1990–1999
Lehrer, der zeitlose Schlüssel
Oktober 1997


Lehrer, der zeitlose Schlüssel

Unabhängig von den Lebensumständen und der Art ihrer Berufung haben alle Mitglieder der Kirche die Möglichkeit, zu lehren und Zeugnis zu geben.

Dieser historische Brief, den ich in der Hand halte, wurde vor 98 Jahren verfaßt. Auch wenn die darin enthaltenen Worte vor fast einem Jahrhundert niedergeschrieben wurden, sind sie doch für uns alle von großer Bedeutung.

Das Jahr 1899 war ein „Jubeljahr”; man feierte den fünfzigsten Jahrestag der Gründung der ersten Sonntagsschule in der Kirche. Als Höhepunkt dieses Jubeljahres wurde eine schöne handgeschnitzte Truhe mit Gegenständen gefüllt, von denen man annahm, daß sie für diejenigen, die fünfzig Jahre später beim Öffnen der Truhe anwesend sein würden, von Bedeutung seien.

Die Truhe wurde also 1949 geöffnet, und neben anderen historischen Gegenständen enthielt sie diesen Brief, der an die „Allgemeinen Sonntagsschulautoritäten der Kirche im Jahr 1949 A. D.” adressiert war. In dem Brief heißt es unter anderem: „Die Gründung der ersten Sonntagsschule in den Rocky Mountains war mit Mühsal und Hindernissen verbunden. . Die Menschen lebten in einem trockenen und öden Land und litten viel Entbehrung. Sie benötigten ihre ganze Zeit und Kraft, um sich mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen; und doch begannen sie inmitten all dessen mit dem Wenigen, das ihnen zur Verfügung stand, mit der Ausbildung ihrer Kinder.”

In dem Brief heißt es weiter: „Nun, Brüder, wir können nur erahnen, was die nächsten fünfzig Jahre der Jugend Zions bringen werden. Die heutigen Methoden werden vielleicht völlig neuen weichen, die in der Zukunft entdeckt werden. Wahrscheinlich sind viele von uns, die diese Grußbotschaft mit ihrem Namen unterzeichnet haben, bereits mit der großen Schar von Sonntagsschulbeamten im Jenseits, wenn Sie diese Jubiläumstruhe erhalten, so daß die Grüße derjenigen, die bereits ins Jenseits hinübergegangen sind, für Sie wie eine Stimme von den Toten sein werden.

Die Sonntagsschularbeit ist für uns ein Werk der Liebe, und unser Interesse gilt nicht nur der heutigen Zeit, sondern auch der Zukunft. … Wir flehen Sie an, vergessen Sie, welche Methoden Sie auch anwenden werden, welche Veränderungen in den kommenden fünfzig Jahren auch stattfinden mögen, niemals auch nur für einen Augenblick das Ziel der so wichtigen Sonntagsschularbeit, nämlich die Kinder die Grundsätze des Evangeliums Jesu Christi zu lehren und Heilige der Letzten Tage aus ihnen zu machen.”

Dieser Brief wurde von der Sonntagsschulpräsidentschaft der Kirche sowie von einundzwanzig weiteren Ausschußmitgliedern unterzeichnet, darunter Joseph F. Smith und Heber J. Grant, die beide später als Präsident der Kirche dienten.

Es war ein prophetischer Brief. Die Unterzeichner konnten wohl tatsächlich nur erahnen, was die nächsten fünfzig Jahre der Jugend Zions bringen sollten. In diesem Zeitraum sind an die Stelle der Kommunikationsmethoden des späten neunzehnten Jahrhunderts enorme Fortschritte in der Verbreitung von Informationen getreten. Selbst die Schreibmaschine, mit der das Dokument 1899 geschrieben wurde, war damals eine ganz neue Errungenschaft und galt als bedeutender Fortschritt in der Kommunikation ! Erst zwei Jahre später sollte zum erstenmal die Stimme eines Menschen über Funk ausgestrahlt werden. Die erste Radiosendung folgte 21 Jahre später, und 25 Jahre dauerte es, bis die Generalkonferenz zum erstenmal über Rundfunk übertragen wurde.

