1990–1999
Gier, Egoismus und Maßlosigkeit
April 1999


Gier, Egoismus und Maßlosigkeit

Ich bin sicher, daß wir buchstäblich vor Gott darüber werden Rechenschaft ablegen müssen, wie wir unsere Mittel dafür eingesetzt haben, unseren Mitmenschen zu helfen und das Gottesreich aufzubauen.

Es heißt, das Evangelium sei dazu da, die Bedrängten zu trösten und die Getrösteten zu bedrängen. Ich habe heute vor, zu den Getrösteten zu sprechen ­ zu allen, ob reich oder arm oder zu uns, die wir uns irgendwo dazwischen befinden.

Der Herr hat gesagt: “Weh euch Reichen, … denn euer Reichtum wird euch die Seele zerfressen.”

Er hat aber auch gesagt: “Weh euch Armen, deren Herz nicht reuig … ist und … deren Augen voller Habgier sind.” 1

Viele von Ihnen kennen vermutlich dieses kleine Gebet:

“Lieber Gott,

heute habe ich noch nichts falsch gemacht. Ich habe weder getratscht noch die Geduld verloren; ich war nicht gierig, mürrisch, gemein, egoistisch oder maßlos. Aber in wenigen Minuten, o Herr, werde ich das Bett verlassen, und dann brauche ich vermutlich viel mehr Hilfe.”

Wir alle brauchen wohl viel mehr Hilfe, wenn es darum geht, unsere Gier, unseren Egoismus und unsere Maßlosigkeit zu überwinden. Präsident Brigham Young hat in seiner offenen Art gesagt: “Die ärgste Befürchtung, die ich hinsichtlich dieses Volkes hege, ist die, daß sie in diesem Land reich werden, daß sie Gott und sein Volk vergessen, bequem werden und der Kirche den Rücken kehren; … meine größte Befürchtung ist die, daß sie Reichtum nicht aushalten.”2

Der Wohlstand schafft uns manche echte Herausforderung, weil viele reich und immer mehr unter uns bequem werden und wir möglicherweise ­ als Folge von Gier, Egoismus und Maßlosigkeit ­ den Geist verlieren und im wahrsten Sinne des Wortes “der Kirche den Rücken kehren”.

Fast jeder macht sich Gedanken über Geld und materielle Belange. So schreibt Morris Chalfant: “Die große [Frage] des 20. Jahrhunderts lautet: Wie werde ich reich?’ Keine andere Frage nimmt im Verstand und … im Herzen … der Menschen heute mehr Platz ein als diese. Dies trifft auf Menschen in allen Lebenslagen zu.”3

Geld an sich ist nichts Schlechtes, aber die Habsucht ist, wie Paulus dem Timotheus geschrieben hat, die Wurzel aller übel.4 Es gibt etliche reiche Menschen, die mit ihrem Wohlstand gut umgehen und ihre Mittel zum Segen anderer und zum Aufbau des Gottesreichs verwenden. Reichtum bereitet jedoch vielen Menschen große Probleme.

Hier sind vier Anregungen, die wir bedenken sollten, um mit dem bedrohlichen Materialismus zurechtzukommen:

Erstens: Wir dürfen Wünsche nicht mit Bedürfnissen verwechseln.

Meine Mutter hat mir zu diesem Thema eine wichtige Lektion erteilt. Mein Vater hatte viele Jahre lang die Angewohnheit, jedes Jahr auf ein neues Auto zu wechseln. Als kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Getreidepreise anstiegen, waren wir eines Tages überrascht, als Vater in einem ziemlich teuren Auto nach Hause gefahren kam.

Eines Morgens fragte meine Mutter: “Wieviel mehr als der alte hat der neue Wagen gekostet?”

Mein Vater sagte es ihr, und sie antwortete: “Das alte Auto hat mich immer dorthin gebracht, wohin ich wollte. Wir hätten den Differenzbetrag jemand geben sollen, der ihn nötiger hat als wir.”

Und genau das taten sie. Im folgenden Jahr stieg Vater auf ein günstigeres Auto um, und die beiden blieben weiterhin großzügig.

Wenn wir uns nicht vorsehen, kann es leicht geschehen, daß unsere Wünsche zu Bedürfnissen werden. Denken Sie an die Zeilen: “Ach, kleiner Luxus, wer wird denn gleich weinen?

