1990–1999
Die Hirten der Herde
April 1999


Die Hirten der Herde

Mein Herz ist von tiefer Wertschätzung für unsere Bischöfe erfüllt. Ich bin zutiefst dankbar für die Offenbarung des Allmächtigen, aufgrund derer dieses Amt mit seinen Aufgaben geschaffen wurde.

Meine lieben Brüder, es ist eine überwältigende Ehre und Verantwortung, zu Ihnen zu sprechen. Ich bete, der Herr möge mich segnen.

Dies ist eine überwältigende Bruderschaft ­ aus Hunderttausenden von Männern und Jungen, die zum Priestertum Gottes ordiniert worden sind. Welch gewaltige Versammlung dies wäre, wenn wir alle auf einmal zusammenkämen. Es würde die Welt verwundern. Ich kenne nichts Vergleichbares.

Sie sind das Rückgrat der Kirche, meine Brüder. Aus Ihren Reihen stammen die Bischöfe und Zweigpräsidenten, die Distrikts- und Pfahlpräsidenten, die Gebietsautorität-Siebziger und alle Generalautoritäten.

Ihr jungen Männer seid die Stärke eines großartigen Missionsprogramms, dessen Einfluß in der ganzen Welt zu spüren ist. Alle miteinander sind Sie Männer und Jungen, die die Rüstung Gottes angezogen haben, um sein Werk auf der Erde voran zu bringen.

Immer wenn wir zu einer dieser Versammlungen zusammenkommen, tut es mir leid, daß wir nicht alle unterbringen, die gern kommen wollen. Ab dem Augenblick, in dem die Türen des Tabernakels geöffnet wurden, kamen die jungen Männer und ihre Väter in Scharen herein. Hoffentlich wird die neue Halle in einem Jahr fertig sein, dann können wir alle unterbringen, die kommen wollen.

Und Sie, Brüder, die die übertragung dieser Versammlung sehen, wir fühlen uns mit Ihnen eins.

Ich glaube, Brüder, der Vater im Himmel lächelt auf uns herab. Ich glaube, es muß sehr tröstlich für ihn sein, auf die Hunderttausende Männer und Jungen herab zu schauen, die ihn lieben, die im Herzen ein Zeugnis von ihm und seinem geliebten Sohn haben, die diese Kirche führen, die das Oberhaupt einer Familie sind, in der Rechtschaffenheit herrscht und wo Wahrheit gelehrt und gelebt wird.

Wir sind eine große Körperschaft von Männern geworden ­ jung und alt. Es gibt kaum etwas, was wir nicht erreichen können, wenn wir in Einigkeit ­ mit festem Vorsatz eines Sinnes und eines Herzens ­ zusammenarbeiten.

Ich hoffe, daß einem jeden von uns bewußt ist, welch unermeßliche Bedeutung die Ordinierung zum Priestertum für uns hat. Es ist die Vollmacht Gottes auf der Erde. Er hat es uns übertragen. Damit geht die Macht und Vollmacht einher, in den Belangen der Kirche zu regieren. Damit geht die Macht und Vollmacht einher, im Namen des Herrn zu segnen, den Kranken die Hände aufzulegen und die Macht des Himmels herabzurufen. Es ist überaus heilig. Es hat am Göttlichen Anteil. Seine Vollmacht kommt in der Sterblichkeit zum Ausdruck und erstreckt sich über den Schleier des Todes hinaus.

Ich hoffe, daß wir des Priestertums, das wir tragen, würdig sind. Ich flehe Sie alle, einen jeden von Ihnen, an, leben Sie so, daß Sie dessen würdig sind.

Wie uns ins Gedächtnis gerufen worden ist, gibt es heute in der Welt viel Böses. Niemand muß daran erinnert werden. Wir sind ständig dem Unrat und Schmutz von Pornographie, lüsternen und bösen Verhaltens ausgesetzt, das völlig gegen die Grundsätze eines jeden verstößt, der das Priestertum Gottes trägt.

Es ist eine Herausforderung, in der Welt zu wirken und sich über ihren Schmutz zu erheben.

Die Unehrlichkeit nimmt überhand. Sie äußert sich in dem Betrug, der in den Schulen vor sich geht, in schlauen Machenschaften, in Geschäften, die berauben und betrügen. Um uns herum sind wir von Versuchungen umgeben, und leider geben manche ihnen nach.

Brüder, seid stark. Erhebt euch über das Böse der Welt. Wir brauchen nicht prüde zu sein. Wir brauchen nicht so zu tun, als seien wir heiliger als andere. Wir müssen uns nur in unserem Verhalten von unserer Redlichkeit, unserem Gefühl für das, was richtig und was falsch ist, von schlichter Ehrlichkeit leiten lassen.

