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34 Erbaue eine Stadt


„Erbaue eine Stadt“, Kapitel 34 von: Heilige: Die Geschichte der Kirche Jesu Christi in den Letzten Tagen, Band 1, Das Banner der Wahrheit, 1815–1846, 2018

Kapitel 34: „Erbaue eine Stadt“

Kapitel 34

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Amtssitz des Präsidenten

Erbaue eine Stadt

Ende April 1839, als Joseph erst seit wenigen Tagen wieder mit den Heiligen vereint war, ritt er nach Norden, um Land zu begutachten, das Führer der Kirche in und um Commerce kaufen wollten. Der Ort lag etwa achtzig Kilometer von Quincy entfernt. Zum ersten Mal seit über sechs Monaten reiste der Prophet ohne bewaffnete Wachen und ohne dass ihm Gefahr für Leib und Leben drohte. Endlich war er unter Freunden und zudem in einem Bundesstaat, wo die Menschen die Heiligen freundlich aufnahmen und ihre Glaubensansichten zu achten schienen.

Während Joseph im Gefängnis gewesen war, hatte er einem Mann geschrieben, der im Umland von Commerce Land verkaufte. Er hatte Interesse daran bekundet, sich dort mit der Kirche anzusiedeln. „Wenn es niemanden gibt, der besonderes Interesse an dem Kauf hat“, hatte Joseph ihm geschrieben, „werden wir Ihnen das Land abkaufen.“1

Nachdem Far West gefallen war, stellten viele Heilige jedoch in Frage, ob es klug war, sich in nur einem Gebiet zu sammeln. Edward Partridge fragte sich, ob es nicht am besten sei, sich in kleinen, über das ganze Land verstreuten Gemeinschaften zu sammeln. Könnte man so nicht Auseinandersetzungen vermeiden und besser für die Armen sorgen?2 Aber Joseph wusste, dass der Herr sein Gebot, dass die Heiligen sich sammeln sollten, nicht widerrufen hatte.

Als er in Commerce ankam, sah er eine sumpfige Überschwemmungsebene, die sich sanft ansteigend bis zu einer bewaldeten Anhöhe erstreckte, von wo aus man eine breite Biegung des Mississippis überblickte. Hie und da gab es in dem Landstrich das eine oder andere Haus. Auf der anderen Seite des Flusses, im Territorium Iowa, standen in der Nähe eines Ortes namens Montrose einige verlassene Militärbaracken auf Grundstücken, die zum Verkauf standen.

Joseph glaubte, dass die Heiligen in dieser Gegend blühende Zionspfähle errichten konnten. Das Land war zwar nicht das beste, das er je zuvor gesehen hatte, doch war der Mississippi bis hin zum Atlantik befahrbar. Das machte Commerce zu einem guten Ort, um die Heiligen aus dem Ausland zu sammeln und Handelsunternehmen zu gründen. Auch war die Gegend nur dünn besiedelt.

Dennoch barg es Risiken, die Heiligen dort zu sammeln. Wenn die Kirche größer wurde, wie Joseph es sich erhoffte, könnte das die Nachbarn beunruhigen, und vielleicht würden sie sich dann gegen sie wenden, wie es in Missouri geschehen war.

Joseph betete. „Herr, was soll ich tun?“

„Erbaue eine Stadt“, antwortete der Herr, „und rufe meine Heiligen an diesen Ort.“3


Im Frühjahr zogen Wilford und Phebe Woodruff in die Baracken in Montrose. Unter ihren neuen Nachbarn waren Brigham und Mary Ann Young sowie Orson und Sarah Pratt. Nachdem sie ihre Familien untergebracht hatten, trafen die drei Apostel Vorkehrungen, um mit den übrigen Brüdern des Kollegiums zu ihrer Missionsreise nach Großbritannien aufzubrechen.4

Tausende Heilige zogen bald an diesen neuen Sammlungsort. Sie schlugen Zelte auf oder lebten in Wagen, während sie sich an die Arbeit machten und Häuser bauten, Lebensmittel und Kleidung kauften und auf beiden Seiten des Flusses Farmland rodeten.5

Während die neue Siedlung größer wurde, kamen die Zwölf Apostel oft mit Joseph zusammen. Er predigte mit neuem Elan und bereitete sie auf ihre Mission vor.6 Der Prophet erklärte, dass Gott ihm nichts offenbarte, was er nicht auch den Zwölf Aposteln offenbaren würde. „Selbst der geringste Heilige kann alles wissen, und zwar so schnell, wie er dazu imstande ist“, verkündete Joseph.7

