1990–1999
Die persönliche Gottesverehrung im Tempel
April 1993


Die persönliche Gottesverehrung im Tempel

Noch erhabener als der Tempel selbst ist der Einblick in den Sinn und Zweck des Tempels. … nämlich, alle Menschen zu erlösen, die den Gesetzen und Geboten Gottes gehorsam sind.

Ich freue mich mit Ihnen allen über die Bestätigung unserer Kirchenführer. Wir heißen Bruder Neu Andersen und Bruder Todd Christofferson als neue Generalautoritäten willkommen. Unser Herz ist von Dankbarkeit für das kontinuierliche Wachstum der Kirche erfüllt, das sich an den vielen neuen Mitgliedern und der wachsenden Zahl von Missionaren, Tempeln, Gemeindeund Pfahlhäusern zeigt. Wir wachsen, und wir werden auch weiterhin wachsen, wenn wir auf die Menschen zugehen und denen, die nach Hoffnung und Errettung suchen, behilflich sind.

Allen steht die Botschaft offen, daß Jesus Christus buchstäblich der Sohn Gottes und unser Erlöser ist, durch den die Errettung kommt, daß Joseph Smith in unserer Zeit die Erkenntnis von Christus und von der Errettung offenbart hat, daß das Buch Mormon ein Zeuge der göttlichen Natur Christi ist und daß die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage die Kirche des Herrn auf Erden und die einzige Organisation ist, die die Vollmacht besitzt, das Evangelium zu lehren und die heiligen Handlungen des Evangeliums zu vollziehen. Wir fordern alle

auf, an den Segnungen, die dadurch möglich sind, teilzuhaben.

Heute ist der letzte Tag, an dem die Öffentlichkeit den neuen Tempel in San Diego in Kalifornien noch besichtigen kann. Wenn sich die Tore heute abend schließen, werden über siebenhunderttausend Menschen diese Gelegenheit wahrgenommen haben.

Die ersten zwei Besichtigungstage waren führenden Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, Geistlichen anderer Glaubensgemeinschaften, Führern aus der Geschäftswelt und dem Bildungswesen sowie den Medien und der Presse vorbehalten. Mehrere hundert haben die Einladung angenommen. Ich durfte gemeinsam mit anderen die Gäste willkommen heißen, zu ihnen sprechen und ihre Fragen beantworten.

Früh am Morgen des ersten Tages standen diese geladenen Gäste ungeachtet des Regens Schlange, um das Haus des Herrn betreten zu dürfen. Leise und andächtig gingen sie durch den Tempel und staunten über die architektonische Schönheit und die Einrichtung, die einem Haus des Herrn angemessen ist. Sie waren gekommen, um mit eigenen Augen zu sehen, wovon sie gehört und gelesen hatten.

Rabbi Wayne Dosick schrieb in der San Diego Jewish Times:

„Der Tempel ist … aus irdischen Materialien erbaut, aus denen ein Ort geschaffen worden ist, der zu himmlischer Ehrfurcht inspiriert. Dieser Mormonentempel ist mit seiner hinreißenden Architektur ein ehrfurchteinflößender Ort, der an den Himmel denken läßt.” Und weiter: „Wir danken ihnen, daß sie uns daran erinnern, welch heiliger Ort ein bloßes Gebäude sein kann.” („Open House Update”, San Diego Jewish Times, 20. März 1993.)

Wir haben im Zuge dieser Besichtigungstage von vielen rührenden Begebenheiten gehört. Zahllose Herzen sind zutiefst berührt. Über achttausend behinderte Menschen kamen im Rollstuhl; sie brachten ihre Verwandten und Freunde mit, die ihnen halfen. Ein kleiner Sohn hielt am Eingang zum Tempel an, um den Rollstuhl, in dem sein Vater saß, noch sorgfältig zu putzen und zu polieren, ehe er in das heilige Innere des Tempels kam. Ein liebender Vater hob seine zerbrechliche fünfzehnjährige Tochter aus dem Rollstuhl hoch und trug sie ins Brautzimmer. Sie sah sich um und sagte: „Ach, hier ist es so schön.” Mit einem Lächeln auf den Lippen und mit Tränen in den Augen legte sie zärtlich den Kopf auf die Schulter ihres Vaters und sagte: „Hierher möchte ich einmal kommen, um zu heiraten.” Dieses junge Mädchen war aus dem Krankenhaus zum Tempel gekommen, wo sie den größten Teil der letzten fünf Jahre verbracht hatte - und ihr Wunsch, den Tempel zu sehen, war in Erfüllung gegangen.

