2000–2009
Der Schild des Glaubens
April 2000


Der Schild des Glaubens

Nie zuvor in der Weltgeschichte war es notwendiger, an Gott zu glauben.

Meine lieben Brüder und Schwestern, heute ist ein historischer Tag. Dies ist die erste Generalkonferenz in diesem Jahrhundert und diesem Jahrtausend und die erste, die in diesem großen neuen Konferenzzentrum der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage abgehalten wird. Gemeinsam mit Ihnen allen bringe ich meine Bewunderung, meinen Respekt und meine Dankbarkeit für den Weitblick unseres großartigen Propheten, Präsident Gordon B. Hinckley, zum Ausdruck. Er hatte den Glauben und den Mut, diese große Projekt voranzubringen.

Mit einem weinenden Augeverlassen wir unseren geliebten Tabernakel, wo traditionell die Generalkonferenzen stattfanden. Wie Präsident Hinckley gesagt hat, sind wir „aus ihm herausgewachsen“. Wir halten inne, um den Glauben, den Weitblick und die Inspiration von Brigham Young und seinen Mitarbeitern zu würdigen, die den Tabernakel voll Glauben gebaut haben, ein wahrhaft eindrucksvolles Gebäude. Ich war schon einmal im Tabernakel oben im Dachbereich, wo die ursprünglichen Rohlederbänder immer noch um die Balken der Dachkonstruktion gewickelt sind. Auch wenn die Balken seither mit Stahl verstärkt worden sind, ist doch die kreative Handarbeit der treuen Pioniere immer noch ein Symbol für ihren großen Glauben.

Ich glaube, dass die Zukunft in vielerlei Hinsicht großartig und wunderbar sein wird. Die Möglichkeiten, sich Bildung und Wissen anzueignen, sind vielfältiger geworden und nehmen weiter rapide zu. Jemand hat es einmal so ausgedrückt: „Bildung erlangt man, wenn man das Kleingedruckte liest. Erfahrung erlangt man, wenn man es nicht tut.“1 Heute und in der Zukunft wird weltweit eine enorme Menge von Informationen durch elektronische Geräte zu Hause, am Arbeitsplatz oder in der Bücherei immer leichter zugänglich. Damit stehen wir jedoch vor großen Herausforderungen und endlosen Problemen, denn mit dieser Woge von Wissen wird das Leben eigentlich komplizierter. Brigham Young hat gesagt: „In den Anfängen dieser Kirche wurde mir offenbart, dass sie sich ausbreiten werde, dass sie gedeihen und wachsen werde, und so, wie sich das Evangelium unter den Völkern der Erde ausbreite, werde auch die Macht des Satans anwachsen.“2

Auf unserem Weg in ein neues Zeitalter gibt es nur einen sicheren Kurs: im Glauben vorwärts zu streben. Der Glaube wird unser starker Schild sein, der uns vor den feurigen Pfeilen des Satans schützt. Werte dürfen sich nicht mit der Zeit ändern, denn der Glaube an Jesus Christus ist für das Glücklichsein und die ewige Errettung unerlässlich. Das größte Jahrhundert im Hinblick auf den Fortschritt in Wissenschaft und Technologie ist gerade zu Ende gegangen. Doch in unserer Zeit herrscht Finsternis ebenso wie vor vielen Jahrhunderten, als Jesus Christus gekreuzigt werden sollte. Und dennoch, wie der Prophet Joseph Smith sagte: „Uns [erwarten] zu dieser Zeit große Segnungen, und sie werden bald über uns ausgegossen werden, wenn wir in allem treu sind, denn wir sind sogar zu noch größeren Segnungen berechtigt als sie, denn sie hatten ja Christus persönlich bei sich, um von ihm über den großen Errettungsplan belehrt zu werden. Er ist nicht persönlich bei uns anwesend, darum brauchen wir größeren Glauben.“3 Der Glaube ist der erste Grundsatz des Evangeliums Jesu Christi, wie der Prophet Joseph Smith dargelegt hat: „Wir glauben an Gott, den ewigen Vater, und an seinen Sohn, Jesus Christus, und an den Heiligen Geist.“4 Dieser Glaube wird die Zuflucht für unsere Seele.

