1990–1999
Haltet die Treue
April 1993


Haltet die Treue

Wenn wir treu sind, bringen uns gerade die Hindernisse, die wir überwinden, dem himmlischen Vater näher.

Als ich als junger Missionar meine Mission beendete, war es üblich, daß man sich von seinen Missionarsfreunden mit den Worten verabschiedete: „Haltet die Treue.” Obwohl es für uns eine Phrase war, über die wir nicht viel nachdachten, ist es doch eine ernsthafte Aufforderung, die vom Herrn stammt.

Der Apostel Paulus hat in seinem zweiten Brief an Timotheus erklärt: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten.” (2 Timotheus 4:7.) Die Treue halten bis zum Ende, das war schon immer unser Auftrag. Im achtzehnten Abschnitt von, Lehre und Bündnisse’ erklärt der Herr: „Und alle, die umkehren und sich in meinem Namen, nämlich Jesus Christus, taufen lassen und bis ans Ende ausharren, werden errettet werden.” (Vers 22.)

Ich werde nie vergessen, welchen Eindruck es auf mich gemacht hat, als Präsident Joseph Fielding Smith in seinem fünfundneunzigsten Lebensjahr erklärte: „Ich hoffe, ich werde bis zum Ende meines Lebens ausharren.” Heute wird unser Glaube vielleicht mehr als je zuvor an allen Fronten geprüft. Das sollte uns nicht überraschen, denn es ist Teil von Gottes Plan. Wie Abraham dem Herrn mit unerschütterlichem Glauben seine Treue bewiesen hat, als er seinen Sohn Isaak auf den Berg mitnahm, um ihn zu opfern, so müssen auch wir dem himmlischen Vater unsere Treue, unsere Ausdauer und unseren Glauben beweisen.

Jeder von uns steht vor den normalen und erwarteten Herausforderungen des Erdenlebens. Wir lernen Krankheit und Übertretung kennen, wir kämpfen uns durch die Schwierigkeiten der Umkehr, manchmal kämpfen wir auch mit Auflehnung, und wir sind der Belastung ausgesetzt, für unsere Familie zu sorgen. Mit dem allem rechnen wir. Darauf sind wir vorbereitet und damit werden wir auch fertig.

Für die Treuen brauchen die normalen Prüfungen des Lebens kein Feind des Glaubens zu sein. Wir freuen uns zwar nicht gerade auf diese Hindernisse und Schwierigkeiten, aber wir nehmen sie an und nehmen dadurch an Lebenserfahrung und Glauben zu. Wenn wir treu sind, bringen uns gerade die Hindernisse, die wir überwinden, dem himmlischen Vater näher, weil wir dadurch demütig und fügsam werden und dankbar sind für die Segnungen, die uns unser liebevoller Vater schenkt. Kurz gesagt, diese Erfahrungen können unseren Glauben noch vermehren und hin es auch oft. Die Treuen beten nicht darum, daß ihnen die Prüfungen des Lebens erspart bleiben, sondern beten um die Kraft, sich darüber zu erheben. Dadurch kommen sie dem himmlischen Vater näher und erreichen den Grad der Vollkommenheit, den sie anstreben.

Für die Heiligen der Letzten Tage besteht die größere Glaubensprüfung - eine unmerkliche, doch äußerst schwerwiegende Glaubensprüfung - nicht in den normalen Schwierigkeiten des Lebens, sondern in den Erfolgen. Es besteht eine enge Beziehung, ja, ein Gesetz von Ursache und Wirkung, zwischen dem Glauben und den dazu notwendigen Tugenden, nämlich Demut und ein fügsames Herz, die schon immer wesentliche Bestandteile des Glaubens waren. Sogenannte zeitliche Errungenschaften, ob materieller oder intellektueller Art, bringen uns, wenn sie nicht durch die Evangeliumsgrundsätze und den Heiligen Geist in den richtigen Grenzen gehalten werden, oft von den grundlegenden Prinzipien ab, die den Glauben nähren. Wenn wir unsere Erfolge entgegennehmen, ohne Gott, der uns alle Segnungen gewährt, in angemessener Weise dankbar zu sein, führen gerade diese Erfolge oft zu falschem Stolz und dem Verfall der Tugenden, die uns zum Glauben führen. Wenn unsere Erfolge zu Selbstverherrlichung führen oder dazu, daß wir unser irdisches Wissen an die Stelle des Willens unseres himmlischen Vaters setzen, dann gefährden wir die Prinzipien, auf die unser Glaube gegründet ist. Alles, was unsere Demut und Fügsamkeit zerstört, bedroht tatsächlich unseren Glauben.

Was für eine Stellung im Leben wir auch einnehmen, wie groß unsere Errungenschaften auch sein mögen - ein fügsames Herz und ein demütiger Geist sind grundlegend für unseren Glauben. Unsere weltlichen Erfolge oder unser irdisches Wissen dürfen nicht zum Ersatz werden für die spirituelle Weisheit und die göttliche Führung, die uns durch die Propheten zuteil werden.

Im Buch Mormon erklärt Mormon, daß der Verfall des nephitischen Volkes von ihrem unangemessenen Stolz über das, was sie in irdischen Angelegenheiten erreicht hatten, herrührte: „Denn sie sahen und nahmen mit großer Betrübnis wahr, daß das Volk der Kirche anfing, im Stolz seiner Augen überheblich zu werden und das Herz auf die Reichtümer und Nichtigkeiten der Welt zu setzen, daß sie anfingen, einer den anderen zu verachten und diejenigen zu verfolgen, die nicht so glaubten, wie sie wollten und wie es ihnen gefiel.” (Alma 4:8.)

