1990–1999
Eine mächtige Wandlung im Herzen
Oktober 1993


Eine mächtige Wandlung im Herzen

Zu den machtvollen Lehren des Buches Mormon gehört, daß wir eine mächtige Wandlung im Herzen durchmachen können, ja, sogar müssen.

Vor ein paar Jahren verließen meine Frau und ich gerade das Tabernakel, als eine freundliche Schwester auf uns zukam und fröhlich sagte: „Guten Morgen, Präsident Hinckley!” Ich antwortete: „Es tut mir leid, meine Liebe, aber ich bin Elder Condie von den Siebzigern.” Ihre Fröhlichkeit war dahin. Kaum eine halbe Minute später trafen wir eine andere Schwester, und auch sie begrüßte mich mit: „Guten Morgen, Präsident Hinckley!” Ich wollte sie nicht auch so enttäuschen, wie die Schwester zuvor, und so gab ich ihr die Hand und sagte: „Vielen Dank, meine Liebe. Ich wünsche einen schönen Tag!”

Einige Monate später, während einer Regionalkonferenz in Portugal, beichtete ich Präsident Hinckley ihm meine Sünde, und in der für ihn typischen liebevollen Art sagte er: „Also, Spencer, wenn du dich schon für mich ausgibst, dann hoffe ich, daß du dich auch gut benimmst.”

Seid vollkommen

Der Erretter hat uns nicht nur das Gebot gegeben, uns gut zu benehmen, sondern vollkommen zu werden, wie er und sein Vater vollkommen sind (siehe Matthäus 5:48; 3 Nephi 12:48). Dieses Streben nach Vollkommenheit stellt manchmal unsere Geduld und unseren Glauben auf die Probe, wenn wir mit den Schwächen des Fleisches ringen. Doch der liebevolle himmlische Vater hat uns im Kampf mit dem Widersacher nicht allein gelassen. Das Buch Mormon lehrt nach wie vor, daß der Heilige Geist sich aktiv in unser Leben einschaltet und uns zum Guten beeinflußt. Sowohl Nephi als auch Mormon lehren, daß sich der Heilige Geist mit uns abmüht und uns hilft, dem Bösen zu widerstehen (siehe 2 Nephi 26:11; Mormon 5:16). König Benjamin ermahnt uns, auf die Einflüsterungen des Geistes zu hören, damit wir den natürlichen Menschen überwinden, der ein Feind Gottes ist (siehe Mosia 3:19). Amulek mahnt uns, nicht mehr gegen den Heiligen Geist zu streiten (Alma 34:38), und Moroni versichert uns, daß der Heilige Geist uns bewegt, Gutes zu tun (siehe Ether 4:11).

Die Worte abmühen, einflüstern, streiten und bewegen bringen als Verben des Handelns stark zum Ausdruck, welch überaus positiven Einfluß der Heilige Geist auf uns haben kann, indem er uns aktiv bei unserem Streben nach Vollkommenheit unterstützt. Luzifer hingegen, dessen Übelwollen stets ins Elend führt, versucht ständig, uns von unserem ewigen Ziel abzubringen. Der Teufel gebraucht Tausende verschiedener Taktiken, aber ich behaupte, daß sie sich alle in zwei großen satanischen Strategien zusammenfassen lassen.

Stolz und Mutlosigkeit

Die erste ist der Stolz, den Präsident Benson den „Stolperstein Zions” genannt hat. Die zweite große Strategie des Satans ist Mutlosigkeit; sie führt dazu, daß man Glauben, Hoffnung und Geduld verliert. Diese beiden ruchlosen Strategien des Widersachers widerstehen Veränderungen. Der Stolze sieht im Wandel eine Bedrohung, denn er erfordert ein reuiges Herz und einen zerknirschten Geist, ein sanftmütiges und demütiges Herz.

Der Mutlose hat das Gefühl: „Ich kann an mir oder meinen Umständen nichts ändern.” Ob der Satan uns nun mit Stolz oder mit Mutlosigkeit heimsucht, das Ergebnis ist im Grunde dasselbe. Wir beginnen, uns so hinzunehmen, wie wir sind; wir sagen: „Ich bin nun mal so.”

Zu den machtvollen Lehren des Buches Mormon gehört, daß wir eine mächtige Wandlung im Herzen durchmachen können, ja, sogar müssen (siehe Mosia 5:2; Alma 5:14). Das Buch Mormon lehrt uns auch: „Schlecht zu sein hat noch nie glücklich gemacht.” (Alma 41:10.) Und weiter: „Menschen sind, damit sie Freude haben können.” (2 Nephi 2:25.) Die Reise von der Schlechtigkeit zur Freude erfordert eine mächtige Wandlung im Herzen.

Schlechte Gewohnheiten überwinden

Ich habe einen alten Freund, der ein sehr gutgehendes Geschäft besaß. Um sich den Streß seiner Aufgaben leichter zu machen, nahm er gelegentlich etwas zu sich, was das Wort der Weisheit verbietet. Im gleichen Maße, wie der Streß zunahm, nahm auch sein Alkoholkonsum zu. Tatsächlich wurde er zum Gefangenen des Alkohols.

