„,Du bist eine auserwählte Frau‘“ Offenbarungen im Zusammenhang, 2016
„Du bist eine auserwählte Frau“, Offenbarungen im Zusammenhang
„Du bist eine auserwählte Frau“
In den Monaten nach der Gründung der Kirche Christi (unter diesem Namen war die Kirche damals bekannt) verstand Emma Hale Smith immer besser, was die prophetische Berufung ihres Mannes für sie und ihre junge Familie bedeutete. Emma wurde am 10. Juli 1830 26 Jahre alt. Sie hatte Joseph drei Jahre zuvor trotz der Einwände ihrer Eltern, Isaac und Elizabeth Hale, geheiratet.1 Sie glaubte den Visionen und Offenbarungen, die ihr Ehemann erhalten hatte, und die drei ereignisreichen Jahre hatten ihr bestätigt, dass er wahrhaft ein Prophet war.
Als sie heirateten, war Joseph Smith bereits drei aufeinanderfolgende Jahre lang einmal im Jahr mit dem Engel Moroni auf einem Hügel in der Nähe von Palmyra in New York zusammengekommen, um über die goldenen Platten zu sprechen, von denen er das Buch Mormon übersetzen sollte. Im Herbst 1827 fuhr Emma mit Joseph dorthin und wartete im Wagen, während er die goldenen Platten erhielt. Bald begann sie damit, während der Übersetzungsarbeit für ihn als Schreiberin zu arbeiten. „Oft schrieb ich jeden Tag“, erinnerte sie sich später. „Ich saß meistens nahe bei ihm am Tisch. Er hatte sein Gesicht in seinem Hut vergraben, in dem der Stein lag, und diktierte mir stundenlang, ohne dass etwas zwischen uns war. … Er hatte weder ein Manuskript noch ein Buch, aus dem er hätte ablesen können. … Wenn er etwas in der Art gehabt hätte, dann hätte er es nicht vor mir verheimlichen können. … Die Platten lagen oft offen auf dem Tisch. Sie waren in ein kleines Tischtuch aus Leinen gewickelt. … Einmal fasste ich die Platten an, als sie so auf dem Tisch lagen, und konnte ihre Umrisse und ihre Form ertasten.“
Jahrzehnte später staunte sie über das, was geschehen war. Sie erinnerte sich daran, dass Joseph, als sie heirateten, „einen zusammenhängenden oder wohl formulierten Brief weder schreiben noch diktieren konnte, vom Diktieren eines Buches wie dem Buch Mormon ganz zu schweigen“2.
Emmas Prüfungen
Doch diese geistigen Erlebnisse wurden von Unannehmlichkeiten und Schmerzen begleitet. Joseph und Emma lebten zunächst bei Familie Smith in Manchester in New York und zogen dann zu Familie Hale in Harmony in Pennsylvania, wo Emma aufgewachsen war. Während der ersten Ehejahre zog das Paar mindestens viermal zwischen Harmony und dem Bundesstaat New York um. Dabei legte es jedes Mal knapp 500 Kilometer zurück. Im Juni 1828 gebar Emma einen Sohn, der „zur selben Stunde“ seiner Geburt starb.3 Josephs und Emmas erste gemeinsame Jahre waren von Armut geprägt. Joseph schrieb, dass sie 1829 sehr arm geworden waren – „mit wenig verbliebener Habe“, wie er es ausdrückte –, sodass Emmas Vater „im Begriff war, mich vor die Tür zu setzen, und ich wusste nicht wohin. Also flehte ich den Herrn an, dass er für mich sorgen möge, damit ich das Werk vollenden konnte, das er mir geboten hatte.“4 In der Stunde der Not leisteten oft treue Freunde wie Josiah Stowell, Martin Harris und Oliver Cowdery finanzielle Unterstützung.