Schon bald wirst du allen notwendig erscheinen!”

Zweitens: Wir dürfen unsere Kinder nicht dadurch, daß wir ihnen zu viel geben, verwöhnen.

Heutzutage wachsen viele Kinder mit verzerrten Wertvorstellungen auf, weil wir Eltern sie maßlos verwöhnen. Ob wir nun zu den Wohlhabenderen gehören oder ­ wie die meisten von uns ­ nur über bescheidene Mittel verfügen, wir Eltern neigen oft dazu, unseren Kindern alles geben zu wollen, was sie sich wünschen. Wir nehmen ihnen dadurch die Segnung des Wartens, des Sich-Sehnens nach etwas, was sie nicht haben. Wir müssen unseren Kindern unter anderem etwas ganz Wesentliches beibringen, nämlich, sich selbst etwas zu versagen. Sofortige Befriedigung der Wünsche macht einen Menschen schwach. Wie viele wahrhaft große Menschen kennen Sie denn, die niemals zu kämpfen hatten?

Elder Maxwell hat diese Bedenken folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: “In Sachen Arbeit müssen sich leider nur einige wenige der ansonsten guten jungen Leute der Kirche wirklich anstrengen. Ihnen fällt alles in den Schoß. Besondere Rechte werden ihnen eingeräumt, etwa ein Auto inklusive Benzin und Versicherung ­ und für all das zahlen die Eltern, die manchmal vergebens auf ein freundliches oder anerkennendes Wort warten. All das, was auf diese Weise als selbstverständlich angesehen wird …, mehrt bei ihnen nur den Egoismus und das Gefühl, darauf ein Anrecht zu haben.”5

Eine weise junge Mutter hat gesagt: “Ich habe beschlossen, unseren Kindern nicht das zu geben, was zu geben ich mir leisten kann. Zu ihrem eigenen Nutzen halte ich mich zurück.”

Fred Gosman hat gesagt: “Kinder, die immer alles erhalten, was sie wollen, werden Wünsche äußern, solange sie leben.”6 In diesem Sinn ist es für die charakterliche Entwicklung unserer Kinder notwendig, daß sie lernen, daß die Erde sich um die Sonne und nicht um die Kinder dreht.”7 Wir müssen unsere Kinder viel eher dazu erziehen, daß sie sich fragen: “Was tue ich, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen?”

Wir leben in einer Welt voller farbenprächtiger Unterhaltung und rasanter Aktionen ­ in einer Welt, in der viele Kinder in dem Glauben aufwachsen, alles, was kein Vergnügen bereite, sei langweilig und wertlos. Sogar bei den Aktivitäten in der Familie müssen wir auf Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Vergnügen achten. Einige der wertvollsten Erinnerungen aus meiner Jugend sind jene Familienaktivitäten, bei denen wir lernten, ein Dach zu decken, einen Zaun aufzustellen oder im Garten zu arbeiten. Statt viel Arbeit und kein Vergnügen, gilt heute für viele Kinder: “Viel Vergnügen und fast keine Arbeit.”

Als Folge dieser maßlosen Verwöhnung sind viele Kinder, wenn sie groß werden, nur schlecht auf das wirkliche Leben vorbereitet. Präsident Hinckley hat gesagt: “Natürlich müssen wir für unseren Lebensunterhalt sorgen. Der Herr hat zu Adam gesagt, daß er sein Brot im Schweiße seines Angesichts essen solle, und zwar sein Leben lang. Es ist wichtig, daß wir uns qualifizieren, damit wir selbständig sind, und daß jeder junge Mann, wenn er heiratet, bereit und imstande ist, die Verantwortung für den Lebensunterhalt seiner Frau und der aus der Verbindung hervorgehenden Kinder zu übernehmen.”8

Viel zu viele junge Leute heiraten, ohne kochen oder nähen zu können oder andere wichtige Fertigkeiten, die man im Leben braucht, erworben zu haben. Diese fehlenden notwendigen Fertigkeiten ­ und dazu ein mangelndes Verständnis für den Umgang mit Geld ­ legen den Grund dafür, daß die Ehen unserer Kinder so häufig auseinander gehen.

