2000–2009
Steht aufrecht und seid einig
Oktober 2000


Steht aufrecht und seid einig

„Keine Frau ist schwungvoller, keine ein wirksameres Werkzeug in der Hand des Herrn als eine Frau Gottes, die Freude hat an dem, was sie ist.“

Mit zwölf Jahren war ich bereits 1,78 m groß. Es war schlimm für mich, dassich größer war als alle meine Freundinnen. Ich wollte nämlich gar nicht herausragen – jedenfalls nicht so –, und so lief ich gebückt herum. Infolgedessen ermahnte meine Mutter mich ständig,, gerade’zu stehen. Damals wollte ich das nicht. Aber heute will ich es, denn wir sind alle angehalten, aufzustehen (siehe2 Nephi 8:17) und als Zeugen Gottes aufzutreten (siehe Mosia 18:9), damit wir „am letzten Tag schuldlos vor Gott stehen“ (LuB 4:2). Ich kenne absolut keine Schriftstelle, gemäß der man in Zion gebückt gehen soll.Uns wird vielmehr wiederholt geboten, uns „zu erheben und aufzustehen“ (3 Nephi 20:2).

Als Teenager ahnte ich nicht, dass ich nicht dazu bestimmt bin, mich der Masse anzupassen. Sie sind es genauso wenig. Als Frauen Gottes müssen wir nämlich aufrecht stehen, um uns vom Rest der Welt abzuheben. Nur dann können wir Freude finden; Freude und ein aufrechter Stand als Botschafterin des Herrn sind unmittelbar miteinander verbunden und lassen sich nicht in Metern oder Zentimetern messen.

Meine Familie ist vor kurzem auf erschütternde Weise daran erinnert worden. Ich habe 17 Nichten und Neffen, die mir sehr viel Freude machen. Wir wandern zusammen, fahren Rad, fasten und beten miteinander. Und neulich mussten wir zusammen weinen. Vor ein paar Wochen erlitten wir einen herben Verlust, als durch einen Unfall zwei Kinder meiner Schwester ums Leben kamen, die elfjährige Amanda und der fünfzehnjährige Tanner. Weil wir so liebevoll miteinander gelebt haben, beweinten wir den Verlust derer, die gestorben waren (siehe LuB 42:45).

Unsere Freunde in unserer Heimatstadt, von denen viele nicht der Kirche angehören, weinten mit uns, und wir wussten, ihr Herz wird für die Wahrheit nie aufgeschlossener sein als an dem Tag, an dem die beiden Särge im Gemeindehaus in Kansas aufgebahrt sind. Infolge-dessen widmeten wir die Trauerfeier dem Zeugnis von Christus und dem wiederhergestellten Evangelium. Viele zeigten sich bewegt von dem, was sie gehört hatten. Einige wollten sogar mehr erfahren. Wir wissen nicht, ob sich jemand der Kirche anschließt, der vom Tod der Kinder betroffen war. Wir wissen aber Folgendes: Unser Schmerz wurde gelindert und wir empfanden Freude, als wir für unseren Glauben eintraten und mit Freunden, die vorher nie hatten zuhören wollen, über das Evangelium sprachen.

In dieser Welt entspringt die einzig wahre Freude dem Evangelium. Das Sühnopfer, die heiligen Handlungen, die den Schleier durchdringen, und der Tröster, der unsere Seele besänftigt, strahlen diese Freude aus. Vor kurzem fragte eine Freundin, die nicht der Kirche angehört, meine elfjährige Nichte Aubrey, wieso sie über den Tod ihres Vaters und ihres Cousins und ihrer Cousine nicht traurig war. Aubrey gab eine gute Antwort: „Nicht traurig? Natürlich sind wir traurig! Aber wir wissen, dass wir wieder zusammen sein werden, darum machen wir uns nicht so viele Sorgen.“ In der Familie wurde gewiss viel geweint, aber wir sorgen uns weniger, als wenn wir die allumfassende Reichweite und heilende Kraft Jesu Christi nicht verspürten. Das Evangelium bedeutet Schmuck anstelle von Schmutz (siehe Jesaja 61:3), es ist das öl der Freude (siehe Hebräer 1:9), es ist eine frohe Botschaft!

Auch wenn unsere Kinder im Moment von uns gegangen sind, haben wir die strahlende Gewissheit, dass wir sie nicht verloren haben. Wie steht es aber mit den Kindern des Vaters, mit unseren Brüdern und Schwestern, die verloren sind und nicht nur den physischen, sondern auch den geistigen Tod erleiden? Im Evangelium Jesu Christi geht es ausschließlich um den Menschen. Es geht darum, die neunundneunzig zu verlassen und in der Steppe nach dem Verlorenen zu suchen. Es geht darum, des anderen Last zu tragen, wobei die schwerste darin besteht, dass jemand ohne Licht durchs Leben geht. Daher die Mahnung des Herrn in den Letzten Tagen:

„Das Feld ist schon weiß, zur Ernte bereit; und es ist die elfte Stunde und das letzte Mal, dass ich Arbeiter in meinen Weingarten rufe; ... darum schlagt eure Sicheln ein und erntet mit aller ... Kraft.“ (LuB 33:3,7.)

