2023
Nach dem vierten Tag
Mai 2023


Nach dem vierten Tag

Wenn wir mit Glauben an Jesus Christus vorwärtsgehen, wird der vierte Tag stets kommen. Der Erretter wird uns immer zu Hilfe kommen.

Wie wir heute Vormittag bereits gehört haben, ist heute Palmsonntag. An diesem Tag fand einst der triumphale Einzug des Erretters in Jerusalem statt. Es war der Beginn der heiligen Woche vor seinem großen Sühnopfer, das sein Leiden, seine Kreuzigung und seine Auferstehung umfassen sollte.

Nicht lange vor seinem verheißenen Einzug in die Stadt war Jesus Christus voll und ganz mit seinem geistlichen Dienst beschäftigt, als er Nachricht von seinen lieben Freunden Maria und Marta erhielt, dass ihr Bruder Lazarus krank sei.1

Obwohl Lazarus schwer erkrankt war, blieb der Herr „noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt. Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen.“2 Bevor er die Reise zu seinen Freunden antrat, die in Betanien wohnten, sagte Jesus seinen Jüngern „unverhüllt: Lazarus ist gestorben.“3

Als Jesus nach Betanien kam und erst Marta und dann Maria begegnete, begrüßten ihn beide – vielleicht enttäuscht über seine späte Ankunft – mit den Worten: „Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.“4 Zudem rief Marta aus: „Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag.“5

Diese vier Tage waren für Maria und Marta von großer Bedeutung. Der Lehrmeinung einiger Rabbiner zufolge verblieb der Geist eines Verstorbenen drei Tage lang beim Leib, sodass die Hoffnung bestand, dass ein Weiterleben noch immer möglich war. Ab dem vierten Tag jedoch war diese Hoffnung dahin, vielleicht weil der Körper dann zu verwesen und zu riechen beginnt.6

Maria und Marta waren also in einer verzweifelten Lage. Als Jesus sah, wie Maria weinte, „war er im Innersten erregt und erschüttert.

Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie sagten zu ihm: Herr, komm und sieh!“7

In diesem Augenblick geschah eines der großen Wunder während des irdischen Wirkens des Erretters. Zuerst sagte der Herr: „Nehmt den Stein weg!“8 Dann dankte er seinem Vater und rief „mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!

Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen!“9

Wie Maria und Marta dürfen auch wir alle Facetten des Erdenlebens erfahren, selbst Kummer, Mühsal10 und Schwäche11. Jeder von uns erlebt irgendwann den seelischen Schmerz, der mit dem Verlust eines geliebten Menschen einhergeht. Zu unserer irdischen Reise gehören womöglich Krankheiten, die uns selbst oder einen geliebten Menschen betreffen, Depressionen, Angstzustände oder andere psychische Probleme, finanzielle Schwierigkeiten, Verrat und Sünde. Und zuweilen geht damit ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit einher. Mir geht es nicht anders. Wie Sie habe auch ich unzählige Schwierigkeiten erlebt, die in diesem Leben zu erwarten sind. Mich fasziniert dieser Bericht über den Erretter und was ich daraus über unsere Beziehung zu ihm lernen kann.

Inmitten unserer größten Sorgen wenden auch wir uns, wie einst Maria und Marta, an den Erretter und bitten den Vater um sein göttliches Einschreiten. Aus der Begebenheit mit Lazarus lernen wir Grundsätze, die auch für unser Leben gelten, wenn wir vor unseren individuellen Schwierigkeiten stehen.

Als der Erretter in Betanien eintraf, hatten alle die Hoffnung aufgegeben, dass Lazarus gerettet werden könne – es war ja bereits der vierte Tag und er war nicht mehr da. Manchmal haben wir bei unseren Schwierigkeiten vielleicht den Eindruck, dass Christus zu spät kommt, und wir zweifeln sogar an unserer Hoffnung und unserem Glauben. Ich bezeuge Ihnen: Wenn wir mit Glauben an Jesus Christus vorwärtsgehen, wird der vierte Tag stets kommen. Der Herr kommt uns immer zu Hilfe oder lässt unsere Hoffnung wieder aufleben. Er hat verheißen:

„Euer Herz lasse sich nicht verwirren.“12

„Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch.“13

Manchmal erscheint es vielleicht so, als komme er nicht zu uns, bis im übertragenen Sinn der vierte Tag da ist und alle Hoffnung verloren scheint. Aber warum so spät? Präsident Thomas S. Monson hat gesagt: „Unser Vater im Himmel, der uns so vieles schenkt, worüber wir uns freuen können, weiß ebenso, dass wir lernen und wachsen und stärker werden, wenn wir uns den Schwierigkeiten, die wir bestehen müssen, stellen und sie überstehen.“14

Selbst der Prophet Joseph Smith musste sozusagen bis zum vierten Tag warten. Erinnern Sie sich an sein flehentliches Gebet? „O Gott, wo bist du? Und wo ist das Gezelt, das dein Versteck bedeckt?“15 Wenn wir auf den Herrn vertrauen, können wir mit einer Antwort dieser Art rechnen: „Mein Sohn [oder meine Tochter], Friede sei deiner Seele; dein Ungemach und deine Bedrängnisse werden nur einen kleinen Augenblick dauern.“16