Ich befürchte, daß wir in vielen Fällen Kinder heranziehen, die Sklaven teurer Modetrends sind. Denken Sie an die Schriftstelle: “Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.”9 Wie können wir herausfinden, wo unser Schatz ist? Wir müssen bloß feststellen, wieviel Zeit, Geld und Gedanken wir einer Sache widmen. Es wäre vielleicht ganz gut, einmal festzustellen, wie sehr wir uns auf das Einkaufen und Geldausgeben konzentrieren.

Das heißt nicht, daß unsere Kinder keine sinnvolle modische Kleidung tragen dürfen; für sie kann dies nämlich sehr wichtig sein. Aber sie brauchen keinen ganzen Schrank voll. Als Mitglieder der Kirche sollten wir uns geschmackvoll, gepflegt und schicklich kleiden. Mit guter Planung ist dies möglich, ohne daß wir dabei übermäßig viel für Kleidung ausgeben müssen.

Mehr als zehnmal warnen uns die Propheten im Buch Mormon davor, daß der Stolz auf unsere Kleidung Probleme mit sich bringt. Hier ein Beispiel dafür: “Und es begab sich: … das Volk der Kirche [fing] an, stolz zu werden ­ wegen ihres überaus großen Reichtums und ihrer feinen Seiden und ihres feingezwirnten Leinens … ; und in all dem wurden sie im Stolz ihrer Augen überheblich, denn sie fingen an, sehr kostbare Gewänder zu tragen.”10

Wir täten gut daran, gemeinsam mit unseren Kindern in allen materiellen Belangen das so oft zitierte Motto der Pioniere zu befolgen: “Was du hast, mit dem komm aus; halt’s instand und mach was draus.”

Drittens: Leben Sie, wie uns das schon so oft gesagt worden ist, bescheiden, und meiden Sie Schulden wie die Pest.

Präsident Hinckley brachte uns vor kurzem diese Aussage Präsident Heber J. Grants in Erinnerung: “Wenn es etwas gibt, was Frieden und Zufriedenheit in das Menschenherz und die Familie bringt, dann das: im Rahmen seiner finanziellen Mittel zu leben; wenn es aber etwas gibt, was zermürbend und entmutigend ist und verzagt macht, dann das: Schulden und finanzielle Verpflichtungen zu haben, denen man nicht nachkommen kann.”11

Samuel Johnson hat gesagt: “Gewöhnen Sie sich nicht daran, Schulden als bloße Unannehmlichkeit zu betrachten; Sie werden feststellen, daß sie eine Katastrophe sind.”

Wieviel Haus braucht man wirklich, um seine Familie behaglich unterzubringen? Wir dürfen uns weder geistig noch wirtschaftlich in Gefahr bringen, indem wir uns ein Haus anschaffen, das protzig ist, unserer Eitelkeit schmeichelt und weit über unsere Bedürfnisse hinausgeht.

Um selbständig und in der Lage zu sein, mit anderen zu teilen, müssen wir offensichtlich über gewisse Mittel verfügen. Wer im Rahmen seiner finanziellen Mittel lebt und Schulden meidet, kann mehr ansammeln. Es gibt Leute mit durchschnittlichem Einkommen, die dies ihr ganzes Leben lang schaffen, und es gibt solche, die ein hohes Gehalt beziehen und nichts ansammeln. Wo liegt der Unterschied? Man muß einfach weniger ausgeben, als man einnimmt, und auf diese Weise etwas ansparen und aus Zins und Zinseszins Gewinn ziehen.

Finanzberater haben festgestellt: “Die meisten Menschen haben eine völlig falsche Vorstellung vom Reichtum. Reichtum ist nicht mit Einkommen gleichzusetzen. Wenn Sie jedes Jahr ein gutes Einkommen haben, aber alles ausgeben, werden Sie davon nicht reicher. Sie haben nur einen hohen Lebensstandard. Reichtum ist das, was Sie sparen, nicht das, was Sie ausgeben.”12

Schließlich: Seien Sie beim Geben und Teilen großzügig.

Je mehr unser Herz und unsere Gedanken darauf gerichtet sind, denen zu helfen, denen es weniger gut geht als uns, desto mehr werden wir die Auswirkungen von Gier, Egoismus und Maßlosigkeit, die uns geistig vergiften, meiden können. Unsere finanziellen Mittel sind eine Treuhandschaft und kein Besitz. Ich bin sicher, daß wir buchstäblich vor Gott darüber werden Rechenschaft ablegen müssen, wie wir unsere Mittel dafür eingesetzt haben, unseren Mitmenschen zu helfen und das Gottesreich aufzubauen.

