1990–1999
Gehorsam ­ der Weg zur Freiheit
April 1999


Gehorsam ­ der Weg zur Freiheit

Gehorsam führt zu wahrer Freiheit. Je gehorsamer wir uns nach offenbarter Wahrheit richten, desto freier werden wir.

Meine geliebten Brüder, erfüllt von tiefer Liebe und Respekt für den glaubenstreuen Gehorsam, mit dem Sie das Priestertum ehren, das Sie tragen, trete ich heute Abend an dieses Pult. Ich habe um Weisung dazu gebetet, worüber ich sprechen soll, denn ich will warnend die Stimme erheben. In der heutigen Gesellschaft wird der Unterschied zwischen richtig und falsch von lauten, lockenden Stimmen übertönt, die alle Einschränkungen des menschlichen Verhaltens abgeschafft haben wollen. Sie verlangen absolute Freiheit, ohne Rücksicht auf Konsequenzen. Ich möchte ganz klar sagen, daß ein solches Verhalten auf direktem Wege zur Selbstzerstörung führt.

Heute Abend möchte ich zum Priestertum dieser Kirche und besonders zu den Jungen Männern im Aaronischen Priestertum darüber sprechen, wie man wirklich frei wird. Gehorsam führt zu wahrer Freiheit. Je gehorsamer wir uns nach offenbarter Wahrheit richten, desto freier werden wir. Präsident David O. McKay erzählte einmal, wie sein Pferd Dandy völlige Freiheit ohne Einschränkungen begehrte. Präsident McKay sagt:

“Wenn man ihn ritt, reagierte und kooperierte er so bereitwillig, wie es ein Pferd nur tun kann… .

Aber Dandy konnte Einschränkung nicht leiden. Wenn er angebunden war, war er äußerst unzufrieden und knabberte an dem Seil, das ihn hielt, bis er frei war. Er lief nicht weg, er wollte einfach frei sein. Da er der Meinung war, andere Pferde sähen das ebenso, löste er auch deren Seile… .

Seine Neugier und sein Verlangen, die Umgebung zu erkunden, brachten ihm und auch mir ärger. Eines Tages wurde er auf dem Highway von einem Auto angefahren… .

Als er sich davon erholt hatte, war er immer noch von Wanderlust erfüllt und untersuchte den Zaun auf seiner ganzen Länge. Er mußte feststellen, daß das Gatter mit Draht zugebunden war… .

Eines Tages jedoch vergaß jemand, den Draht am Gatter anzulegen. Als Dandy dies entdeckte, entriegelte er es, nahm noch ein anderes Pferd mit, … und zusammen … liefen sie zu einem alten Lagerhaus. Neugierig stieß Dandy die Tür auf… . Dort stand ein Sack Getreide. Was für ein Fund! Ja, und was für ein Unglück! Das Getreide war vergiftet und sollte als Köder für Nagetiere dienen. Nach einigen Minuten hatten Dandy und das andere Pferd Krampfanfälle, und kurze Zeit später waren beide tot.”

Präsident McKay fährt fort: “Wie sehr gleicht Dandy doch vielen unserer Jugendlichen! … Sie sind impulsiv, voller Leben, voller Neugier… . Auch sie werden unwillig, wenn man sie einschränkt. Sind sie beschäftigt, werden sie sorgfältig und richtig geführt, so sind sie äußerst willig und fähig. Läßt man sie aber ohne Führung, so verletzen sie oft rechtschaffene Prinzipien. Das wiederum führt zu den Fallen des Bösen, zu großem Unglück und sogar zum Tod.”1

Für unsere Entwicklung ist es notwendig, daß wir uns zügeln und uns gehorsam Einschränkungen unterwerfen. Vor kurzem berichtete ein amerikanischer Radiosender über Wildpferde, die von Häftlingen gezähmt werden. Indem die Häftlinge mit den Pferden Freundschaft schließen, lernen sie Geduld, Selbstbeherrschung, Respekt gegenüber anderen Menschen und wie gut es ist, in einem System zu arbeiten. Wenn sie sehen, wie die Pferde lernen, ihren Anweisungen zu gehorchen, wird ihnen klar, daß sie dies auch auf sich beziehen können. Sie erkennen, wie sie die schrecklichen Fehler hätten vermeiden können, für die sie ins Gefängnis gekommen waren. Ich füge hinzu, daß Gehorsam gegenüber rechtschaffenen Prinzipien ihnen Freiheit von sozialen Krankheiten eingeräumt hätte, Freiheit von Schande, Erniedrigung und Schuldgefühlen. Doch wie die Pferde haben auch sie immer noch die Möglichkeit, zu lernen, Fortschritt zu machen und etwas zu erreichen.