Nie zuvor in der Weltgeschichte war es notwendiger, an Gott zu glauben. Wissenschaft und Technologie mögen uns zwar grenzenlose Möglichkeiten eröffnen, sie bringen uns aber auch große Gefahren, weil der Satan diese wunderbaren Entdeckungen zu seinem großen Vorteil einsetzt. Das Internet, das sich über den ganzen Globus erstreckt, ist überfüllt mit Informationen, für die niemand Verantwortung übernimmt, was ihren Wahrheitsgehalt und ihren Ursprung betrifft. Das Verbrechen ist sehr viel subtiler geworden, das Leben sehr viel gefährlicher. Im Krieg ist das Töten viel effizienter geworden. Große Herausforderungen stehen uns bevor, wenn die Kraft des Glaubens, des Urteilsvermögens, der Ehrlichkeit, der Anständigkeit, der Selbstbeherrschung und des Charakters nicht proportional zunimmt, um die Erweiterung des weltlichen Wissens auszugleichen. Ohne sittlichen Fortschritt, der durch den Glauben an Gott angeregt wird, wird die Unsittlichkeit in jeglicher Gestalt wuchern und Tugend und Anständigkeit ersticken. Die Menschheit wird nicht in der Lage sein, die mögliche edle Natur der menschlichen Seele zu entfalten, wenn der Glaube an Gott nicht gestärkt wird.

In unserer Zeit ist der Glaube, dass Wissenschaft und Technologie alle Probleme der Menschheit lösen können, zur Religion geworden.Ich würde verzweifeln, wenn ich davon ausginge, dass unsere ewige Errettung von wissenschaftlichen, technischen und weltlichen Erkenntnissen abhinge, losgelöst von Rechtschaffenheit und dem Wort Gottes. Das Wort Gottes, wie es durch die Jahrhunderte von seinen Propheten gesprochen wurde, lässt keinen anderen Schluss zu. Viele glauben, die transzendenten Antworten auf die Fragen des Lebens seien im Reagenzglas, im Labor, in Gleichungen und Teleskopen zufinden. Diese Theokratie der Wissenschaft bleibt jedoch die endgültige Antwort auf die allumfassende Frage nach dem Warum schuldig. Ursache und Wirkung zu kennenist faszinierend, erklärt aber nicht, warum wir hier sind, woher wir kommen und wohin wir gehen. Wie Albert Einstein gesagt hat: „Ich glaube niemals, dass Gott mit der Welt würfelt.“5

Präsident Harold B. Lee hat einmal gesagt: „Wieviel Fortschritt der Mensch in der Wissenschaft auch macht, er bleibt doch immer dem Willen und der Führung göttlicher Vorsehung unterworfen. Der Mensch hat noch nie etwas entdeckt, was Gott nicht bereits wusste.“6

Ich glaube nicht, dass dieser gewaltige Strom des Wissens ein Zufall war. All dieses weltliche Wissen ist nicht ausschließlich dem kreativen Verstand von Männern und Frauen entsprungen. Die Menschheit ist schon lange Zeit auf der Erde. Jahrhundertelang entwickelte sich das Wissen im Schneckentempo.

Ich glaube, dass die Himmel aufgeschlossen wurden, als Gott, der Vater, und sein Sohn, der Herr Jesus Christus, 1820 Joseph Smith erschienen, und das nicht nur im Hinblick auf das umfangreiche geistige Wissen, das in dieser Evangeliumszeitoffenbart wurde, sondern auchim Hinblick auf weltliches Wissen. „Anthropologen sagen uns, dassder Mensch über Tausende von Jahren hinweg eine durchschnittliche Lebenserwartung von 25 bis 30 Jahren hatte.“7 Seit dem späten 19. Jahrhundert ist die Lebenserwartung jedoch weltweit auf 64 Jahre angestiegen.8 Neue Ideen, einschließlich wissenschaftlicher Erfindungen und Entdeckungen, mit denen man etwas besser machen kann, gab es zwischen 4000 v. Chr. und 1 n. Chr. etwa 39 pro Jahr, verglichen mit 3840 neuen Ideen pro Jahr im 19. Jahrhundert und 110 000, die heute pro Jahr entwickelt werden.9

Nun sind wir gefordert, zu verhindern, dass das Wissenschaftliche, das Technische und das Intellektuelle unsere geistige Erleuchtung erstickt. Jemand hat einmal gesagt: „Die größte aller nicht entwickelten Ressourcen [unseres Landes] ist der Glaube; die größte aller ungenutzten Kräfte ist das Gebet.“10 Mit Hilfe der Technologie können wir miteinander und mit der Welt kommunizieren, aber nicht mit Gott.

Nun richte ich die Stimme der Warnung an unsere Mitglieder. Ich erkläre feierlich, dass dieses geistige Reich des Glaubens mit oder ohne uns als Einzelne vorangehen wird. Keine ungeheiligte Hand kann das Wachstum der Kirche aufhalten oder die Erfüllung ihrer Mission verhindern. Jeder von uns kann zurückgelassen werden, weggelockt von den verführerischen Stimmen des Säkularismus und Materialismus.

