2021
Ein Stück Himmel für einen Missionar
Januar 2021


Ein Stück Himmel für einen Missionar

Der Verfasser lebt in Utah.

Als wir bei Familie Bautista anklopften, ahnten wir nicht, welche Segnungen wir in den Jahren darauf miterleben würden.

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illustration of missionaries standing at a door in the rain

Illustrationen von Dilleen Marsh

An einem regnerischen Abend Ende November 1973 gingen mein Mitarbeiter und ich in Manila auf den Philippinen von Tür zu Tür. Wir klopften bei Romeo und Naty Bautista. Sie ließen uns ein und hörten sich höflich unsere kurze Botschaft an. Damals unterwiesen wir nur auf Englisch. Naty verstand kein Englisch, Romeo hingegen schon, und er wollte, dass wir wiederkommen. Er erwähnte auch, seine jüngere Schwester Avelia, die während des Studiums bei ihnen wohnte, sei wahrscheinlich interessiert.

Als junge Missionare waren wir begeistert, neue Freunde der Kirche gefunden zu haben, und freuten uns auf den nächsten Termin. Die Lektion lief so gut, dass wir es kaum glauben konnten. Romeo und Avelia lauschten aufmerksam und stellten Fragen. Auch Naty hörte zu, verstand aber kaum etwas. Sie alle waren von Anfang an offen – der Traum eines jeden Missionars!

Jedes Mal, wenn wir fertig waren, erklärte Romeo die Lektion seiner Frau auf Tagalog. Ganz langsam lasen sie gemeinsam das Buch Mormon auf Englisch. Zu dieser Zeit hatte das Paar zwei Töchter: die kleine Ruth und die neugeborene Namie.

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Bautista family in 1973

Im Dezember 1973 hatte ich die Freude, Romeo und seine Schwester Avelia taufen und konfirmieren zu dürfen. Mein Mitarbeiter und ich waren vom Glauben und dem Interesse der Familie am Evangelium äußerst angetan. Aber wer hätte gedacht, wie sehr sich ihre Entscheidung auf die Ewigkeit auswirken sollte und wie viele Menschen unmittelbar danach und selbst Jahre später Nutznießer davon sein würden!

Romeo und Avelia waren von Anfang an treue und starke Mitglieder des Zweiges Makati. Bald nach ihrer Taufe kehrte ich in meine Heimatstadt Salt Lake City zurück. Vor lauter Aufregung, nach Hause zu kommen, hatte ich vergessen, mir Romeos Adresse geben zu lassen, um ihm schreiben zu können. Damals gab es ja weder Internet noch Mobiltelefon.

Bald lernte ich Susan kennen, meine große Liebe. 1975 durfte ich sie unterweisen und taufen, und schließlich heirateten wir. Ein Jahr später wurden wir im Salt-Lake-Tempel gesiegelt. Wir bekamen drei Kinder und engagierten uns in vielen Berufungen. Ich war auch tagaus, tagein in unserem Familienbetrieb tätig. Oft dachte ich an Familie Bautista und fragte mich, wie es ihnen wohl gehe, wusste aber nicht, wie ich sie erreichen könnte.

Eines schönen Tages im Jahr 1997 erhielt ich einen Brief von einer Avelia Wijtenberg aus Mackay in Queensland. Das liegt in Australien! Ich kannte niemanden dieses Namens. Dem Schreiben entnahm ich jedoch, dass Romeos Schwester Avelia einen Australier holländischer Abstammung geheiratet hatte und nun schon seit einigen Jahren in Queensland lebte. Beim Frühjahrsputz hatte sie in ihrem Notizbuch meine alte Adresse entdeckt.

Wir wollten beide gern wissen, was uns die vergangenen Jahre gebracht hatten, und so begannen Avelia und ich einen regen Briefwechsel. Sie konnte mir auch Romeos Adresse geben. Er war nach Tiwi umgezogen, das im südlichen Teil der Insel Luzon liegt.

Auch Romeo und ich schrieben uns von da an regelmäßig. Nach 24 Jahren ohne Kontakt lebte unsere alte Freundschaft wieder auf. Romeo erzählte, dass Naty und er insgesamt fünf Kinder bekommen hatten. Naty und die Kinder waren in den Jahren nach meiner Mission getauft worden. Ruth, die Älteste, war in die Philippinen-Mission Davao berufen worden. Namie, die Zweitälteste, war gerade im Norden von Luzon auf Mission, und Joan, die Drittälteste, in Guam. Lyn, die vierte Tochter, wurde später in die Philippinen-Mission Baguio berufen, und ihr Sohn John, das fünfte Kind, sollte in der Philippinen-Mission Cagayan de Oro dienen.

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illustration of writing and reading a letter

Meine Frau und ich baten um die Adresse von Namie und Joan und schrieben den beiden Missionarinnen. Wir hatten sie zwar nie persönlich kennengelernt, fühlten uns aber unmittelbar mit ihnen verbunden. Mit Worten lässt sich das nur schwer beschreiben. Es war fast so, als wären sie unsere eigenen Töchter! Unsere Freundschaft mit Familie Bautista wuchs weiter. Namie und Joan lagen uns besonders am Herzen. Sie waren geistig gesinnt und legten sich auf Mission richtig ins Zeug. In einem Brief fragte Namie, ob sie uns an Weihnachten anrufen dürfe, da ihre Eltern damals kein Telefon hatten. Mit Zustimmung ihres Missionspräsidenten rief sie am ersten Weihnachtsfeiertag 1997 an. Wir weinten beide zunächst einmal ein paar Minuten lang. Dann sagte ich, dass ein R-Gespräch ins Ausland doch wohl zu teuer sei, um sich gegenseitig etwas vorzuweinen. Wir lachten und unterhielten uns trotz ihrer begrenzten Englischkenntnisse ganz wunderbar. Sie lud uns ein, im folgenden Sommer auf die Philippinen zu kommen und bei der ersten Ansprache nach ihrer Rückkehr dabei zu sein.