Um uns herum gibt es viele überzeugende Stimmen, die Freiheit ohne Einschränkungen fordern, besonders ohne sittliche Beschränkungen. Aus der Geschichte der Welt lernen wir jedoch, daß jede erfolgreiche Gesellschaftsordnung ihre Grenzen hatte. Betrachten wir die Erde selbst. Sie wurde aus Materie geformt und war am Anfang dunkel, wüst und leer. Dann kam Ordnung, denn Gott gebot, daß das Licht von der Finsternis getrennt werden solle. Dem Gebot Gottes wurde Folge geleistet, und die Erde erlebte ihren ersten Tag, gefolgt von der ersten Nacht. Dann gebot Gott die Erschaffung der Atmosphäre, und er richtete es so ein, daß die Sonne, der Mond und die Sterne gemäß ihren Zeiten und dem Jahreslauf scheinen konnten. Nach einer Reihe von Geboten und Gehorsam gegenüber diesen Geboten war die Erde nicht nur bewohnbar, sondern schön.2

Bruder Jake Garn, ehemaliger US-Senator, reiste vor ein paar Jahren mit einer Gruppe amerikanischer Astronauten in den Weltraum. Rückblickend auf die Aussicht, die er von der Raumfähre Discovery aus auf die Weiten des Himmels hatte, sagt er, bei der Umrundung der Erde müsse man erkennen, daß wir alle Kinder Gottes sind und daß die Erde gemäß den Gesetzen Gottes funktioniert. Er sprach auch darüber, wie beeindruckend schön die Erde vom Weltraum aus gesehen ist und wie atemberaubend sie aussieht.3

Die Erde, auf der wir leben, ist ein einzigartiger Planet, der seinen Platz im Weltraum einnimmt. Er ist aber auch Teil unseres Sonnensystems, eines geordneten Systems mit acht weiteren Planeten, mit Asteroiden, Kometen und anderen Himmelskörpern, die die Sonne umkreisen. So wie die Erde ein eigenständiger Planet ist, so ist jeder von uns ein Individuum in seiner eigenen Umgebung. Wir sind Individuen, aber wir leben in Familien und Gemeinschaften, in denen Regeln ein harmonisches System gewährleisten, das vom Gehorsam gegenüber Prinzipien abhängt. Ordnung und Gehorsam sind nicht einschränkend und beengend, wie manch einer meint, sondern genau das Gegenteil. So wie Ordnung der Erde Leben und Schönheit gab, als sie wüst und leer war, so ist es auch mit uns. Gehorsam hilft uns, das volle Potential zu entwickeln, das der himmlische Vater für uns vorgesehen hat, so daß wir celestiale Wesen werden können, die würdig sind, eines Tages in seiner Gegenwart zu leben.

Brüder, ein weiteres Element der Freiheit ist Vertrauen. Vor fast sechzig Jahren, als ich zum ersten Mal auf Mission ging, lehrte Präsident McKay uns Missionare eine große Wahrheit. Ohne ein Wort betrat er den Raum, in dem wir uns versammelt hatten. Er ging zur Tafel, nahm ein Stück Kreide und schrieb: “Es ist besser, Vertrauen zu besitzen als geliebt zu werden.” Ich habe über diese Aussage viel nachgedacht, und ich habe gute Beispiele dafür gesehen. Ich möchte ein Beispiel aus den heiligen Schriften anführen.

Josef, der Sohn von Jakob und Rahel, wurde als junger Mann in die Sklaverei verkauft. Potifar, ein Beamter des Pharaos von ägypten, kaufte ihn. Sogar unter diesen widrigen Umständen verdiente sich Josef Vertrauen, und zwar zuerst das Vertrauen Potifars. Durch den Betrug von Potifars Frau jedoch kam Josef ins Gefängnis. Als zweites verdiente sich Josef das Vertrauen der Gefängniswärter und kam in den Ruf, Träume deuten zu können. Der Pharao hatte zwei beunruhigende Träume. Als er von Josefs Fähigkeit hörte, ließ er ihn rufen, um die Träume deuten zu lassen. Durch Inspiration sagte Josef ihm, daß auf sieben Jahre des überflusses sieben Jahre Hungersnot folgen würden. Der Pharao nahm die Deutung seiner Träume nicht nur an, sondern war der Dritte, der Josef Vertrauen schenkte. Er übertrug ihm Herrschaft in ägypten und machte ihn zum zweitmächtigsten Mann im Land, gleich nach sich selbst. Die Jahre vergingen, und die Hungersnot kam. Josefs Brüder reisten von Kanaan nach ägypten, um Getreide zu kaufen. Schließlich rettete Josef alle seine Brüder und seinen Vater vor dem Hungertod.4 Dadurch, daß Josef das absolute Vertrauen derjenigen gewann, die über ihn gestellt waren, genoß er viele Freiheiten. So wie Josef könnt auch ihr das Vertrauen anderer Menschen gewinnen, aber Vertrauen muß man sich verdienen.