Eines Nachmittags fühlte er die Eingebungen des Geistes, der ihm einflüsterte, die Sucht zu überwinden, die seine sittliche Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen begann. Er verließ auf ein paar Stunden sein Büro und fuhr an einen abgelegenen Ort, weit draußen vor der Stadt. Dort kniete er sich hin, um demütig zu beten, und flehte den Herrn mit der ganzen Kraft seines Herzens an, ihm zusätzliche Kraft zur Überwindung dieser Sucht zu geben, die ihn seiner geistigen Gesinnung beraubte und seine Seele zu zerstören drohte. Lange Zeit blieb er auf den Knien, und schließlich nahm ein wohltuender, reinigender Geist von seiner Seele Besitz, der ihn von jeglichem Wunsch nach Alkohol befreite und in ihm den festen Entschluß entstehen ließ, alle Gebote zu halten.

Ein spirituell empfindsamer Bischof bemerkte, daß mein Freund sich verändert hatte, und berief ihn dazu, in der Gemeinde die Jungen im Aaronischen Priestertum zu betreuen. Er war der geborene, begeisterte Jugendleiter, und etwa ein Jahr später wurde er der neue Bischof, der von allen für die Fähigkeit geliebt wurde, diejenigen zu beraten, die Gefangene der Sünde waren.

Präsident Joseph Fielding Smith hat gesagt: „Man eignet sich schnell eine Gewohnheit an. Es ist genau so einfach, sich etwas Gutes anzugewöhnen, wie etwas Schlechtes.” Ich kenne noch einen guten Mann, der in einer Familie aufgewachsen war, die nicht die Segnungen des Evangeliums hatte. Durch eine Reihe unglücklicher Umstände in seiner Jugend war er mit Homosexualität in Berührung gekommen, und mit der Zeit wurde er zum Gefangenen dieses süchtig machenden Verhaltens.

Eines Tages klopften zwei junge Missionare an seine Tür und fragten, ob er gern etwas über das wiederhergestellte Evangelium Jesu Christi hören wolle. Tief im Innersten wollte er aus seinem Gefängnis der Unreinheit befreit werden, doch weil er meinte, seinen Lebensweg doch nicht ändern zu können, brach er die Missionarslektionen ab. Ehe die Missionare seine Wohnung verließen, gaben sie ihm ein Exemplar des Buches Mormon und gaben Zeugnis, daß es wahr ist.

Mein Freund stellte das Buch ins Regal und dachte mehrere Jahre lang nicht mehr daran. Er ging seinen homosexuellen Neigungen nach und meinte, in solchen Beziehungen glücklich zu werden. Aber ach! Mit jedem Jahr nahm sein Elend zu.

Eines Tages suchte er in tiefer Verzweiflung in seinem Bücherregal nach Lesestoff, der ihn aufmuntern und erheben und sein Selbstwertgefühl wiederherstellen könnte. Sein Blick fiel auf das dunkelblaue Buch, das die Missionare ihm Jahre zuvor gegeben hatten. Er begann es zu lesen. Auf der zweiten Seite des Buches las er von Lehis Vision, in der Lehi ein Buch zu lesen gegeben wurde; und „als er las, wurde er vom Geist des Herrn erfüllt” (l Nephi 1:12). Als mein lieber Freund weiterlas, wurde auch er vom Geist des Herrn erfüllt.

Er las von König Benjamins letzter Aufforderung, einen mächtigen Wandel im Herzen zu vollziehen - nicht einen kleinen Wandel, sondern einen mächtigen Wandel. Er schöpfte Hoffnung aus den trostreichen Bekehrungsgeschichten von Enos, Alma, Ammon und Aaron. Er wurde inspiriert vom Bericht über den Besuch des Erretters bei den Nephiten vor alters. Als er zur letzten Seite des Buches Mormon gekommen war, war er bereit, die Einladung Moronis anzunehmen: „Kommt zu Christus, und werdet in ihm vollkommen, und verzichtet auf alles, was ungöttlich ist.” (Moroni 10:32.)

Mein Freund nahm Verbindung zur Kirche auf, wurde im Evangelium unterwiesen und wurde getauft. Nach relativ kurzer Zeit heiratete er eine schöne junge Frau, und inzwischen haben die beiden mehrere hübsche Kinder. Seine Frau und er sind sehr dynamische und hingebungsvolle Diener des Herrn, die einen guten Einfluß auf viele andere Menschen ausüben.

Die Ehe stärken

Manchmal wird man nicht nur Gefangener einer Sucht, sondern man beginnt, sich auch innerhalb einer Ehe wie ein Gefangener zu fühlen.

Vor einigen Jahren gingen meine Frau und ich über den Tempelplatz in einem fernen Land, und dort trafen wir eine strahlende Schwester mit silbergrauem Haar. Ihr fröhliches, christusgleiches Gesicht hob sie von den anderen Menschen ab, und ich fühlte micht bewegt sie zu fragen, warum sie so glücklich und zufrieden aussehe.

