2008
Präsident Henry B. Eyring
Juli 2008


Präsident Henry B. Eyring

Von Gott berufen

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President Henry B. Eyring

Ein paar Jahre nachdem Henry Bennion Eyring zum Präsidenten des Ricks College (heute Brigham-Young-Universität Idaho) ernannt worden war, wurde ihm eine hochbezahlte, renommierte Stelle in Südkalifornien angeboten.

„Das klingt nach einer großartigen Chance“, sagte Präsident Spencer W. Kimball, als Henry ihm das Angebot und dessen Vorteile beschrieb. „Sollten wir dich brauchen, wissen wir ja, wo du bist.“

Henry hatte erwartet, dass Präsident Kimball, sein Onkel, ihn bitten würde, am Ricks College zu bleiben. Stattdessen wurde deutlich, dass Henry und seine Frau Kathleen wegen dieser Entscheidung beten und fasten sollten, und das taten sie auch. Noch in derselben Woche erhielt Henry vom Geist die Eingebung, er dürfe noch „ein wenig länger“ am Ricks College bleiben.

Er rief Jeffrey R. Holland an, der damals Beauftragter für das Bildungswesen der Kirche war, und sagte ihm, dass er das Angebot abgelehnt hatte. Am selben Abend erhielt Henry einen Anruf von Präsident Kimball.

„Du hast dich also entschieden zu bleiben“, sagte Präsident Kimball.

„Ja“, erwiderte Henry.

„Meinst du, das war ein Opfer?“, fragte Präsident Kimball.

„Nein“, sagte Henry.

„Genau“, bestärkte ihn Präsident Kimball. Damit beendete Präsident Kimball das Gespräch.

Wer Henry B. Eyring kennt, weiß von seiner Bereitschaft, auf geistige Eingebungen zu hören – selbst wenn das bedeutet, etwas aufzugeben, was die Welt für wichtig hält. Er hat erfahren, dass Glaube und Demut, verbunden mit Gehorsam, Gottes Kinder dafür bereitmachen, Segnungen zu empfangen, die bedeutender sind als weltlicher Reichtum.

Nach dem Tod von Präsident Gordon B. Hinckley am 27. Januar 2008 berief Präsident Thomas S. Monson Präsident Eyring zum Ersten Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft. Zuvor hatte Präsident Eyring vier Monate lang als Zweiter Ratgeber gedient und damit die freie Stelle ausgefüllt, die durch den Tod von Präsident James E. Faust entstanden war.

„Hal“, wie er von der Familie und Freunden genannt wird, wurde am 31. Mai 1933 in Princeton in New Jersey geboren. Als zweiter von drei Söhnen von Henry Eyring und Mildred Bennion gehört er zu einer Familie, die großen Wert auf geistige und weltliche Bildung legt.

Sein Vater war ein bekannter Chemiker, der an der Princeton-Universität lehrte. Seine Mutter, eine Dozentin, die an der University of Utah den Fachbereich Frauensport leitete, war gerade mit ihrer Doktorarbeit an der University of Wisconsin beschäftigt, als sie ihren zukünftigen Ehemann kennenlernte. Gemeinsam gaben sie an ihre Söhne ihr Vertrauen in den Herrn und ihren Glauben an sein Evangelium weiter.

Ein Vermächtnis des Glaubens

Präsident Eyring führt das Vermächtnis des Glaubens in seiner Familie zurück auf seine Vorfahren, die auf die Eingebungen des Geistes und die Weisung von Priestertumsführern gehört und entsprechend gehandelt haben. Sein Urgroßvater, Henry Eyring, der 1853 im Alter von achtzehn Jahren Deutschland verließ, lernte im darauffolgenden Jahr in St. Louis in Missouri die Kirche kennen. Sein Wunsch nach Offenbarung, was die Kirche betraf, erfüllte sich durch einen Traum, in dem Elder Erastus Snow vom Kollegium der Zwölf Apostel, den er erst später kennenlernen sollte, ihm gebot, sich taufen zu lassen. 1860 folgte ein ähnlicher Traum, in dem er Präsident Brigham Young zum ersten Mal sah. Zu der Zeit erfüllte er eine Mission im heutigen Oklahoma und Arkansas.1