Der Herr warnt ferner davor, sich einzig auf die Kraft und Weisheit des Menschen zu verlassen. Er sagte: „Verflucht ist, wer sein Vertrauen in Menschen setzt oder Fleisch zu seinem Arm macht oder auf die Weisungen der Menschen hört, außer ihre Weisungen seien durch die Macht des Heiligen Geistes eingegeben.” (2 Nephi 28:31.)

Jakob gewährt uns folgende Einsicht: „O welch schlauer Plan des Bösen! O Eitelkeit und Schwäche und Narrheit der Menschen! Sind sie gelehrt, so denken sie, sie seien weise, und hören nicht auf den Rat Gottes; denn sie schieben ihn beiseite und meinen, sie selbst hätten Wissen; aber ihre Weisheit ist Narrheit und nützt ihnen nicht. Und sie werden zugrunde gehen.” (2 Nephi 9:28.) Dann stellt Jakob unmißverständlich klar, daß Wissen unter den richtigen Umständen einen wichtigen Platz in unserem Leben einnimmt. Er erklärt: „Und doch, es ist gut, gelehrt zu sein, wenn man auf Gottes Ratschläge hört.” (Vers 29.)

Da gibt es die sogenannten „Gelehrten”, die es zugelassen haben, daß ihr Intellekt ihre spirituellen Bande löst, und die zudem versuchen, die Treuen wegzubringen von denen, die vom Herrn bestimmt sind, zu führen. Manche meinen, die Führer der Kirche wüßten nichts von den Realitäten der heutigen Welt. Sie versuchen, Mitglieder zu führen, indem sie ihr eigenes Wissen an die Stelle der Offenbarungen setzen, die Gott seinen Propheten gibt. Und leider gibt es auch diejenigen, die ihnen folgen. Christus hat uns gewarnt: „Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe.” (Matthäus 7:15.)

In dem Versuch, die Heiligen gegen die unvermeidlichen bedrohlichen Wölfe zu wappnen, gab der Apostel Paulus die folgende Warnung: „Ich weiß: Nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen.” (Apostelgeschichte 20:29.)

Wo bekommen diese Wölfe wohl die Schafspelze her, die so echt aussehen, daß sie sogar die Herde des Herrn täuschen? Könnte es sein, daß sie mit außerordentlichem Reichtum und kostbaren Gewändern gekleidet sind, wie Mormon es beschrieben hat? (Siehe Alma 4:8.) Ist es die Eitelkeit und Schwäche und Narrheit der Menschen, sind es die Gelehrten, die nicht auf die Gebote Gottes hören, wie Jakob erklärt hat? (Siehe 2

Nephi 9:28.) Könnte es sein, daß sie sich manchmal so kleiden, daß sie wie rechtschaffene Hirten aussehen, so daß sich vielleicht selbst die Auserwählten täuschen lassen?

Ja, wie es bei Abraham war, wird auch unser Glaube geprüft. Wir erleiden Krankheit, Schmerz, Tod, Tragödien. Das ist unvermeidlich. Das ist ein Hauptgrund, warum wir uns dafür entschieden haben, die Sterblichkeit auf uns zu nehmen. Wir können diese Prüfungen und Drangsale aushalten, weil wir die Gaben des Himmels herabrufen können, die uns helfen, sie mit den richtigen Augen zu sehen. Wenn wir sie überwinden, kommen wir dadurch dem himmlischen Vater näher. Wir spüren seine Liebe, erlangen seine Erkenntnis und Wahrheit. Wir können dann die Prüfung bestehen und bis zum Ende ausharren.

Doch gerade das, was wir vielleicht nicht als solches erkennen, ist es, worum wir uns Sorgen machen müssen - wenn der Wille des Menschen an die Stelle von Gottes inspirierter Führung gesetzt wird. Lassen wir uns nicht irreführen von menschlicher Sophisterei, losgelöst von den Evangeliumsgrundsätzen und dem Geist des Herrn. Verlieren wir die bewährten, von Gott gegebenen Grundsätze nicht aus den Augen, nämlich Demut und ein fügsames Herz, die uns seit der Wiederherstellung des Evangeliums getragen haben. Trachten wir nach Wahrheit und nach der Führung unseres liebenden Vaters. Suchen wir Führung bei unserem himmlischen Vater und seinen lebenden Propheten und durch persönliche Offenbarung. Wenn die Propheten sprechen, dann wollen wir zuhören und gehorchen.

Ich gebe feierlich Zeugnis, daß Gott lebt und es ihm wichtig ist, seine Propheten zu unserem Segen und unserer Erbauung anzuweisen. Ich bezeuge: wenn wir uns darum bemühen, von unserem Vater unterwiesen zu werden, wenn wir den Propheten gehorchen, dann wird unser Glaube stärker und größer. Deshalb sage ich Ihnen, meine Brüder und Schwestern, heute als Abschiedsgruß, nicht gedankenlos dahingeredet, sondern mit ernsthaftem und aufrichtigem Herzen: „Haltet die Treue.” Im Namen Jesu Christi. Amen.