2014
Entscheidungsfreiheit und Antworten: Wie man Offenbarung erkennt
Juni 2014


Entscheidungsfreiheit und Antworten: Wie man Offenbarung erkennt

Bild
Elder Richard G. Scott

Was uns manchmal als undurchdringliche Wand erscheint, die jede Verständigung blockiert, ist tatsächlich ein großer Schritt, den wir vertrauensvoll gehen müssen.

Bild
A young man kneeling in prayer.

Rechts: Foto von Cody Bell

Mir gegenüber saß eine schluchzende Frau. Mit Tränen in den Augen erzählte sie mir: „Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.“ Sie sprach davon, wie sie viele Tage lang gerungen und gebetet hatte, um eine für ihr Leben wichtige Entscheidung zu treffen, doch ohne Erfolg. Sie klagte: „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Wenn Sie mir sagen, was ich machen soll, mache ich es.“ Mit der Hand auf den heiligen Schriften sagte sie: „Gott hat uns gesagt, dass er uns helfen werde. Er erhört die Gebete aller anderen. Warum gibt er mir keine Antwort?“

Wenn man innerlich aufgewühlt ist, ist es schwer, ohne fremde Hilfe wieder klar zu sehen. Ich bete darum, dass ich euch, die ihr vielleicht Ähnliches erlebt, helfen kann.

Wenn auf unser dringendes Beten scheinbar keine Antwort erfolgt, kann es sein, dass wir einige Wahrheiten in Bezug auf das Beten nicht verstehen, oder wir nehmen die Antwort, wenn sie kommt, nicht wahr.

Grundsätze für das Beten

Die Kommunikation mit dem Vater im Himmel ist keine belanglose Angelegenheit. Sie ist ein heiliger Vorzug. Sie beruht auf unveränderlichen Grundsätzen. Wenn wir vom Vater im Himmel Hilfe erhalten, geschieht dies aufgrund von Glauben, Gehorsam und der rechten Anwendung unserer Entscheidungsfreiheit.

Es ist falsch zu denken, dass jedes Gebet sofort erhört wird. Einige Gebete erfordern größte Anstrengungen unsererseits. Es stimmt, manchmal erhalten wir Eindrücke, wenn wir uns eigentlich gar nicht darum bemüht haben – im Allgemeinen dann, wenn wir etwas wissen müssen und es auf keine andere Weise in Erfahrung hätten bringen können.

Wir sind hier auf Erden, um Erfahrungen zu machen, die wir sonst nicht hätten machen können. Wir erhalten Gelegenheiten, uns zu entwickeln und geistig an Reife zu gewinnen. Dazu müssen wir lernen, Wahrheit richtig anzuwenden. Unser Glück hängt entscheidend davon ab, wie wir Herausforderungen begegnen und mit schwierigen Problemen fertig werden.

Um das Beten besser zu verstehen, habe ich auf den Rat anderer gehört, über die heiligen Schriften nachgedacht und mich gründlich mit dem Leben der Propheten und anderer befasst. Mir scheint jedoch am hilfreichsten zu sein, mir ein Kind vorzustellen, das sich vertrauensvoll an seinen liebevollen, gütigen, weisen und verständnisvollen Vater wendet, der möchte, dass wir erfolgreich sind.

Macht euch keine Sorgen, wenn ihr eure Gedanken vielleicht etwas ungeschickt ausdrückt. Sprecht einfach zu eurem Vater. Er hört jedes Gebet und antwortet auf seine Weise.

Wenn wir ihm ein Problem erläutern und eine Lösung vorschlagen, antwortet er manchmal mit Ja und manchmal mit Nein. Oft gibt er keine Antwort, nicht weil er kein Interesse hat, sondern weil er uns liebt, und zwar auf vollkommene Weise. Er möchte, dass wir Wahrheiten, die er uns gegeben hat, anwenden. Um wachsen zu können, müssen wir uns selbst zutrauen, richtige Entscheidungen zu treffen. Wir müssen tun, was wir als richtig empfinden. Im Laufe der Zeit wird er antworten. Er wird uns nicht im Stich lassen.

Was ich über unsere Beziehung zum Vater im Himmel gesagt habe, ist wahr. Es gibt nichts, was er nicht über uns weiß. Er weiß um alles, was wir brauchen, und könnte uns alle Antworten geben. Aber da er unser ewiges Glück im Auge hat, liegt ihm daran, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen.

Drei Möglichkeiten, wie man Antworten findet

1. Achtet auf Anhaltspunkte dafür, dass Gott euch bereits eine Antwort gegeben hat

Wie so viele von uns erkannte auch Oliver Cowdery nicht, dass der Herr ihm bereits Antwort auf seine Gebete gegeben hatte. Um ihm – und uns – die Augen zu öffnen, erging folgende Offenbarung durch Joseph Smith:

„Gesegnet bist du um deswillen, was du getan hast; denn du hast mich gefragt, und siehe, sooft du gefragt hast, hast du von meinem Geist Belehrung empfangen. Wäre es nicht so gewesen, so wärst du nicht an den Ort gekommen, wo du jetzt bist.

