Generalkonferenz
Dem Herrn Heiligkeit darbringen
Herbst-Generalkonferenz 2021


Dem Herrn Heiligkeit darbringen

Beim Opferbringen geht es weniger darum, etwas aufzugeben, als vielmehr darum, dem Herrn etwas zu geben

Letztes Jahr, als ich in der Gebietspräsidentschaft Asien Nord tätig war, erhielt ich einen Anruf von Präsident Russell M. Nelson. Er bat mich, als Zweiter Ratgeber in der Präsidierenden Bischofschaft zu dienen. Er lud meine Frau Lori herzlich ein, an dem Gespräch teilzunehmen. Nach dem Telefonat waren wir immer noch fassungslos und meine Frau fragte: „Was macht die Präsidierende Bischofschaft eigentlich?“ Ich dachte kurz nach und erwiderte: „Ich weiß es nicht genau.“

Ein Jahr später – und nach tiefen Gefühlen der Demut und Dankbarkeit – kann ich die Frage meiner Frau nun mit mehr Erkenntnis beantworten. Neben vielen anderen Aufgaben ist die Präsidierende Bischofschaft für das Wohlfahrtsprogramm und die humanitäre Arbeit der Kirche zuständig. Diese Arbeit erstreckt sich mittlerweile über die ganze Welt und ist mehr Kindern Gottes ein Segen als je zuvor.

Der Präsidierenden Bischofschaft stehen wunderbare Angestellte der Kirche und andere zur Seite, darunter die Präsidentschaft der Frauenhilfsvereinigung der Kirche, die wie wir dem Führungskomitee für Wohlfahrt und Eigenständigkeit angehört. In unserer Eigenschaft als Mitglieder dieses Komitees wurden Schwester Sharon Eubank, die gestern Abend zu uns gesprochen hat, und ich von der Ersten Präsidentschaft gebeten, Ihnen über die humanitären Projekte zu berichten, die die Kirche in letzter Zeit durchgeführt hat. Sie hat auch insbesondere darum gebeten, dass wir Ihnen ihren tiefempfundenen Dank ausrichten – denn Sie, Brüder und Schwestern, sind es ja, die diese humanitäre Arbeit ermöglichen.

Bild
Spenden für die humanitäre Arbeit
Bild
Weitere Spenden für die humanitäre Arbeit

Als wir besorgt die ersten wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise in aller Welt beobachteten, hätten wir leicht einen Rückgang bei den Geldspenden erwarten können, die die Mitglieder der Kirche Jesu Christi leisten konnten. Schließlich waren ja auch unsere Mitglieder nicht gegen die Rückschläge in Verbindung mit der Pandemie gefeit. Stellen Sie sich nur vor, was wir empfanden, als wir genau das Gegenteil feststellten! Die humanitären Spenden im Jahr 2020 fielen höher denn je aus – und die Entwicklung in diesem Jahr zeigt sogar eine steigende Tendenz. Dank Ihrer Großzügigkeit konnte die Kirche mehr Hilfe leisten als je zuvor seit der Einführung des Fonds für humanitäre Hilfe. Sie führte gut 1500 Corona-Hilfsprojekte in über 150 Ländern durch. Diese Spenden, die Sie dem Herrn so selbstlos erbracht haben, wurden für lebenserhaltende Hilfsgüter verwendet: für Nahrungsmittel, Sauerstoff, medizinischen Bedarf und Impfstoff für diejenigen, die andernfalls vielleicht keine Impfung bekommen hätten.

Bild
Flüchtlinge
Bild
Flüchtlinge
Bild
Flüchtlinge

Genauso bedeutend wie die Bereitstellung von Gütern ist auch der beträchtliche Zeit- und Energieaufwand der Mitglieder der Kirche zugunsten humanitärer Zwecke. Auch während der Pandemie mit ihren schlimmen Auswirkungen hat es unablässig Naturkatastrophen, Unruhen und wirtschaftliche Instabilität gegeben, sodass Millionen weiterer Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Einem aktuellen Bericht der Vereinten Nationen zufolge gibt es weltweit über 82 Millionen Menschen, die gewaltsam vertrieben wurden.1 Zudem gibt es Millionen andere, die sich dafür entscheiden, auf der Suche nach einem besseren Leben für sich oder ihre Kinder vor Armut oder Unterdrückung zu flüchten. Das kann uns einen ersten Eindruck vom Ausmaß dieser weltweiten Herausforderungen vermitteln.

