1990–1999
Seid guten Mutes
Oktober 1993


Seid guten Mutes

Wenn wir in unseren Entscheidungen in bezug auf unsere Berufstätigkeit und in den unzähligen Entscheidungen, die wir als Mutter fällen müssen, uns seihst gegenüber ehrlich und vor dem Herrn demütig sind, können wir mutig vorangehen.

Als ich siebzehn Jahre alt war, empfing ich meinen Patriarchalischen Segen. Ich wurde ermahnt, nach einem Partner zu suchen, der mit mir in den Tempel gehen konnte, und damit gesegnet, daß ich eine Mutter in Israel sein würde. Daraufhin nahm ich es als selbstverständlich an, daß ich die Schule beenden, eine Weile studieren und dann heiraten und Kinder bekommen würde.

Aber mit über dreißig Jahren war ich immer noch nicht verheiratet. Inzwischen war mir klar geworden, daß die Verheißungen in meinem Patriarchalischen Segen vielleicht nicht in der Sterblichkeit in Erfüllung gehen sollten. Mir war zwar klar, daß ich letztlich jeden Segen erhalten konnte, wenn ich würdig und treu blieb, aber trotzdem war ich beunruhigt. Ich fragte mich, ob ich glücklich sein konnte, wenn Ehe und Familie nicht so kamen, wie ich es mir gewünscht hatte. Während eines sehr schwierigen Abschnitts ging ich oft in den Tempel. Einmal erhielt ich eine deutliche Botschaft von Gott. Mir wurde gesagt, ich solle keine Angst haben.

Ich dachte über dieses Erlebnis nach, und mir wurde bewußt, daß mein Glücklichsein weder davon abhing, wann ich heiratete und mit Kindern gesegnet wurde, noch von meinen übrigen Lebensumständen, sondern davon, daß ich auf Gott vertraute und ihm gehorchte. Der himmlische Vater kennt und liebt uns alle; er kennt unsere Lebensumstände und Herausforderungen, und er hilft uns. Die heiligen Schriften lehren: „Darum seid guten Mutes und fürchtet euch nicht, denn ich, der Herr, bin mit euch und werde euch beistehen.” (LuB 68:6.)

Es kam dann doch so, daß ich heiratete. Ich war vierunddreißig, und mein Mann war siebenunddreißig. Wir wollten rasch Kinder haben, aber das war gar nicht so leicht. Wir sagten dem himmlischen Vater, wenn er uns ein Kind schenkte, würden wir dieses Kind seinem Dienst weihen. Als ich siebenunddreißig war, wurde unser erstes Kind, eine Tochter, geboren. Wir baten den himmlischen Vater um ein weiteres Kind und versprachen ihm wieder, dieses Kind seinem Willen zu weihen. Als ich fast vierzig war, bekamen wir einen Sohn. Wir baten um weitere Kinder, bekamen aber keine.

Emily ist jetzt fast zehn, und Danny ist sieben, und wir bemühen uns, sie dem Versprechen gemäß, das wir abgegeben haben, zu erziehen. Wie die Eltern in der Kirche in aller Welt erkennen wir dankbar an, daß Gott uns unsere Kinder geschenkt hat, und bemühen uns, ihnen zu helfen, daß sie lernen, ihn zu lieben und ihm zu dienen.

Ich muß noch immer viel über Kindererziehung lernen, aber die FHV gibt mir die Möglichkeit, Ihnen etwas von dem mitzuteilen, was ich selbst erfahren habe und was ich aus Gesprächen mit Freunden und Angehörigen weiß. Es hat mit der Überzeugung zu tun, daß wir wirklich guten Mutes sein können, denn der Herr ist mit uns und hilft uns in den verschiedenen aber unausweichlichen Herausforderungen, denen keiner von uns entgeht.

Ich habe unter anderem die Erfahrung gemacht, daß das Muttersein mit schwierigen Entscheidungen verbunden ist. Als unser erstes Kind geboren wurde, stand ich bereits seit zwölf Jahren im Berufsleben. Ich war erst als Lehrerin, dann als Anwältin tätig gewesen und fragte mich jetzt, ob ich weiter arbeiten sollte. Mein Mann verdiente genug für unseren Bedarf, aber wir waren fast zwanzig Jahre älter als die meisten jungen Eltern. Ich fragte mich, ob wir beide lange genug leben würden, uns unsere Kinder großzuziehen, und wie ich für sie sorgen sollte, falls ich Witwe würde. Ich fragte mich, wie schwer es sein würde, mit sechzig Jahren noch Arbeit zu finden, falls das nötig sein würde, wenn unsere Kinder studierten oder eine Berufung auf Mission erhielten.

