1990–1999
Das Gebet
April 1993


Das Gebet

Schon das Beten selbst kann uns ändern und reinigen, und zwar jeden persönlich und uns als Gruppe.

ALS unsere ältesten Kinder noch klein waren, haben wir hier in Salt Lake City an einer vielbefahrenen Straße gewohnt. Meine Frau, Verla, und ich haben uns damals große Sorgen wegen der Gefahr gemacht, die diese Straße für unsere Kinder darstellte, und wir haben jede Möglichkeit genutzt, ihnen klarzumachen, wie wichtig es war, der Straße fernzubleiben. Gleichzeitig haben unsere Kinder sich damals viel mit dem Tempel und mit der ewigen Familie beschäftigt. Deshalb schlössen ihre Gebete damals regelmäßig diese Bitte ein: „Bitte hilf uns, im Tempel zu heiraten und von der Straße wegzubleiben.”

Eines Tages - die Nachbarskinder, die bei uns gespielt hatten, waren gerade nach Hause gegangen - erhielt meine Frau einen Anruf von der Mutter der Kinder. Eins der Kinder hatte bei uns ein Gebet gehört und in sein Gebet zu Hause die folgende Variante aufgenommen: „Bitte hilf uns, vom Tempel wegzubleiben und auf der Straße zu heiraten.”

Dieses Gebet war ja nun nicht ganz so, wie wir es bei uns zu Hause gesprochen hatten, aber dennoch habe ich ein festes Zeugnis davon, welch wichtigen Einfluß das Beten auf unser Leben ausübt.

Der Herr legt im Buch Mormon großen Nachdruck auf das Beten. Er hat mehrmals selbst mit den Nephiten und für sie gebetet.

Und im Anschluß daran hat er sie aufgefordert, seinem Beispiel nachzueifern:

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr müßt immer wachen und beten, damit ihr nicht vom Teufel versucht und von ihm gefangengeführt werdet.

Und wie ich unter euch gebetet habe, so sollt auch ihr in meiner Kirche beten, unter meinem Volk, wenn es umkehrt und sich in meinem Namen taufen läßt. Siehe, ich bin das Licht; ich habe euch ein Beispiel gesetzt.” (3 Nephi 18:15,16; siehe auch 3 Nephi 18:24; 19:17-34; 27:21.)

Christus ermahnt die Nephiten wenigstens zehnmal ausdrücklich, in seinem Namen zum Vater zu beten (siehe 3 Nephi 18:19; 13:6-9; 14:11; 17:3; 18:20,21,23; 20:31; 21:27; 27:2-7,9,28).

Christus hat gelehrt, daß das Beten auf dem Weg zur Vollkommenheit immer unerläßlich ist, ganz besonders aber am Anfang. Er hat zum Beispiel erklärt, einer der wesentlichen Gründe für die Wiederherstellung des Evangeliums sei der, daß das zerstreute Israel im Namen Christi zum Vater beten könne:

„Ja, das Werk wird unter allen Zerstreuten meines Volkes beginnen, beim Vater, um den Weg zu bereiten, so daß sie zu mir kommen können, so daß sie in meinem Namen den Vater anrufen können.” (3 Nephi 21:27; Hervorhebung hinzugefügt.)

Außerdem erklärte er, daß wir in der Kirche für diejenigen beten sollen, die die Kirche untersuchen (siehe 3 Nephi 18:23-30). Er forderte diejenigen, die seine Worte gehört hatten, auf, darüber nachzusinnen und den Vater in seinem Namen um einen tieferen Einblick zu bitten (siehe 3 Nephi 17:3). Und natürlich hat er uns gezeigt, daß auch ein vollkommener Mensch, wie zum Beispiel er selbst, ständig beten soll.