Dieser Urgroßvater Eyring lernte die Schweizer Immigrantin Mary Bommeli kennen, als er sich nach seiner Mission auf dem Weg nach Utah ihrer Pionierabteilung anschloss. Mary, die 24 war, als ihre Familie der Kirche beitrat, war in Berlin inhaftiert worden, weil sie das Evangelium verkündet hatte. Am Abend ihrer Verhaftung schrieb sie einen Brief an den Richter, der ihren Fall verhandeln sollte. Sie schrieb dem Richter, „einem weltlichen Menschen“, von der Auferstehung und der Geisterwelt und forderte ihn auf, umzukehren, um sich und seine Familie vor „großem Kummer“ zu bewahren. Der Richter ließ die Anklage schnell fallen, und Mary wurde aus dem Gefängnis entlassen.2 Henry und Mary heirateten kurz nach ihrer Ankunft im Salzseetal.

Von Europa bis zu den Wüsten im Süden Utahs und in Arizona und bis zu den Kolonien im Norden Mexikos bezwangen Präsident Eyrings Vorfahren die Wildnis, verkündeten das Evangelium, flohen vor Verfolgung, gründeten Schulen und sorgten für die Bildung ihrer Kinder.

Der Einfluss einer Frau

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach und das Benzin rationiert wurde, konnte Familie Eyring nicht mehr die 27 Kilometer bis zum Zweig New Brunswick fahren, um die Sonntagsversammlungen zu besuchen. Deshalb erhielt die Familie die Erlaubnis, bei sich zu Hause in Princeton die Versammlungen abzuhalten. Hal scherzte, er habe dort nie eine PV-Versammlung versäumt – was nicht allzu schwierig war, wenn man bedenkt, dass die PV dort nur ein einziges Mal abgehalten wurde.

Präsident Eyring denkt oft an den wunderbaren Geist in den Abendmahlsversammlungen dort in diesem kleinen Zweig, der aus seiner Familie und gelegentlichen Gästen bestand. Es machte ihm nichts aus, dass meist nur seine Familie anwesend war und dass er und seine Brüder die einzigen Träger des Aaronischen Priestertums waren. Doch als die Jungen ins Teenageralter kamen, war es ihrer Mutter wichtig, dass die Familie unter einer größeren Gruppe von Heiligen der Letzten Tage lebte.

1946 genoss Henry seinen Erfolg und seine Arbeit in Princeton. Er hatte zahlreiche Ehrendoktortitel und viele bedeutende Auszeichnungen im Fach Chemie erhalten. Dank seiner sorgfältigen wissenschaftlichen Arbeit gemeinsam mit weltbekannten Kollegen standen die Chancen sehr gut, dass er für einen Nobelpreis nominiert würde.

Etwa zu dieser Zeit erhielt Henry einen Anruf von A. Ray Olpin, dem Präsidenten der University of Utah, der ihm anbot, Dekan des Bereichs Aufbaustudien zu werden und seine chemische Forschungsarbeit fortzusetzen. Seine Frau Mildred überließ Henry die Entscheidung, erinnerte ihn aber daran, dass er ihr Jahre zuvor etwas versprochen hatte, nämlich mit seiner Familie näher zum Hauptsitz der Kirche zu ziehen, wenn die Jungen älter wurden. Als Henry das Angebot ablehnte, bat ihn Mildred, die in Utah aufgewachsen war, wegen seiner Entscheidung zu beten, und sie gab ihm einen Brief, den er nach seiner Ankunft im Labor lesen sollte.

Nachdem er den Brief gelesen hatte, in dem Mildred ihre Enttäuschung zum Ausdruck brachte, und nachdem er gebetet und viel nachgedacht hatte, rief Henry Präsident Olpin an und sagte ihm, er würde die Stelle doch annehmen und die wissenschaftliche Fakultät der Universität aufbauen. Das vermeintliche Opfer, Princeton zu verlassen, erwies sich als Segen für ihn und seine Familie. Beispielsweise war es ein Segen, dass Hal bereit war, dem Beispiel seines Vaters zu folgen, als er Jahre später vor einer ähnlichen Entscheidung stand.

