2000–2009
„Führ, gütges Licht“
Oktober 2000


„Führ, gütges Licht“

„So ist das Licht Jesu Christi stärker als jede Finsternis, die uns in diesem Leben zu schaffen mag, wenn wir an ihn glauben, nach ihm suchen und ihm gehorchen.“

Als Joshua Dennis gerade mal zehn Jahre alt war, war er fünf Tag lang in der pechschwarzen Finsternis eines stillgelegten Bergwerks gefangen. Als die Retter endlich seinen schwachen Hilferuf hörten und ihn aus der schrecklichen Finsternis herausholten, war er verwirrt und erschöpft und ihm war kalt. Zu ihrer überraschung hatte er keine Angst. Josh hatte die Tage damit zugebracht, zu schlafen, um Hilfe zu rufen und zu beten. „Jemand hat mich beschützt“, sagte er, „ich wusste, dass man mich finden würde.“

Joshuas schlichter aber tiefgründiger Glaube war von seinen Eltern gehegt worden, die ihm erklärt hatten, dass er einen himmlischen Vater hat, der immer weiß, wo er ist. Sie hatten ihm erklärt, er habe von Geburt an das Licht Christi in sich. Ja, Josh war im Licht und in der Wahrheit aufgewachsen (siehe LuB 93:40), und als er in dem Bergwerk an einem 600 tiefen Abgrund stand, hatte er sich von diesem Licht leiten und trösten lassen, so dass er den Mut und die Hoffnung nicht verlor. Josh erlebte etwas, was Abinadi mit den folgenden Worten über Jesus Christus zum Ausdruck gebracht hat: „Er ist das Licht und das Leben der Welt, ja, ein Licht, das endlos ist, das niemals verfinstert werden kann.“ (Mosia 16:9.)

Wie passend es dann doch ist, dass die Geburt des Erretters in Betlehem von wundersamen Lichterscheinungen in der westlichen Welt begleitet war. Zur Zeit seiner Geburt war es nämlich so: „Als die Sonne unterging, da wurde es nicht finster; und das Volk fing an, sich zu wundern, [denn] ... diese ganze Nacht lang gab es keine Finsternis.“ (3 Nephi 1:15,19.) Diese Feier des Lichts bildete einen gewaltigen Kontrast zu seiner Kreuzigung, da war es nämlich so: „Dichte Finsternis lag über dem ganzen Land, so sehr, dass die Bewohner ... die Schwaden der Finsternis fühlen konnten.“ (3 Nephi 8:20–23.)

Es gibt in dieser Welt alle möglichen Arten von Finsternis. Finsternis, die von Sünde herrührt. Finsternis, die von Entmutigung, Enttäuschung und Verzweiflung herrührt. Finsternis, die von Einsamkeit und dem Gefühl der Unzulänglichkeit herrührt. Aber genauso wie das Licht, das im Herzen von Josh Dennis brannte, stärker war als die erstickendeFinsternis, die ihn einschloss, so ist das Licht Jesu Christi stärker als jede Finsternis, die uns in diesem Leben zu schaffen mag, wenn wir an ihn glauben, nach ihm suchen und ihm gehorchen. Denn es ist so, wie der Prophet Joseph Smith es offenbart hat: „Wenn euer Auge nur auf meine Herrlichkeit gerichtet ist, so wird euer ganzer Körper mit Licht erfüllt werden.“ (LuB 88:67.)

Das Licht Christi und die Evangeliumsbotschaft vom Licht und von der Errettung für alle Menschen können nur dann in unserem Leben finster werden, wenn wir ungehorsam sind und nicht genug Glauben haben. Desgleichen nimmt das Licht des Erretters in unserem Leben zu, wen wir die Gebote halten und uns beständig bemühen, ihm ähnlicher zu werden. Denn „was von Gott ist, das ist Licht, und wer Licht empfängt und in Gott verbleibt, empfängt mehr Licht; und das Licht wird heller und heller.“ (LuB 50:24.)

Wenn das Licht Jesu Christi und seines Evangeliums in unserem Gesicht und in unserem Herzen heller leuchten, fällt es uns leichter, zu erkennen, was wirklich wertvoll ist – im Gegensatz zu den Täuschungen, die die Welt zu bieten hat. Wenn wir erkennen, dass Christus uns so sehr geliebt hat, dass er bereitwillig die Last unserer Sünden auf sich genommen hat, brauchen wir den Stolz nicht mehr, auch nicht das ungerechtfertigte Vertrauen auf den Arm des Fleisches. Der Glaube daran, dass das Sühnopfer uns alles zurückgibt, was wir auf dem Weg durch das Leben an die Sünde und an Fehltritte verlieren, schafft eine Hoffnung, die größer ist als jegliches zeitliche Vergnügen und alle vergängliche Aufregung.