Siehe, du weißt, dass du mich gefragt hast und ich deinen Verstand erleuchtet habe; und nun sage ich dir dies alles, damit du weißt, dass du durch den Geist der Wahrheit erleuchtet worden bist.“ (LuB 6:14,15; Hervorhebung hinzugefügt.)

Wenn ihr meint, Gott habe euch auf eure Gebete keine Antwort gegeben, denkt über diese Schriftstelle nach. Achtet dann aufmerksam auf Anhaltspunkte dafür, dass er euch bereits geantwortet hat.

2. Achtet auf eure Gefühle

Damit es uns leichter fällt, bereits gegebene Antworten zu erkennen, hat der Herr gesagt:

„Wenn du ein weiteres Zeugnis begehrst, dann denke in deinem Sinn an die Nacht, da du im Herzen zu mir geschrien hast und wissen wolltest, ob diese Dinge wahr seien.

Habe ich deinem Sinn nicht Frieden in dieser Angelegenheit zugesprochen?“ (LuB 6:22,23; Hervorhebung hinzugefügt.)

Der Herr gewährt uns weitere Einsicht, indem er uns empfiehlt, ein Problem erst mit dem Verstand durchzuarbeiten und dann zu fragen, ob es recht sei:

„Wenn es recht ist, werde ich machen, dass dein Herz in dir brennt; darum wirst du fühlen, dass es recht ist.

Wenn es aber nicht recht ist, wirst du keine solchen Gefühle haben, sondern du wirst eine Gedankenstarre haben.“ (LuB 9:8,9; Hervorhebung hinzugefügt.)

3. Handelt, wenn Gott die Antwort zurückhält

Man muss unbedingt wissen, dass der Herr auch auf eine dritte Weise Gebete erhört, nämlich indem er keine Antwort gibt, wenn das Gebet gesprochen worden ist. Wieso macht er das?

Er ist unser vollkommener Vater. Er liebt uns mehr, als wir begreifen können. Er weiß, was für uns am besten ist. Er sieht von Anfang an das Ende. Er möchte, dass wir handeln, damit wir notwendige Erfahrungen sammeln können. …

Wenn er mit Ja antwortet, schenkt er uns Vertrauen.

Wenn er mit Nein antwortet, möchte er Fehlverhalten ausschließen.

Wenn er keine Antwort gibt, möchte er, dass unser Glaube an ihn und unser Gehorsam gegenüber seinen Geboten zunimmt und dass wir bereit sind, gemäß der Wahrheit zu handeln. Von uns wird erwartet, dass wir Eigenverantwortung zeigen, indem wir einer Entscheidung folgen, die im Einklang mit seinen Lehren steht, auch ohne vorher eine Bestätigung bekommen zu haben. Wir sollen nicht einfach dasitzen und warten oder murren, weil der Herr nicht gesprochen hat. Wir müssen handeln.

Meistens ist das, wofür wir uns entschieden haben, richtig. Gott bestätigt uns auf seine Weise, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Diese Bestätigung zeigt sich im Allgemeinen durch die Hilfen, die man bekommt. Wir erkennen sie, wenn wir geistig gesinnt sind. Sie kommen wie Mitteilungen von einem liebenden Vater als Beweis dafür, dass wir uns richtig entschieden haben. Wenn wir voller Vertrauen etwas unternehmen, was nicht richtig ist, lässt er es uns rechtzeitig wissen. Wir nehmen diese Hilfe in Form von beunruhigenden Gefühlen wahr.

Nephis Anstrengungen, die Platten aus Messing zu erlangen, zeigen, wie diese Prinzipien wirken (siehe 1 Nephi 3:6,7). Nephi war nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen immer noch voller Vertrauen. Ohne alle Antworten zu wissen, schlich er in die Stadt und auf Labans Haus zu. Er bemerkte: „Ich wurde vom Geist geführt; ich wusste nicht im Voraus, was ich tun sollte“, und dann fügt er bedeutsamerweise hinzu: „Dennoch ging ich weiter.“ (1 Nephi 4:6,7; Hervorhebung hinzugefügt.)

Nephi war willens, es immer wieder zu versuchen und alles in seiner Macht Stehende zu tun. Er bekundete Glauben daran, dass ihm geholfen werden würde. Er ließ sich nicht entmutigen. Aber eben weil er handelte, dem Herrn vertraute, gehorsam war und seine Entscheidungsfreiheit richtig anwandte, wurde er geführt. Schritt um Schritt wurde er zum Erfolg geführt und, mit den Worten seiner Mutter, ihm wurde „Macht gegeben …, das zu vollbringen, was der Herr … geboten hat“ (1 Nephi 5:8; Hervorhebung hinzugefügt).