Präsident Kimball, der damals Prophet war, hatte den Schwestern der Kirche geraten: „Manche Frauen müssen, aufgrund von Umständen, auf die sie keinen Einfluß haben, arbeiten. Wir verstehen das. … Machen Sie aber nicht den Fehler, sich zu nebensächlichen Aufgaben hinreißen zu lassen, die dazu führen, daß Sie Ihre ewigen Aufgaben vernachlässigen, nämlich Geistkinder des Vaters im Himmel zur Welt zu bringen und zu erziehen. Beten Sie bei allen Ihren Entscheidungen intensiv.” (Generalkonferenz, Oktober 1979.)

Ich nahm diesen Rat ernst. Ich wußte, ich mußte entscheiden, ob ich zu denen gehörte, die arbeiten müssen. Nachdem ich inständig darüber gebetet hatte, bat ich meinen Mann um einen Priestertumssegen. In dem Segen wurde mir verheißen, ich würde eine Entscheidung treffen können, die für unsere Familie gut sei. Es wurde mir aber nicht gesagt, wie die Entscheidung aussehen sollte. Ich machte mir Gedanken darüber, wie sich meine Entscheidung auf meinen Mann, meine Kinder und mich auswirken würde, und bemühte mich um Inspiration. Dann entschied ich mich dafür, Hausfrau zu werden.

Ich habe diese Entscheidung nicht bereut. Ich bin gern zu Hause bei den Kindern, um zu sehen, wie sie heranwachsen, und helfe ihnen, zu lernen. Aber ich vergesse auch nicht, daß vielleicht die Zeit kommt, daß ich für meine Familie den Lebensunterhalt verdienen muß. Ich habe mich bemüht, eine weise Entscheidung zu treffen, und tue, was ich kann, um einmal ins Berufsleben zurückkehren zu können. Jetzt habe ich das Gefühl, daß ich darauf vertrauen muß und kann, daß der Herr mir helfen wird, wenn diese Situation einmal eintreten sollte.

Wir müssen unser Leben lang immer wieder unsere Prioritäten festlegen. Die Schwestern in aller Welt, von denen viele sich in einer weitaus schwierigeren Lage befinden als ich, überdenken gebeterfüllt den Rat der Propheten und sind bemüht, sich vom Heiligen Geist leiten zu lassen, um bezüglich des Wohlergehens ihrer Familie weise Entscheidungen zu treffen. Ihre Entscheidungen fallen zwar notwendigerweise sehr unterschiedlich aus und werden oft von anderen mißverstanden, aber ich glaube, daß auch sie darauf vertrauen müssen und können, daß der Herr ihnen hilft, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Wenn wir in unseren Entscheidungen in bezug auf unsere Berufstätigkeit und in den unzähligen Entscheidungen, die wir als Mutter fällen müssen, uns selbst gegenüber ehrlich und vor dem Herrn demütig sind, können wir mutig vorangehen. „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.” (2 Timotheus 1:7.)

Ich habe in dem Bemühen darum, meine Prioritäten festzulegen, die Erfahrung gemacht, daß wir vielleicht fast immer zuviel zu tun haben. Als Mutter von zwei Kindern, die zu Hause ist, habe ich zuviel zu tun. Um wieviel größer sind dann die Anforderungen an eine Frau, die außer Haus berufstätig ist oder die viele Kinder hat oder die ihre Kinder allein erzieht! Wenn ich über unseren Zeitmangel nachdenke, komme ich zu dem Schluß, daß Gott gar nicht will, daß wir alles tun können, was wir gern tun würden. Wenn es nicht mehr zu tun gäbe, als wir schaffen können, müßten wir auch keine Entscheidungen treffen, und es würde uns gar nicht bewußt, was uns am meisten bedeutet.

Es ist oft gar nicht so leicht, zu erkennen, was am wichtigsten ist. Wir sind dahingehend gesegnet, daß wir unsere Kinder in einer Zeit erziehen können, wo das Evangelium wiederhergestellt worden ist und wo Gott Propheten berufen hat, die uns bei der Entscheidungsfindung helfen. Ich bin dankbar für die Richtlinien, die wir von Präsident Ezra Taft Benson erhalten haben. Bei der Vorbereitung auf diese Ansprache habe ich noch einmal seine Ratschläge dazu gelesen, wie eine Mutter ihrem Kind von Nutzen sein kann, und möchte Ihnen erzählen, was ich erlebt habe, als ich einen seiner Vorschläge in die Tat umgesetzt habe.

