2004
Was machte ich falsch?
April 2004


Was machte ich falsch?

Ich ließ mich auf die mattgrüne Bettdecke fallen und starrte an die Decke. Ich spürte, wie sich mir die Kehle zuzog, als ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Ich konnte mir nicht erklären, was mit mir nicht stimmte. Es war ein herrlicher Frühlingstag gewesen. Meine Mitarbeiterin und ich unterwiesen in Kecskemét in Ungarn viele wunderbare Menschen. Ich diente dem Herrn und hätte guter Dinge sein sollen. Also warum bedrückte mich dieses Gefühl, versagt zu haben?

Ich kannte viele Missionare, die sich manchmal unzulänglich fühlten, doch in der letzten Zeit schienen mich diese Gefühle gar nicht mehr loszulassen. Machte ich denn nicht alles richtig? Ich betete regelmäßig, las in den heiligen Schriften, arbeitete hart und hielt mich an die Missionsregeln. Dennoch fühlte ich mich so unvollkommen. Es schien, als hinderten meine Fehler den Herrn daran, die Menschen zu erreichen, die das Evangelium brauchten.

Meine Mitarbeiterin lag auf ihrem Bett und las einen Brief von zu Hause. Ich wollte mit ihr sprechen, aber sie war gerade erst in Ungarn angekommen und hatte Mühe, sich auf das Missionsleben einzustellen und die Sprache zu lernen. Ich wollte sie nicht mit meinen Problemen belasten.

Ich schlug die heiligen Schriften auf und las Ether 12:27: „Und wenn Menschen zu mir kommen, so zeige ich ihnen ihre Schwäche. Ich gebe den Menschen Schwäche, damit sie demütig seien; und meine Gnade ist ausreichend für alle Menschen, die sich vor mir demütigen …“

Ich hielt inne. Das war eine meiner Lieblingsschriftstellen. Ich hatte sie oft gelesen und in der Missionarsschule sogar darüber gebetet; ich hatte den Herrn gebeten, mir Demut zu gewähren und mir zu helfen, stark zu sein. Mir war klar, dass der Herr uns oft durch unsere Schwächen Demut beibringt. Hatte Alma den Armen, die aus ihrer Synagoge ausgestoßen worden waren, nicht genau das gesagt (siehe Alma 32:6-16)? Ich wusste, der Herr würde mir Kraft geben, wenn ich mir Demut aneignete. Doch ich fühlte mich nicht stark und meine Schwächen kamen von Tag zu Tag deutlicher zum Vorschein. Was machte ich also falsch?

Ich beschloss, den Vers noch einmal zu lesen. Diesmal war es anders. Es war so, als hätte ich zuvor immer etwas übersehen. „Meine Gnade ist ausreichend für alle Menschen, die sich vor mir demütigen.“ Als ich die Textstelle noch einmal las, wurde ich vom Geist erfüllt. „Die Gnade Christi ist ausreichend!“ Dank geistiger Eingebung wurde mir nun einiges klar.

Ich blätterte zum Ende des Buches Mormon und las Moronis wundervolle Aufforderung: „Ja, kommt zu Christus, und werdet in ihm vollkommen, und verzichtet auf alles, was ungöttlich ist, und wenn ihr auf alles verzichtet, was ungöttlich ist, und Gott mit all eurer Macht, ganzem Sinn und aller Kraft liebt, dann ist seine Gnade ausreichend für euch, damit ihr durch seine Gnade in Christus vollkommen seiet“ (Moroni 10:32).

Der Geist wollte mir etwas sagen. Mein Problem war nicht, dass ich etwas falsch gemacht hatte, sondern dass ich versäumt hatte, etwas richtig zu machen. Ich war so stolz, dass ich versuchte, mich vollkommen zu machen, anstatt mich vor Jesus Christus zu demütigen und ihn um Hilfe zu bitten, meine Schwächen zu überwinden. Es war kein Wunder, dass ich scheiterte! Keiner von uns kann es alleine schaffen – wir können nur in Christus vollkommen werden, mit seiner Hilfe. Wir müssen natürlich unser Teil beitragen. Doch wenn wir nicht aufrichtig zu Christus kommen, können wir nicht errettet werden und die Kraft des Sühnopfers kann nicht für uns wirksam werden. Wenn wir aber zu Christus kommen, ist seine Gnade ausreichend für uns – sie ist nicht zu gering, sondern genug.

Es wurde zwar nicht über Nacht alles anders, doch langsam hielt Frieden in meinem Herzen Einzug. Was ich über das Sühnopfer gelernt hatte, half mir, eine ewige Perspektive zu bewahren und daran zu denken, dass ich nicht alles allein bewältigen musste, auch wenn es immer noch manch schwierige Situation gab.

Ich werde immer dankbar dafür sein, dass ich eine Mission erfüllen durfte. Ich bin besonders dankbar für jenen stillen Abend in Kecskemét, wo ich lernte, dass das Sühnopfer die Macht hat zu heilen.

Rosalyn Collings Eves gehört zur Studentengemeinde State College im Pfahl Altoona in Pennsylvania.