Ich freue mich, berichten zu können, dass die Kirche dank der vielen ehrenamtlichen Helfer, die Zeit und Talente einsetzen, an mehreren Standorten in den Vereinigten Staaten und Europa Aufnahmezentren für Flüchtlinge und Einwanderer betreibt. Und dank Ihrer Spenden stellen wir in aller Welt ähnlichen Initiativen, die von anderen Organisationen durchgeführt werden, Güter, Gelder und ehrenamtliche Helfer zur Verfügung.

Ich möchte den Mitgliedern, die die Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln und Kleidung versorgt, sich mit ihnen angefreundet und ihnen geholfen haben, sich einzuleben und eigenständig zu werden, ganz herzlich danken.

Gestern Abend hat Schwester Eubank Ihnen von einigen der wunderbaren Hilfsaktionen der Mitglieder berichtet. Wenn ich über diese humanitäre Arbeit nachsinne, muss ich oft an den Grundsatz des Opferns denken und an die direkte Verbindung zwischen diesem Grundsatz und den zwei wichtigsten Geboten, nämlich Gott zu lieben und unseren Nächsten zu lieben.

Heutzutage bedeutet der Begriff opfern, etwas für den Herrn und sein Reich aufzugeben. Das englische Wort sacrifice leitet sich jedoch aus den beiden lateinischen Wörtern sacer, was heilig bedeutet, und facere, was machen bedeutet, ab.2 Demnach bedeutete opfern in alter Zeit buchstäblich: etwas oder jemanden heilig machen.3 In dieser Hinsicht bedeutet opfern, dass man heilig wird und Gott erkennt, und bezeichnet nicht etwa ein Ereignis oder Ritual, bei dem man für den Herrn etwas aufgibt.

Der Herr hat gesagt: „An Liebe habe ich Gefallen, nicht an Schlachtopfern, an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern.“4 Der Herr möchte, dass wir heilig werden,5 Nächstenliebe besitzen6 und ihn erkennen.7 Der Apostel Paulus hat erklärt: „Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.“8 Letztendlich möchte der Herr unser Herz; er möchte, dass wir in Christus eine neue Schöpfung werden.9 Er wies die Nephiten an: „Ihr sollt mir als Opfer ein reuiges Herz und einen zerknirschten Geist darbringen.“10

Bild
Heilig dem Herrn

Beim Opferbringen geht es weniger darum, etwas aufzugeben, als vielmehr darum, dem Herrn etwas zu geben. Am Eingang jedes unserer Tempel sind die Worte „Heilig dem Herrn, das Haus des Herrn“ eingraviert. Wenn wir unsere Bündnisse durch Opfer halten, werden wir durch die Gnade Jesu Christi heilig gemacht, und am Altar des heiligen Tempels bringen wir dem Herrn mit reuigem Herzen und zerknirschtem Geist unsere Heiligkeit dar. Elder Neal A. Maxwell hat gesagt: „Das einzige wirklich Persönliche, das wir auf Gottes Altar legen können, ist, dass wir unseren Willen [oder unser Herz11] ihm unterwerfen. … Wenn Sie und ich uns … unterordnen, indem wir unseren Willen im Willen Gottes verschlungen sein lassen, dann geben wir ihm wirklich etwas!“12

Wenn wir unsere Opfer zugunsten anderer so betrachten, dass wir etwas aufgeben, sehen wir sie vielleicht als eine Last und verlieren den Mut, wenn unsere Opfer nicht anerkannt oder belohnt werden. Wenn wir sie jedoch so betrachten, dass wir dem Herrn etwas geben, werden unsere Opfer zugunsten anderer zu Geschenken. Dann birgt die Freude, die man verspürt, wenn man ein großzügiges Geschenk macht, ihren Lohn in sich. Wenn wir die Liebe, die Zustimmung oder den Dank anderer nicht mehr brauchen, werden unsere Opfer zum reinsten und tiefsten Ausdruck unserer Dankbarkeit und Liebe für den Erretter und unsere Mitmenschen. Jegliches von Stolz geprägte Gefühl der Aufopferung weicht dann der Dankbarkeit, Großzügigkeit, Zufriedenheit und Freude.13