Hätten die Verfasser des 1899 geschriebenen Briefes sich die technischen Fortschritte - Radio, Farbfernsehen, Computer, das Internet und die vielen Programme, die heute verfügbar sind - auch nur im entferntesten vorstellen können, wären sie sicher verblüfft gewesen zu erfahren, daß eine einzige kleine Computerdiskette umfangreiche Sammlungen der besten der Menschheit bekannten Bücher und Ansprachen enthalten kann. Sie hätten gesehen, daß man an einem Computer nur wenige Tasten zu bedienen braucht, um die heiligen Schriften aufzuschlagen und mit Leichtigkeit Querverweise zu anderen herausragenden Ansprachen und Schriften der Propheten zu finden, die Licht und Erkenntnis von Gott enthalten.

Leider hätten sie auch gesehen, daß die gleichen Werkzeuge, die Licht und Wahrheit lehren, ebenso leicht, nur durch das Betätigen anderer Tasten, das abscheulichste, schmutzigste und schlechteste unsittliche Material hervorbringen können.

Wir sind tatsächlich mit großartigen Werkzeugen und Methoden gesegnet worden, die uns beim Unterrichten nützlich sein können, aber wie alle Werkzeuge müssen sie mit Weisheit und Besonnenheit gebraucht werden, damit sie uns zum Segen gereichen und uns das Leben erleichtern. So wie ein beaufsichtigtes Feuer viele Annehmlichkeiten und großen Nutzen mit sich bringt, so verursacht ein unzulässig entfachtes oder außer Kontrolle geratenes Feuer verheerende Verwüstung und Zerstörung.

In unserer Vorbereitung auf die nächsten 50 oder 100 Jahre können auch wir nur erahnen, was vor uns liegt. Wir müssen lernen, die Werkzeuge und Technologien, die uns zur Verfügung stehen, klug zu nutzen.

Die kluge Nutzung der heutigen Technologien schließt mit ein, daß wir darauf achtgeben, was wir durch Fernsehen, Videos und Computer, einschließlich des Internet, in unser Zuhause hereinlassen. In den Medien gibt es vieles, was gut

und erbauend ist, aber auch vieles, was anstößig, unsittlich und zeitraubend ist und uns dazu verleitet, immer zu lernen „doch nie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen” zu können (siehe 2 Timotheus 3:7). Während des Zweiten Weltkriegs, als das Benzin knapp war und rationiert wurde, gab es Schilder mit der Aufschrift: „Ist dieser Ausflug notwendig?” Heute, da an jeden immer größere Anforderungen gestellt werden und die Zeit knapp ist, sollten auch wir uns fragen, bevor wir das Videospiel, den Fernseher oder den Computer einschalten oder uns Zugang zu einem der vielen verfügbaren Programme verschaffen: „Ist dieser Ausflug notwendig?”

Vielleicht könnte jeder, der mir zuhört, sich diese Fragen selbst stellen und eine ehrliche Antwort erwarten: „Sind die Informationen, die mir dieses Hilfsmittel zum Lernen vermittelt, aufbauend, und bringen sie mehr Wahrheit in mein Leben? Nutze ich meine kostbare Zeit mit den Stunden, die ich dafür investiere, sinnvoll? Hilft mir dieses Computerspiel, meinen Aufgaben nachzukommen und meine Ziele zu erreichen?” Wenn die Antwort kein klares Ja ist, sollten wir den Mut und die Entschlossenheit aufbringen, den Knopf zum Ausschalten zu betätigen und unser Leben wichtigeren Aufgaben zu widmen.

Ungeachtet der verblüffenden technischen Fortschritte des vergangenen Jahrhunderts bleibt doch ein Bestandteil des Briefes von 1899 unveränderlich, nämlich wie wichtig gut geschulte, demütige, eifrige und liebevolle Lehrer sind.