Der Prophet Jakob hat uns dazu, wie wir Reichtum erwerben und wofür wir ihn verwenden sollen, einen hervorragenden Rat gegeben:

“Aber ehe ihr nach Reichtum trachtet, trachtet nach dem Reich Gottes!

Und wenn ihr in Christus Hoffnung erlangt habt, dann werdet ihr Reichtümer erlangen, wenn ihr danach trachtet; und ihr werdet danach trachten zu dem Zweck, Gutes zu tun ­ die Nackten zu kleiden und die Hungrigen zu speisen und die Gefangenen freizusetzen und euch der Kranken und Bedrängten hilfreich anzunehmen.”13

Wir sollen nicht nur einen ehrlichen Zehnten zahlen, sondern auch großzügig die Armen unterstützen. Wieviel sollen wir geben? Mir gefallen die Gedanken von C. S. Lewis zu diesem Thema. Er hat gesagt: “Ich fürchte, die einzig sichere Regel ist die, mehr zu geben, als wir uns eigentlich leisten können. Wenn unsere Mildtätigkeit uns nicht im geringsten schmerzt oder schwerfällt, … dann spenden wir zu wenig. Es sollte immer noch etwas geben, was wir gern täten, uns aber versagen müssen, weil unsere Mildtätigkeit uns davon abhält.”14

Es gibt viele gute Menschen und viele gute Zwecke, für die wir spenden können. Wir sollen großzügig für den Fastopferfonds und den humanitären Fonds der Kirche spenden. Wenn wir wollen, daß unsere Familie ein sinnvolles, erfülltes Leben lebt, müssen wir den Mut haben, ganz ehrlich zu erforschen, wo sich unser Schatz befindet, und die Gefahren von Gier, Egoismus und Maßlosigkeit meiden.

Denken wir alle daran:

  • Erstens: Wünsche nicht mit Bedürfnissen verwechseln.

  • Zweitens: Unsere Kinder nicht verwöhnen.

  • Drittens: Bescheiden leben und Schulden meiden.

  • Viertens: Großzügig geben.

Im Grunde genommen geht es in unserem Glauben um das Geben. Jetzt zur Osterzeit besinnen wir uns wieder einmal darauf, daß “Gott, [unser himmlischer Vater], die Welt so sehr geliebt [hat], daß er seinen einzigen Sohn hingab”, 15 der auf diese Erde kam und allen materiellen Besitz hätte haben können, jedoch statt dessen aus freien Stücken uns allen ein einfaches Leben vorgelebt hat, völlig frei von Gier, Egoismus oder Maßlosigkeit. Mögen wir täglich danach streben, mehr so zu leben wie er, der uns das beste Beispiel für ein Leben voller Tiefe und Bedeutung gegeben hat.

Ich bezeuge: Jesus ist der Messias, dies ist seine Kirche, die von lebenden Propheten geführt wird, und sein Grab war am dritten Tag wirklich leer. Im Namen Jesu Christi, amen.

  1. LuB 56:16,17.

  2. Zitiert in Bryant S. Hinckley, The Faith of Our Pioneer Fathers (1956), 13.

  3. Morris Chalfant, “The Sin of the Church”, Wesleyan Methodist; zitiert von John H. Vandenberg, Improvement Era, Dezember 1965, 1154.)

  4. Siehe 1 Timotheus 6:10.

  5. BYU Devotional, 12. Januar 1999.

  6. Fred Gosman, Spoiled Rotten: American Children and How to Change Them (1992), 32.

  7. Gosman, Spoiled Rotten, 11 und Klappentext.

  8. Der Stern, Februar 1991, 4.

  9. Matthäus 6:21.

  10. Alma 4:6.

  11. Siehe Relief Society Magazine, Mai 1932, 302.

  12. Thomas J. Stanley und William D. Danko, The Millionaire Next Door (1996), 1.

  13. Jakob 2:18,19.

  14. Siehe C. S. Lewis, Mere Christianity (1952), 67.

  15. Siehe Johannes 3:16.