Er unterwies sie hinsichtlich der ersten Grundsätze des Evangeliums, der Auferstehung und des Gerichts sowie des Aufbaus Zions. Er dachte an den Verrat durch ehemalige Apostel und hielt sie daher auch zu Treue an. „Seht zu, dass ihr nicht den Himmel verratet“, mahnte er, „dass ihr nicht Jesus Christus verratet, dass ihr nicht eure Brüder verratet und dass ihr nicht die Offenbarungen Gottes verratet.“8

Etwa zu dieser Zeit äußerte Orson Hyde den Wunsch, in das Kollegium der Zwölf zurückzukehren. Er schämte sich dafür, dass er Joseph in Missouri angeprangert und die Heiligen verlassen hatte. Weil Sidney Rigdon befürchtete, dass Orson sie erneut verraten würde, sobald die nächste Schwierigkeit auftauchte, widerstrebte es ihm, Orsons Apostelamt wiederherzustellen. Joseph hingegen freute sich über seine Rückkehr und gab ihm seinen Platz unter den Zwölf Aposteln wieder.9 Im Juli entkam Parley Pratt aus dem Gefängnis in Missouri und war dann ebenfalls wieder mit den Aposteln vereint.10

Mittlerweile hatte das Sumpfland ganze Schwärme von Mücken hervorgebracht, die sich an den neuen Siedlern labten, und viele Heilige erkrankten an tödlicher Malaria und litten an schrecklichem Schüttelfrost. Die meisten der Zwölf Apostel waren schon bald zu krank, um nach Großbritannien aufzubrechen.11

An einem Montagmorgen, es war der 22. Juli, hörte Wilford vor seinem Haus Josephs Stimme: „Bruder Woodruff, folge mir.“

Wilford trat vor die Tür und sah dort Joseph mit ein paar Männern stehen. Den ganzen Morgen waren sie von Haus zu Haus und von Zelt zu Zelt gegangen und hatten die Kranken bei der Hand genommen und sie geheilt. Nachdem sie den Heiligen in Commerce Segen gegeben hatten, hatten sie eine Fähre über den Fluss genommen, um die Heiligen in Montrose zu heilen.12

Wilford ging mit ihnen über den Dorfplatz zum Haus seines Freundes Elijah Fordham. Elijah hatte ganz dunkle Augenringe und seine Haut war aschfahl. Seine Frau Anna weinte, während sie seine Totenkleidung herrichtete.13

Joseph ging zu Elijah und nahm seine Hand. „Bruder Fordham“, fragte er, „hast du nicht den Glauben, geheilt zu werden?“

„Ich fürchte, es ist zu spät“, antwortete dieser.

„Glaubst du denn nicht, dass Jesus der Messias ist?“

„Doch, das glaube ich, Bruder Joseph.“

„Elijah“, erklärte der Prophet, „ich gebiete dir im Namen Jesu von Nazaret: Steh auf und sei gesund.“

Die Worte schienen das ganze Haus zu erschüttern. Elijah erhob sich aus dem Bett, und sein Gesicht bekam wieder eine gesunde Farbe. Er zog sich an, bat um etwas zu essen und folgte Joseph nach draußen, um mitzuhelfen, die vielen anderen Kranken zu segnen.14

Später am Abend war Phebe Woodruff ganz erstaunt, als sie Elijah und Anna besuchte. Nur wenige Stunden zuvor hatte Anna ihren Mann schon fast aufgegeben. Jetzt sagte Elijah, dass er sich kräftig genug fühle, im Garten zu arbeiten. Phebe hatte keinen Zweifel daran, dass seine Genesung das Werk Gottes war.15


Josephs Bemühungen, Kranke zu segnen und zu heilen, bereiteten der Verbreitung von Krankheiten in Commerce und Montrose kein Ende, und einige Heilige mussten ihr Leben lassen. Als immer mehr Menschen starben, machte sich die achtzehnjährige Zina Huntington Sorgen, dass ihre Mutter ebenfalls der Krankheit erliegen würde.

Tagein, tagaus kümmerte sich Zina um ihre Mutter und ließ sich dabei von ihrem Vater und ihren Brüdern helfen, doch schon bald war die ganze Familie krank. Joseph sah von Zeit zu Zeit nach ihnen, um zu erfahren, was er tun konnte, um der Familie zu helfen oder es Zinas Mutter etwas angenehmer zu machen.

