2000–2009
Kleine Wellen
Oktober 2000


Kleine Wellen

„So schlagen auch die Taten rechtschaffener Frauen in Zeit und Raum und sogar über Generationen hinweg Wellen.“

Als unsere Kinder noch klein waren, sind wir immer sehr gern in die Berge gefahren. Dann standen wir am Ufer des Jackson Lake, in dessen klarer Oberfläche sich die Berggipfel spiegelten, und ließen über das glatte Wasser Steine um die Wette hüpfen. Wenn sie versanken, schauten wir zu, wie sich kleine Wellen, so weit wir sehen konnten, über das Wasser ausbreiteten. Selbst der kleinste Kiesel, den unser Jüngstes hineinge-schleudert hatte, schlug kreis-förmige Wellen.

So wie sich die Wellen unserer Kieselsteine auf dem Jackson Lake kreisförmig ausbreiteten, so schlagen auch die Taten rechtschaffener Frauen in Zeit und Raum und sogar über Generationen hinweg Wellen. Solche rechtschaffenen Taten entspringen unserem Verständnis von der göttlichen Mission Jesu Christi, unserer Kenntnis vom Evangeliumsplan, unserem Gehorsam gegenüber ewigen Geboten und unserer Arbeit im so genannten „Reich Gottes auf Erden“.

Ich möchte ein Beispiel dafür anführen, was es mit den Wellen auf sich hat, wenn eine rechtschaffene Heilige der Letzten Tage nach der Erkenntnis handelt, dass Jesus der Messias ist und dass das Evangelium wiederhergestellt worden ist.

1841 war der aus Wales eingewanderte Dan Jones Kapitän eines der kleinsten eingetragenen Passagier- und Frachtschiffe am Oberlauf des Mississippi. Mir scheint es mehr als Zufall, dass er sein Boot „Kleine Welle“ nannte. Unter seinen Passagieren waren auch Mitglieder einer merkwürdigen „neuen“ Kirche, der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.

Auf seinen Fahrten bekam Dan Jones manch Kritisches über diese „Mormonen“ zu hören. Da er viele von ihnen transportiert hatte, hatte er auch mit vielen gesprochen und ihr Verhalten beobachtet. Er hielt sie für gute Menschen – freundlich, ehrlich und sehr fleißig. Die negativen Urteile und Artikel über diese Leute passten nicht zu dem, was er im Umgang mit ihnen erlebt hatte.

„Ich beschäftigte mich ausführlich mit den Anschuldigungen“, schrieb er später, „und sah ganz klar, dass sie unmöglich wahr sein konnten, denn entweder übertrieben sie ... den Fall, oder sie widersprachen sich.“ (Ronald D. Dennis, „Dan Jones, ein Waliser“, Der Stern, Dezember 1987, 26.)

Ein wichtiges Ereignis verwandelte diesen vorsichtigen Beobachter in einen aktiven Untersucher der Kirche. Er schreibt: „Bald kam mir durch einen reinen Zufall ein Teil eines Briefes in die Hände, den [Emma Smith] geschrieben hatte.... Ich werde nie vergessen, was für Gefühle dieses Brieffragment in mir ausgelöst hat. Mir wurde ganz klar, dass [sie] nicht nur wie ich an das Neue Testament glaubte – ihren Glauben an die Lehren der Apostel bekannte und sich inmitten aller Bedrängnisse freute, dass sie würdig war, all das für ihr Zeugnis von Jesus und dem Evangelium zu erleiden –, sondern dass dieser Brief bessere Ratschläge, mehr Weisheit und mehr evangeliumsgemäßen und göttlichen Geist enthielt als alles andere, was ich bisher gelesen hatte!“ (Der Stern, Dezember 1987, 26.)

Von Emmas Worten und ihrem Beispiel beflügelt, wollte Dan Jones mehr über diese Kirche erfahren. 1843 ließ er sich im Mississippi taufen und wurde einer der einflussreichsten Missionare in der Geschichte der Kirche, der Hunderte Menschen in seiner walisischen Heimat zum Evangelium führte. Der Einfluss von Emma Smith wirkt also buchstäblich noch über Generationen hinweg. Wer kann schon sagen, wie viele hunderte, ja tausende Nachkommen derer, die Dan Jones einst mit dem Evangelium in Berührung brachte, gerade jetzt diese Versammlung mitverfolgen?