Vorbereitung auf die Zukunft

„Als mein Bruder ein Teenager war, bemerkte ich, wie sehr er sich von anderen Teenagern unterschied“, sagt Harden Eyring, der seinen älteren Bruder seinen Mentor und Freund nennt. Als Hal die Highschool besuchte, erzählt Harden, vertiefte er sich in die heiligen Schriften und las das Buch Mormon fünfmal.

Hal hielt sich nicht für etwas Besseres, aber er nahm an keinen Unternehmungen teil, die seine Geistigkeit beeinträchtigen konnten. Er nahm sich Zeit, für die East High School in Salt Lake City Basketball zu spielen, aber das Lernen war ihm am wichtigsten.

„Als ich ein Teenager war, ging ich immer in die Eisdielen, wo sich alle trafen“, sagt Harden. „Aber Hal ging abends abends nicht zu den angesagten Treffpunkten. Stattdessen las und lernte er.“

Sein älterer Bruder Ted, Chemieprofessor an der University of Utah, war in seinem letzten Studienjahr, als auch er einige Kurse mit Hal besuchte. Ted beobachtete, dass Hal sich mit jedem im Kurs messen konnte. „Wenn Hal sich auf etwas konzentriert, kann er alles erreichen“, sagt er. „Er ist ein wirklich lustiger Kerl und bleibt auch in ernsten, schwierigen Situationen guten Mutes. Hal ist seinem Vater sehr ähnlich.“

Doch als Hal älter wurde, entdeckte er einen großen Unterschied zwischen sich und seinem Vater.

Henry Eyring spornte seine Söhne an, Physik zu studieren und Wissenschaftler zu werden. Hal studierte pflichtgemäß Physik als Hauptfach an der University of Utah, aber als er einmal seinen Vater bat, ihm bei einer schwierigen Mathematikaufgabe zu helfen, stellte Henry fest, dass Hal seine Leidenschaft nicht teilte.

„Vater stand an der Tafel, die im Keller aufgestellt war“, erzählt Präsident Eyring. „Plötzlich hielt er inne. ‚Hal‘, sagte er, ‚wir haben uns schon letzte Woche mit derselben Aufgabe beschäftigt, aber du scheinst sie heute kein bisschen besser lösen zu können. Hast du dir denn überhaupt keine Gedanken darüber gemacht?‘“

Hal verneinte. Dann gestand er seinem Vater, dass Physik nicht unbedingt das war, woran er ständig dachte. Sein Vater war einen Augenblick ganz still und sagte dann sanft zu seinem Sohn, dass er einen Beruf wählen sollte, der ihm wirklich lag: „Du musst etwas finden, was dir so wichtig ist, dass du immer daran denkst, wenn du an nichts anderes denken musst.“3

Dennoch schloss Hal 1955 sein Physikstudium erfolgreich ab, ehe er zur US-Luftwaffe ging. Der Koreakrieg war kurz zuvor beendet worden, und aus jeder Gemeinde wurden nur ganz wenige junge Männer auf Vollzeitmission berufen. Eine Zeit lang war die Missionarsschule in Salt Lake City geschlossen und es wurden keine Missionare ausgesandt. Hals Bischof verhieß ihm jedoch in einem Segen, dass sein Militärdienst seine Mission sei. Zwei Wochen nach seiner Ankunft auf dem Stützpunkt Sandia in der Nähe von Albuquerque, New Mexico, wurde Hal als Distriktsmissionar der Western-States-Mission berufen – eine Berufung, die er während seiner zweijährigen Militärzeit abends und am Wochenende erfüllte.

Nachdem er seinen Militärdienst absolviert hatte, schrieb sich Hal bei der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Harvard-Universität ein und erwarb dort 1959 den Magistertitel und 1963 den Doktortitel in Betriebswirtschaft. Seine Intelligenz hätte es ihm gestattet, ein erfolgreicher Wissenschaftler zu werden, aber Hal stellte fest, dass sein Interesse darin lag, zu lehren, zu erbauen und andere zu stärken.