Die Propheten in alter Zeit haben den Tag vorausgesehen, an dem „sich die Kenntnis vom Erretter in jeder Nation, jedem Geschlecht, jeder Sprache und jedem Volk ausbreiten wird“ (Mosia 3:20). Dieser Tag ist nun da. Wir sind an der Reihe, die Sicheln einzuschlagen und die Ernte einzuholen. Wir sind nicht zufällig heute hier. Seit vielen Zeitaltern wacht der Vater über uns; er wusste, dass er uns vertrauen kann, wo so viel auf dem Spiel steht. Wir sind genau für diese Stunde zurückbehalten worden. Wir müssen nicht nur wissen, wer wir sind, sondern auch, wer wir schon immer waren. Denn wir sind Frauen Gottes, und das Werk der Frauen Gottes ist es, am Aufbau des Gottesreiches mitzuarbeiten.

Als wir im Vorherdasein dem Plan des Vaters zustimmten, sagt Elder John A. Widtsoe, „stimmten wir dort zu, nicht nur für uns selbst zum Erretter zu werden, sondern ... für die gesamte Menschheit.... Die Ausführung des Planes lag nun ... nicht nur beim Werk des Vaters und des Erretters, sondern sie lag auch bei uns.“ (Utah Genealogical and Historical Magazine, Oktober 1943, 189.) Kein Wunder, dass Präsident Gordon B. Hinckley erklärt hat: „Wenn die Welt errettet werden soll, dann müssen wir es tun.... Kein anderes Volk in der Geschichte der Welt hat je ... ein zwingenderes Gebot erhalten, ... und wir machen uns wohl besser an die Arbeit.“ (Church News, 3. Juli 1999, 3.)

Schwestern, wir haben eine Arbeit zu erledigen. Der Prophet Joseph hat der FHV auferlegt, die Menschen zu erretten (siehe History of the Church, 5:25), weil es in der Natur der Frau liegt, sich um die Verlorenen zu kümmern und nach ihnen zu suchen. Dennoch beklagte Präsident Spencer W. Kimball, dass in der FHV eine Kraft läge, von der „man noch nicht vollen Gebrauch gemacht hat, um ... das Reich Gottes aufzubauen.“ (Der Stern, März 1977, 2.) Auch wenn in der Vergangenheit schon viel Gutes getan worden ist, muss die FHV das Werk in den Letzten Tagen wie vorgesehen weiter vorwärts bringen. Schwestern, die Zeit ist gekommen, die Mächte rechtschaffenen Glücklichseins unter den Frauen Gottes zu entfesseln. Die Zeit ist gekommen, voll Eifer an der Errettung der Menschen mitzuarbeiten. Für die Schwestern von der FHV ist die Zeit gekommen, beim Aufbau des Gottesreichs an der Seite des Propheten zu stehen. Für uns alle ist die Zeit gekommen, aufrecht zu stehen und beieinander zu stehen.

Mit der eigenen Bekehrung fängt man an, aufrecht zu stehen, denn wenn man „von der übergroßen Freude“ am Evangelium gekostet hat (Alma 36:24), will man auch andere daran teilhaben lassen. Wenn wir einen Braten machen oder Steppdecken, um Leid zu lindern, ist das ein schöner Gefälligkeitsbeweis, aber kein Dienst – ich wiederhole, kein Dienst – lässt sich mit dem vergleichen, wenn wir einen anderen zu Christus führen. Wollen Sie glücklich sein? Ich meine: wirklich glücklich? Dann kümmern Sie sich um jemanden auf dem Weg zum Tempel und zu Christus.

Die beste Art und Weise, das Evangelium zu verbreiten, besteht darin, dass man danach lebt. Wenn wir so leben, wie man es von Jüngern Christi erwartet, wenn wir nicht bloß gut, sondern glücklich und gut sind, wirkt das anziehend, da wir „auf eine Art und Weise [anders sind], die ... glücklich macht“, wie Präsident Kimball es prophezeit hat (siehe Liahona, Januar 2000, Seite 120). Glücklich über den Lebensweg, den wir eingeschlagen haben; glücklich, dass wir uns nicht ständig den Vorstellungen der Welt anpassen müssen; glücklich, dass wir „die Gabe und Macht des Heiligen Geistes“ haben(1 Nephi 13:37); glücklich, dass wir aufrecht stehen und uns von anderen unterscheiden.

