Geschichte der Kirche
Martin Harris und sein Beitrag


Martin Harris und sein Beitrag

LuB 3, 5, 10, 17, 19

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Martin Harris

1827 hatte sich Martin Harris in Palmyra in New York ein behagliches Leben aufgebaut.1 Im Lauf von 14 Jahren hatte er 130 Hektar Ackerland erworben, sie durch Fleiß und fortschrittliche Ideen rentabel gemacht und sich ein schönes Holzhaus gebaut.2 1808 hatte er Lucy Harris geheiratet. Die beiden hatten fünf Kinder, von denen drei das Erwachsenenalter erreichten. Seine Fähigkeiten und sein Wohlstand waren den Nachbarn nicht verborgen geblieben; sie sahen in ihm einen „fleißigen, schwer arbeitenden Farmer, gewandt im Umgang mit seinen Geschäftspartnern, von schlichter, einfacher Lebensweise und … gut betucht“.3

Nun war Martin Harris 45 Jahre alt und genoss die Früchte seiner Arbeit und die Achtung seiner Mitmenschen. Er zog sogar in Erwägung, ob er nicht jemanden anstellen solle, der seine Farm ein paar Monate lang bewirtschaftet, damit er reisen könne. Doch mitten in diesen Reiseplänen besuchte ihn Lucy Mack Smith mit faszinierenden Neuigkeiten.

Martin Harris kannte die Geschichte ja bereits zum Großteil: Ein Engel war Joseph Smith erschienen und hatte ihm offenbart, dass in einem Hügel in der Nähe des Zuhauses der Familie Smith ein Bericht auf alten Metallplatten vergraben war. Drei Jahre lang hatte Joseph nun geduldig gewartet.

Doch jetzt kam Lucy Smith und erzählte Martin Harris, dass ihr Sohn endlich von dem Engel die Platten erhalten habe und nun darangehen wolle, sie zu übersetzen. Joseph Smith und seine Familie konnten es sich in finanzieller Hinsicht nicht leisten, die Übersetzung herauszugeben, doch Martin Harris hatte die notwendigen Mittel. Lucy Mack Smith fragte Martin Harris, ob er Joseph nicht besuchen wolle. Harris willigte ein, und seine Frau, Lucy Harris, bestand darauf, ebenfalls mitzukommen.

Joseph Smith betrachtete Martin Harris wahrscheinlich als Freund. Joseph Smith hatte Martin Harris schon zuvor vom Erscheinen des Engels und von der Existenz der Platten erzählt. Harris erwiderte offensichtlich die Freundschaft. Er hatte Joseph Smith schon als Tagelöhner auf seiner Farm beschäftigt und ihn als tüchtige Arbeitskraft kennengelernt.

Wahrscheinlich hatte er aber auch einige Zweifel. Später erwähnte er in einem Interview, er habe, als er die Geschichte von den Platten zum ersten Mal gehört hatte, angenommen, dass Joseph und seine Goldgräberfreunde bloß einen alten Messingkessel gefunden hätten. Doch Martin Harris war religiös. Manche hielten seine Ansichten zwar für irrig und bezeichneten ihn geringschätzig als „abergläubischen Fanatiker“4, doch war es vielleicht gerade diese Aufgeschlossenheit für Übersinnliches im Alltag, die es Martin Harris möglich machte, Josephs Behauptungen zumindest in Betracht zu ziehen. Auch Lucy Harris besuchte Joseph umgehend und bot ihm sogar an, selbst zur Finanzierung der Übersetzung beizutragen. Martin Harris selbst blieb distanziert – vielleicht brauchte er Zeit, um die Sache zu überdenken.

Im Herbst und Frühwinter versuchten feindselige Nachbarn mehrmals, Joseph die Platten zu stehlen. In dieser gefährlichen Situation beschloss er daher, mit seiner Frau Emma zu deren Eltern nach Harmony in Pennsylvania zu ziehen. Was auch immer der Grund für Harris‘ früheres Zögern war – er gelangte zu dem Schluss, dass er Joseph helfen müsse. Er traf sich mit ihm in einem Gasthaus in Palmyra, gab ihm 50 Silberdollar und ließ ihn wissen: „Das gebe ich dir für das Werk des Herrn.“5 Als Joseph Smith darauf bestand, das Geld letzten Endes zurückzahlen zu wollen, beteuerte Martin Harris nochmals, es sei sein Wunsch, freigebig zu diesem Werk beizutragen.