Wer den Tempel besichtigt hat, war nicht nur von seiner Schönheit berührt, sondern aus den Briefen und Gesprächen ging auch hervor, daß viele tiefe Ehrfurcht empfanden und zutiefst berührt waren.

Seit über hundert Jahren haben die vielen Besucher, die hierher auf den Tempelplatz kommen, das gleiche Gefühl, wenn sie die Erhabenheit und unübertreffliche Schönheit des Salt-Lake-Tempels sehen. Hundert Jahre nach seiner Weihung steht er stolz als königliches Monument des Glaubens und Fleißes und der Weitsicht der Heiligen Gottes da, die ihn errichtet haben.

Aber noch erhabener als der Tempel selbst ist der Einblick in den Sinn und Zweck des Tempels, der damals die Erbauer geleitet hat, nämlich, alle Menschen zu erlösen, die den Gesetzen und Geboten Gottes gehorsam sind.

Das Evangelium wurde in seiner Fülle Adam offenbart, und zweifellos entstammen alle religiösen Bräuche den Überbleibseln der Wahrheit, die Adam erhielt. Manche religiösen Bräuche aus der damaligen Zeit sind zweifellos durch die Überlieferung über die Jahre hinweg verfälscht worden. Aber die treuen Mitglieder der Kirche, die um die ewige Natur des Evangeliums wissen - und um Gottes heilige Absicht, das ewige Leben des Menschen zustande zu bringen - wissen genau, warum sich die Menschheitsgeschichte um den Bau und die Nutzung von Tempeln dreht. (Siehe John A. Widtsoe, „Temple Worship”, Utah Genealogical and Historical Quarterly, April 1921, Seite 53f.)

Die Heiligen hatten in allen Zeitaltern Tempel in irgendeiner Form. Es gibt Hinweise darauf, daß die Gottesverehrung im Tempel von Adam bis Noach üblich war und daß nach der Sintflut das heilige Priestertum weiterbestand; wir haben deshalb allen Grund zu der Annahme, daß die heiligen Handlungen des Tempels denen, die ein Anrecht darauf hatten, offenstanden (siehe Widtsoe, „Temple Worship”, Seite 52).

Der Herr hat „Mose geboten, eine Wohnstätte zu bauen, die man in der Wildnis mitführen konnte, und im Land der Verheißung ein Haus zu bauen, damit diese Verordnungen, die schon, noch ehe die Welt war, verborgen wurden, offenbart werden konnten” (LuB 124:38).

In Exodus unterweist der Herr den Mose bis in die kleinste Einzelheit darin, welche Bedingungen er beim Bau des Offenbarungszelts zu beachten hat. „Es handelte sich zwar nur um ein Zelt, aber es war kunstvoll eingerichtet und mit dem Kostbarsten versehen, das die Menschen besaßen.” (James E. Talmage, Artides ofFaith, Salt Lake City, 1984, Seite 138f.)

Es sollte tragbar sein, damit die Israeliten es auf ihrer Wanderung mitnehmen konnten, und über fünfhundert Jahre erfüllte es ihre geistigen Bedürfnisse. Nützlichkeit und ehrfurchtgebietende Pracht vereinten sich in der Konstruktion dieses einzigartigen Bauwerks. Das galt auch für Salomos Tempel - der nach dem Offenbarungszelt das dauerhafte Heiligtum des Herrn wurde und es gilt für die Tempel, die heute, mit seiner Vollmacht, errichtet werden.

Im alten Israel war der Tempel der Mittelpunkt des Gemeinwesens. Er ist eine Institution, die schon in uralter Zeit bestand.

Der Tempel dient unter anderem dazu, einen Ort zu schaffen, wo durch den Vollzug der notwendigen errettenden heiligen Handlungen durch lebende Stellvertreter die Erlösung der Toten ermöglicht wird.

Mit der überirdischen Aufgabe, die Toten zu erlösen, geht eine große Verantwortung einher. In der Ansprache anläßlich der Beerdigung seines guten Freundes, King Follett, hat Joseph, der Prophet, gesagt: „Die wichtigste Aufgabe, die Gott uns in dieser Welt auferlegt, besteht darin, daß wir nach unseren Toten forschen.” (Lehren des Propheten Joseph Smith, Seite 362.)

Solange wir keinen wirklichen Einblick in dieses große Werk der Letzten Tage haben und nicht wissen, wie wir vorgehen sollen, stellen wir uns das Forschen nach unseren

verstorbenen Vorfahren vielleicht so vor, daß wir uns mit verstaubten Büchern und mit Mikrofilmen herumquälen und jahrelang forschen müssen.