Wir alle können uns so verhalten, dass es auf andere so mächtig einwirkt wie Emma Smiths Worte auf das Herz von Dan Jones. Wir alle sind zwar nur einzelne Menschen, aber ich denke da an die Kreise, die ein winziges Steinchen auf dem riesigen Jackson Lake entstehen ließ. Nehmen wir uns die folgende Aufmunterung aus den heiligen Schriften zu Herzen: „Darum werdet nicht müde, das Rechte zu tun, denn ihr legt den Grund für ein großes Werk. Und aus etwas Kleinem geht das Große hervor.“ (LuB 64:33.)

Am wichtigsten Ort der Welt, nämlich zu Hause, lernen wir am besten, wie aus Kleinem Großes hervorgeht, denn zu Hause sind es die Kleinigkeiten, die zusammen die ewige Familie ausmachen. Vielleicht wird man deshalb so leicht unruhig oder sogar mutlos, weil der Aufbau einer starken Beziehung zum Herrn und auch untereinander nur schrittweise vonstatten geht und es manchmal eine undankbare Aufgabe ist, zu unterweisen, zu unterstützen, zu führen.

Der Widersacher will uns verwirren und unsere Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ablenken. Es ist ein Segen zu wissen, dass der Glaube und die Familie das Wesentliche sind. Die Frauen, die mich beeindruckt und dazu angespornt haben, ein besseres Leben zu führen, hatten den Herrn und die Familie an die erste Stelle gesetzt. Ihr „göttlicher Geist“ wirkt in meinem Herzen wie die Worte Emma Smiths im Herzen von Dan Jones – sie laden mich zu Christus ein, der sagte: „Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt.“ (Offenbarung 21:6.)

Tugend und Kraft schöpft man aus der gewöhnlichen Alltagsarbeit, aus den täglichen Pflichten daheim und dem regelmäßigen Dienst für andere. Hervorstechendes und Vorrangiges sind nicht dasselbe, und der Lohn der Welt ist nicht derselbe wie der unseres himmlischen Vaters, der weiß, wie wichtig es ist, dass eine Frau sich der Errettung der Menschen widmet.

Wenn man an die Frauen denkt, deren rechtschaffener Einfluss sich in der Ewigkeit auswirkt, muss man Maria nennen, das „kostbare und erwählte Gefäß“, das den „Sohn [Gottes] zur Welt bringen“ sollte (Alma 7:10). Als ein Engel ihr dies Beispiellose und Heilige ankündigte, unterwarf sie sich demütig dem Willen des Herrn: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (Lukas 1:38.) Ihr Glaube, ihr Gehorsam und ihre Demut sind allen Frauen ein Beispiel.

Marias Berufung war zwar einzigartig, doch können alle Frauen, wie es in einem Buch so schön formuliert wird, „die gleiche Schönheit haben. Es sind Frauen, die nach Gottes Gunst trachten.... Sie sind demütig und leben keusch und tugendhaft.... Sie tragen den Glauben im Herzen und verherrlichen den Herrn.... Sie erfreuen sich am Erretter und erkennen seine Gaben und seine Gnaden.“ (S. Michael Wilcox, Daughters of God: Scriptural Portraits [1998], 179.)

Diese Beschreibung passt auch auf Sie, die glaubenstreuen Schwestern in der FHV der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Sie sind die Frauen, deren tägliche Arbeit reichlich von der erlösenden Erkenntnis kündet, die Jesaja so eindrucksvoll beschrieben hat: „Gott ist meine Errettung; ich will vertrauen und nicht verzagen; denn der Herr Jehova ist meine Stärke und mein Lied; auch zur Errettung ist er mir geworden. Darum [soll ich] mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen der Errettung.“ (2 Nephi 22:2,3.)

Die Sache Christi – alle Menschen zu erlösen – verlangt nach Ihrer Kraft, Ihrer Zeit und Ihren Talenten, und zwar sowohl zu Hause als auch in Ihrer Gemeinde. Ihre glaubenstreuen Werke und Worte stellen einen bedeutenden Beitrag zum Werk Christi dar. Elder Bruce R. McConkie macht uns bewusst, welch entscheidende Rolle wir seit jeher spielen: „Wir wissen nur dies: Christus ist der Schöpfer im Auftrag des Vaters. Sein Mitarbeiterund Gefährte Michael hat das Schöpfungswerk weitgehend beaufsichtigt, und mit ihnen waren, wie Abraham zu sehen bekam, viele von den Edlen und Großen. Können wir einen anderen Schluss ziehen, als dass Maria, Eva, Sara und unzählige andere glaubenstreue Schwestern dazugehörten? Diese Schwestern haben damals gewiss genauso fleißig gearbeitet und waren genauso tapfer am Kampf im Himmel beteiligt wie die Brüder. Gleichermaßen stehen sie heute, im Erdenleben, fest für die Sache der Wahrheit und der Rechtschaffenheit ein.“ (McConkie, Woman, [1979], 59.)