Im Sommer 1998, als Namie von ihrer Mission zurückkehrte, flog ich mit meiner 16-jährigen Tochter auf die Philippinen. In Manila trafen wir uns mit Ruth. Gemeinsam besuchten wir den Manila-Tempel. Dann flogen wir nach Tiwi und fuhren zu ihrem Elternhaus. Die Freude, Romeo und seine Familie wiederzusehen, war unbeschreiblich! Sofort erfasste uns wieder das Gefühl tiefer Brüderlichkeit. Wir unterhielten uns, umarmten uns, aßen miteinander und schwelgten in Erinnerungen. Jeden Abend lasen wir zusammen mit der ganzen Familie in den heiligen Schriften. In ihrem kleinen Zweig waren die Bautistas ein Fels des Glaubens. Wir besuchten die Abendmahlsversammlung in Tiwi und lauschten Namie, die von ihrer Mission berichtete. Es war großartig, beinahe schon celestial. Wahrlich der Himmel für einen Missionar!

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Steven Hunt and Romeo Bautista

Romeo diente in Tiwi damals gerade als Zweigpräsident. Er hatte entscheidend daran mitgewirkt, seinen Verwandten im Norden von Luzon das Evangelium zu bringen. Romeo besuchte auch mit seiner Familie den Tempel, wo Naty und die Kinder gesiegelt wurden. Heute sind alle fünf Kinder verheiratet, einige mit zurückgekehrten Missionaren, und im Manila-Tempel gesiegelt. Joan war maßgeblich an der Bekehrung ihres Freundes beteiligt. Nach seiner Taufe warteten sie ein Jahr lang und heirateten dann im Manila-Tempel. 2007 starb Naty unerwartet, doch die Familie ist nach wie vor fest im Evangelium verwurzelt. Sie alle sind dankbar für den Siegelungsbund und wissen: Wenn sie treu sind, werden sie diese wunderbare Ehefrau und Mutter wiedersehen.

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Bautista family on the day of their sealing

Derzeit sind über 70 Mitglieder der Familie Bautista in der Kirche aktiv. Die Familie stellte insgesamt 17 Vollzeitmissionare und verzeichnete 14 Tempelehen. Mitglieder der Familie wurden als Bischof oder Zweigpräsident, Pfahl- oder Distriktspräsident und als Leiterin oder Ratgeberin in der FHV, bei den JD oder in der PV berufen. Romeos Sohn John war Bischof im Gebiet von Quezon City. Ruths Ehemann war im selben Pfahl Hoher Rat. Auch Lyns Ehemann war schon Zweigpräsident in Tiwi. So baut Familie Bautista auf den Philippinen ein starkes Vermächtnis auf, das von Glaubensstärke und Dienst am Nächsten zeugt.

Meine Frau und ich waren von 2008 bis 2010 als Missionarsehepaar in der Philippinen-Mission San Pablo. Eines Tages erfuhren wir, dass Familie Bautista und die meisten ihrer Angehörigen im Manila-Tempel zur Eheschließung von John (Romeos Sohn) mit Schwester Victorino zusammenkommen wollten. Sie war als Missionarin in der Mission San Pablo tätig gewesen und kurz zuvor nach Hause zurückgekehrt.

Der Missionspräsident fragte, ob wir an diesem freudigen Ereignis teilnehmen wollten, und wir trafen sofort Vorkehrungen dafür. Meine Frau wusste natürlich von meiner Geschichte. Aber als sie sah, wie viele Bautistas es gab und wie viel Liebe sie auch ihr sofort entgegenbrachten, fiel sie sozusagen aus allen Wolken. Sie hatte auf einmal siebzig neue Freunde mehr!

Oft denke ich an Lehre und Bündnisse 18:15: „Und wenn es so ist, dass ihr alle eure Tage arbeitet, um dieses Volk zur Umkehr zu rufen, und auch nur eine einzige Seele zu mir führt, wie groß wird eure Freude mit ihr im Reich meines Vaters sein!“ Wie ein Kieselstein, der in einen Teich geworfen wurde, hatte auf den Philippinen der Einfluss eines Einzelnen – Romeo – Wellen ausgelöst, die bei vielen zu einem starken Zeugnis und zur Bereitschaft geführt haben, sich in der Kirche zu engagieren.

Ich hatte das Glück gehabt, vor vier Jahrzehnten bei der Taufe von Romeo und Avelia meinen Teil zu tun, um diesen Kieselstein in den Teich zu werfen. Meine Freundschaft mit dieser wunderbaren Familie, die nun in der dritten Generation nach dem Evangelium lebt, hat mir enorm viel Freude beschert. Hier zeigt sich wirklich das fortwährende Vermächtnis der Missionsarbeit und die Freude an diesem Dienst. Das ist ein kleines Stück Himmel für einen Missionar!