Wohl jeder erinnert sich an einen Lehrer, einen Elternteil oder einen Freund, der in seinem Leben eine tiefgreifende Veränderung bewirkt hat. Ich werde Miss Hamilton, meiner Lehrerin in der zweiten Grundschulklasse, immer dankbar sein. Sie war auch meine Sonntagsschullehrerin. Ich weiß noch, daß sie immer sagte: „Denk daran: sei immer ein guter Junge!” und „Ich bin so stolz auf dich”. Ich gewann sie sehr lieb und war ganz sicher, daß sie auch mich liebte. Es war ein herrliches Schuljahr. Neuigkeiten verbreiteten sich in der kleinen Stadt Sugar City in Idaho schnell, und eines Tages rief mich meine Mutter ins Haus, um mir die erschütternde Nachricht zu überbringen; meine liebe Miss Hamilton war fortgegangen und hatte geheiratet! Und sie hatte mich nicht einmal gefragt, ob das in Ordnung war!

Unsere Schwiegertochter, die Lehrerin ist, erhielt am Ende des Schuljahres von einem ihrer Schüler aus der dritten Klasse einen Brief. Er schrieb: „Miss Scoresby, ich werde Sie mehr vermissen als meine Rennmaus, die gestorben ist.”

Wir sind im wesentlichen eine Kirche von Lehrern. Unabhängig von den Lebensumständen und der Art ihrer Berufung haben alle Mitglieder der Kirche die Möglichkeit, zu lehren und Zeugnis zu geben. Selbst unsere Lebensweise gibt Zeugnis von dem, woran wir glauben, und lehrt alle, die in unseren Einflußbereich gelangen.

Aber viele, vielleicht sogar die meisten erwachsenen Mitglieder der Kirche können auf viel direktere Weise lehren. Führer, Eltern und berufene Lehrer haben die konkrete Aufgabe, mitzuhelfen, diejenigen, die zu ihrem Wirkungsbereich gehören, vorzubereiten, zu schulen und zu erbauen. Präsident David O. McKay hat uns daran erinnert, daß „die richtige Unterweisung der Kinder die wichtigste und heiligste Aufgabe des Menschen ist” (Gospel Ideals, 1953, 220). Der Herr hat unmißverständlich erklärt, daß Eltern ihre Kinder lehren sollen, „zu beten und untadelig vor dem Herrn zu wandeln” (LuB 68:28).

Die Lehren der Kirche sind machtvoll; daher ist es für jeden von uns, von den jüngsten PV-Kindern bis zu denjenigen, die bereits viele Jahrzehnte Lebenserfahrung gesammelt haben, notwendig, immer

zu lernen und uns ständig geistig zu stärken. Präsident Hinckley hat gesagt: „Die Einflüsse, gegen die wir ankämpfen, sind gewaltig. Wir benötigen mehr als unsere eigene Kraft, um mit ihnen fertig zu werden. Alle, die eine Führungsposition innehaben, die große Schar von Lehrern und Missionaren und alle Familienoberhäupter möchte ich eindringlich bitten: Nähren Sie den Geist in allem, was Sie tun - geben Sie der Seele Nahrung. … Ich bin überzeugt, daß die Welt nach geistiger Nahrung hungert.” (Improvement Er a, Dezember 1967, 86.)

Das hat Präsident Hinckley vor fast dreißig Jahren auf der Generalkonferenz gesagt. Um wieviel größer ist heute die Notwendigkeit, einander geistig zu stärken! Der inspirierte Evangeliumsunterricht für alle Mitglieder der Kirche ist wirklich eine Rettungsleine für die geistige Standfestigkeit und das geistige Wachstum der Mitglieder jeder Altersgruppe.

Die Technik wird sich gewiß weiterentwickeln, und die Methoden werden sich ändern, aber der persönliche Einsatz eines engagierten Lehrers, der den Geist ausstrahlt, ist der Schlüssel dazu, die Kinder und andere „die Grundsätze des Evangeliums Jesu Christi zu lehren und Heilige der Letzten Tage aus ihnen zu machen”. Im Namen des größten aller Lehrer, im Namen Jesu Christi, amen.