Das Family History Department der Kirche hat die Lebensdaten von rund zwei Milliarden Menschen mikroverfilmt. Wir müssen nur hoffen, daß die Unterlagen über einen bestimmten verstorbenen Vorfahren vorhanden sind, und sie dann suchen.

Ja, es ist nicht immer leicht. Aber behalten Sie bei Ihrer Suche immer die drei folgenden Grundsätze im Sinn:

Erstens: Der Herr verlangt nie etwas Unmögliches. Oft etwas Schweres, aber niemals etwas Unmögliches.

Manch einer hat das Gefühl, er habe sich bei der Aufgabe, Angaben zu seinen Vorfahren zu suchen, gewissenhaft um den Geist bemüht; wenn er dann das Gesuchte nicht findet, schreibt er das seinem mangelnden Glauben zu. Wenn es Ihnen auch schon so ergangen ist, dann haben Sie Geduld. Geben Sie dem Herrn noch Zeit. Glauben Sie daran, daß Sie, wenn er es für richtig hält, alle Angaben erhalten werden, die Sie brauchen. Und bitten Sie inzwischen den Herrn, Ihre Aufmerksamkeit anderen Vorfahren zuzulenken, zu denen Sie leichter die Angaben finden können.

Es steht Ihnen noch eine weitere wertvolle Hilfsquelle offen. In Ihrer Gemeinde und Ihrem Pfahl gibt es jetzt kenntnisreiche Fachberater für Genealogie, die Ihnen beim Forschen nach Ihren Vorfahren behilflich sind.

Zweitens: Fangen Sie dort an, wo Sie sind. Gehen Sie einen Schritt nach dem anderen. Sie kennen wichtige Angaben zum Leben Ihrer Eltern. Schreiben Sie diese Angaben auf, und gehen Sie dann zurück, immer nur eine Generation auf einmal, und halten Sie dabei Ausschau nach Vorfahren, die noch nicht getauft sind, die Begabung noch nicht empfangen haben und noch nicht gesiegelt sind.

Drittens: Versuchen Sie nicht, alles auf einmal zu machen. König Benjamin hat gesagt: „Und seht zu, daß dies alles in Weisheit und Ordnung geschieht; denn es ist nicht erforderlich, daß der Mensch schneller laufe, als er Kraft hat.” (Mosia 4:27.)

Überlegen Sie gebeterfüllt, was Sie für Ihre Vorfahren tun sollen. Dafür sind viele Faktoren maßgeblich - was andere in der Familie bereits getan haben, Ihre Fähigkeiten und Interessen, die Zeit, die Ihnen zur Verfügung steht. Aber es ist wichtig, daß Sie überhaupt etwas tun.

Der regelmäßige Besuch des Tempels ist eine der einfachsten Möglichkeiten, für diejenigen, die in der Geisterwelt warten, etwas zu tun. Wenn Sie in der Nähe eines Tempels leben, dann nehmen Sie doch die Möglichkeit wahr, oft und regelmäßig hinzugehen. Wenn Sie etwas weiter vom Tempel entfernt leben, dann planen Sie Ihre Tempelfahrten so, daß auch Sie durch dieses so befriedigende und so notwendige Liebeswerk aufgebaut und aufgerichtet werden.

Die dreiundachtzigjährige Luella Boyd, eine Witwe, verließ ihre Wohnung in Basin, Wyoming, um fünf Uhr morgens und fuhr sieben Stunden bis zum Tempel in Idaho Falls, wo sie mittags ankam und dann noch an vier Begabungssessionen teilnahm. Am nächsten Morgen ging sie in den Tempel, sobald er aufmachte, und nahm an acht weiteren Sessionen teil. Das Mittagessen ließ sie aus. Am dritten Tag fing sie um fünf Uhr morgens an, hatte bis zum Mittag an vier Begabungssessionen teilgenommen, und fuhr dann wieder zurück nach Basin, wo sie um acht Uhr abends ankam. Sechzehn Sessionen - sechshundert Meilen - drei Tage - dreiundachtzig Jahre alt! In einem Jahr schaffte sie das elfmal und mußte nur in einem Monat aussetzen, weil das Wetter so schlecht war. Das Außergewöhnlichste an ihr ist, daß sie gerade hier in Salt Lake City als Genealogiemissionarin dient. Bedenken Sie, Schwester Boyd ist dreiundachtzig Jahre alt. Und wir meinen, wir hätten viel zu tun! Welch wunderbarer Geist, welch wunderbares Engagement! Sie gehört zu den 365 Vollzeit-Genealogiemissionaren, die hier in Salt Lake City dienen und für die diese Zeit ein großartiges geistiges Erlebnis ist.