Auf jeder Ebene des Fortschritts, der uns dem himmlischen Vater ähnlicher werden läßt, ist das Beten ein notwendiger Schritt. Christus fordert uns auf, oft zu beten, wenn wir einmal von seiner Güte gekostet haben im stillen, in unserer Familie, in der Kirche und im Herzen, wobei wir immer ausdrücklich um das bitten, was wir brauchen - und sagt uns: „Und alles, was ihr den Vater in meinem Namen bittet - sofern es recht ist und ihr darauf vertraut, daß ihr es empfangen werdet -, siehe, das wird euch gegeben werden.” (3 Nephi 18:20.)

Christus hat den Nephiten auch erklärt, das Beten sei mehr als bloß ein Mittel, an der Großzügigkeit des Vaters im Himmel teilzuhaben; vielmehr sei das Beten selbst sowohl ein Akt des Glaubens als auch ein Akt der Rechtschaffenheit. Durch Beten tut sich kund, wer Gott den Vater und seinen Sohn Jesus Christus verehrt. Das liegt daran, daß schon das Beten selbst uns ändern und reinigen kann, und zwar jeden persönlich und uns als Gruppe. Wie es in unserem Bibellexikon heißt: „Beim Beten geht es nicht darum, den Willen Gottes zu ändern, sondern uns und anderen Segnungen zu sichern, die Gott bereits gewähren will, die aber darauf bedingt sind, daß wir darum bitten.” (Bible Dictionary, Seite 753.)

Mit anderen Worten: das Beten schafft eine Übereinstimmung zwischen unseren Wünschen und den Wünschen des Vaters im Himmel und verschafft uns damit sowohl den Segen, nach dem wir trachten, als auch größere Einigkeit mit dem Vater. Diese Übung ist der Schlüssel zur kollektiven und persönlichen Errettung der Menschen.

Elder Hyrum M. Smith hat diesen Gedanken mit den folgenden Worten sehr schön zum Ausdruck gebracht: „Das gläubige Gebet ist das Geheimnis der Stärke der Kirche.” (Hyrum M. Smith und Janne M. Sjodahl, The Doctrine and Covenants Commentary, rev. Ausgabe, Salt Lake City, 1972, Seite 194.)

Ich habe das am eigenen Leib erfahren. Als wir in Kalifornien lebten, wurde einer unserer Söhne bei einem Autounfall schwer verletzt. Er hatte schlimme Schädelfrakturen erlitten, und die Ärzte machten uns wenig Hoffnung auf sein Überleben. Drei Tage nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus zog er sich noch eine Hirnhautentzündung zu, und sein Zustand wurde noch schlimmer. Da kam unser Hausarzt, der auch unser Nachbar ist, zu uns nach Hause und meinte: „Jetzt können wir nur noch beten.”

Und wir haben gebetet. Mehrere Wochen lang haben unsere Nachbarn, Freunde und Geschäftspartner gemeinsam mit uns für unseren Sohn und um Kraft für uns gebetet. Nach fast einem Monat stabilisierte sich endlich der Zustand unseres Sohnes und besserte sich dann, und schließlich wurden wir damit gesegnet, daß er sich erholte und wieder lächelte.

Ich würde niemandem so etwas wünschen, aber diese schreckliche, schwere Zeit hat uns etwas gelehrt, was Präsident Thomas S. Monson der Kirche einmal erklärt hat, nämlich: „Das Beten eröffnet uns den Zugang zu geistiger Kraft.” (Generalkonferenz, Oktober 1990.) Während der Krankheit unseres Sohnes haben wir die geistige Kraft

des Betens gesehen und gespürt! Unsere Gemeinde hatte noch nie so intensiv gebetet wie damals, und ich glaube nicht, daß die Mitglieder einander jemals näher gewesen waren. Der vereinte Glaube und die Gebete unserer Freunde waren uns eine Stütze. Und selbst als uns fast das Herz brach, weil wir befürchten mußten, daß wir unseren Sohn verloren, fühlten wir uns dem himmlischen Vater näher als jemals sonst in unserem Leben und waren uns unserer Abhängigkeit von ihm intensiv bewußt.