Mittlerweile hegte Lucy Harris jedoch bereits Zweifel an Josephs Geschichte – wohl deshalb, weil er sich nach wie vor weigerte, die Platten herzuzeigen. Ihr Misstrauen führte dazu, dass sie ihrem Mann sein Interesse an Joseph und seinen Umgang mit ihm verübelte. Die Beziehung von Martin Harris zu seiner Frau war ohnehin schon angespannt, und dass er nun Joseph Smith unterstützte, vertiefte die Kluft zwischen den beiden noch weiter.

„Ein versiegeltes Buch kann ich nicht lesen“

Bald nachdem das Ehepaar Smith in Harmony angekommen war, besuchte Martin Harris sie in der Absicht, Joseph zu unterstützen. Harris regte an, er wolle mit der Abschrift einiger Schriftzeichen von den Platten nach New York fahren und sie diversen Gelehrten zeigen. Vielleicht wünschte er sich eine zusätzliche Bestätigung, dass die Platten echt seien, oder er meinte, eine solche Referenz würde ihnen helfen, sich Geld für die Veröffentlichung zu beschaffen. Jedenfalls sagte er deutlich, der Herr habe ihm eingegeben, diese Reise zu unternehmen.

Zum damaligen Zeitpunkt wussten weder Joseph Smith noch Martin Harris viel über die Sprache auf den Platten. Sie wussten nur das, was der Engel Moroni damals zu Joseph Smith gesagt hatte, dass es sich nämlich um Aufzeichnungen aus dem alten Amerika handle. Statt also einen Gelehrten aufzusuchen, der im Ägyptischen bewandert war (Joseph Smith sollte erst später herausfinden, dass die Sprache auf den Platten „reformiertes Ägyptisch“ genannt wurde), suchte Martin Harris mehrere Wissenschaftler auf, die sich mit Altertümern und besonders mit alten amerikanischen Artefakten auskannten.6

Er begab sich im Februar 1828 nach New York und machte zunächst Station in Albany, wo er Luther Bradish besuchte, einen früheren Einwohner Palmyras und Freund der Familie, der schon ausgiebig den vorderen Orient und Ägypten bereist hatte. Harris wollte von ihm wissen, an wen er sich wegen der Übersetzung wenden solle. Danach fuhr er weiter nach New York und suchte Samuel L. Mitchill auf, einen Sprachwissenschaftler und führenden Gelehrten, was die alten Kulturen Amerikas betraf. Nachdem Mitchill die Schriftzeichen untersucht hatte, schickte er Martin Harris offenbar zu Charles Anthon, einen jungen Professor für Grammatik und Sprachwissenschaft am Columbia College. Anthon hatte Erzählungen und Reden der Indianer gesammelt und wollte diese veröffentlichen. Daher interessierte er sich sehr für die Unterlagen, die Harris mitbrachte.

Laut Martin Harris behauptete Anthon, die Schriftzeichen seien echt, doch er erfuhr erst danach, auf welche Weise sie in den Besitz Joseph Smiths gelangt waren. Er bat Harris, ihm die Platten zu bringen. Martin Harris lehnte dies ab, und Charles Anthon erwiderte in Anlehnung an eine Schriftstelle aus Jesaja: „Ein versiegeltes Buch kann ich nicht lesen.“ Anthon stellte in der Folge zwar die Einzelheiten in Abrede, die Martin Harris von diesem Treffen schilderte, doch eines ist klar: Martin Harris war nach seinen Gesprächen mit den Gelehrten im Osten mehr denn je davon überzeugt, dass Joseph Smith von Gott berufen worden war und dass die Platten und die Schriftzeichen wirklich aus alter Zeit stammten. Martin Harris und Joseph Smith sahen in diesem Besuch bei Professor Anthon auch die Erfüllung einer Prophezeiung Jesajas (von der im Buch Mormon ebenfalls die Rede ist) über ein versiegeltes Buch: „Wenn man es einem Menschen gibt, der lesen kann, und zu ihm sagt: Lies es mir vor!, dann antwortet er: Ich kann es nicht lesen, denn es ist versiegelt.“7

„Den Toren den Mund stopfen“

Im Frühling und Frühsommer 1828 diktierte der junge Seher seine Übersetzung Martin Harris. Auch wenn Harris dieser Vorgang in der Tat wie ein Wunder vorkommen musste, war er doch auf der Hut vor Täuschungen. Einmal vertauschte er Josephs Seherstein mit einem anderen Stein, weil er wissen wollte, ob Joseph den Unterschied bemerkt. Doch als Joseph nicht weiter übersetzen konnte, bekannte Harris seine List und gab ihm den Seherstein zurück. Als Joseph ihn fragte, weshalb er das getan habe, erklärte Harris, er wolle „den Toren den Mund stopfen, die ihm erzählt hatten, dass der Prophet diese Sätze auswendig gelernt habe und sie nur wiederhole“.8