Wie die „edlen und großen“ Frauen vor uns dürfen wir nicht gewöhnlich sein. Wir dürfen nicht allzu sehr wie die Frauen der Welt auftreten. Wir müssen ohne Umschweife für Rechtschaffenheit eintreten. Wie Maria, Eva, Sara und Emma sind wir einzigartig. Wir müssen unseren Einfluss geltend machen und das Wasser des Lebens mit anderen teilen. Da uns ein ewiges Erbe zuteil geworden ist, müssen wir daran denken, wie machtvoll einfaches, rechtschaffenes Handeln das Herz der Menschen in unserer Umgebung und deren Familie anrührt. Es gibt so viele Gelegenheiten, Gutes zu tun, und vor allem wissen wir, wo und wie man „Wasser aus den Brunnen der Errettung [schöpft]“.

Meine Freundin Tammy ging nicht mehr zur Kirche, als sie gerade fünfzehn Jahre alt geworden war. Bei Tammy um die Ecke wohnte ein junger Mann, der ebenfalls als Teenager beschlossen hatte, dass er nicht zur Kirche gehören wolle. Beide gewöhnten sich einiges an, was sie immer weiter von der Kirche entfernte. Schließlich heirateten sie und gründeten eine Familie.

Tammy liebte ihren Mann und ihre beiden Töchter sehr, aber tief in ihrem Herzen gärte das Verlangen, zu dem Leben zurückzukehren, das sie als Kind gehabt hatte. Schwach erinnerte sie sich daran, wie sie den Geist und den Einfluss des himmlischen Vaters gespürt hatte, den sie nun entbehrte. Sie verbarg diese Gedanken vor ihrem Mann – aus Angst, dass sie ihm missfallen könnten. Sie wollte zurückkommen, wusste aber nicht, wie. Hören Sie, wie sie selbst schildert, wie zwei wundervolle Besuchslehrerinnen „Wasser aus den Brunnen der Errettung“ schöpften und es ihr reichten.

[Videomitschrift Tammy Clayton]

Ich bin meinen Besuchslehrerinnen bis heute dankbar, weil sie mir Liebe erwiesen und mich nicht verurteilten. Sie gaben mir wirklich das Gefühl, dass ich etwas wert bin und dass ich in der Kirche meinen Platz habe.

Sie kamen zu mir und wir setzten uns hin und plauderten miteinander. Nach einer Weile fragten sie mich, ob mir ein Gebet recht wäre, und dann, ob ich eine Lektion anhören wolle, und dann hatten sie jeden Monat eine Botschaft für mich.

Als sie dann jeden Monat kamen, hatte ich das Gefühl, dass es wirklich um mich geht, dass sie sich wirklich Gedanken um mich machen und dass sie mich wirklich lieb haben und mich mögen.

Durch die Gespräche und Besuche kam ich endlich zu dem Entschluss, dass es an der Zeit war, in die Kirche zurückzukehren. Ich glaube, ich wusste einfach nicht, wie ich zurückkommen sollte, aber sie machten den Weg frei, indem sie immer vorbeikamen und mir die Hand reichten.

Man muss erkennen, dass der Herr uns liebt, wer wir auch sind, und durch meine Besuchslehrerinnen begriff ich, dass das stimmt.

Inzwischen sind mein Mann und ich im Tempel gesiegelt worden.

Dem Himmel sei Dank für die glaubenstreuen Besuchslehrerinnen. Ja, Schwestern, die Taten rechtschaffener Frauen schlagen in Zeit und Raum und über Generationen hinweg Wellen. Es kann wohl keine beständigere Wirkung geben, als wenn eine Familie im Tempel für die Ewigkeit aneinander gesiegelt wird. Tun wir es den glaubenstreuen Schwestern aus früherer Zeit nach. Trinken wir „aus den Brunnen der Errettung“.

Gott lebt. Sein Sohn, Jesus Christus, eröffnet uns den Weg zurück, damit wir bei ihm leben können. Das wahre Evangelium ist auf der Erde wiederhergestellt worden. Es gibt heute einen lebenden Propheten, Präsident Gordon B. Hinckley, durch den der himmlische Vater sein Volk führt. Mögen wir durch die kleinen Wellen, die unser rechtschaffenes Handeln schlägt, diese Wahrheiten erkennen lassen. Im Namen Jesu Christi, amen.