Um den Glauben zu bewahren, müssen wir demütig und mitfühlend und zu den Armen und Bedürftigen freundlich und großzügig sein. Der Glaube wird außerdem durch die tägliche Dosis Geistigkeit bewahrt, die wir erhalten, wenn wir uns zum Gebet niederknien. Das beginnt bei jedem Einzelnen und erstreckt sich dann auf unsere Familien, die in Rechtschaffenheit gefestigt werden müssen. Ehrlichkeit, Anständigkeit, Redlichkeit und Sittlichkeit sind ebenfalls notwendige Zutaten für unseren Glauben und sind eine Zuflucht für unsere Seele.

Der einfache Glaube an Gott den Vater, seinen Sohn Jesus Christus und den Heiligen Geist wirkt wie ein starkes Ladegerät in unserem Leben. Wie Elder Charles W. Penrose gesagt hat: „Manche Menschen wollen nichts glauben, was sie nicht mit menschlicher Vernunft erfassen oder mit ihren natürlichen Augen sehen können. Gesegnet ist jedoch der Mann, der glaubt, gesegnet ist die Frau, die glaubt! Denn durch Glauben sehen sie das, was mit den natürlichen Augen nicht wahrgenommen wird. Sie können die Bereiche der Unsterblichkeit erreichen, ewige Realitäten begreifen und das, was von Gott ist, erfassen!“11 Und zwar deshalb, weil der Glaube unsere natürlichen Gaben und unsere Leistungsfähigkeit verstärkt.

Der Glaube intensiviert undvergrößert unsere Gaben und Fähigkeiten. Es gibt keine größere Wissensquelle als die Inspiration, die von der Gottheit kommt, die ja alles Wissen und alle Erkenntnis besitzt--von allem, was war, was jetzt ist und was in der Zukunft sein wird.

In Haun’s Mill lernte eine heldenhafte Pioniersfrau, Amanda Smith, durch Glauben etwas zu tun, was über ihre Fähigkeiten und die wissenschaftlichen Erkenntnisseihrer Zeit hinausging. An jenem schrecklichen Tag im Jahr 1838, als die Schüsse verstummten und der Mob sich entfernte, kehrte sie zu der Mühle zurück und sah ihren ältesten Sohn Willard, der seinen siebenjährigen Bruder Alma trug. Sie rief aus: „Oh! Mein Alma ist tot!“

„Nein, Mutter“, sagte er, „ich glaube, Alma lebt noch. Aber Vater und Bruder Sardius sind [tot]!“ Doch für Tränen war keine Zeit. Almas ganzer Hüftknochen war weggeschossen worden. Amanda erinnerte sich später:

„Fleisch, Hüftknochen, Gelenk, alles war weggerissen worden.... Wir legten den kleinen Alma auf ein Bett in unserem Zelt und ich untersuchte die Wunde. Es war ein grauenvoller Anblick. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.... Doch da war ich, die ganze lange, schreckliche Nacht, mit meinen Toten und meinen Verwundeten und Gott allein als unserem Arzt und Helfer. Oh mein himmlischer Vater’, rief ich aus, ‘was soll ich tun? Du siehst meinen armen verwundeten Jungen und weißt, wie unerfahren ich bin. Oh, himmlischer Vater, weise mich an, was ich tun soll!’ Und dann wurde ich angewiesen. Es war, als ob eine Stimme zu mir sprach.

... Das Feuer schwelte noch.... Ich wurde angewiesen, aus ... der Asche eine Lauge zu machen und ein Tuch damit zu tränken und es direkt in die Wunde zu legen.... Wieder und wieder tränkte ich das Tuch und legte es in das Loch ... und jedes Mal kamen mit dem Tuch auch zerquetschtes Fleisch und Knochensplitter heraus; und die Wunde wurde so weiß wie Hühnerfleisch.

Nachdem ich diese Anweisung ausgeführt hatte, betete ich wiederum zum Herrn und wurde erneut so deutlich unterwiesen, als ob ein Arzt neben mir gestanden und zu mir gesprochen hätte. In der Nähe war ein Ulme. Aus dieser, so wurde mir gesagt, sollte ich einen ... Brei machen und die Wunde damit füllen.... Ich machte den Brei und versorgte die Wunde, die mit einem Viertel eines einen Meter breiten Tuches bedeckt werden musste....

Ich brachte den verwundeten Jungen in ein Haus ... und versorgte seine Hüfte, wobei mich der Herr wie zuvor anwies. Ich wurde daran erinnert, dass in der Truhe meines Mannes eine Flasche Balsam war. Diesen goss ich in die Wunde, was Almas Schmerzen sehr linderte.

Alma, mein Kind‘, sagte ich, glaubst du, dass der Herr deine Hüfte gemacht hat?’

Ja, Mutter.’