Martin Harris war nun aufrichtig zum Glauben gekommen, doch seine Frau stand der Sache inzwischen äußerst feindselig gegenüber. Lucy Harris machte sich verständlicherweise Sorgen, ihr Mann könne ein hohes finanzielles Risiko eingehen, um zur Veröffentlichung des Buches beizutragen, ihre Bekannten würden über die Beteiligung ihres Mannes an etwas, was sie als Betrug ansahen, spotten und Martin berücksichtige ihre Sicht der Dinge nicht genügend. Sie war auch gekränkt wegen der Art, wie Joseph jeden ihrer Versuche, die Platten zu sehen, zurückwies, und sie bedrängte ihren Mann unaufhörlich, den Beweis zu erbringen, dass Joseph Smith wirklich übersetzen könne.

Um seine Frau zu besänftigen, bat Martin Harris also Joseph Smith, „den Herrn durch den Urim und Tummim zu fragen“, ob er die Schriften mit nach Hause nehmen und sie seiner Frau und weiteren Personen zeigen dürfe.9 Joseph wollte Martin Harris gern den Gefallen tun, weil dieser ihm freundschaftlich zugetan gewesen war zu einer Zeit, „da es schien, als ob es sonst auf Erden keinen Freund gäbe, der ihn unterstütze oder mit ihm fühle“.10

Joseph befragte den Herrn daher um seines Freundes willen. „Die Antwort“, sagte Joseph, „war, dass er es nicht dürfe. [Martin] ließ es dabei aber nicht bewenden, sondern wollte, dass ich den Herrn noch einmal frage. Ich tat es, und die Antwort fiel so aus wie zuvor. Doch er gab sich damit immer noch nicht zufrieden, sondern bestand darauf, dass ich noch ein weiteres Mal frage. Nachdem er mir sehr zugesetzt hatte, fragte ich den Herrn erneut, und es wurde ihm erlaubt, das Geschriebene unter bestimmten Auflagen an sich zu nehmen.“11 Harris dürfe die übersetzten Seiten nur seiner Frau, seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Schwägerin zeigen.

Hocherfreut ging Martin Harris mit den Manuskriptseiten heim und zeigte sie seiner Frau. Er behandelte aber das kostbare Manuskript nicht mit der gebotenen Vorsicht, und bald war es unauffindbar. Was genau geschehen ist, lässt sich nur vermuten. Es existiert das Gerücht, dass Lucy die Seiten aus Martins Schreibpult nahm und sie verbrannte, auch wenn sie stets jegliche Verantwortung für das Verschwinden von sich wies. Einige (so auch Joseph Smith) vermuteten hinter dem Verschwinden ein Komplott seitens Lucys oder vielleicht auch anderer.

Martin Harris selbst unternahm alles Erdenkliche, um das Manuskript aufzuspüren, denn ihm graute vor dem Gedanken, Joseph bekennen zu müssen, was passiert war. Er riss „sogar Betten und Kissen auf“, aber das Manuskript kam nicht mehr zum Vorschein. Als Joseph schließlich nach mehreren Wochen seine Eltern besuchte und sich dort auch eine Nachricht von Martin erwartete, legte Harris zögernd die fünf Kilometer Fußmarsch zum Haus der Familie Smith in Manchester zurück. „Langsam und zögerlich kam er auf das Haus zugeschritten und hielt den Blick gedankenverloren auf den Boden gerichtet. Am Tor verharrte er. Statt weiterzugehen, setzte er sich auf den Zaun und blieb dort eine Weile sitzen, den Hut tief über die Augen gezogen.“12

Endlich trat er ein und hatte wenig Appetit auf das Essen, das man ihm vorsetzte, sondern „presste alsbald die Hände an die Schläfen und rief gequält aus: ‚Oh! Ich habe meine Seele verloren!‘“13 Joseph begriff sofort, was geschehen war. Er verlangte, dass Martin nach Hause gehe und noch einmal nach dem Manuskript suche, aber dieser versicherte ihm, dass dies vergeblich sei.