Wie andere Propheten auch hat Präsident Benson uns geraten, uns darum zu bemühen, jeden Tag als Familie in den heiligen Schriften zu lesen. Unsere Familie ist seit mehreren Jahren darum bemüht. Letztes Jahr merkte ich allerdings, daß sich ein Problem anbahnte. Unsere Kinder spielen beide ein Musikinstrument, und ich halte sie dazu an, morgens zu üben, weil sie dann weniger leicht abgelenkt werden. Aber manchmal gingen sie dann spät schlafen und standen auch spät auf. An solchen Tagen hatten sie nicht genug Zeit, um zu üben, sich anzuziehen, zu essen und in den heiligen Schriften zu lesen, ehe sie das Haus verließen. Und was dabei zu kurz kam, war meistens das Schriftstudium. Manchmal lasen wir ein, zwei Verse, und manchmal nahmen wir uns vor, es nach der Schule nachzuholen, aber wir waren dabei nicht konsequent. Dieses Jahr wurde mir klar, daß meine Prioritäten nicht in Ordnung waren. Mir kam der Gedanke, daß ich meinen Kindern vielleicht die Vorstellung vermittelte, die Beschäftigung mit der Musik sei wichtiger als die Beschäftigung mit dem Evangelium. Ich beschloß, daß wir morgens, wenn die Zeit knapp war, in den heiligen Schriften lesen und das Musiküben verschieben wollten. Ich möchte Ihnen bezeugen, daß ich großen inneren Frieden verspüre, wenn wir in diesem Punkt den Rat des Propheten befolgen.

Wir können viel Kraft und Mut daraus schöpfen, wenn wir uns durch die heiligen Schriften und durch die Propheten vom himmlischen Vater leiten lassen. Wir können zwar vielleicht nicht alles tun, aber er segnet uns in dem Bemühen, das zu tun, wozu er uns auffordert. Wie Nephi können wir das, was der Herr geboten hat, tun, denn er „gibt den Menschenkindern keine Gebote, ohne ihnen einen Weg zu bereiten, wie sie das vollbringen können, was er ihnen geboten hat” (l Nephi 3:7). Mut machen mir auch die Erfahrungen, die mich gelehrt haben, daß Gott einer Mutter Weisung gibt, was die persönlichen Bedürfnisse ihrer Kinder angeht. Manche meiner innigsten Gebete waren auf Segen für meine Kinder und Weisung für ihre Erziehung gerichtet. Die Antworten erfolgen zwar meist als stille Bestätigung dessen, was ich mir vorgenommen habe, aber ich war auch manchmal schon überrascht, welch klare Gedanken mir auf einmal in den Sinn kamen.

Gott tut aber noch viel mehr. Jede Frau, die Kinder erzogen hat, macht sich Sorgen wegen der Fehler, die sie gemacht hat. Ich bin zutiefst bekümmert, wenn mir bewußt wird, daß ich die Gefühle meiner Kinder verletzt habe, wenn ich ungeduldig war oder wenn ich die Möglichkeit, ihnen etwas Gutes zu tun, habe verstreichen lassen. Aber wir alle können unsere Hoffnung auf das Sühnopfer Christi richten. Wir können nämlich nicht nur umkehren und Vergebung erlangen, sondern durch seine Gnade können unsere Kinder von den seelischen Wunden geheilt werden, die wir ihnen vielleicht zugefügt haben, und die Fehler, die wir gemacht haben, können wiedergutgemacht werden. Christus hat gesagt: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. … Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.” (Johannes 14:27.)

Ich bin dankbar, daß ich Mutter bin. Ich bezeuge, daß das Muttersein, um es mit den Worten in meinem Patriarchalischen Segen zu sagen, „eine große und wichtige Arbeit ist, die den Frauen der Kirche übertragen ist”. Ich danke dem himmlischen Vater, daß ich ihm in seinem Werk behilflich sein darf, nämlich „die Unsterblichkeit und das ewige Leben des Menschen zustande zu bringen” (Mose 1:39).

Ich gebe Zeugnis von seiner Liebe und von seinem Interesse daran, uns zu helfen, davon, daß uns seine Weisung durch die Propheten und das Gebet zugänglich ist, und von seiner Güte und Vergebungsbereitschaft gegenüber den Fehlern, die wir machen. Als Mütter in Zion und als Schwestern im Evangelium Jesu Christi stehen wir im Dienst des Herrn. Wir können wirklich guten Mutes sein, denn er ist mit uns und steht uns bei. Im Namen Jesu Christi. Amen.