Leben wir doch bei uns zu Hause nach dem Evangelium. Erweisen wir einander Liebe ­ Mann und Frau, Kinder und Eltern. Haltet eure Stimme im Zaum, wenn ihr zornig seid. Seid einander absolut treu.

“Tu, was ist recht! Laß dich Folgen nicht sorgen.” (Gesangbuch, Nr. 157.) Lebt so, daß ihr jeden Morgen zum Beten niederkniet und euch darum bemüht, euch vom Heiligen Geist leiten und von seiner Macht beschützen zu lassen, während ihr euer Tagwerk verrichtet. Lebt so, daß ihr jeden Abend, ehe ihr schlafen geht, ohne Scham oder Verlegenheit und ohne um Vergebung flehen zu müssen, im Gebet vor den Herrn treten könnt. Ich sage vorbehaltlos: Gott wird euch segnen, wenn ihr das tut. Eines Tages werdet ihr alt sein und auf euer Leben zurückblicken. Dann könnt ihr sagen: “Ich habe redlich gelebt. Ich habe niemanden betrogen, nicht einmal mich selbst. Ich hatte Freude an der Gemeinschaft mit meiner Frau, der Mutter unserer Kinder. Ich bin stolz auf diese Kinder. Ich bin Gott für seine offenkundigen Segnungen dankbar.”

Ich verheiße euch: wenn euer Leben so verläuft, werdet ihr, wenn die Schatten des Alters auf euch herabsinken, Tränen der Dankbarkeit in den Augen haben und ein dankbares Herz in der Brust.

Vor ein paar Jahren, vor über zehn Jahren sprach ich an diesem Pult über die Bischöfe der Kirche. Heute abend möchte ich noch einmal kurz zu diesem Thema zurückkehren.

Mein Herz ist von tiefer Wertschätzung für unsere Bischöfe erfüllt. Ich bin zutiefst dankbar für die Offenbarung des Allmächtigen, aufgrund derer dieses Amt mit seinen Aufgaben geschaffen wurde.

Wie Sie alle wissen, brach im letzten Herbst ein schrecklicher Sturm über Mittelamerika herein. Sechs Tage und Nächte lang wütete der Hurrikan Mitch über dem Gebiet, vor allem über Honduras. Der Wind wehte erbarmungslos, und es regnete ohne Unterlaß. Die Flüsse schwollen an und schwemmten die Häuser weg, die am Ufer gebaut worden waren. über 200 Brücken wurden in Honduras weggeschwemmt, so daß viele Wege versperrt waren. Die Erde aus dem Hochland wurde in einer gewaltigen Schlammwelle zum Meer gespült. Die Häuser waren bis zu den Fenstern voller Schlamm. Gärten und Straßen waren voll. Die Menschen flohen voll Schrecken und ließen alles zurück.

Einer unserer Bischöfe besorgte sich einen großen Lastwagen und fuhr herum und sammelte seine Leute ein und brachte sie in ein höher gelegenes Gebiet. Als der Lastwagen nicht mehr durchkam, besorgte er sich irgendwie ein Boot. Er wachte über seine Herde.

Ich bin hingefahren, um mir die Lage anzusehen und zu trösten, wo das möglich war. Ich sah ein Wunder. Ich sah die einfache und wunderbar effektive Organisation dieser Kirche am Werk.

Jedes Mitglied dieser Kirche hat einen Bischof oder einen Zweigpräsidenten. Ich bin voll des Lobs für andere Hilfeleistungen aus der ganzen Welt. Aber meine Bewunderung für die wundervolle Art und Weise, wie die Kirche am Werk war, kennt keine Grenzen. Die Bischöfe wandten sich an ihre Pfahlpräsidenten, die sich wiederum an die Gebietspräsidentschaft wandten, die sich dann an den Hauptsitz in Salt Lake City wandte. Innerhalb von Stunden waren riesige Mengen an Grundnahrungsmitteln, Medikamenten und Kleidung aus unseren Lagerhäusern unterwegs.

In San Pedro Sula im Gebiet mit den schwersten Schäden wurde ein Lagerhaus angemietet. Die Bischöfe organisierten ihre Mitglieder, die dann in Schichten in dem Lagerhaus arbeiteten und jeweils genug Essen für eine Familie für eine Woche, Kleidung und Medikamente, die sie vor Krankheit schützten, in Plastiktüten verpackten. Jeder Bischof kannte seine Mitglieder. Er und die FHV-Leiterin wußten, was sie brauchten. Es waren keine gesichtslosen Fremden, die als Angestellte des Staats tätig waren. Es waren Freunde, jeder das Mitglied einer Gemeindefamilie, die so klein war, daß der eine wußte, was der andere brauchte. Es gab keinen Streit, kein gieriges Grapschen nach Lebensmitteln und Kleidung. Alles ging ordentlich vor sich. Es war systematisch. Es war freundlich. Es war von Liebe und Anteilnahme geprägt, und es geschah rasch, um der dringenden Not abzuhelfen. Da war auf stille, erhabene Weise das Evangelium am Werk.

