1990–1999
Frieden durch Beten
April 1993


Frieden durch Beten

Das wunderbare am Beten sehe ich darin, daß Gott in der verborgenen, stillen Kammer unseres Herzens Gebete erhört und beantwortet.

Im Namen der Siebzigerpräsidentschaft heiße ich Bruder Todd Christofferson und Bruder Neu Anderson in den Reihen der Siebziger willkommen. Wir freuen uns darauf, mit Ihnen zu dienen.

Von dieser Kanzel im Tabernakel haben wir schon viele inspirierte Ansprachen über das Gebet gehört. Heute füge ich mein Zeugnis von der Segnung des Friedens, die durch die wundersame Macht des Betens kommt, hinzu. Alexandre Dumas schreibt in seinem Klassiker Der Graf von Monte Christo: „Für den glücklichen Menschen ist das Gebet nur ein Wirrwarr von Worten, bis zu dem Tag, da das Leid ihn die erhabene Sprache verstehen läßt, mit der er zu Gott spricht.”

Meine frühe Jugend war glücklich und sorgenfrei bis zu dem Tag, an dem Sorge und großes Leid mich Gott in demütigem und aufrichtigem Gebet näherbrachten. Im Sommer meines dreizehnten Lebensjahres, an einem warmen Abend im Juli, traf ich mich mit einigen Freunden aus der Nachbarschaft, um Feuerwerkskörper abzubrennen. Wir waren zu fünft und wechselten uns dabei ab, das farbenfrohe Sortiment der Leuchtkugeln, Raketen und Feuerwerkskörper anzuzünden. Jedesmal war es eine Überraschung, wie sie laut und leuchtend am Abendhimmel explodierten.

Nicht alle unsere Feuerwerkskörper funktionierten wie vorgesehen. Die meisten waren Blindgänger. Sie sprühten nur kurz und gingen dann aus. Wir legten die Blindgänger zur Seite, bis wir alle anderen Feuerwerkskörper ausprobiert hatten. Es waren sehr viele Versager übrig, daß wir überlegten, was man wohl sonst noch damit tun konnte. Wir konnten sie doch nicht einfach wegwerfen! Was würde geschehen, wenn man alles Schwarzpulver herausholen und in eine Schachtel geben würde? Wir könnten ein Streichholz hineinwerfen und es fürchterlich knallen lassen.

Glücklicherweise schlug dieser Plan fehl - jedenfalls zunächst. Das Streichholz flog hinein, und wir liefen weg und warteten. Nichts geschah. Unser Glück herausfordernd probierten wir es noch einmal; wir benutzten eine selbstgebastelte Lunte aus Zeitungspapier. Wiederum warteten wir gespannt in sicherer Entfernung, was wohl passieren würde. Wieder passierte zu unserem Glück nichts. Hier hätten wir aufhören sollen. Dummerweise versuchten wir es noch einmal. Diesmal hockten mein Freund Mark und ich uns dicht an die Schachtel, damit der abendliche Wind das Feuer nicht ausblasen konnte.

Dann passierte es! Die große Explosion, die wir eigentlich wollten, fuhr uns genau ins Gesicht. Sie war so stark, daß sie uns umwarf, und die Flammen des entzündeten Schwarzpulvers verbrannten uns schwer. Es war ein trauriges Bild. Die Mutter unseres Freundes hörte uns vor ihrem Haus schreien und holte uns schnell hinein. „Zuerst beten wir”, sagte sie, „und dann rufen wir den Arzt.”

Das war das erste von vielen Gebeten, die für uns gesprochen wurden. Kurz danach fühlte ich, wie mir Gesicht, Hände und Arme bandagiert wurden. Ich hörte, wie mein Vater und der Arzt mir einen Priestertumssegen gaben. Oft hörte ich, wie meine Mutter den himmlischen Vater bat, daß ihr Sohn wieder sehen möge.

Ich habe von klein auf gelernt, zu beten. Mutter und Vater hatten das Beten zu einem wichtigen Teil unseres Familienlebens gemacht. Bis dahin ist es mir aber nie so wichtig gewesen. In diesen angsterfüllten Augenblicken fand ich Frieden und Trost im Gebet.

Vor kurzem sagte mein Freund und Kollege, Elder Clinton Cutler, aus eigener Erfahrung von Schmerz und Leid: „Der Friede des Herrn kommt nicht ohne Schmerz, aber im Schmerz.”

Unser Vater im Himmel hat uns Frieden in Prüfungen versprochen, und er hat einen Weg bereitet, wie wir uns in unserer Not an ihn wenden können. Er hat uns die Macht des Betens gegeben. Er hat uns gesagt: „Bete immer!” Und er hat versprochen, seinen Geist über uns auszugießen (siehe LuB 19:38).