Er hörte auf den Geist

Als Hal im Sommer 1961 in Harvard studierte, lernte er Kathleen Johnson kennen, Tochter von J. Cyril und LaPrele Lindsay Johnson aus Palo Alto in Kalifornien. Sie belegte in Boston einen Sommerkurs der Universität. Hal war von dem Augenblick an, als er sie zum ersten Mal sah, hingerissen. Er spürte sofort den Wunsch, sein Bestes zu geben, wenn er in ihrer Gegenwart war – und dieses Gefühl hat ihn während ihres gemeinsamen Lebens nie mehr losgelassen.

Sie gingen in diesem Sommer miteinander aus und setzten ihre Freundschaft durch Telefonanrufe und Briefe fort, nachdem Kathleen wieder nach Kalifornien zurückgekehrt war. Im Juli 1962 heirateten die beiden im Logan-Tempel in Utah. Elder Spencer W. Kimball nahm die Trauungszeremonie vor. Noch im gleichen Jahr wurde Hal Dozent an der Wirtschaftsfakultät der Stanford-Universität.

Neun Jahre später hatte Hal eine Professur an der Stanford-Universität und war außerdem Bischof der Gemeinde Stanford 1. Seine angeheiratete Familie lebte in der Nähe und „alles war geregelt“, erzählt er. Doch einmal, das war 1971, weckte ihn seine Frau Kathleen mitten in der Nacht und stellte ihm zwei ungewöhnliche Fragen: „Bist du ganz sicher, dass du aus deinem Leben das Richtige machst?“

Hal, der sich fragte, wie sie noch glück-licher sein sollten, erwiderte: „Was meinst du damit?“

Kathleen antwortete: „Könntest du nicht für Neal Maxwell Studien durchführen?“

Neal A. Maxwell war kurz zuvor zum Beauftragten für das Bildungswesen der Kirche ernannt worden. Weder Hal noch Kathleen kannten ihn, doch Kathleen meinte, dass ihr Mann vielleicht noch mehr tun könne, um das Leben von Menschen zu verändern.

„Studien durchführen für Neal Maxwell – an diesem Punkt meiner beruflichen Laufbahn?“, erwiderte Hal. Überhaupt war er der Meinung, Studien durchzuführen, das sei wohl etwas für einen Studenten.

Nach einiger Zeit fragte Kathleen: „Wirst du darüber beten?“

Hal war schon lange genug verheiratet, um zu wissen, dass es nicht gut war, den Rat seiner Frau zu ignorieren. Er stieg aus dem Bett und sprach ein Gebet. „Ich erhielt keine Antwort“, sagt er, „und ich fühlte mich großartig, denn ich wollte nicht woanders hingehen.“

Am nächsten Tag, während der Sitzung der Bischofschaft, kam Hal eine vertraute Stimme in den Sinn und tadelte ihn, weil er die Eingebung seiner Frau so leichtsinnig von sich gewiesen hatte. „Du weißt nicht, welcher Weg beruflich nach oben führt“, wurde ihm gesagt. „Wenn dir noch einmal eine Stelle angeboten wird, dann trag es mir vor.“

Hal war von diesem Erlebnis sehr betroffen und ging gleich nach Hause. „Wir haben ein Problem“, sagte er zu Kathleen. Er fürchtete, dass es ein Fehler gewesen war, die Angebote, die er erhalten hatte, als er in Stanford war, abzulehnen. „Ich hatte nie darüber gebetet“, sagt er. Demütig gestimmt machte er sich daran, über seine Zukunft zu beten.

Nicht eine Woche war vergangen, seit Kathleen spätabends ihre Fragen gestellt hatte, da rief Neal Maxwell an und lud Hal nach Salt Lake City zu einem Gespräch ein. Er flog am nächsten Tag, und die beiden Männer trafen sich in Hals Elternhaus. Die allerersten Worte, die Neal Maxwell an ihn richtete, waren: „Ich möchte Sie bitten, Präsident des Ricks College zu werden.“

Selbst die Eingebung seiner Frau und der Tadel, den er durch den Geist erhalten hatte, hatten ihn nicht auf diese Überraschung vorbereitet. Er sagte dem Bildungsbeauftragten Maxwell, dass er darüber beten musste. Schließlich wusste er kaum etwas über das Ricks College. Am nächsten Morgen kam er mit der Ersten Präsidentschaft zusammen. Danach sagte ihm Neal Maxwell, dass die Stelle ihm gehöre, wenn er sie haben wolle.