Ungeachtet dieser Prüfungen wollte Emma sich im Juni 1830 taufen lassen. Joseph und Emma reisten nach Colesville, New York, wo sie sich zusammen mit mehreren anderen Bekehrten taufen ließ, darunter auch Mitglieder der Familie Knight, die sie ebenfalls während der Übersetzung des Buches Mormon finanziell unterstützt hatten. Gegner der jungen Kirche zerstörten jedoch einen Damm, der für die Taufen errichtet worden war, die am Sonntag, dem 27. Juni, stattfinden sollten. Aus dem Geschichtsbericht Joseph Smiths geht hervor, was am frühen Morgen des darauffolgenden Tages geschah: „Wir waren in Alarmbereitschaft, und noch bevor unsere Feinde es merkten, hatten wir den Damm repariert und führten die Taufen durch.“ Oliver Cowdery taufte Emma und zwölf weitere Personen. Kurz vor Ende des Taufgottesdienstes „versammelte sich der Pöbel erneut, und bald nachdem wir uns zurückgezogen hatten, waren es ungefähr 50 Leute“. Joseph, Emma und die anderen Mitglieder der Kirche gingen in das Haus von Joseph Knight Sr., welches bald darauf von Männern umstellt war, „die von Zorn erfüllt waren und uns offensichtlich Gewalt antun wollten“. In Joseph Smiths Geschichtsbericht heißt es weiter: „Manche stellten uns Fragen, andere bedrohten uns, sodass wir dachten, es wäre wohl vernünftig, den Ort zu verlassen und uns zum Haus von Newel Knight zu begeben.“5 Dennoch folgte man den Heiligen und drangsalierte sie weiter.
Die Heiligen hatten für den Abend eine Versammlung geplant, bei der Emma und die anderen Neugetauften die Gabe des Heiligen Geistes empfangen und als Mitglieder der Kirche bestätigt werden sollten. Als sie sich versammelten, wurde Joseph Smith jedoch aufgrund der Anschuldigung, er „sei eine zügellose Person, die das Land durch das Predigen des Buches Mormon in Aufruhr versetze“, von einem Schutzmann verhaftet. Dieser sagte, dass der Pöbel Joseph nach seiner Verhaftung auflauern wollte, doch war der Schutzmann „entschlossen, mich vor ihnen zu bewahren, da er in mir jemand anderen sah als die Person, die ihm beschrieben worden war“. Bald trafen sie auf den Pöbel, aber zur „großen Enttäuschung“ der Meute gab der Schutzmann „dem Pferd die Peitsche und brachte mich außer Reichweite“. Nachdem sie in South Bainbridge im Kreis Chenango angekommen waren, blieb der Schutzmann die Nacht über „in einem der oberen Räume eines Gasthofs“ bei Joseph Smith. Um ihn zu schützen, schlief der Schutzmann „die Nacht über mit seinen Füßen gegen die Tür gestützt und einer geladenen Muskete neben sich“6.
Joseph Smith wurde in South Bainbridge vor Gericht gestellt und freigesprochen. Gleich darauf wurde er im benachbarten Kreis Broome wieder festgenommen und wegen ähnlicher Anschuldigungen angeklagt. Der zweite Schutzmann behandelte Joseph zunächst sehr barsch. In Joseph Smiths Geschichtsbericht heißt es, als sie im Kreis Broome ankamen, „führte er mich zu einem Gasthof und versammelte einige Männer, die mich auf jede erdenkliche Weise beschimpften, verhöhnten und beleidigten“. Sie spuckten Joseph an und verlangten von ihm, er solle ihnen prophezeien. Da sie inzwischen nicht weit von Josephs Zuhause entfernt waren, bat Joseph darum, „die Nacht daheim bei seiner Frau verbringen zu dürfen“, aber der Schutzmann lehnte seine Bitte ab.7
Am folgenden Tag wurde Joseph bei einem zweiten Prozess wieder freigesprochen. Der Schutzmann bat ihn dem Geschichtsbericht Joseph Smiths zufolge nun „um Verzeihung“8. Als er davon hörte, dass der Pöbel Joseph teeren und federn wollte, half er ihm zu entkommen. Joseph kam sicher im nahegelegenen Haus von Elizabeth Hale Wasson, Emmas Schwester, an.