Bild
Nephi discovering a drunken Laban.

Illustration von Brian Call

Nephi wusste, dass er dem Herrn vertrauen, Glauben üben und handeln musste, um Schritt um Schritt Hilfe zu bekommen. Weder murrte er noch bat er um eine vollständige Erklärung, und – bitte achtet darauf – er wartete nicht untätig auf Hilfe. Er handelte! Indem er ein geistiges Gesetz befolgte, wurde er inspiriert und empfing weitere Hilfe zum Handeln.

Vertraut auf Gottes Willen und Gottes Wege

Manchmal nehmen wir Antworten auf ein Gebet nicht wahr, weil wir so versessen auf eine Bestätigung unserer Wünsche warten. Wir erkennen einfach nicht, dass der Herr möchte, dass wir etwas anderes tun. Achtet darauf, dass ihr nach seinem Willen trachtet.

Ich gebe zu, dass ich mich nur mit richtigen Entscheidungen auskenne, die in Rechtschaffenheit und voll Vertrauen zum Vater im Himmel getroffen werden. Die Prinzipien lassen sich nicht anwenden, wenn man sich bewusst gegen den Willen Gottes entscheidet. Wenn wir von einer Sünde nicht umkehren, sind wir auf uns selbst angewiesen und müssen uns alleine durchkämpfen. Wir können aber davor bewahrt bleiben, wenn wir umkehren.

Wenn wir nach Inspiration streben, um eine richtige Entscheidung zu treffen, gibt der Herr uns sanft Anregungen. Von uns wird erwartet, dass wir nachdenken, Glauben üben, arbeiten, manchmal ringen und dann handeln. Selten wird eine vollständige Antwort in einer sehr wichtigen Angelegenheit oder zu einem komplexen Problem auf einmal gegeben. Eher kommt sie Stück für Stück, ohne dass das Ende abzusehen ist.

Ich habe mir das Wichtigste zum Thema Beten bis zum Schluss aufgehoben: Dankbarkeit! Das aufrichtige Bemühen, unserem lieben Vater im Himmel zu danken, löst wunderbar friedvolle und liebevolle Empfindungen und ein erhöhtes Selbstwertgefühl aus.

Wie kommt es, dass die Ärmsten der Armen eher wissen, wie man dem Herrn Dankbarkeit zeigt? Im Hochland von Guatemala kommen die Mitglieder kaum über die Runden. Es erfordert große Opfer, zum Tempel zu fahren. Sie brauchen für einen Besuch ein Jahr Vorbereitung. Sie arbeiten hart, bringen Opfer, um Geld zu sparen, sparen auch am Essen, weben, färben und nähen neue Kleidung. Sie gehen aus den Bergen zu Fuß eine weite Strecke, überqueren den See Isabel und fahren dann ohne viel zu essen mit dem Bus. Müde und völlig erschöpft kommen sie am Tempel an. Sie schrubben sich, bis sie glänzen, ziehen sich ihre neue Kleidung an und gehen ins Haus des Herrn.

Wenn sie sich weiße Kleidung angezogen haben, werden sie durch den Geist belehrt, empfangen die heiligen Handlungen und gehen die Bündnisse ein. Eine der Frauen aus dem Hochland war durch den Geist und die Bedeutung des Endowments tief berührt. Als sie den celestialen Saal betrat, sah sie andere mit ehrfürchtig geneigtem Haupt dasitzen. Sie kniete am Eingang nieder und war sich der anderen nicht bewusst. Sie neigte ihren Kopf, schluchzte und schüttete zwanzig Minuten lang dem himmlischen Vater ihr Herz aus. Als sie schließlich den Kopf hob, war ihr Kleid von Tränen durchnässt. Die einfühlsame Tempeloberin fragte: „Darf ich helfen?“ Und sie antwortete: „Ja, bitte! Ich habe ein Problem: Ich habe versucht, dem Vater im Himmel zu sagen, wie dankbar ich für alle meine Segnungen bin, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich mit ihm in Verbindung getreten bin. Wollen Sie mir helfen, ihm zu sagen, wie dankbar ich bin?“

Diese Ratschläge für das Beten sind wahr. Ich habe sie im Laufe meines Lebens gründlich überprüft. Dabei habe ich herausgefunden: Was uns manchmal als undurchdringliche Wand erscheint, die jede Verständigung blockiert, ist tatsächlich ein großer Schritt, den wir vertrauensvoll gehen müssen.

Wenn ihr Gottes Hilfe in Anspruch nehmen wollt, sorgt dafür, dass euer Leben in Ordnung ist, euer Beweggrund richtig ist und ihr willens seid, das zu tun, was er euch sagen wird – denn er wird eure Gebete wirklich erhören. Er ist euer liebevoller Vater im Himmel; ihr seid sein geliebtes Kind. Er liebt euch auf vollkommene Weise und möchte euch helfen.