Aus Neu für junge Erwachsene
Wie empfindet man Freude, wenn Depressionen empfindungslos machen?
Wir wurden zur Erde gesandt, um Freude zu haben
In einer depressiven Phase sehe ich im Leben kaum Sinn. Selbst meine Lieblingsbeschäftigungen öden mich dann bloß an. Ich möchte am liebsten alles hinwerfen und mich nur im Bett verkriechen. Tage – manchmal sogar Wochen – vergehen in nahezu völliger Empfindungslosigkeit.
Unter solchen Umständen fällt der Gedanke schwer, dass alles wieder besser wird, und ich frage mich:
Wie kann ich denn Freude empfinden, wenn ich gefühlsmäßig anscheinend wie betäubt bin?
Gefühle akzeptieren
In einer depressiven Phase möchte ich keinesfalls darüber reden oder auch nur darüber nachdenken, wie mir gerade zumute ist. Doch Gefühle zu akzeptieren, bringt mir häufig Erleichterung. Dazu gehört etwa, dass ich akzeptiere, dass es mir bisweilen eben schlecht geht, doch dass ich auch Freude empfinden darf.
Unlängst habe ich von einer Technik beim Brotbacken mit Sauerteig gehört, die „Scoring“ oder „Einschneiden“ genannt wird. Der Bäcker schneidet vor dem Backen ein schönes Muster in die Außenschicht des zu backenden Teigs. Bei diesen Ritzen in der Kruste entweicht dann der Dampf und das Brot kann sich beim Backen ausdehnen. Ohne Einschneiden würde die Kruste an unerwünschten Stellen aufbrechen und platzen.
Wie bei ungeritztem Sauerteigbrot bringt es nichts, bei einer Depression schmerzhafte Gefühle unter Verschluss zu halten, denn sie stumpfen zwar ab, explodieren aber eines Tages und treten zutage wie der Wasserdampf im Teig. Ohne einen heilen Ort, wo ich loslassen kann, verletzen mich solche Gefühle und schaden mir und anderen, wodurch der negative, abstumpfende Kreislauf der Depression nur vorangetrieben wird.
Ähnlich wie beim Brot muss ich gesunde Möglichkeiten finden, diese Emotionen loszuwerden – entweder indem ich darüber spreche oder deswegen bete oder indem ich Sport betreibe, mich künstlerisch betätige, in den Tempel gehe oder sonst wie. Es kann schmerzhaft sein – als würde man eine Wunde öffnen, die man lieber verschlossen halten würde. Aber so kann ich Gefühle verarbeiten und mich von ihnen lösen. Erst dann scheint sich die allgemeine Teilnahmslosigkeit zu lockern und ich empfinde wieder Lebensfreude.
Sich Gefühlen zu öffnen, kann, wenn man gerade in einer Depression steckt, unmöglich erscheinen. Doch mit der Hilfe des Erretters ist es möglich, sich von Traurigkeit und Niedergeschlagenheit zu lösen und Platz für Freude zu schaffen. Präsident Jeffrey R. Holland, Amtierender Präsident des Kollegiums der Zwölf Apostel, hat dies so ausgedrückt: „Bitte denken Sie deshalb morgen und alle künftigen Tage daran, dass der Herr diejenigen segnet, die sich verbessern wollen.“ Der bloße Wunsch, Freude zu empfinden, ist bereits ein guter Ausgangspunkt.
Gott hat uns erschaffen, damit wir Freude empfinden
Wenn ich eine Wolke der Niedergeschlagenheit über mir verspüre, schlage ich oft 2 Nephi 2:25 auf: „Menschen sind, damit sie Freude haben können.“
Offenbar sind wir also hier, um Freude zu haben. Aber richtig tröstlich ist das trotzdem nicht, wenn es einem die Depressionen gerade fast unmöglich machen, überhaupt etwas zu empfinden. Weiter oben im selben Kapitel steht jedoch, dass wir ohne Gegensätze „wie tot verbleiben und … nicht Leben noch Tod noch Verweslichkeit noch Unverweslichkeit, Glücklichsein noch Elend“ (2 Nephi 2:11) hätten.
Wir wüssten also gar nicht, dass es Gutes gibt, wenn wir nicht auch das Schlechte erlebten. Ohne Gegensätze würden wir nämlich rein gar nichts verspüren. Wir wären für immer empfindungslos. Schwierige Zeiten sind notwendig, damit wir überhaupt Freude erkennen und empfinden können.
Kaum zu glauben, dass schmerzliche Erfahrungen nützlich sein können, aber ich selber möchte die Ewigkeit nicht in einem Zustand endloser Monotonie ohne jedweden Fortschritt verbringen. Gerade Zeiten des Kummers, des Schmerzes und der Gefühllosigkeit versetzen mich in die Lage, mich zu freuen – Freude mit der Familie, beim Mountainbiken, beim Lesen oder durch tägliche Umkehr zu haben.
Christus kennt dich
Bonnie H. Cordon, ehemalige Präsidentin der Jungen Damen der Kirche, hat festgestellt: „[Jesus Christus] kennt auch unser Leid und ruft uns auf: Bringt diejenigen zu mir, die ängstlich oder niedergeschlagen sind, die erschöpft, stolz, missverstanden oder einsam sind, und alle, die ‚in irgendeiner Weise bedrängt sind‘.“
Ich liebe den Erretter. Ich weiß, dass er für mich persönlich gelitten hat und gestorben ist. Wenn du dich ihm zuwendest, lässt sich alles überwinden – selbst jene übermächtigen Ängste, die eine Depression mit sich bringen kann. Mitunter meinst du vielleicht, du seist allein, doch Christus vergisst dich nicht, denn er hat „dich eingezeichnet in [seine] Hände“ (Jesaja 49:16). Für dich hat er sein Leben hingegeben, und er war ja vollkommen. Wenn er also so sehr an dich glaubt, dass er das getan hat, gibt es sicherlich Hoffnung, dass sich Freude erneut einstellen wird.
Falls du meinst, die Finsternis gehe nie zu Ende, denke bitte an Präsident Hollands Worte: „In einer Welt, die so verzweifelt alles Licht braucht, das sie bekommen kann, solltet ihr das ewige Licht, das Gott in eure Seele gepflanzt hat, noch ehe die Welt war, nicht kleiner machen, als es ist. Sprecht mit jemandem. Bittet um Hilfe. … Es gibt Hilfe, von anderen und vor allem von Gott. Ihr werdet geliebt und geschätzt und gebraucht!“
Gott um Hilfe zu bitten, ist für mich oft der erste Schritt aus dem Kreislauf einer Depression, und wie beim Bergsteigen muss ich mich manchmal einfach auf einen Schritt nach dem anderen konzentrieren. Ich weiß: Solange ich weiterhin meine Schritte auf dem Weg eines Jüngers gehe, werde ich durch Christus wieder Freude verspüren.