Während der Abwesenheit ihres Ehemannes wartete Emma „mit viel Sorge den Ausgang dieses gottlosen Treibens“9 ab. Sie hatte sich mit anderen Frauen getroffen, „um für die Befreiung [ihres Ehemannes] zu beten“10. Als sie wieder vereint waren, reisten Joseph und Emma Anfang Juli wieder nach Hause nach Harmony in Pennsylvania. Zusammen mit Oliver Cowdery unternahm Joseph eine weitere erfolglose Reise nach Colesville, um die neugetauften Heiligen zu konfirmieren. Sie kehrten schnell nach Harmony zurück, weil sie erneut auf Widerstand stießen.11
Eine Ausschüttung von Offenbarung
Nach seiner Rückkehr nach Harmony erhielt Joseph Smith im Juli 1830 drei Offenbarungen. Die erste Offenbarung, die jetzt als Lehre und Bündnisse 24 bekannt ist, richtete sich an Joseph und Oliver Cowdery. Darin wurde ihnen erklärt, wozu sie berufen worden waren, nämlich dazu, das Buch Mormon zu schreiben und ihren geistlichen Dienst zu verrichten. In der Offenbarung, in der vermutlich auf den jüngsten Widerstand Bezug genommen wurde, heißt es weiter: „Ich habe dich aus deinen Bedrängnissen emporgehoben und habe dir Rat gegeben, sodass du von all deinen Feinden befreit worden bist.“12
In der Offenbarung wurden auch Joseph Smiths materielle Umstände angesprochen. Er wurde angewiesen, die Mitglieder der Kirche in Colesville, Fayette und Manchester zu besuchen, sobald er „[seine] Felder eingesät“ hatte. In der Offenbarung wurde deutlich gemacht, dass Joseph von den Mitgliedern der Kirche unterstützt werden solle, damit er sein „ganzes Dienen Zion widmen“ könne. Joseph wurde gesagt: „In zeitlichen Arbeiten wirst du keine Kraft haben, denn das ist nicht deine Berufung.“13 Durch diese Offenbarung war es Joseph und Emma bewusst, dass sie finanzielle Schwierigkeiten haben würden und sich, da sie sich dem Werk widmeten, auf die Unterstützung der Mitglieder verlassen mussten.
Welche Hoffnungen Emma auch immer für ihre Ehe gehegt hatte, sie konnte sicherlich kaum vorhersehen, wie sehr die Gegner der neuen Kirche sie und ihren Mann leibhaftig bedrohen und mit rechtlichen Maßnahmen schikanieren würden, noch wie sehr die Aufgaben der Verkündigung des Evangeliums und der Führung der Kirche ihren Mann von seiner Farm und seiner Familie fernhalten würden und so ihr Familienleben völlig auf den Kopf gestellt und ihre Lebensgrundlage bedroht sein würden.
Inmitten dieser Sorgen und Enttäuschungen erhielt Joseph eine Offenbarung für Emma, Lehre und Bündnisse 25, in welcher ihr wiederholt gesagt wurde: „Wahrlich, ich sage dir: Du sollst die Dinge dieser Welt ablegen und nach den Dingen einer besseren trachten.“ In dieser Offenbarung erhielt Emma Worte des Trosts sowie Anweisungen. Ihr wurde gesagt: „Murre nicht wegen dem, was du nicht gesehen hast, denn es ist dir und auch der Welt vorenthalten.“ Dabei ging es vielleicht um die goldenen Platten, die Emma, wie sie später erzählte, zwar einmal in den Händen gehalten, aber nie gesehen hatte. In der Offenbarung wurde Emma als „auserwählte Frau“ bezeichnet, und es wurde ihr gesagt: „Das Amt deiner Berufung besteht darin, dass du meinem Diener Joseph Smith Jr., deinem Mann, ein Trost in seinen Bedrängnissen sein sollst, mit lindernden Worten, im Geist der Sanftmut.“ In der Offenbarung ging es außerdem um Emmas Aufgaben in der Kirche. Ihr wurde verheißen, dass sie von ihrem Ehemann „ordiniert“ werden würde, um „Schriften zu erläutern und die Kirche zu ermahnen“14. Außerdem wurde Emma geboten, ihrem Mann als Schreiberin zu dienen und ein Gesangbuch zusammenzustellen. Joseph Smith erklärte später, dass Emma, „als die Offenbarung gegeben wurde, dazu ordiniert wurde, allen die Schriften zu erläutern und die Frauen zu unterrichten, und dass nicht nur sie alleine, sondern auch andere die gleichen Segnungen erlangen können“15.