„Tja”, sagte sie lächelnd, „vor ein paar Jahren habe ich Hals über Kopf geheiratet, und nach wenigen Monaten ging mir, ehrlich gesagt, auf, daß ich den falschen Mann geheiratet hatte.” Sie fuhr fort: „Er interessierte sich nicht für die Kirche, wie er mir zuvor weisgemacht hatte, und mehrere Jahre lang behandelte er mich sehr unfreundlich. Eines Tages kam ich an den Punkt, wo ich dachte, daß ich das nicht länger ertragen könnte. In meiner Verzweiflung kniete ich mich hin und bat den himmlischen Vater um die Erlaubnis, mich scheiden zu lassen.

Da hatte ich ein bemerkenswertes Erlebnis. Nachdem ich inbrünstig gebetet hatte, offenbarte mir der Geist einige Einsichten, deren ich mir vorher nicht bewußt gewesen war. Zum ersten Mal wurde mir klar, daß ich, genau wie mein Mann, auch nicht vollkommen war. Ich begann, an meiner Intoleranz und an meiner Ungeduld wegen seiner mangelnden geistigen Gesinnung zu arbeiten.

Ich bemühte mich, mehr auf ihn einzugehen und ihn mehr zu lieben und besser zu verstehen. Und wissen Sie, was geschah? Als ich mich änderte, begann auch mein Mann, sich zu ändern. Statt daß ich ihm ständig wegen der Kirche auf die Nerven ging, fing er nach und nach an, von sich aus mit mir zur Kirche zu gehen.

Vor kurzem wurden wir im Tempel gesiegelt, und jetzt verbringen wir jede Woche einen Tag gemeinsam im Tempel. Ach, vollkommen ist er immer noch nicht, aber ich bin so glücklich, daß der Herr uns so sehr liebt, daß er uns hilft, unsere Probleme zu lösen.”

Präsident Benson hat gesagt: „Dem Stolz geht es darum, wer recht hat. Der Demut geht es darum, was recht ist.” Wenn wir uns selbst demütigen, dann sagt uns der Geist stets, was recht ist.

In, Lehre und Bündnisse’ verheißt der Herr: „Die Macht meines Geistes belebt alles.” (LuB 33:16.) Durch das Wirken des Heiligen Geistes tröstet sein Geist die Trauernden, lehrt diejenigen, die nach Wahrheit dürsten, und gibt ihnen Zeugnis, reinigt diejenigen, die ein reuiges Herz haben und rein werden wollen, und warnt vor drohenden Gefahren.

Eine Stimme der Warnung

Im Januar 1975, in einer dunklen, regnerischen Nacht, rammte ein 7000-Tonnen-Kahn zwei Pfeiler der Tasman-Brücke, die Hobart in Tasmanien mit den östlichen Vororten auf der anderen Seite der Bucht verbindet. Drei Segmente der Brücke stürzten ein. Eine australische Familie namens Ling fuhr über die Brücke, als plötzlich die Brückenbeleuchtung erlosch. In dem Augenblick raste ein Auto an ihnen vorbei und verschwand vor ihren Augen. Murray Ling trat auf die Bremse und kam schlingernd dicht am Rand eines schwarzen Nichts zum Stehen.

Murray Ling holte seine Familie aus dem Auto und begann sodann, die anderen Fahrer vor der Katastrophe zu warnen. Er ruderte wild mit den Armen, aber zu seinem Entsetzen fuhr ein Auto um ihn herum und stürzte in den Abgrund. Ein zweites Auto konnte gerade noch anhalten, doch ein drittes Auto krachte ohne zu bremsen in den Wagen der Lings am Rand der Brücke.

Plötzlich kam ein vollbesetzter Autobus auf Murray Ling zu, ohne auf sein Winken zu achten. Verzweifelt und unter Lebensgefahr rannte Murray neben dem Fenster des Fahrers her und schrie: „Da fehlt ein Stück!” Gerade noch rechtzeitig schwenkte der Bus herum und kam am Brückengeländer zum Stehen. Dutzende Leben waren gerettet.

Ich bin dankbar für diese Brüder, die wir als Propheten, Seher und Offenbarer bestätigen, und die uns vor Brücken warnen, die nicht begangen werden dürfen. Diese großartigen Männer, die wir als Propheten, Seher und Offenbarer bestätigen, predigen nicht „durch gewandte Worte, sondern … mit dem Erweis von Geist und Kraft” (l Korinther 2:4). Ihre Beweggründe sind rein, und sie trachten danach, das Reich Gottes aufzubauen und die Heiligen Gottes zu erheben und zu erbauen. Mit den Worten des Apostels Paulus gesprochen, sind sie „Gefangene Jesu Christi” geworden, deren einziger Wunsch es ist, den Willen Gottes zu tun - nichts mehr, nichts weniger, nichts anderes. Sie sind Männer Gottes. Mögen wir auf ihre Stimme der Warnung hören. Darum bete ich demütig. Im Namen Jesu Christi. Amen.