Das Wasser ging schließlich zurück, aber überall blieb eine dicke, häßliche Schlammschicht zurück. Nichts war wertvoller als Schaufeln und Schubkarren. Und gemeinsam, wieder auf Weisung der Bischöfe, wurde der Schlamm aus den Häusern geschafft.

Wir besuchten an einem Samstag ein Gemeindehaus. Es waren viele Menschen dort, und der Bischof, als liebender Vater seiner Herde, gab die Anweisungen. Die Bänke waren überschwemmt worden, und sie wurden jetzt nach draußen gebracht und sorgfältig gereinigt. Von den Wänden und den Fußböden wurde der Schlamm weggekratzt. Dann kamen die Mops und die Poliertücher, und ehe an dem Samstag der Abend anbrach, war das Gebäude wieder für den sonntäglichen Gottesdienst bereit.

Ich bin von demütiger Dankbarkeit und Achtung und Bewunderung für die Bischöfe dieser Kirche erfüllt. Ich habe sie in La Lima, Honduras, unter den entsetzlichsten Bedingungen erlebt. Ich sprach mit ihnen, gab ihnen die Hand, bekundete ihnen meine Liebe. Ich bin so dankbar für diese Männer, die, ohne an ihre Bequemlichkeit zu denken, ihre Zeit, ihre Weisheit, ihre Inspiration einsetzen, um in der ganzen Welt über unsere Gemeinden zu präsidieren. Sie erhalten keinen Lohn außer die Liebe ihrer Mitglieder. Für sie gibt es am Sonntag keine Ruhe und auch an anderen Tagen nicht viel. Sie sind den Menschen am nächsten und wissen am besten, was sie brauchen und wie es ihnen geht.

Mit ihrem Amt sind heute die gleichen Anforderungen verbunden wie zur Zeit des Paulus, der dem Timotheus schrieb:

“Deshalb soll der Bischof ein Mann ohne Tadel sein, nur einmal verheiratet, nüchtern, besonnen, von würdiger Haltung, gastfreundlich, fähig;

er sei kein Trinker und kein gewalttätiger Mensch … ; er sei nicht streitsüchtig und nicht geldgierig.” (1 Timotheus 3:2,3.)

In seinem Brief an Titus fügt Paulus dem hinzu: “Ein Bischof muß unbescholten sein, weil er das Haus Gottes verwaltet… .

Er muß ein Mann sein, der sich an das wahre Wort der Lehre hält; dann kann er mit der gesunden Lehre die Gemeinde ermahnen und die Gegner widerlegen.” (Titus 1:7,9.)

In den Jahren meiner Kindheit und Jugend, bis ich zum ältesten ordiniert wurde und von Mission zurückkam, hatte ich nur einen einzigen Bischof. Er war ein erstaunlicher Mann. Er diente 25 Jahre lang. Wir kannten ihn, und er kannte uns. Wir nannten ihn immer “Bischof Duncan”, und er nannte uns immer beim Vornamen. Wir hatten großen Respekt vor ihm, einen fast ehrfürchtigen Respekt. Aber wir hatten keine Angst vor ihm. Wir wußten, daß er unser Freund war. Er hatte eine sehr große Gemeinde, und er diente seinen Mitgliedern sehr gut.

Ich sprach bei seiner Beerdigung. Neben meinem Vater hatte er wahrscheinlich den größten Einfluß auf mein junges Leben. Ich bin so dankbar für ihn.

Seitdem hatte ich verschiedene Bischöfe. Ohne Ausnahme war ein jeder von ihnen ein engagierter, inspirierter Führer.

Jetzt möchte ich ein paar Worte direkt an die Bischöfe richten, die heute abend bei uns sind. Und vieles, was ich Ihnen sage, gilt wohl auch für die Pfahlpräsidenten und andere in einer ähnlichen Berufung. Ich hoffe, daß Sie wissen, daß ich Sie von Herzen liebe. Ich weiß, daß Ihre Mitglieder Sie lieben. Sie tragen eine gewaltige Verantwortung. Als wir Sie berufen haben, haben wir Ihnen unser vorbehaltloses Vertrauen ausgesprochen. Wir erwarten, daß Sie als der präsidierende Hohe Priester der Gemeinde dastehen, als Berater der Mitglieder, als Verteidiger und Helfer derer, die in Schwierigkeiten stecken, als Tröster derer, die Kummer haben, als Helfer derer, die in Not sind. Wir erwarten, daß Sie über die Lehre, die in Ihrer Gemeinde vermittelt wird, wachen und sie schützen, daß Sie über die Qualität des Unterrichts und über die Ausübung der vielen ämter, die nötig sind, wachen.