Die dritte Offenbarung, die heute als Lehre und Bündnisse 26 kanonisierte heilige Schrift ist, erhielt Joseph Smith im Juli 1830. Darin wurden Joseph, Oliver Cowdery und John Whitmer angewiesen, ihre Zeit „dem Studium der Schriften und dem Predigen und dem Konfirmieren der Gemeinde in Colesville und dem Verrichten [ihrer] Arbeiten auf dem Land“16 zu widmen.
Newel und Sally Knight reisten Anfang August, einige Wochen nach diesen drei Offenbarungen, von Colesville in New York nach Harmony in Pennsylvania, um Joseph und Emma Smith zu besuchen. Sally Knight hatte sich am selben Tag wie Emma taufen lassen, aber keine der beiden war bisher konfirmiert worden. In dem Geschichtsbericht Joseph Smiths werden die Geschehnisse folgendermaßen beschrieben: „Es wurde vorgeschlagen, dass wir sie konfirmieren und gemeinsam vom Abendmahl nehmen sollten, bevor er und seine Frau den Rückweg antraten. Um alles vorzubereiten, wollte ich etwas Wein für diesen Anlass besorgen. Ich hatte erst eine kurze Strecke zurückgelegt, als mir ein Himmelsbote begegnete und ich folgende Offenbarung empfing.“17
Der Engel warnte Joseph Smith davor, Wein oder starkes Getränk von seinen Feinden zu kaufen.18 Joseph kehrte daraufhin nach Hause zurück und bereitete selbstgemachten Wein für die Konfirmierungsversammlung vor, an der die Smiths, die Knights und John Whitmer teilnahmen. Im Geschichtsbericht Joseph Smiths heißt es: „Wir nahmen gemeinsam vom Abendmahl, nachdem wir die zwei Schwestern konfirmiert und als Mitglieder der Kirche bestätigt hatten. Wir verbrachten den Abend auf herrliche Weise. Der Geist des Herrn wurde über uns ausgeschüttet und wir priesen Gott, den Herrn, und frohlockten über die Maßen.“19 In diesen vier Offenbarungen, die zwischen Juli und September 1830 empfangen wurden, erhielten Joseph und Emma Smith sowie andere Mitglieder der Kirche in den prägenden Monaten nach der Gründung der Kirche äußerst wichtige Anweisungen.
Emma schätzte besonders die Offenbarung, die an sie gerichtet war. Mit Unterstützung von William W. Phelps folgte sie den Anweisungen des Herrn, das erste Gesangbuch für die Kirche zusammenzustellen.20 1842 las Joseph Smith bei der Gründungsversammlung der Frauenhilfsvereinigung die Offenbarung an Emma vor. Er las zudem 2 Johannes 1 vor, wo auf eine „auserwählte Herrin“ Bezug genommen wird, und erklärte, dass Emma eine auserwählte Frau sei, da sie auserkoren war, „den Vorsitz zu führen“21. Joseph erklärte: „Die Offenbarung hat sich erfüllt, als Schwester Emma für die Präsidentschaft der Vereinigung auserkoren wurde.“22
Die Offenbarung für Emma Smith, die Joseph Smith während der turbulenten Sommermonate des Jahres 1830 empfangen hatte, wurde während des 19. Jahrhunderts oft in Versammlungen der Frauenhilfsvereinigung zitiert und besprochen. Bei einer Jubiläumsfeier, die 1892 anlässlich des 50. Jahrestags der Gründung der Frauenhilfsvereinigung im Tabernakel in Salt Lake City stattfand, las „Zina Y. W. Card … mit sehr klarer und bestimmter Stimme die Offenbarung vor, die Emma Smith durch Joseph, den Seher, gegeben wurde [und] in der Schwester Emma als auserwählte Frau bezeichnet wird“23. Die ersten Präsidentinnen der Frauenhilfsvereinigung wurden zuweilen als „auserwählte Frau“ bezeichnet. Als Zina D. H. Young beispielsweise Präsidentin der Frauenhilfsvereinigung wurde, schrieb ihr Emmeline B. Wells (die später ebenfalls Präsidentin der Frauenhilfsvereinigung wurde): „Ich gratuliere dir, meine liebe Schwester, dass du berufen bist, die ‚auserwählte Frau‘ zu sein, wie es der Prophet Joseph einst sagte.“24