So wie überall ist auch hier der Erretter unser Vorbild. Der Apostel Paulus schrieb: “Obwohl er der Sohn war, hat er … Gehorsam gelernt.”5 Auf unsere begrenzte Weise können auch wir Gehorsam lernen, wie Christus es tat. Als Kinder lernen wir, die Autorität anderer zu respektieren, indem wir unseren Eltern gehorchen und so ihr Vertrauen gewinnen. Wenn wir nicht gehorchen, gleichen wir dem jungen Jack, dessen Vater zu ihm sagte: “Jedes Mal, wenn du ungehorsam bist, bekomme ich ein graues Haar mehr.” Jack antwortete: Mann, Papa! Dann bist du also schuld daran, daß Großvater so viele graue Haare hat!”6 Hoffentlich lernen wir in der Schule noch mehr über Disziplin, das uns hilft, mit anderen zurecht zu kommen. Wenn wir uns Gehorsam zum Ziel setzen, empfinden wir ihn nicht länger als störend; aus einem Stolperstein wird ein Baustein.

Gehorsam gegenüber dem Wort der Weisheit bewahrt uns vor Abhängigkeit, so daß wir nicht zu Sklaven von Alkohol, Drogen oder Tabak werden. Unser Körper wird gesund und unser Verstand klar, denn die Verheißung, die mit diesem Prinzip einhergeht, besagt: “Alle Heiligen, die darauf bedacht sind, diese Worte zu befolgen und zu tun und die in ihrem Wandel den Geboten gehorchen ­ Gesundheit werden sie empfangen in ihrem Nabel und Mark für ihr Gebein.”7

Eine weitere Verheißung in dieser Offenbarung lautet: “Weisheit und große Schätze der Erkenntnis werden sie finden, ja, verborgene Schätze.”8 Durch Gehorsam erlangen wir also auch Erkenntnis. Wie der Erretter sagt: “Wer bereit ist, den Willen Gottes zu tun, wird erkennen, ob diese Lehre von Gott stammt.”9

Sind Entscheidungen zu treffen, bringt Gehorsam Frieden. Wenn wir uns fest dazu entschlossen haben, die Gebote zu befolgen, müssen wir uns nicht noch einmal entscheiden, welchen Weg wir gehen, wenn Versuchungen an uns herantreten. Auf diese Weise bringt Gehorsam uns geistige Sicherheit.

Brüder, ein weiterer Aspekt des Gehorsams ist der Gehorsam gegenüber geistigen Eingebungen. Auch das kann uns frei machen. Wie oft haben wir es schon bedauert, daß wir Eingebungen von oben nicht beachtet haben?

Ephraim Hanks gibt uns ein bemerkenswertes Beispiel für den Gehorsam eines jungen Mannes gegenüber den Eingebungen des Geistes. Im Herbst des Jahres 1856 hörte er, nachdem er zu Bett gegangen war, eine Stimme, die zu ihm sagte: “Die Handkarrenpioniere sind in Schwierigkeiten und du wirst gebraucht. Kommst du ihnen zur Hilfe?” Ohne Zögern antwortete er: “Ja, wenn ich gerufen werde, dann gehe ich.”

Rasch ritt er von Draper nach Salt Lake City. Als er dort ankam, hörte er, daß nach Freiwilligen gesucht wurde, die den letzten Handkarrengruppen auf dem Weg ins Tal helfen sollten. Einige Brüder sagten, sie könnten in ein paar Tagen reisefertig sein, aber Ephraim sprang auf und sagte: “Ich kann jetzt aufbrechen!” Er stand zu seinem Wort und brach sofort und allein auf.

Als er seinen Wagen ostwärts über die Berge lenkte, brach plötzlich ein schrecklicher Sturm los. Er dauerte drei Tage, und der Schnee war so tief, daß es unmöglich war, mit dem Wagen vorwärts zu kommen. So beschloß Bruder Hanks, zu reiten. Er nahm zwei Pferde mit, eins als Reitpferd und eins als Packpferd, und arbeitete sich vorsichtig durch den Schnee ins Gebirge vor. Bei Einbruch der Dunkelheit schlug er sein einsames Lager am South Pass auf. Gerade als er sich niederlegen wollte, dachte er an die hungrigen Heiligen und bat den Herrn instinktiv um einen Büffel. Als er nach dem Gebet die Augen öffnete, erschrak er, als er einen Büffel kaum 50 Meter entfernt stehen sah. Er legte an und erlegte das Tier mit einem Schuß, und es rollte direkt in die Mulde, wo Ephraim Hanks lagerte. Er zerlegte den Büffel und schlief dankbar die ganze Nacht.