Ihr Verhalten muß tadellos sein. Sie müssen ein redlicher Mensch sein, der über jeden Tadel erhaben ist. Ihr Beispiel gibt den Ton an, und die Mitglieder folgen Ihnen. Sie müssen sich furchtlos gegen das Böse aussprechen und bereit sein, für das Rechte einzustehen, und müssen die Wahrheit kompromißlos verteidigen. Zwar erfordert all das Festigkeit, aber es muß auch in Güte und Liebe geschehen.

Sie sind der Vater der Gemeinde, der Hüter Ihrer Mitglieder. Sie müssen für sie da sein, wenn sie Kummer und Not haben und wenn sie krank sind. Sie sind der Präsident des Aaronischen Priestertums und müssen, zusammen mit Ihren Ratgebern, die Diakone, die Lehrer und die Priester führen und darauf achten, daß sie “in der Zucht und Weisung des Herrn” wachsen (Epheser 6:4).

Sie sind der Ehemann Ihrer Frau, ihr geliebter Partner, ihr Beschützer, der für sie sorgt. Sie sind der Vater Ihrer Kinder und müssen sie in Liebe erziehen und sie voll Wertschätzung unterweisen.

Sie können damit rechnen, daß der Widersacher es auf Sie abgesehen hat. Sie, vor allem Sie, müssen Selbstdisziplin üben, und sich von Sünde und von allem Bösen unbedingt fernhalten. Sie müssen Pornographie meiden, das Fernsehgerät ausschalten, wenn dort lüsterne Unterhaltung gesendet wird, Sie müssen in Denken und Handeln rein sein.

Sie können Ihr Amt nicht dazu nutzen, bei den Mitgliedern Ihre geschäftlichen Interessen zu wahren, damit man Sie nicht dessen beschuldigen kann, Sie profitierten aus dem Dienst als Bischof.

Sie sind allgemeiner Richter in Israel. Das ist eine fast erschreckende Verantwortung. In manchen Fällen müssen Sie entscheiden, ob jemand von Ihren Mitgliedern Mitglied der Kirche sein darf. Sie müssen entscheiden, ob jemand würdig ist für die Taufe, würdig, zum Aaronischen Priestertum ordiniert zu werden, ob er auf Mission gehen kann und, vor allem, ob er würdig ist, das Haus des Herrn zu betreten und an den Segnungen teilzuhaben, die man dort erlangen kann. Sie müssen darauf achten, daß niemand hungrig bleibt oder ohne Kleidung oder Wohnung. Sie müssen die Lebensumstände der Menschen, über die Sie präsidieren, kennen.

Sie müssen Ihren Mitgliedern ein Tröster und Führer sein. Ihre Tür muß denen, die in Not sind, immer offen stehen. Ihr Rücken muß stark sein, damit Sie ihre Last mittragen können. Sie müssen sogar auf den übeltäter in Liebe zugehen.

Meine Brüder, ich flehe den Segen des Allmächtigen auf Sie herab. Sie tragen eine große Verantwortung. Möge Gott Sie mit Gesundheit und Kraft segnen. Möge er Ihren Sinn mit Weisheit und Einsicht erfüllen, mit Wertschätzung und Liebe. Mögen die Belange Ihrer Mitglieder Ihr wichtigstes Anliegen sein, ohne daß Sie dafür die Anforderungen Ihres Berufs oder die Aufmerksamkeit, die Sie Ihrer Familie schenken, opfern.

Ich danke dem Herrn für einen jeden von Ihnen. Ich liebe Sie um dessen willen, was Sie tun. Ich bete für Sie, für einen jeden von Ihnen, wo immer Sie sein mögen. Ich flehe Sie an, schützen Sie sich vor den Pfeilen des Widersachers. Ich rate Ihnen, legen Sie die Rüstung Gottes an.

Mögen die Segnungen des Himmels auf Ihre Frau und Ihre Kinder herabkommen. Eines Tages werden Sie entlassen. Das wird ein trauriger Tag sein. Die Erinnerungen an Ihre Mitglieder werden Sie Ihr Leben lang begleiten. Sie werden Ihre Tage heiligen und Ihnen Frieden und Ruhe und Frohsinn schenken. Gott segne Sie, meine lieben Brüder. Darum bete ich demütig im Namen Jesu Christi, amen.