Erschöpft und mutlos kehrte Joseph nach Harmony zurück und flehte, einen Steinwurf vom Haus entfernt, um Barmherzigkeit. Der Engel erschien und gab Joseph die Sehersteine – Urim und Tummim – zurück, die Joseph mit den Platten erhalten hatte, die ihm in der Folge jedoch genommen worden waren, weil er „den Herrn mit seiner Bitte, dass Martin Harris die Schriften mitnehmen könne, ermüdet hatte“.14 Mit Hilfe des Urim und Tummim empfing Joseph die ersten seiner Offenbarungen, von denen es schriftliche Aufzeichnungen gibt.

Joseph wurde in der Offenbarung, die jetzt als Abschnitt 3 im Buch Lehre und Bündnisse steht, zurechtgewiesen: „Wie oft hast du die Gebote und die Gesetze Gottes übertreten und hast dich weiterhin von Menschen überreden lassen. Denn siehe, du hättest die Menschen nicht mehr fürchten sollen als Gott.“ Ihm wurde aber auch Hoffnung vermittelt: „Denke daran, Gott ist barmherzig; darum kehre um von dem, was du getan hast, was gegen das Gebot ist, das ich dir gegeben habe, dann bist du noch immer erwählt und bist wieder zum Werk berufen.“15

„Ich [werde] ihm den Anblick gewähren“

Monatelang verließ Martin Harris kaum sein Haus in Palmyra, weil ihm der Verlust des Manuskripts so naheging. Außerdem quälte es ihn, dass seine Frau und andere Josephs Ruf schaden wollten und ihn als Gauner darstellten, der es nur auf sein Geld abgesehen hatte. Im März 1829 besuchte Martin Harris dann Joseph Smith in Harmony – einerseits wollte er sich mit ihm aussöhnen, andererseits wollte er ihm von den verleumderischen Gerüchten über ihn erzählen.

Martin Harris war erleichtert, dass Joseph Smith Vergebung erlangt hatte und die Übersetzungsarbeit in Bälde fortsetzen wollte. Martin bat Joseph noch einmal, ob er nicht er die Platten sehen dürfe. Er wünschte sich ein festes Zeugnis davon, dass „Joseph die Sachen habe, von denen er bezeugt, dass er sie habe“ – vielleicht, um noch vorhandene Zweifel zu beseitigen, oder um Lucy zu überzeugen. Joseph erhielt eine Offenbarung für Martin Harris, die heute Lehre und Bündnisse 5 bildet. Darin offenbarte der Herr, dass drei Zeugen berufen werden sollten, die die Platten sehen und für sie Zeugnis geben sollen. Martin Harris verhieß der Herr zu dessen Freude: „Wenn er sich vor mir niederbeugt und sich in mächtigem Gebet und Glauben demütigt, in der Aufrichtigkeit seines Herzens, dann werde ich ihm den Anblick der Dinge gewähren, die er zu sehen begehrt.“ Aus dieser Offenbarung geht auch hervor, dass die Echtheit des Buches mehr durch dessen Botschaft bewiesen werden solle als durch die Platten an sich und dass viele selbst dann nicht glauben würden, wenn Joseph ihnen alles zeigen sollte.16

Die Arbeit an der Übersetzung kam erst dann wieder so richtig ins Rollen, als Oliver Cowdery ab dem 5. April 1829 als Schreiber fungierte. Joseph und Oliver machten dort weiter, wo Joseph und Martin zuvor aufgehört hatten, also so ziemlich am Anfang des Buches Mosia. Als sie jedoch im Mai am Ende des heute bestehenden Buches Mormon angekommen waren, fragten sie sich, ob sie den verloren gegangenen Teil nicht erneut übersetzen sollten. Als Antwort auf diese Frage empfing Joseph Smith eine weitere Offenbarung, die jetzt in Lehre und Bündnisse 10 steht. Diese Offenbarung bestätigte Joseph in seiner Furcht vor einer Verschwörung, denn „siehe, der Satan hat es ihnen ins Herz gegeben, die Worte zu ändern, die du hast schreiben lassen“. Der Herr versicherte Joseph Smith jedoch, dass er schon vor langer Zeit Abhilfe für diesen Umstand geschaffen habe. Joseph Smith wurde geboten, den verloren gegangenen Teil nicht nochmals zu übersetzen, sondern ihn durch die Übersetzung der „Platten Nephis“ zu ersetzen, die etwa den gleichen Zeitraum umfassten. So ließ sich die geplante Verschwörung vereiteln, und der Herr erhörte auf diese Weise die Gebete der nephitischen Berichtsführer vor alters, die sich gewünscht hatten, diese Schriften „mögen an dieses Volk gelangen“.17

„Meine Augen haben gesehen“

Als sich die Übersetzung dem Ende näherte, bat Martin Harris (zusammen mit Oliver Cowdery und David Whitmer) Joseph Smith darum, dass sie die drei verheißenen Zeugen sein dürften. Joseph fragte erneut und empfing die Offenbarung, die jetzt Lehre und Bündnisse 17 bildet und in der jedem der Männer zugesichert wurde, er werde die Platten sehen, wenn er sich „auf mein Wort verlassen“ wolle und dies „mit voller Herzensabsicht“18 tue.

