2009
Von unten nach oben
Juli 2009


Von unten nach oben

Diese junge Frau aus Uruguay weiß, wie man dorthin gelangt, wo man hinkommen möchte.

Wenn man Talent hat, sagen manche Leute, bringt einen das ganz nach oben. Aber bei Joselén Cabrera war es anders: Ihr Talent brachte sie ans untere Ende der Welt – in die Antarktis. Auf ihrem Weg machte sie die Erfahrung, dass es sich lohnt, einen guten Traum zu verfolgen, und dass man dabei Menschen zur Seite hat, die helfen, wenn man sie braucht.

Als Joselén vierzehn war, gewann sie einen Zeichenwettbewerb, den der zivile Verband Asociación Civil Antarkos in ihrem Heimatland Uruguay ausschrieb. Der Preis: Mit einer Gruppe weiterer Schüler und Lehrer durfte sie mit ihrer Lehrerin in die Antarktis reisen. Ihr Vater und ihre Kunstlehrerin hatten Joselén beraten, wie sie die Zeichnung, die sie sich vorstellte, zu Papier bringen konnte.

In drei Etappen reiste sie in die Antarktis: Zuerst brachte ein Militärtransportflugzeug sie von Montevideo nach Punta Arenas in Chile, dann flog sie über das Meer zur chilenischen Basisstation in der Antarktis, und von dort ging es über Land zum uruguayischen Antarktis-Außenposten Artigas, etwa 3000 Kilometer von Montevideo entfernt. Mehrere Länder betreiben auf der King-George-Insel vor der Küste der Antarktis Forschungsstationen.

Joseléns Zeichnung und ihr Reisebericht wurden in der landesweit erscheinenden Zeitschrift Uruguay Natural veröffentlicht.

Die Antarktis entsprach nicht ganz ihren Vorstellungen, meint Joselén schmunzelnd. Auf ihrer Zeichnung sind Pinguine und Eis zu sehen. Doch als sie die Antarktis besuchte, war dort Sommer – einzelne Schneeflächen auf kargem Boden und nur wenige Pinguine. Dafür konnte sie aber mehr Sehenswürdigkeiten bestaunen. Sie wanderte gern an der Küste entlang und sah den Collins-Gletscher, die Drakestraße und den Uruguay-See, aus dem die uruguayische Station das Trinkwasser bezieht. Außerdem konnte sie andere Forschungsstationen besuchen.

Für Joselén, inzwischen neunzehn Jahre alt, die zum Zweig Colonia Suiza im Distrikt Colonia gehört, erfüllte sich mit dieser Reise ein Traum. Seither hat sie noch weitere Träume verwirklicht. Beispielsweise hat sie das Programm Mein Fortschritt erfolgreich abgeschlossen und die Auszeichnung für die Junge Dame erhalten. Joselén trägt ihr Medaillon, damit sie, wie sie sagt, immer daran denkt, was sie erreicht hat und was sie als Tochter Gottes werden kann. Inzwischen hat Joselén auch ihre Schulausbildung abgeschlossen und möchte Architektur studieren.

Bis jetzt hatte sie noch nicht oft die Gelegenheit, in der Schule ihr Zeugnis zu geben. Ihre Freunde respektieren ihren Glauben, aber sie reden nicht viel über Religion. Joselén ist eher zurückhaltend, scheut sich aber nicht davor, für das einzutreten, was richtig ist. Das zeigte sich, als ein Schüler den anderen in der Klasse erzählte, die Heiligen der Letzten Tage würden gezwungen, den Zehnten zu zahlen. Dem widersprach sie. „Wir geben aus freien Stücken“, sagte sie und erklärte, dass der Zehnte eine freiwillige Gabe an Gott sei.

Joselén ist in der Kirche aufgewachsen. Als sie etwa zwölf Jahre alt war, entwickelte sie ein eigenes Zeugnis, denn ihr war klar, dass sie sich nicht immer auf die Erkenntnis ihrer Eltern stützen könne. Ihr Zeugnis erhielt sie nicht durch ein einzelnes überwältigendes Erlebnis, erzählt sie. „Aber ich wusste, dass mir das Evangelium Freude brachte.“

In den Sommerferien ist sie oft mit den Missionarinnen unterwegs. Dabei hat sie manchmal auch die Gelegenheit, Menschen, die sie kennt, Zeugnis zu geben. Einmal stellte sich heraus, dass die Missionarinnen mit ihrer besten Schulfreundin verabredet waren. „Ich sagte ihr ganz aufrichtig, was ich empfinde“, erzählt Joselén. Joselén freut sich, dass sie ihrer Freundin Zeugnis geben konnte.

„Mir gefällt die Geschichte von Joseph Smith, als er im heiligen Hain trotz großer Schwierigkeiten nicht aufhörte zu beten“, sagt sie (siehe Joseph Smith – Lebensgeschichte 1:15-17). „Sein Mut fasziniert mich.“ Sie findet es bewundernswert, wie der junge Prophet an dem festhielt, was er als wahr erkannt hatte, selbst als andere ihn verspotteten.

Auch Nephi gehört zu ihren Vorbildern. „Nephis Tapferkeit beeindruckt mich. Er ließ sich von seinen Brüdern nicht zurückhalten“, erklärt sie (siehe 1 Nephi 3:14-21; 4:1-4).

Inzwischen verfolgt sie einen weiteren Traum, der mit einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen zu tun hat, nämlich Musik. Joselén und ihre Schwester Ileana haben kürzlich eine Prüfung als Orgellehrerin abgelegt. Joselén spielt leidenschaftlich gern Musik – alles von PV-Liedern bis Filmmusik – und sie hört gern Musik, vor allem den Tabernakelchor.

„Wenn ich ein Problem habe, kommt mir eines unserer Kirchenlieder in den Sinn“, sagt sie. „Diese Lieder helfen mir, eine Lösung zu finden.“ Sie wohnt in der Nähe des Gemeindehauses und besucht an jedem Schultag den Seminarunterricht. „Manchmal gehe ich früher hin und spiele Kirchenlieder auf dem Klavier“, erzählt sie.

Wird die Generalkonferenz übertragen, geht sie auch frühzeitig ins Gemeindehaus und hört dem Tabernakelchor zu, der vor der Versammlung singt.

Nachdem Joselén schon in der Antarktis war – ein Ort, den nur wenige Menschen auf der Welt je mit eigenen Augen zu sehen bekommen –, gibt es sonst noch einen besonderen Ort, den sie gern besuchen würde?

„Ich möchte die Generalkonferenz besuchen und den Chor singen hören“, meint sie.

Wer weiß? Wenn Joselén es geschafft hat, bis ans untere Ende der Welt zu kommen, was sollte sie dann davon abhalten, alles zu erreichen, was sie sich vornimmt?

Fotos von Don L. Searle und mit freundlicher Genehmigung der Familie Cabrera; Karte von Thomas S. Child

Eindrücke von Joseléns Besuch in der Antarktis.

Unten: Joselén (in rot) mit ihrer Mutter Raquel, ihrem Vater Ruben und ihrer Schwester Ileana. Mitte: Joselén mit einigen Andenken an ihre Reise. Rechts: Joselén beim Üben am Keyboard.