Wenn Sie dann die Tempelarbeit für Ihre nächsten Vorfahren vollzogen haben, suchen Sie nach den Vorfahren, die schwerer zu ermitteln sind, dienen Sie in der Urkundenauswertung, oder geben Sie Ihre Familienaufzeichnungen in den Computer ein, damit Sie sie durch Ancestral File an Ihre Verwandten und andere weitergeben können. All das trägt mit dazu bei, daß Ihre Vorfahren die heiligen Handlungen des Tempels empfangen. Wenn Sie das tun, werden Sie die unbeschreibliche Freude erfahren, daß Sie für einen wartenden Vorfahren, dem Sie geholfen haben, ein Retter auf dem Berg Zion sind.

Der Herr hat seinen Geist über seine Kinder ausgegossen - was aus den neuen Technologien, den vereinfachten Verfahren und den immer neuen Hilfsmitteln ersichtlich wird, die es uns ermöglichen, bei der Erlösung der Verstorbenen schneller voranzuschreiten.

Wenn wir gewissenhaft alles getan haben, was wir können, um die Aufzeichnungen unserer verstorbenen Vorfahren zu suchen, lenkt der Herr unsere Aufmerksamkeit auf verborgene Aufzeichnungen an unwahrscheinlichen Orten, wo Angaben über unsere Vorfahren erhalten geblieben sind.

Ein engagierter Genealogiemissionar konnte die Angaben zu einer bestimmten Frau auf dem Mikrofilm nicht lesen. Er konnte sie einfach nicht entziffern. Er kniete an seinem Arbeitsplatz nieder und bat den Herrn um Hilfe, aber er konnte den Mikrofilm immer noch nicht lesen. Er kniete noch einmal nieder und flehte zum Herrn, aber er konnte ihn noch immer nicht lesen. Dann kniete er zum dritten Mal nieder und erklärte dem Herrn, er habe das Gefühl, diese Frau warte darauf, daß die Arbeit für sie verrichtet werde. Wenn er aber den Mikrofilm nicht lesen konnte, wie sollte die Arbeit dann getan werden? Als er aufstand und den Mikrofilm wieder ansah, war die Schrift deutlich zu lesen.

Ich glaube, wenn man eifrig und voll Glauben nach seinen Vorfahren sucht, dann erhält man die nötigen Informationen, auch wenn keine irdischen Aufzeichnungen über ihr Leben zur Verfügung stehen.

Die Arbeit für unsere Vorfahren gehört zum Plan unseres himmlischen Vaters. Es ist eine gewaltige Aufgabe, die seiner Kirche übertragen worden ist, und wir werden sie erfüllen, weil er es so bestimmt hat. Diese Arbeit ist ein eindrucksvolles Zeugnis von der gottgegebenen Mission von Joseph Smith, durch den sie offenbart worden ist.

Von Eider John A. Widtsoe stammt die folgende bemerkenswerte Aussage: „Wenn die Geschichte des menschlichen Denkens vom Standpunkt der Gottesverehrung im Tempel aus geschrieben wird, dann mag sich sehr wohl herausstellen, daß der Tempel und die Arbeit, die darin verrichtet wird, seit Beginn des Menschengeschlechts der beherrschende Einfluß auf das menschliche Denken sind. Auch heute spielen politische Auseinandersetzungen für die Wesensart eines Volkes im Vergleich zu religiösen Gefühlen und Überzeugungen, vor allem, wenn sie im Tempel praktiziert werden, eine untergeordnete Rolle.” („Temple Worship”, Seite 52.)

Die Errettung der Kinder des himmlischen Vaters von Adam und Eva an bis zur heutigen Generation ist die wichtigste Arbeit in Zeit und Ewigkeit. Unsere Freude oder unsere Enttäuschung - in den Ewigkeiten mag davon abhängen, wie bereitwillig wir uns an dieser großen Arbeit der Letzten Tage beteiligen.

Präsident Spencer W. Kimball hat einmal gesagt: „Je deutlicher wir die Ewigkeit sehen, desto offensichtlicher wird es, daß das Werk des Herrn … ein einziges umfassendes und erhabenes Werk und auf beiden Seiten des Schleiers verblüffend ähnlich ist.” (Ensign, Januar 1977, Seite 3.)

Gott segne uns, daß wir unsere Vorfahren lieben und würdig sind, in den Tempel zu gehen. Ich verkünde, daß dieses Werk wahr ist. Im Namen Jesu Christi. Amen.