Nach seiner Rückkehr nach Kalifornien betete Hal weiterhin inständig. Er erhielt eine Antwort, aber er überhörte sie fast. „Ich hörte eine Stimme, die so leise sprach, dass ich sie gar nicht beachtete“, erzählt er. „Die Stimme sagte: ‚Es ist meine Hochschule.‘“ Er rief Neal Maxwell an und sagte: „Ich komme.“

Kurzerhand gab Hal seine Professur in Stanford mit all ihren Vorteilen auf, um in einem Wohnwagen in Rexburg in Idaho zu leben. Erst mehrere Monate nach seiner Amtseinsetzung als Präsident des Ricks College, am 10. Dezember 1971, zog er mit seiner Familie in ein neues Haus, an dessen Bau er selbst mitgewirkt hatte.

„Als ich ans Ricks College ging, war ich um einige Erkenntnisse reicher“, sagt er. „Zunächst einmal wusste ich, dass ich gar kein so hohes Tier war, wie ich angesichts meiner guten Position in Stanford gemeint hatte. Außerdem wusste ich, dass meine Frau vor mir Offenbarung empfangen hatte. Und schließlich wusste ich, dass ich mich glück-lich schätzen konnte, dort zu sein. Und ich frage mich nicht: ‚Wie habe ich nur meine Karriere in Stanford aufgeben können?‘, sondern ich stelle fest: ‚Der himmlische Vater hat das erledigt. Ich empfand das nie als Opfer.‘“

Die sechs Jahre, die Präsident Eyring in Rexburg verbrachte, erwiesen sich als Segen für seine Familie und für das College. Ein weiser Rat von einem demütigen Heimlehrer trug dazu bei, dass es denkwürdige Jahre wurden. Der Heimlehrer, ein Farmer mit großem Glauben, ermutigte Präsident Eyring, sein Büro immer wieder zu verlassen, um mit Dozenten, Mitarbeitern und Studenten zusammenzukommen, ihnen Mut zu machen und ihnen zu danken.

Hal betete darüber, hatte das Gefühl, er solle den Rat befolgen, und verbrachte von da an mehr Zeit mit den glaubenstreuen Studenten und engagierten Dozenten und Mitarbeitern des Colleges. Gemeinsam mit einer anderen Lehrkraft erteilte er sogar Religionsunterricht. Während er eifrig daran arbeitete, die geistigen und akademischen Grundlagen des Colleges zu formen, wuchsen ihm und Kathleen die Menschen am Campus und in Rexburg ans Herz.

Die Familie kommt zuerst

Die Jahre in Rexburg schweißten Familie Eyring enger zusammen. Damals hatten Hal und Kathleen vier Söhne: Henry J., Stuart, Matthew und John. Danach wurden sie auch noch mit zwei Töchtern gesegnet: Elizabeth und Mary Kathleen. Doch selbst in einer so kleinen, ländlichen Stadt mussten Hal und Kathleen wachsam sein. Eine Sorge war, wie viel ihre Söhne fernsahen und was sie sich anschauten. Henry J., der älteste Sohn, erinnert sich an ein Erlebnis, das die Atmosphäre in der Familie nachhaltig verändert hat.

„Mein Bruder und ich saßen eines Nachts am Samstag vor dem Fernseher, es war schon um Mitternacht“, sagt Henry J. „Es wurde eine wertlose Comedy-Show gesendet, die wir besser nicht hätten anschauen sollen. In dem Raum im Untergeschoss war es dunkel, nur der Fernseher gab Licht. Ohne Vorwarnung kam Mutter herein. Sie trug ein weißes, weites Nachthemd und hatte eine Schere in der Hand. Ohne ein Geräusch zu machen, griff sie hinter den Fernseher, nahm das Kabel und machte eine Schlinge. Dann setzte sie die Schere an und schnitt das Kabel durch. Die Funken sprühten und der Fernseher ging aus. Doch da war Mutter bereits wieder aus dem Zimmer geschwebt.“

Entmutigt machte sich Henry J. auf den Weg in sein Schlafzimmer. Doch sein erfinderischer Bruder schnitt ein Kabel von einem kaputten Staubsauger ab und verband es mit dem Fernseher. Schon bald saßen die Jungs wieder vor dem Fernseher; sie hatten kaum etwas von ihrer Sendung verpasst.