Betrachten Sie, was König Lamoni erlebt hat. Er hatte zwar unbegrenzte Macht und große irdische Schätze und seine Diener standen ihm ständig zur Verfügung, aber trotzdem lebte er in geistiger Finsternis. Als er aber bereit war, sich von Ammon im Evangelium unterweisen zu lassen, geschah etwas höchst Erstaunliches, denn Lamoni „fiel ... zur Erde, als sei er tot“ (Alma 18:42). „Ammon wusste, dass König Lamoni unter der Macht Gottes war; er wusste, dass der finstere Schleier des Unglaubens von seinem Geist weggezogen wurde, und das Licht, das seinen Geist erleuchtete, nämlich das Licht der Herrlichkeit Gottes, ... ihm solche Freude in die Seele gegossen [hatte].“ (Alma 19:6.)

Nur die Herrlichkeit Gottes und das Licht des immerwährenden Lebens erzeugen so tiefe Freude, dass man völlig überwältigt istund der „finstere Schleier des Unglaubens“ fort ist.

überall in den heiligen Schriften und auch in den Aufzeichnungen nachdenklicher Christen in allen Jahrhunderten finden wir Beispiele dafür, wie die Botschaft Christi von Licht und Errettung uns geistig und physisch stärken kann. Der Engländer John Henry Newman war als junger Priester 1833 in Italien unterwegs. Da traf er auf die seelische und physische Finsternis, als er mehrere Wochen krank war. Er war zutiefst entmutigt und eine Pflegerin, die seine Tränen sah, fragte ihn, was ihn beunruhigte. Er konnte nur erwidern, er sei sicher, Gott habe für ihn in England ein Werk zu verrichten. Er sehnte sich schmerzlich danach, nach Hause zurückzukehren und fand schließlich ein kleines Schiff, auf dem er mitreisen konnte.

Bald nachdem das Schiff die Segel gehisst hatte, gab es dichten Nebel, der die gefährlichen Klippen um das Schiff herum unsichtbar machte. Das Schiff blieb eine Woche lang in der feuchten, grauen Finsternis gefangen und konnte weder vorwärts noch zurück fahren. Newman flehte den Erretter um Hilfe an, und er schrieb den Text des Liedes nieder, das wir in unserem Gesangbuch haben: „Führ, gütges Licht.“

Führ gütges Licht mit deinem hellen Schein, ...

Die Nacht ist dunkel und die Heimat fern, ...

Ich will ... nur Schritt für Schritt

von dir geleitet gehn.

In diesem Lied klingt eine Wahrheit wider, die unser Herz bestätigt: auch wenn Prüfungen andere Lichtquellen auslöschen, erleuchtet Christus uns den Weg und geleitet uns nach Hause. Denn wie der Erretter verheißt: „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen.“ (Johannes 8:12.)

Wir befinden uns alle gelegentlich an einem finsteren Ort. Vielleicht wandern wir auch infinstere geistige Höhlen, wo wir törichte Entscheidungen treffen und uns von schädlichen Einflüssen leiten lassen und uns vom Licht des Evangeliums abwenden, um noch ein bisschen an der Welt festzuhalten. Anfangs kommt uns das vielleicht harmlos vor – nur ein bisschen forschen, das ist alles. Aber wir es uns versehen, sind wir vom Licht getrennt und uns in der Finsternis selbst überlassen. Warum bleiben wir im Finstern, wenn das rettende Licht auf uns wartet? Genießen wir doch das warme, helle Licht, dass das Evangelium Jesu Christi uns schenkt. Lassen wir uns doch Schritt für Schritt vom gütigen Licht des Erretters leiten. Lassen wir uns von den Bündnissen und Geboten so leiten, dass wir sicher auf dem Evangeliumsweg bleiben, der uns in unsere himmlische Heimat führt.

Denken Sie an den kleinen Josh Dennis. Er ist jetzt Elder Dennis und erfüllt eine Mission – weit von dem finsteren Bergwerk entfernt, das ihn gefangengehalten hat. Jetzt bewegt Elder Dennis sich auf den schmalen, unbekannten Wegen in Honduras, wo er den Menschen die Botschaft von Hoffnung, Errettung und Licht bringt. Er lehrt jeden Tag das Paradoxon, das er als kleiner Junge in dem Bergwerk erlebt hat, nämlich dass man inmitten der Düsternis, inmitten der finstersten Umstände Hoffnung, Frieden und Trost haben kann – aufgrund des Lichts, das stärker ist als alle Finsternis, aufgrund des Lichts Christi.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, so wie Josh es weiß, dass es dieses wundersame Lichtwesen, unseren Erretter, wirklich gibt. Mögen wir sein Licht annehmen und so leben, dass es uns den Weg erleuchtet und uns in unsere himmlische Heimat führt. Im Namen Jesu Christi, amen.