihren Kindern bei, wie man Entscheidungen trifft, auch wenn das bedeutet, daß sie ab und zu Fehler machen. Wir müssen unseren Kindern helfen, zu der Einsicht zu gelangen, die in den folgenden Worten Lehis zum Ausdruck kommt: „Sie können Gut von Böse unterscheiden; sie bestimmen ihr Handeln selbst, und es wird nicht über sie bestimmt.” (2 Nephi 2:26.)

6. Verbinden Sie Disziplin mit Liebe., „Disziplin’ und, Strafe’ sind nicht das gleiche. Bestrafung hat etwas mit Verletzen zu tun und damit, daß jemandem ein Unrecht, das er begangen hat, heimgezahlt wird. Disziplin deutet auf eine Handlung hin, die auf ein bestimmtes Ziel gerichtet ist, … nämlich dem Empfänger zu helfen, sich zu verbessern.” (William E. Homan, „How to Be a Better Parent”, Reader’s Digest, Oktober 1969, Seite 187ff.) Disziplin muß immer mit Liebe verbunden sein.

7. Dienen. In seiner großartigen Abschiedsrede sagte König Benjamin: „Wenn ihr euren Mitmenschen dient, allein dann dient ihr eurem Gott.” (Mosia 2:17.) Es gibt im Leben kaum eine Belohnung, die ein größeres Gefühl der Genugtuung und Freude und des Friedens mit sich bringt, als wenn man bedürftigen Mitmenschen auf sinnvolle Weise dient.

8. Der letzte und wichtigste Punkt lautet: Errichten Sie ein „Haus Gottes”. Die Anweisungen, die der Herr dem Propheten Joseph Smith im 88. Abschnitt des Buches, Lehre und Bündnisse’ gibt, beziehen sich auf den Bau eines Tempels. Aber dieser Schriftvers beschreibt auch sehr schön ein solches Zuhause, wie wir es haben sollen. „Organisiert euch; bereitet alles vor, was nötig ist; und errichtet ein Haus, nämlich ein Haus des Betens, ein Haus des Fastens, ein Haus des Glaubens, ein Haus des Lernens, ein Haus der Herrlichkeit, ein Haus der Ordnung, ein Haus Gottes.” (LuB 88:119.)

Es ist für Kinder nicht leicht, in der heutigen Welt rein zu bleiben. Manchmal fällt es ihnen schwer, Recht und Unrecht zu unterscheiden. Wir müssen unsere Kinder das lehren, was Alma seinen Sohn Korianton gelehrt hat: „Schlecht zu sein hat noch nie glücklich gemacht.” (Alma 41:10.) Lehren Sie sie, auf der Seite des Herrn zu bleiben. Halten Sie regelmäßig den Familienabend. Beten Sie möglichst zweimal am Tag gemeinsam als Familie. Lehren Sie Ihre Kinder, die heiligen Schriften zu lieben, und bringen Sie ihnen bei, wie man die wundervolle Antwort auf ein Gebet erfährt. Lehren Sie sie, zu verstehen und zu erkennen, wie der Heilige Geist zu uns spricht und wie das als Eingebung, Gedanken, Eindruck und Gefühl erfolgt. Lehren Sie sie die heilige Bedeutung des Sühnopfers unseres Erretters Jesus Christus.

Elder Boyd K. Packer hat gesagt: „Lehren Sie unsere jungen Leute, Zeugnis zu geben - davon Zeugnis zu geben, daß Jesus der Messias ist, daß Joseph Smith ein Prophet Gottes ist, daß das Buch Mormon wahr ist, daß wir schon gelebt haben, bevor wir hierhergekommen sind, daß Christus gestorben ist, um uns zu erlösen, und daß er der Sohn Gottes ist.” (Let Not Your Heart Be Troubled, Salt Lake City, 1991, Seite 154.)

Ja, „das Beste, was Sie Ihren Kindern geben können, ist Ihre Zeit” (Arnold Glasow, in Richard Evans’ Quote Book, Seite 18).

Daß alle Eltern ihre Kinder erfolgreich davon überzeugen mögen, daß wahre Freude und wahres Glück im Leben nach dem Evangelium Jesu Christi zu finden sind, und daß alle Eltern in ihren Bemühungen und in ihrer heiligen Aufgabe Freude und Erfüllung finden mögen, ist mein Gebet. Im Namen Jesu Christi. Amen.