Außerdem können wir aus der Begebenheit mit Lazarus lernen, welche Aufgabe uns bei dem ersehnten göttlichen Einschreiten vielleicht zukommt. Als Jesus auf das Grab zuging, sagte er zuerst zu denen, die dort waren: „Nehmt den Stein weg!“17 Hätte der Erretter mit der Macht, die er besaß, den Stein nicht auf wundersame Weise mühelos selbst beiseiteschieben können? Das wäre ein beeindruckendes und unvergessliches Erlebnis gewesen, doch er sagte zu den anderen: „Nehmt den Stein weg!“

Zweitens rief der Herr mit lauter Stimme: „Lazarus, komm heraus!“18 Wäre es nicht beeindruckender gewesen, wenn der Erretter selbst den Lazarus auf wundersame Weise an den Eingang gestellt hätte, sodass dieser für die Menschenmenge sofort sichtbar gewesen wäre, als der Stein entfernt wurde?

Drittens: Als Lazarus dann herauskam, waren „seine Füße und Hände … mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen!“19 Ich bin sicher, dass der Herr imstande war, Lazarus an den Eingang zu stellen, bereits sauber und ansehnlich, die Binden fein säuberlich gefaltet.

Warum hebe ich diese Aspekte hervor? Diese drei Punkte haben etwas gemeinsam: Nichts davon bedurfte der göttlichen Macht Christi. Er forderte seine Jünger auf, das zu tun, was ihnen möglich war. Die Jünger waren sicherlich imstande, den Stein selbst beiseitezuschieben, Lazarus konnte nach seiner Auferweckung selbst aufstehen und am Eingang der Höhle erscheinen, und diejenigen, die Lazarus liebten, konnten ihm sicherlich helfen, die Binden zu entfernen.

Jedoch hatte nur der Messias die Macht und Vollmacht, Lazarus von den Toten aufzuerwecken. Ich habe den Eindruck, der Erretter erwartet von uns, dass wir alles tun, was uns möglich ist, und er tut dann das, was nur er vermag.20

Wir wissen, dass der Glaube an den Herrn Jesus Christus ein Grundsatz ist, der Handeln erfordert,21 und dass Wundertaten keinen Glauben bewirken, „sondern starker Glaube wird durch Gehorsam gegenüber dem Evangelium Jesu Christi entwickelt. Mit anderen Worten, Glaube kommt durch Rechtschaffenheit.“22 Wenn wir uns bemühen, rechtschaffen zu handeln, indem wir heilige Bündnisse eingehen und halten und die Lehre Christi in die Tat umsetzen, wird unser Glaube nicht nur ausreichen, uns bis zum vierten Tag zu tragen, sondern wir sind dann mit der Hilfe des Herrn auch imstande, die Steine, die uns im Weg liegen, beiseitezuschieben, uns über Hoffnungslosigkeit zu erheben und uns von allem zu lösen, was uns zurückhält. Obgleich der Herr von uns erwartet, dass wir „alles tun, was in unserer Macht liegt“23, dürfen wir nicht vergessen, dass er uns bei alldem die nötige Hilfe zukommen lässt, wenn wir auf ihn vertrauen.

Wie können wir Steine beiseiteschieben und auf seinen Felsen bauen?24 Wir können den Rat von Propheten befolgen.

Beispielsweise hat uns Präsident Russell M. Nelson letzten Oktober inständig gebeten, Verantwortung für unser Zeugnis vom Erretter und von seinem Evangelium zu übernehmen, daran zu arbeiten, es zu nähren, es mit Wahrheit zu füttern und es nicht mit falschen Philosophien ungläubiger Menschen zu verschmutzen. Er hat jedem von uns verheißen: „Wenn Sie das beständige Stärken Ihres Zeugnisses von Jesus Christus ganz in den Vordergrund rücken, können Sie Wunder erwarten.“25

Das können wir selbst tun!

Wie können wir uns im übertragenen Sinn erheben und hervorkommen? Wir können freudig umkehren und uns dafür entscheiden, Gebote zu halten. Der Herr hat gesagt: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.“26 Wir können uns bemühen, jeden Tag umzukehren, und mit einem willigen Herzen voller Liebe zum Herrn freudig vorwärtsgehen.

Das können wir selbst tun!

Wie können wir uns mit der Hilfe des Herrn von allem lösen, was uns zurückhält? Wir können uns bewusst durch Bündnisse vor allem anderen an den Vater im Himmel und seinen Sohn Jesus Christus binden. Elder D. Todd Christofferson hat gesagt: „Woher kommt [unsere] sittliche und geistige Macht, und wie können wir sie erlangen? Sie kommt von Gott. Durch unsere Bündnisse mit ihm können wir auf diese Macht zugreifen. … In diesen Übereinkünften mit Gott verpflichtet sich Gott selbst, uns zu stützen, zu heiligen und zu erhöhen, wenn wir uns verpflichten, ihm zu dienen und seine Gebote zu halten.“27 Wir können heilige Bündnisse eingehen und halten.