Zu unserem Glück können wir ihn immer und überall anrufen. Wir können in stillen Gedanken und aus der Tiefe des Herzens zu ihm sprechen. Man hat gesagt: „Das Gebet besteht aus den Regungen des Herzens und dem gerechten Verlangen der Seele.” (James E. Talmage, Jesus der Christus, Seite 196.) Unser himmlischer Vater hat uns wissen lassen, daß er unsere Gedanken und Herzensabsichten kennt (siehe LuB 6:16).

Präsident Marion G. Romney hat gesagt: „Manchmal gibt der Herr uns die Antwort auf unser Beten ein. … [Er] gibt unserem Denken Frieden.” (Gebietskonferenz Taiwan, 1975.)

Als Oliver Cowdery im Gebet wissen wollte, ob die Übersetzung der Platten durch Joseph Smith richtig sei, antwortete der Herr: „Habe ich dir nicht in dieser Angelegenheit Frieden zugesprochen? Was für ein größeres Zeugnis kannst du denn haben, als eines von Gott?” (LuB 6:23.)

Der Friede, den Gott uns zuspricht, läßt uns wissen, ob unsere Entscheidungen richtig und wir auf dem richtigen Weg sind. Das kann durch persönliche Inspiration und Führung zu Hause und bei der Arbeit geschehen. Wir können daraus den Mut und die Hoffnung gewinnen, mit denen wir uns den Herausforderungen des Lebens stellen können. Das wunderbare am Beten sehe ich darin, daß Gott in der verborgenen, stillen Kammer unseres Herzens Gebete erhört und beantwortet.

Die vielleicht größte Prüfung unseres Glaubens und der schwierigste Teil des Betens besteht darin, die Antwort zu erkennen, die in Gedanken oder als Gefühl zu uns kommt, und dann das zu akzeptieren und darauf zu reagieren, was Gott uns mitteilt. Beständiges Beten verbunden mit Suchen in der heiligen Schrift und Befolgen der Worte der lebenden Propheten hält uns in Übereinstimmung mit dem Herrn und befähigt uns, die Eingebungen des Geistes leichter auszulegen. Der Herr hat nämlich gesagt: „Lerne von mir, und höre meinen Worten zu, wandle in der Sanftmut meines Geistes, dann wirst du Frieden haben in mir.” (LuB 19:23.)

Vor einigen Tagen nahm ich an der Beerdigung von Ralph Poulsen teil, eines Mannes, mit dem ich mein Leben lang befreundet war. Er war ein rechtschaffener Mann, der viel erreicht hat und integer war; dennoch mußte er den Schmerz und das Leid einer schrecklichen Krankheit ertragen. Seine liebe Frau, Joyce, litt auch, da sie ihm in Schmerz und Agonie zur Seite stand. Die Tage und Jahre des Leidens zogen sich dahin, und es kam der Punkt, an dem sie glaubte, es ginge nicht mehr weiter. Sie hatte für ihn alles getan, was in ihrer Kraft stand. Jetzt aber brauchte sie mehr Kraft, als sie selbst besaß. Aus tiefem Leid bat sie Gott noch inniger um Hilfe. Am Morgen kam ein Friede, der ihre Seele erfüllte - ein Friede, der noch heute bei ihr weilt.

Es gibt in dieser Welt schreckliches Leid. Guten Leuten passieren tragische Dinge. Gott veranlaßt das nicht, er verhindert es aber auch nicht immer. Er stärkt uns jedoch und segnet uns mit Frieden, der durch aufrichtiges Beten kommt.

„Es ist normalerweise nicht der Zweck des Betens, uns wie Aladins Wunderlampe zu dienen, uns nämlich Abhilfe zu schaffen, ohne daß wir uns bemühen müssen”, schreibt Richard L. Evans. „Beten besteht nicht nur aus bitten. Es sollte nicht nur wie die offene Hand des Bettlers sein. Oft liegt der Sinn des Betens darin, uns Kraft zu geben, um das zu tun, was getan werden muß; uns die Weisheit zu geben, zu erkennen, wie wir unsere Probleme lösen können; uns fähig zu machen, unsere Aufgaben so gut wie nur möglich zu erfüllen.

Wir müssen beten … [und zwar] um die Kraft, auszuharren, sowie um den Glauben und das Durchhaltevermögen, die dazu nötig sind, uns dem Unausweichlichen zu stellen. (Richard L. Evans, The Man and the Message, Seite 289.)