„Aber Mutter war trotzdem Sieger“, sagt Henry J. „Als wir am nächsten Montag von der Schule nach Hause kamen, lag der Fernseher mitten auf dem Boden, mit einem großen Sprung quer über den Bildschirm. Sofort verdächtigten wir Mutter. Als wir sie darauf ansprachen, antwortete sie mit vollkommen unbewegter Miene: ‚Ich habe unter dem Fernseher abgestaubt, und er fiel hinunter.‘“

Präsident Eyring respektierte die Wünsche seiner Frau, die Kinder respektierten den Wunsch ihrer Mutter, und von da an war das Fernsehen bei Familie Eyring abgeschafft. „Meistens führt Mutter durch ihr stilles Beispiel“, meint Henry J. „Doch sie ist auch inspiriert und furchtlos. Mutters Durchsetzungsvermögen war und ist für ihre Kinder und Enkel ein großer Segen. Sowohl in entscheidenden Momenten als auch in den alltäglichen Gewohnheiten hat sie unser Leben für immer verändert.“

Präsident Eyring rechnet es seiner Frau immer noch hoch an, dass sie in ihm den Wunsch weckt, sein Bestes zu geben und das Beste aus sich zu machen, und er ist dankbar, dass sie diesen Einfluss auch auf ihre Kinder hat. Er lobt gern ihr gutes Beispiel und ihren geistigen Einfluss auf die Familie. Sie gibt das Kompliment zurück und sagt, wie dankbar sie dafür ist, dass er empfänglich für den Geist ist und das Evangelium in ihrer Familie erfolgreich lehrt und lebt.

„Für Hal gab es nie einen Zweifel daran, wer ihm vor allem anderen am Herzen liegt“, sagt sie. „Er bewegte sich in Stanford in einem sehr konkurrenzbetonten Umfeld, da er ja auch fähige Kollegen hatte, aber seine Familie kam immer an erster Stelle. Wenn wir abends zusammen waren, fragte er jedes Mal: ‚Wen haben wir nicht angerufen?‘ Dann ging er zum Telefon und meldete sich, vom Geist geführt, bei einem Familienmitglied, das den Anruf an diesem Abend brauchte.“

Da es im Haus keinen Fernseher gab, hatte die Familie mehr Zeit füreinander und mehr Zeit, Interessen nachzugehen, Talente zu entwickeln, Sport zu treiben und gemeinsam etwas zu unternehmen. Über die Jahre hat Präsident Eyring seine Kochkünste verfeinert (er bäckt selbst Brot), sein Geschick für Schnitzereien entdeckt und gelernt, Aquarelle zu malen. Ab und zu versendet er eine Dankeskarte oder ein Aquarellbild zur Erinnerung.

Im Haus der Familie Eyring findet man heute viele Aquarellbilder, Schnitzereien und auch Möbelstücke, die er mit Hilfe von erfahrenen Lehrern angefertigt hat. Viele der Kunstwerke stellen moralische Werte oder geistige Erkenntnisse dar. Außerdem nimmt er sich Zeit, tägliche E-Mails, die liebevoll „die kleinen Platten“ genannt werden, an seine Familie zu schicken, zu der mittlerweile 25 Enkel gehören.

„Vaters Familientagebuch, das er jeden Tag per E-Mail versendet, mit Fotos und Beiträgen von den Kindern, gibt uns das Gefühl, als würden wir jeden Abend gemeinsam um den Ess-tisch sitzen und Geschichten erzählen“, sagt Henry J.

Bereit zu dienen

Damals war es Präsident Eyring noch nicht klar, aber als er die Stelle am Ricks College annahm, ließ er seine weltliche Berufslaufbahn hinter sich. Seine Arbeit als Präsident des Colleges und, parallel dazu, sein Dienst als Regionalrepräsentant und Mitglied des Hauptausschusses der Sonntagsschule brachten ihn immer wieder in Kontakt mit Führern der Kirche, die seine Talente und seine geistigen Gaben erkannten. Und der Herr kannte inzwischen seine Bereitschaft zu dienen.