Früh am nächsten Morgen nahm er die Pferde und das Büffelfleisch und kam nach Ice Spring Bench. Dort schoß er einen weiteren Büffel, obwohl es eigentlich ungewöhnlich war, in dieser Gegend so spät im Jahr noch Büffel zu finden. Nachdem er das Fleisch in lange Streifen zerlegt hatte, belud er seine Pferde und ritt bis zum Abend weiter. Nun zitiere ich aus Ephraim Hanks Bericht:

“Bis zum Sonnenuntergang war es wohl noch eine gute Stunde, als ich in der Ferne etwas erspähte, was wie ein schwarzer Streifen im Schnee aussah. Als ich näherkam, erkannte ich, daß es sich bewegte. Da war ich sicher, daß es sich um die Handkarrengruppe von Edward Martin handelte, nach der ich so lange gesucht hatte… . Die ausgehungerten Gestalten und ausgezehrten Gesichter der armen leidenden Menschen, die, vor Kälte zitternd, mit langsamen Bewegungen daran gingen, sich ihr kärgliches Abendmahl zu bereiten, hätten selbst das härteste Herz gerührt. Als sie mich kommen sahen, begrüßten sie mich mit unbeschreiblicher Freude, und als sie darüber hinaus das frische Fleisch erblickten, das ich ins Lager brachte, kannte ihre Freude keine Grenzen. Sie scharten sich um mich, und einer sagte: Oh bitte, gib mir ein kleines Stück Fleisch’, ein anderer sagte: Meine armen Kinder hungern, gib mir doch bitte etwas!’ Kinder mit Tränen in den Augen riefen: Gib mir etwas, gib mir etwas!’ Zuerst versuchte ich, ihnen allen etwas zu geben, so wie sie mich baten, doch schließlich sagte ich ihnen, sie sollten sich selbst bedienen. Fünf Minuten später waren meine beiden Pferde von ihrer zusätzlichen Last befreit. Alles Fleisch war verteilt, und in den nächsten Stunden waren die Menschen im Camp damit beschäftigt, das Fleisch voller Dankbarkeit zuzubereiten und zu essen.”10

Ephraim Hanks wurde durch Gehorsam gegenüber den Eingebungen des Geistes ein wahrer Held, als er sich allein durch den bitteren Winter kämpfte, um das Leben vieler Pioniere zu retten. Weil er auf die Eingebungen des Geistes hörte und dem Rat seiner Brüder gehorchte, wurde er für jene verzweifelten, hungernden Pioniere zu einer befreienden Kraft.

Freiheit und Unabhängigkeit sind kostbare Geschenke, die wir bekommen, wenn wir den Gesetzen Gottes und den Eingebungen des Geistes gehorsam sind. Wenn wir der Zerstörung entgehen wollen ­ denken wir nur an das Schicksal von Präsident McKays Pferd Dandy und seines Begleiters ­ müssen Zäune und Schutzgeländer aufgestellt werden, die wir nicht überschreiten können. Die Zäune, innerhalb deren Grenzen wir uns aufhalten müssen, sind die Prinzipien der wiederhergestellten Wahrheit. Gehorsam ihnen gegenüber macht uns wirklich frei, so daß wir das Potential und die Ehre erreichen können, die der himmlische Vater für einen jeden von uns vorgesehen hat.

Ich bezeuge euch, daß Gehorsam wichtig ist. Ich gebe euch, meine Brüder, ebenfalls Zeugnis, daß die prophetische Vollmacht auf Präsident Gordon B. Hinckley ruht, wodurch er in der Lage ist, Inspiration und Führung vom Oberhaupt dieser Kirche zu empfangen, nämlich vom Herrn und Erretter. Ich tue das im Namen des Erretters, im Namen Jesu Christi, amen.

  1. Zitiert in Rick Walton und Fern Oviatt, Stories for Mormons, (1983), 86f.

  2. Siehe Abraham 4.

  3. Persönliches Gespräch mit E. Jake Garn, 23. Februar 1999.

  4. Siehe Genesis 37:39­42.

  5. Hebräer 5:8.

  6. Nach Jacob M. Braude, Hg., Braude’s Treasury of Wit and Humor, (1964), 147.

  7. LuB 89:18.

  8. LuB 89:19.

  9. Johannes 7:17.

  10. Sidney Alvarus Hanks und Ephraim K. Hanks, Scouting for the Mormons on the Great Frontier, (1948), 132, 133, 135f, 140.