Martin war zweifellos begeistert, dass es ihm gestattet sein sollte, die Platten zu sehen, doch als die drei Männer im Juni 1829 gemeinsam beteten, damit der Engel ihnen die Platten zeigen möge, geschah zunächst gar nichts. Martin Harris befürchtete, „seine Anwesenheit sei der Grund dafür, dass wir nicht erhielten, was wir wünschten“. Er zog sich zurück, und kurz danach erschien der Engel und zeigte Whitmer und Cowdery die Platten. Joseph Smith ging Martin Harris suchen und fand ihn in einiger Entfernung. Martin Harris hatte alleine gebetet, und Joseph Smith betete nun mit ihm. Bald darauf erhielt auch er die langersehnte Kundgebung. Nachdem er die Platten gesehen hatte, rief er aus: „Genug, genug, meine Augen haben gesehen, meine Augen haben gesehen!“19

„Du sollst nicht deinen eigenen Besitz begehren“

Beseelt durch dieses wundersame, glaubensstärkende Erlebnis, wollte Martin Harris nun erneut die Herausgabe des Buches Mormon finanziell unterstützen. Joseph Smith wandte sich an verschiedene Druckereien in Palmyra und Rochester im Bundesstaat New York. Er hoffte, Egbert B. Grandin aus Palmyra dazu bringen zu können, das Buch zu drucken. Martin Harris führte die Gespräche. Grandin legte für den ungewöhnlich umfangreichen Druckauftrag von 5000 Exemplaren den Preis von 3000 Dollar fest, aber er wollte weder die Druckertypen kaufen noch mit dem Druck beginnen, bevor nicht Martin Harris oder Joseph Smith „die Zusage gegeben hatten, dass die Bezahlung gewährleistet sei“.20 Dafür müsste Martin Harris im Grunde all das in seinem Besitz befindliche Land verpfänden.

Dieser Augenblick der Entscheidung sollte zeigen, wie stark sein Vertrauen in Joseph Smith und sein Glaube an das Buch Mormon waren. Um Führung zu erhalten, wandte er sich an Joseph Smith, der daraufhin eine weitere Offenbarung empfing. In der Offenbarung, die heute als Lehre und Bündnisse 19 bekannt ist, wurde Harris ermahnt: „Du sollst nicht deinen eigenen Besitz begehren, sondern davon freigebig für den Druck des Buches Mormon geben.“21 Am 25. August 1829 verpfändete Martin Harris seinen Landbesitz zugunsten von Grandin zwecks Bezahlung der Druckkosten. Seine Nachbarn wunderten sich, dass ihr so vernünftiger Bekannter „die Bewirtschaftung einer der besten Farmen in der Gegend aufgeben“22 wolle, um die Druckkosten zu bezahlen.

Anfangs hoffte Martin Harris, seine verpfändete Farm durch den Verkauf des Buches Mormon zurückzugewinnen. Im Januar unterzeichnete Joseph Smith eine Vereinbarung mit Martin Harris, in der er ihm „das nämliche Recht“23 zugestand, Bücher Mormon zu verkaufen, bis die Druckkosten vollständig beglichen seien. Martin Harris begann mit dem Verkauf des Buches, sobald dieses im März 1830 zur Verfügung stand. Leider lief der Verkauf nicht so gut wie erhofft.