Dann kann der Herr doch sicher auch etwas anderes anstelle deiner Hüfte wachsen lassen, glaubst du das nicht auch, Alma?’

Glaubst du, dass der Herr das kann, Mutter?’ fragte das Kind in seiner Schlichtheit.

Ja, mein Sohn‘, erwiderte ich, er hat es mir alles in einer Vision gezeigt.’

Dann drehte ich ihn auf den Bauch, so dass er bequem lag, und sagte: Jetzt bleibst du so liegen und bewegst dich nicht, und der Herr wird dir eine neue Hüfte machen.’

So lag Alma fünf Wochen lang auf dem Bauch, bis er ganz gesund war--dort, wo das Gelenk und die Gelenkpfanne fehlten, war ein biegsamer Knorpel gewachsen, was den ärzten bis heute ein Rätsel bleibt....

Das ist jetzt fast vierzig Jahre her, und Alma humpelt kein bisschen. Er ist in der Zeit, als er als Missionar das Evangelium verkündet hat, viel gereist und [ist] ein lebendiges Zeugnis für die Macht Gottes.“12

Die Behandlung war für die damalige Zeit ungewöhnlich und ist auch heute gänzlich unbekannt, aber wenn wir wie Schwester Smith in höchste Not geraten, müssen wir wie sie unseren schlichten Glauben ausüben und auf den Geist hören. Wenn wir unseren Glauben ausüben, wird er stärker. Wie Alma gelehrt hat:

„Wenn ihr ... zu einem kleinen Teil Glauben ausübt, ... bis ihr auf eine Weise glaubt, dass ihr einem Teil meiner Worte Raum geben könnt.

... Es muss notwendigerweise ... sein, [dass] das Wort [gut] ist, denn es fängt an, meine Seele zu erweitern; ja, es fängt an, mein Verständnis zu erleuchten....

Nun siehe, würde dies nicht euren Glauben vermehren?“13

Rechtschaffenheit muss den Glauben begleiten. Starken Glauben verdienen wir uns, indem wir die Gebote halten. Das hilft uns, „die Rüstung Gottes“ anzuziehen, wie Paulus gesagt hat.14

Für uns Mitglieder gibt es ein paar absolute Wahrheiten, auf denen unser Glaube beruhen muss. Es sind grundlegende, ewige Wahrheiten, nämlich:

  1. Jesus, der Sohn des Vaters, ist der Messias, der Erretter und Erlöser der Welt.

  2. Joseph Smith war das Werkzeug, wodurch das Evangelium in seiner Fülle und Vollständigkeit in unserer Zeit wiederhergestellt wurde.

  3. Das Buch Mormon ist das Wort Gottes und, wie der Prophet Joseph Smith gesagt hat, der Schluss-Stein unserer Religion und ein weiteres Zeugnis für Jesus als den Messias und den Erlöser aller Menschen.

  4. Gordon B. Hinckley hat, wie alle vorangegangenen Präsidenten der Kirche, alle Schlüssel und Vollmacht inne, die durch den Propheten Joseph Smith wiederhergestellt wurden.

Dies ist Gottes Werk. Ich glaube und bezeuge: Wenn wir, wie Paulus gesagt hat, „zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen“15, können wir voll Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft gehen. Wir erhalten dann die Kraft, jegliche Widrigkeit zu überwinden. Wir freuen uns an unseren Segnungen und unsere Seele findet Frieden. Dass wir das tun mögen, erbitte ich demütig im Namen Jesu Christi, amen.

  1. Pete Seeger.

  2. Discourses of Brigham Young, Hg. John A. Widtsoe (1954), 72.

  3. Lehren des Propheten Joseph Smith, 92.

  4. Die Glaubensartikel 1:1.

  5. Familiar Quotations, Hg. John Bartlett, 14. Ausgabe (1968), 950.

  6. Be Ye Not Deceived, Brigham Young University Speeches of the Year (4. Mai 1965), 6.

  7. Stephen Moore, „Great American Century is Just Beginning“, Arizona Republic, 9. Januar 2000.

  8. New York Times 2000 Almanac (1999), 484.

  9. Siehe Charles I. Jones, „Was an Industrial Revolution Inevitable? Economic Growth Over a Very Long Run“, Arbeitspapier 7375, National Bureau of Economic Research, Cambridge, Mass., 1999, 32.

  10. Roger W. Babson, Religion and Business (1921), 80.

  11. „Amanda Smith“, in: Historical Record, Hg. Andrew Jenson, 9 Bände (1882–1890), 5:84– 86; Absatzeinteilung und Zeichensetzung geändert.

  12. Alma 32:27–29.

  13. Epheser 6:11.

  14. Epheser 4:13.