Der Erretter hat uns durch sein eigenes Beispiel gelehrt, wie man Frieden finden kann, falls die Antwort auf unser Beten nicht so ist, wie wir es gern hätten. Am Vorabend seiner Kreuzigung kniete Jesus im Garten von Getsemani; er war sehr betrübt und betete zum Vater: „Mein Vater, wenn es möglich ist [ihm war klar, daß für Gott nichts unmöglich ist], gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.” (Matthäus 26:39; siehe auch Markus 14:36.)

Wir können nur versuchen, uns den Schmerz des Erretters vorzustellen, wenn wir in den Evangelien lesen, daß ihn „Furcht und Angst” ergriffen (Markus 14:33), daß er sich zu Boden warf und nicht einmal, sondern ein zweites und dann ein drittes Mal betete (siehe Matthäus 26:39,42,44). „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir. Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.” (Lukas 22:42.)

Wir können uns den Schmerz eines liebenden Vaters nicht vorstellen, der genau wußte, was zu tun war, und doch das Angebot seines Sohnes annahm, für die Menschen zu leiden. Christus war in diesem Leiden nicht allein. Als ob der Vater sagen wollte: Ich kann es dir nicht ersparen, aber ich sende dir Kraft und Frieden - „Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und gab ihm (neue) Kraft.” (Lukas 22:43.)

Wenn wir, wie der Erretter, genug Glauben haben, uns auf den Vater im Himmel zu verlassen und uns seinem Willen zu unterwerfen, dann wird der wahre Geist des Friedens uns Kraft geben und uns bezeugen, daß er unser Beten tatsächlich erhört und beantwortet hat.

Wenn wir uns gegen die Inspiration Gottes sträuben und uns abwenden, sind wir unserer eigenen Verwirrung überlassen und finden keinen Frieden.

Manchmal, wenn unser Beten nicht so beantwortet wird, wie wir es gern hätten, haben wir vielleicht den Eindruck, der Herr hätte uns abgewiesen und unser Beten sei vergebens gewesen. Wir beginnen daran zu zweifeln, daß wir vor Gott würdig sind, und wir zweifeln sogar an der wirklichen Macht des Betens. Dann müssen wir weiter beten, und zwar mit Geduld und Glauben, und empfänglich für diesen Frieden sein.

Nach dem Vorfall, bei dem ich Verbrennungen erlitt, hatte ich das sichere Gefühl, daß ich gesund werden würde. Vom Augenblick des ersten Gebetes bei meinem Freund zu Hause fühlte ich diesen tröstlichen Frieden. Als der Arzt meine Verbrennungen behandelte, summte ich ein Kirchenlied vor mich hin, dessen Text mir Trost spendete:

Wenn dich Prüfung überfallen, sprachst du dein Gebet? … O, das Beten bringt den Frieden dir ins Herz, und wies auch geht, unter Freud und Sturm hienieden, denke ans Gebet. (Gesangbuch, Nr. 14.)

Jeden Tag, wenn der Arzt meine Verbände wechselte, fragte meine Mutter: „Kann er sehen?” Viele Tage lang war die Antwort immer dieselbe: „Nein, noch nicht.” Endlich, als die Verbände endgültig abgenommen wurden, kehrte mein Augenlicht langsam zurück. Ich hatte diesem Tag mit banger Erwartung entgegengesehen. Der Friede und der Trost, die ich zuvor empfunden hatte, gaben mir die Gewißheit, daß alles gut werden würde. Als ich jedoch genug sehen konnte, um meine Hände und mein Gesicht zu erkennen, erschrak ich vor dem, was ich unerwarteterweise zu sehen bekam. Ich war schrecklich enttäuscht, denn es war nicht alles gut. Meine vernarbte und entstellte Haut stürzte mich in große Angst und Zweifel. Ich weiß noch, daß ich dachte: So eine Haut kann durch nichts heilen nicht einmal durch den Herrn.

Aber ich und auch andere Menschen beteten weiter, und ich spürte, wie Glaube und Frieden wiederkamen. Mit der Zeit wurden meine Augen und meine Haut wieder heil. Auch meine Freunde von damals wurden vollständig geheilt.

Mögen wir alle danach trachten, durch Beten die wunderbare Gabe des Friedens vom Herrn zu erlangen. Mögen wir nicht vergessen zu beten.

Ich stimme Alma zu, der gesagt hat: „Möge der Friede Gottes auf euch ruhen … von jetzt an und immerdar.” (Alma 7:27.)

Mit diesem Zeugnis des Friedens, der durch das Beten kommt, bezeuge ich, daß es Jesus Christus wirklich gibt, und auch seinen Vater und den Heiligen Geist, der unser Leben auf die gleiche wunderbare Weise leiten wird, nämlich durch Antworten auf unsere Gebete des Glaubens. Im Namen Jesu Christi. Amen.