Die Segnungen, um die wir im Gebet bitten und die wir empfangen, sind zwar unleugbar überwältigend, aber der größte Segen und Nutzen liegt nicht in den materiellen oder geistigen Segnungen, die uns als Antwort auf unser Beten zuteil werden, sondern in dem Wandel, der in uns stattfindet, wenn wir lernen, uns beim himmlischen Vater Kraft zu holen.

Eine Mutter hat einmal das folgende Erlebnis erzählt, das diesen Gedanken veranschaulicht. Sie hat gesagt: „Manchmal, beim Essen, erheischt eins der Kinder meine Aufmerksamkeit und winkt mir - aber mit vollem Mund. Grunzend und winkend will es mir mit Handbewegungen klarmachen, daß es etwas von mir will. Ich weiß genau, daß es ein Glas Milch möchte, aber ich warte, bis es das mit Worten zum Ausdruck bringt, ehe ich es tue. Nicht deswegen, weil ich nicht verstehe, was es will, sondern weil ich es für wichtig halte, daß es lernt, sich angemessen mitzuteilen.”

Ganz ähnlich wie Eltern ihren Kindern beibringen, sich auf höfliche Weise mitzuteilen, lehrt wohl der himmlische Vater uns beten, denn schon durch das Beten selbst werden wir ein besserer Mensch. Wir verehren den Vater im Himmel als allwissend und allmächtig. Gewiß weiß er, als unser Schöpfer, um unsere Sorgen und Nöte, unsere Freude und unsere Kämpfe, auch ohne daß wir ihm davon erzählen. Er verlangt also nicht deshalb von uns, daß wir beten, weil wir ihm etwas mitteilen könnten, was er nicht schon weiß. Vielmehr verlangt er deshalb von uns, zu beten, weil sich dadurch, daß wir lernen, uns ihm wirklich mitzuteilen, unser Leben genauso formt und ändert, wie wir uns ändern, wenn wir als Kinder lernen, uns mitzuteilen.

Präsident Gordon B. Hinckley hat das folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Schon allein das Knien an sich steht im Gegensatz zu der Gesinnung, von der Paulus schreibt -, prahlerisch, überheblich, … hochmütig’.

Wenn man zu Gott betet, bekämpft man wirkungsvoll die Neigung, Gott zu lästern und sich, mehr dem Vergnügen als Gott’ zuzuwenden.

Die Neigung, ohne Ehrfurcht und undankbar zu sein, läßt sich überwinden, wenn die Familie dem Herrn für das Leben, den Frieden und alles dankt, was sie hat.” (Der Stern, September 1991, Seite 4.)

Außer der Teilnahme an den heiligen Handlungen des Evangeliums gibt es nichts, was unser geistiges Leben so sehr erneuern und uns einen besseren Einblick in unseren Stand vor dem himmlischen Vater vermitteln kann, wie das Beten. Wenn wir uns demütigen, um uns an unseren Gott zu wenden, und über seine Gnade und große Liebe zu uns nachsinnen, werden wir ein heiligeres und ehrfürchtigeres Volk und können die Segnungen, die er bereitwillig über uns ausgießt, besser empfangen. Das gläubige Gebet ist wahrhaftig das Geheimnis der Stärke der Kirche.

Ich bezeuge, daß Gott lebt, daß Jesus der Messias ist, daß Joseph Smith der Prophet der Wiederherstellung war. Ezra Taft Benson ist unser Prophet. Die goldenen Platten des Buches Mormon gibt es wirklich, und Moroni und viele weitere Engel, die Joseph Smith auf sein Beten hin unterwiesen haben, hat es wirklich gegeben. Die Wiederherstellung des Priestertums ist wirklich und hat in Ewigkeit Bestand. Es ist die Kraft, die die gottgegebenen heiligen Handlungen wie die Taufe und die Siegelung, die heute in der Kirche vollzogen werden, gültig macht. Die Erste Präsidentschaft und die Zwölf Apostel sind Propheten, Seher und Offenbarer. Das bezeuge ich im Namen Jesu Christi. Amen