Wir machen etwas – ob nun unser Leben, unseren Besitz, unsere Zeit oder unsere Talente – nicht einfach dadurch heilig, dass wir es aufgeben, sondern vielmehr dadurch, dass wir es dem Herrn weihen.14 Die humanitäre Arbeit der Kirche ist ein solches Geschenk. Sie folgt aus den gesammelten, geweihten Opfergaben der Mitglieder und ist ein Ausdruck unserer Liebe zu Gott und seinen Kindern.15

Bild
Schwester Canfield mit zwei ihrer Schützlinge

Das Beispiel von Steve und Anita Canfield veranschaulicht, dass Heilige der Letzten der Tage auf der ganzen Welt eine segensreiche innere Wandlung erleben, weil sie dem Herrn etwas geben. Als Missionare für Wohlfahrt und Eigenständigkeit wurden die Canfields gebeten, in Flüchtlingslagern und Einrichtungen für Einwanderer in ganz Europa Hilfe zu leisten. Im Berufsleben war Schwester Canfield eine erstklassige Innenarchitektin gewesen, die von wohlhabenden Kunden beauftragt wurde, deren luxuriöses Haus zu verschönern. Die Welt, in der sie sich dann plötzlich wiederfand, war das genaue Gegenteil, denn nun leistete sie Dienst unter Menschen, die, was irdischen Besitz angeht, fast alles verloren hatten. Sie tauschte, wie sie sagte, „Marmorfliesen gegen Lehmböden“ ein. Sie und ihr Mann freundeten sich mit den Menschen an, die ihre Hilfe brauchten, schlossen sie schon bald voller Liebe ins Herz und fanden in all dem unermessliche Erfüllung.

Die Canfields haben festgestellt: „Es kam uns nicht so vor, als hätten wir irgendetwas aufgegeben, um dem Herrn zu dienen. Wir wollten ihm einfach nur unsere Zeit und Energie geben, um seinen Kindern ein Segen zu sein – ganz gleich, wie er uns einsetzen wollte. Bei der Zusammenarbeit mit unseren Brüdern und Schwestern lösten sich jegliche Unterschiede, was die äußere Erscheinung, die Herkunft oder die Habseligkeiten betraf, in Luft auf. Wir sahen jeweils einfach nur das Herz des anderen. Es gibt kein Maß an beruflichem Erfolg oder materiellem Gewinn, das sich damit vergleichen lässt, wie diese Erfahrungen bei unserem Dienst unter den ärmsten aller Kinder Gottes uns bereichert haben.“

Dank der Geschichte der Canfields und vieler anderer solcher Geschichten weiß ich den Text eines einfachen, aber tiefgründigen PV-Liedes noch mehr zu schätzen:

Gib, sagt der kleine Bach,

wenn er eilt den Berg hinab.

Bin klein, gewiss, doch wo immer ich fließ,

alle Felder grün ich mach.

Ja, jeder von uns ist klein, aber wenn wir uns zusammentun und uns eilen, Gott und unseren Mitmenschen etwas zu geben, wird überall dort, wo wir hingehen, das Leben der Menschen segensvoll bereichert.

Die dritte Strophe dieses Liedes ist weniger bekannt, endet aber mit dieser liebevollen Aufforderung:

Gib, ja, wie Jesus gibt,

weil er jeden von uns liebt.

Wie Bach und Regen, so leb ich gern:

für die andern und den Herrn.16

Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir für Gott und andere leben, indem wir ihnen von unseren Mitteln, unserer Zeit und, ja, sogar von uns selbst geben, hinterlassen wir die Welt ein bisschen grüner und Gottes Kinder ein bisschen glücklicher, und wir selbst werden dabei ein bisschen heiliger.

Möge der Herr Sie für die Opfer, die Sie ihm so freigebig darbringen, reichlich segnen.

Ich bezeuge, dass Gott lebt. „Sein Name [ist] Mensch der Heiligkeit.“17 Jesus Christus ist sein Sohn und der Geber aller guten Gaben.18 Mögen wir durch seine Gnade und dadurch, dass wir unsere Bündnisse durch Opfer halten, heilig gemacht werden und dem Herrn stets mehr Liebe und Heiligkeit darbringen.19 Im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.