Das können wir selbst tun!

„Nehmt den Stein weg!“ „Komm heraus!“ „Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen.“

Rat, Gebote und Bündnisse. Das können wir selbst tun!

Elder Jeffrey R. Holland hat verheißen: „Manche Segnungen kommen bald, manche spät und manche gar erst im Himmel, aber sie kommen zu einem jeden, der das Evangelium Jesu Christi annimmt.“28

Und schließlich: „Darum seid guten Mutes und fürchtet euch nicht, denn ich, der Herr, bin mit euch und werde euch beistehen.“29

Dies bezeuge ich im heiligen Namen dessen, der stets kommen wird, ja, im Namen Jesu Christi. Amen.

Anmerkungen

  1. Siehe Johannes 11:3

  2. Johannes 11:6,7

  3. Johannes 11:14

  4. Johannes 11:21,32

  5. Johannes 11:39

  6. „Die Seele verweilte gemäß dem jüdischen Glauben drei Tage nach dem Tod in der Nähe des Körpers. Die Juden waren infolgedessen überzeugt, dass das Wiederbeleben eines Verstorbenen am vierten Tag unmöglich war, da die Seele nicht wieder in einen Körper zurückkehren würde, der seine Position verändert hatte. Deshalb war es für die Zeugen des Wunders umso beeindruckender, dass Jesus Lazarus am vierten Tag auferweckte. Der vierte Tag ist hier also von besonderer Bedeutung und wird vom Erzähler bewusst aufgenommen in Verbindung mit dem größten aller Auferweckungswunder.“ (Ernst Haenchen, John 2: A Commentary on the Gospel of John, Chapters 7–21, Hg. Robert W. Funk und Ulrich Busse, übersetzt von Robert W. Funk, 1984, Seite 60f.).

  7. Johannes 11:33,34

  8. Johannes 11:39

  9. Johannes 11:43,44

  10. Siehe Mose 4:22-25

  11. Siehe Ether 12:27

  12. Johannes 14:1

  13. Johannes 14:18

  14. Thomas S. Monson, „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“, Liahona, November 2013, Seite 86. Präsident Monson hat darüber hinaus erklärt: „Wir wissen, dass es Zeiten gibt, in denen uns das Herz zerbricht, in denen wir trauern und in denen wir vielleicht bis an unsere Grenzen geprüft werden. Doch solche Schwierigkeiten helfen uns, uns zum Besseren zu wandeln, unser Leben neu auszurichten, so, wie der Vater im Himmel es uns lehrt, und ein anderer Mensch zu werden – besser als wir vorher waren, mit mehr Verständnis, mehr Mitgefühl und mit einem stärkeren Zeugnis als zuvor.“ („Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“, Seite 86f.) Siehe auch Lehre und Bündnisse 84:119: „Denn ich, der Herr, habe meine Hand ausgestreckt, um die Mächte des Himmels zu gebrauchen; noch könnt ihr es nicht sehen, aber noch eine kleine Weile, dann werdet ihr es sehen und werdet wissen, dass ich bin und dass ich kommen …werde.“

    Siehe auch Mosia 23:21-24:

    „Dennoch hält es der Herr für richtig, sein Volk zu züchtigen; ja, er prüft seine Geduld und seinen Glauben.

    Dennoch – wer auch immer sein Vertrauen in ihn setzt, der wird am letzten Tag emporgehoben werden. Ja, und so war es mit diesem Volk.

    Denn siehe, ich will euch zeigen, dass es in Knechtschaft gebracht wurde, und niemand konnte es befreien außer der Herr, sein Gott, ja, nämlich der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs.

    Und es begab sich: Er befreite sein Volk, und er zeigte ihm seine große Macht, und groß war seine Freude.“

  15. Lehre und Bündnisse 121:1

  16. Lehre und Bündnisse 121:7

  17. Johannes 11:39

  18. Johannes 11:43

  19. Johannes 11:44

  20. Präsident Nelson hat gesagt: „Meine Ratgeber und ich haben oft mit tränenerfüllten Augen zugesehen, wie der Herr in extrem schwierigen Umständen – nachdem wir unser Bestes getan hatten und nichts mehr tun konnten – eingegriffen hat. Erstaunt und bewundernd erleben wir dies mit.“ („Zur Begrüßung“, Liahona, Mai 2021, Seite 6).

  21. Siehe Bible Dictionary, Stichwort „Faith“

  22. Schriftenführer, Stichwort „Glaube, glauben“, scriptures.ChurchofJesusChrist.org

  23. Lehre und Bündnisse 123:17

  24. Siehe 3 Nephi 11:32-39

  25. Russell M. Nelson, „Die Welt überwinden und Ruhe finden“, Liahona, November 2022, Seite 97

  26. Johannes 14:21

  27. D. Todd Christofferson, „Die Macht der Bündnisse“, Liahona, Mai 2009, Seite 20

  28. Jeffrey R. Holland, „Ein Hoherpriester der künftigen Güter“, Liahona, Januar 2000, Seite 45; Hervorhebung hinzugefügt

  29. Lehre und Bündnisse 68:6