Es wird berichtet, dass Joseph Smith Ende März 1830 in der Nähe von Palmyra auf den verzweifelten Martin Harris traf. Joseph Knight zufolge trug Martin Harris mehrere Exemplare des Buches Mormon bei sich. Er klagte: „Die Bücher lassen sich nicht verkaufen; niemand will sie haben.“ Er sagte zu Joseph: „Ich möchte ein Gebot.“ Joseph Smith verwies Harris auf die vorhergehende Offenbarung: „Erfülle, was du bekommen hast.“ „Aber ich muss eine Offenbarung haben“, wiederholte Martin Harris.24

Er erhielt jedoch kein weiteres Gebot.25 Doch entsprechend der früheren Offenbarung verkaufte Harris schließlich genug von seinem Besitz, um die Schulden zu tilgen. Dadurch sicherte er sich seinen Platz als der wichtigste finanzielle Unterstützer des Buches Mormon – und damit auch der jungen Kirche. Keiner von Joseph Smiths jüngeren (und nicht so begüterten) Bekannten hätte diesen entscheidenden Beitrag leisten können.

  1. Der Verfasser bedankt sich bei Michael Hubbard MacKay vom Team der Joseph-Smith-Papiere, dessen Nachforschungen die Grundlage für diese Schilderung der Geschichte des Martin Harris bilden.

  2. Siehe Ronald W. Walker, „Martin Harris: Mormonism‘s Early Convert“, Dialogue: A Journal of Mormon Thought, 19. Jahrgang, Nr. 4 (Winter 1986), Seite 30–33

  3. Susan Easton Black und Larry C. Porter, „For the Sum of Three Thousand Dollars“, in Journal of Book of Mormon Studies, 14. Jahrgang, Nr. 2, 2005, Seite 7

  4. Walker, „Martin Harris: Mormonism‘s Early Convert“, Seite 34

  5. Lucy Mack Smith, „Lucy Mack Smith, History, 1844–1845“, Band 6, Seite 6, josephsmithpapers.org

  6. Lucy Mack Smith, „Lucy Mack Smith, History, 1844–1845“, Band 6 und 7, josephsmithpapers.org

  7. Jesaja 29:11; siehe auch Michael Hubbard MacKay und Gerrit J. Dirkmaat, From Darkness unto Light: Joseph Smith‘s Translation and Publication of the Book of Mormon, Provo: BYU Religious Studies Center, 2015, Seite 52

  8. Edward Stevenson, „One of the Three Witnesses: Incidents in the Life of Martin Harris“, in Latter-day Saints‘ Millennial Star, 44. Jahrgang, Nr. 6, 6. Februar 1882, Seite 87

  9. Siehe Joseph Smith, „History, circa 1841, fair copy“, Seite 14, josephsmithpapers.org

  10. Lucy Mack Smith, „Lucy Mack Smith, History, 1844–1845“, Band 6, Seite 10f.

  11. Joseph Smith, „History, circa 1841, fair copy“, Seite 14

  12. Lucy Mack Smith, „Lucy Mack Smith, History, 1844–1845“, Band 7, Seite 5f.

  13. Lucy Mack Smith, „Lucy Mack Smith, History, 1844–1845“, Band 7, Seite 5f.

  14. Joseph Smith, „History, circa 1841, fair copy“, Seite 14

  15. Joseph Smith, „History, circa 1841, fair copy“, Seite 15f.

  16. „Revelation, March 1829 [D&C 5]“, Seite 1f., josephsmithpapers.org

  17. „Revelation, Spring 1829 [D&C 10]“, in Book of Commandments, Seite 22, 25, josephsmithpapers.org

  18. „Revelation, June 1829–E [D&C 17]“, in Revelation Book 2, Seite 119, josephsmithpapers.org

  19. Joseph Smith, „History, 1838–1856, volume A-1 [23 December 1805–30 August 1834]“, Seite 24f., josephsmithpapers.org

  20. John Gilbert, zitiert in „Interview with the Printer of the Bible“, New York Herald, 25. Juni 1893

  21. „Revelation, circa Summer 1829 [D&C 19]“, in Book of Commandments, Seite 41, josephsmithpapers.org

  22. Stephen S. Harding, Letter to Thomas Gregg, February 1882, in Thomas Gregg, The Prophet of Palmyra (New York: John Alden) 1890, 37

  23. „Agreement with Martin Harris, 16 January 1830“, Seite 1, josephsmithpapers.org

  24. Aus den Memoiren von Joseph Knight, undatiert; Historisches Archiv der Kirche, Salt Lake City

  25. MacKay, Michael Hubbard, Gerrit J. Dirkmaat, Grant Underwood, Robert J. Woodford, and William G. Hartley, ed., Documents, Volume 1: July 1828–June 1831. Volume 1 of the document series of the Joseph Smith Papers, edited by Dean C. Jessee, Ronald K. Esplin, Richard Lyman Bushman, and Matthew J. Grow (Salt Lake City: Church Historian’s Press) 2013, 86, note 333.

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