Jedes Mal, wenn wir unser Zeugnis oder das Zeugnis eines anderen festigen, bauen wir das Reich Gottes auf. Jedes Mal, wenn wir einer neugetauften Schwester helfen, wenn wir uns mit einer verirrten Seele vorurteilslos anfreunden, wenn wir eine Familie, die nicht der Kirche angehört, zum Familienabend einladen, wenn wir einem Kollegen ein Buch Mormon schenken, wenn wir eine Familie zum Tempel führen, wenn wir für Anstand und Mutterschaft eintreten, wenn wir Missionare einladen oder jemandem helfen, die Macht des Wortes zu entdecken, dann bauen wir das Reich Gottes auf. Was glauben Sie, wieviel besser meine Schwester sich fühlte, als sie las, was Tanner kurz vor seinem Tod in sein Tagebuch eingetragen hatte: „Danke, Mutti und Vati, dass ihr mir von Christus erzählt habt.“ Wie kann man das Gottesreich besser aufbauen, als wenn man sein Kind für den Herrn erzieht?

Mit Ausnahme der Vollzeitmissionare muss sich keine von uns ein Namensschild anheften oder an Türen klopfen, um das Gottesreich aufzubauen. Obwohl manche uns eher als unzeitgemäß und nicht emanzipiert hinstellen und keineswegs als die schwungvollen und strahlenden Frauen, die wir wirklich sind, so ist doch keine Frau überzeugender und hat keine größeren positiven Einfluss, ist keine ein wirksameres Werkzeug in der Hand des Herrn als eine Frau Gottes, die Freude hat an dem, was sie ist. Ich stelle mir gern vor, dass wir die Geheimwaffe des Herrn sind. Wenn wir Namensschilder hätten, müsste auf meinem stehen: „Sheri Dew, Frau Gottes, eifrig mit dem Aufbau des Gottesreichs beschäftigt.“

Stellen Sie sich nur vor, wenn viereinhalb Millionen Frauen in dieser Kirche jeden Morgen niederknieten und den Vater fragten, wem sie heute die Hand reichen sollen – und sie täten es auch! Stellen Sie sich vor, wir würden unsere Kraft und unser Interesse in Scharen zum größten aller Dienste einbringen, nämlich Schwestern und Brüder zu Christus zu führen. Stellen Sie sich vor, wir brächten die Schwestern der FHV dazu, beim Aufbau des Reiches einig zu sein; dann würde ein schläfriger und gebückter Riese aufwachen und sich erheben.

Ich fordere Sie heute Abend auf, aufrecht zu stehen, die Sichel einzuschlagen und sich in diesem Werk mit Eifer zu engagieren. Ich fordere Sie auf, sich erneut dem Aufbau des Gottesreichs zu widmen. Reichen Sie jemandem die Hand, der abgeirrt ist. Nehmen Sie ein neues Mitglied unter Ihre Fittiche. Denken Sie darüber nach, ob Sie nicht mit Ihrem Mann auf Mission gehen können. Sehen Sie zu, dass Sie missionieren können, und beten Sie darum. üben Sie geistigen Einfluss aus, vor allem auf Ihre Familie. Niemand muss alle Menschen erreichen. Was, wenn eine jede von uns nur einen Menschen erreicht? Und dann jemand anderen? Präsident Hinckley hat uns aufgerufen, „zu einem großen Heer [zu werden], das sich für dieses Werk begeistert“ (Liahona, Juli 1999, 124). Wenn wir das tun, werden wir eine der mächtigsten Truppen zum Guten, die die Welt je gesehen hat. Denn wir, die Schwestern in der FHV, sind Frauen Gottes. Und es war immer das Werk der Frauen Gottes, das Werk der FHV, sein Reich mit aufzubauen. Ich glaube, dass wir heute mehr denn je tun können, um den Priestertumsführern zu helfen.

Wenige Stunden vor seinem Tod sagte mein Neffe Tanner in seiner Priestertumsklasse: „Wenn ich bald sterben müsste, sollte meine Beerdigung so sein wie die Verabschiedung für einen Missionar.“ Ich bete heute Abend darum, dass wir als Frauen Gottes eine ähnlich klare Vorstellung von unserer Mission haben. Wir sind hier nicht bloß in einer netten Kirche, die nette Ideen für ein wirklich nettes Leben bietet. Dies ist die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage; sie wurde von ihm bevollmächtigt und beauftragt, seine Wahrheit bis an die Enden der Erde zu tragen. Ich liebe den Vater im Himmel und seinen Sohn. Ich habe selbst erfahren, dass dies ihr Werk und ihre Herrlichkeit ist und dass wir zu den gesegnetsten aller Frauen gehören, wenn wir auch nur ein wenig Anteil daran haben. Erheben wir unsere Stimmen „gleich dem Ton einer Posaune“ (LuB 42:6). Freuen wir uns daran, aufrecht zu stehen und einig zu sein.

Lassen Sie uns „frohgemut alles tun, was in unserer Macht liegt“, und ruhig stehen, um zu sehen, wie sich der Arm Gottes offenbart, während sein Werk kühn und erhaben vorwärts schreitet, bis es „jedes Land überzogen hat und in jedem Ohr erklungen ist, bis die Pläne Gottes verwirklicht sind und der erhabene Jahwe sagt: Die Arbeit ist getan“ (History of the Church, 4:540). Im heiligen Namen Jesu Christi, amen.