Die wichtigen Berufungen, die Präsident Eyring nach den sechs Jahren am Ricks College erhielt, wurden ausgesprochen, weil die Führer der Kirche durch Inspiration zu ihm geführt wurden. Stets führte ihn der Geist in einer Vorbereitungsphase auf diese Berufungen hin, während er arbeitete, den Willen Gottes erfragte, auf Antworten achtete und, wie seine Vorfahren, den Eingebungen folgte, die er erhielt. Als die Berufungen dann kamen, war er bereit.

1977 bat Jeffrey R. Holland, der neue Beauftragte für das Bildungswesen, Präsident Eyring, ihm als Assistent zur Seite zu stehen. Drei Jahre später, als Jeffrey R. Holland Präsident der Brigham-Young-Universität wurde, übernahm Hal seine Stelle als Beauftragter für das Bildungswesen. Er bekleidete dieses Amt, bis er im April 1985 zum Ersten Ratgeber in der Präsidierenden Bischofschaft berufen wurde. In dieser Berufung setzte er seine vielen Fähigkeiten ein und leistete einen wertvollen Beitrag in den Bereichen Verwaltung, Grundstücke und Gebäude (Planung), Tempelplanung und -bau und bei weiteren zeitlichen Angelegenheiten. Im September 1992 wurde er wieder zum Beauftragten für das Bildungswesen ernannt und einen Monat später ins Erste Kollegium der Siebziger berufen.

Am 1. April 1995 wurde Henry B. Eyring als Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel bestätigt. Seither hat er sich darum bemüht, den Geist des Herrn in noch stärkerem Maß bei sich zu haben und wirkt segensreich für die Mitglieder der Kirche in aller Welt – mit seinen von Herzen kommenden Predigten, seiner liebevollen Anteilnahme und seinem machtvollen Zeugnis vom Erlöser und seinem Evangelium.

Auf einzigartige Weise befähigt

Als Präsident Eyring bei der Herbst-Generalkonferenz 2007 bezeugte, dass es ein großer Segen ist, danach Ausschau zu halten, wie Gott in unserem Leben wirkt, sprach er aus eigener Erfahrung. Er hat täglich Buch darüber geführt, wie der himmlische Vater in seinem Leben gewirkt hat, und dadurch ist, so sagt er, sein Zeugnis gewachsen und seine „Gewissheit wurde stärker, dass der himmlische Vater unsere Gebete vernimmt und erhört“.4

Der Schlüssel dazu, diese Antworten zu hören und zu wissen, dass Gott an uns interessiert ist, so sagt er, liegt darin, dass wir lernen zuzuhören. „Wir müssen still sein und zuhören. Wenn ich einmal kein klares Gefühl erhalten habe oder die Stimme des Geistes überhört habe, dann deshalb, weil ich zu beschäftigt war, innerlich zu unruhig, zu sehr von meinen eigenen Angelegenheiten eingenommen.“

Präsident Eyring hat schon immer nach den Prinzipien des dreizehnten Glaubensartikels gelebt. Die Mitglieder der Kirche können sich wirklich glücklich schätzen, dass er an der Seite von Präsident Thomas S. Monson und Präsident Dieter F. Uchtdorf dient. Die einzigartige Kombination von Talenten, das Vermächtnis des Glaubens, die lebenslange Vorbereitung, die Bereitschaft zu dienen und die Entschlossenheit, Gott zu suchen und seinen Willen zu tun, das alles befähigt ihn auf einzigartige Weise für die Arbeit in der Ersten Präsidentschaft.

ANMERKUNGEN

  1. Siehe Henry J. Eyring, Mormon Scientist: The Life and Faith of Henry Eyring, 2007, Seite 127-130

  2. Siehe Henry B. Eyring, „Die Macht der Unterweisung in der Lehre“, Der Stern, Juli 1999, Seite 87f.

  3. In Gerald N. Lund, „Elder Henry B. Eyring: Von prägenden Einflüssen geformt“, Der Stern, April 1996, Seite 28

  4. Henry B. Eyring, „O denkt daran, denkt daran“, Liahona, November 2007, Seite 67