Eines Tages rief Zinas Mutter nach ihr. „Meine Zeit ist gekommen“, sagte sie mit schwacher Stimme. „Ich habe keine Angst vor dem Tod.“ Sie gab Zina Zeugnis für die Auferstehung. „Ich werde im Triumph hervorkommen, wenn der Erretter mit den Gerechten kommt, um den Heiligen auf der Erde zu begegnen.“

Als ihre Mutter starb, war Zina von Trauer überwältigt. Weil Joseph wusste, dass die Familie großen Kummer litt, besuchte er sie auch weiterhin.16

Bei einem seiner Besuche fragte Zina ihn: „Werde ich meine Mutter als meine Mutter kennen, wenn ich auf die andere Seite gelange?“

„Mehr als das“, entgegnete er, „du wirst sogar deine ewige Mutter kennenlernen, die Frau deines Vaters im Himmel.“

„Habe ich denn eine Mutter im Himmel?“, fragte Zina.

„Ganz gewiss“, erwiderte Joseph. „Wie könnte ein Vater im Himmel diesen Titel für sich in Anspruch nehmen, wenn es nicht auch eine Mutter gäbe, die mit ihm ebenjenes Elternpaar bildet?“17


Anfang August reiste Wilford mit John Taylor nach England ab. Sie waren die ersten Apostel, die ihre neue Mission antraten. Zu dieser Zeit erwartete Phebe ein weiteres Baby, und Johns Frau Leonora und alle drei Kinder waren krank und hatten Fieber.18

Parley und Orson Pratt waren die nächsten Apostel, die abreisten, und das obwohl Orson und Sarah immer noch um ihre Tochter Lydia trauerten, die nur elf Tage zuvor verstorben war. Mary Ann Pratt, Parleys Frau, begleitete die Apostel auf der Mission und reiste mit ihnen ab. George A. Smith, der jüngste Apostel, war immer noch krank, als er seine Mission antrat, und stellte die Eheschließung mit seiner Verlobten Bathsheba Bigler zurück.19

Mary Ann Young verabschiedete sich Mitte September von Brigham. Er war wieder krank, doch war er entschlossen, zu tun, was von ihm verlangt wurde. Mary Ann war selbst krank und hatte nur wenig Geld, womit sie während Brighams Abwesenheit für die fünf Kinder sorgen konnte, aber sie wollte, dass ihr Mann seine Pflicht erfüllte.

„Geh und erfülle deine Mission, und der Herr wird dich segnen“, sagte sie. „Ich achte, so gut ich kann, auf mich und die Kinder.“20

Einige Tage nach Brighams Abreise erfuhr Mary Ann, dass er es nicht weiter als bis zum Haus der Familie Kimball auf der anderen Seite des Mississippis geschafft hatte. Dort war er vor Erschöpfung zusammengebrochen. Sofort überquerte sie den Fluss, um ihn zu pflegen, bis er kräftig genug war, um sich auf den Weg zu machen.21

Bei den Kimballs stellte Mary Ann fest, dass Vilate und zwei ihrer Jungen krank im Bett lagen. Es gab niemanden außer dem vierjährigen Sohn, der die schweren Wasserkrüge vom Brunnen herübertragen konnte. Heber war zu krank, um aufzustehen, doch war er entschlossen, am nächsten Tag mit Brigham abzureisen.

Mary Ann kümmerte sich um Brigham, bis dann am Morgen ein Wagen eintraf. Als Heber aufstand, um aufzubrechen, wirkte er verzweifelt. Er umarmte Vilate, die mit Fieberkrämpfen im Bett lag, verabschiedete sich dann von seinen Kindern und stieg auf wackligen Beinen in den Wagen.

Brigham versuchte vergeblich, gesund zu wirken, als er sich von Mary Ann und seiner Schwester Fanny verabschiedete, die ihn drängte, zu bleiben, bis es ihm wieder gut ging.

„Ich habe mich nie besser gefühlt“, versicherte er ihr.

„Du lügst“, entgegnete Fanny.

Brigham stieg mit Mühe in den Wagen und nahm neben Heber Platz. Als der Wagen den Hügel hinabrollte, war Heber schrecklich zumute, weil er seine Familie so krank zurückließ. Er wandte sich dem Kutscher zu und bat ihn, anzuhalten. „Das ist ziemlich hart“, sagte er zu Brigham. „Erheben wir uns und schenken ihnen einen Hurraruf.“

Im Haus schreckte Lärm von draußen Vilate in ihrem Bett auf und sie stand auf. Sie taumelte zur Tür und gesellte sich zu Mary Ann und Fanny, die zu etwas hinübersahen, was nicht weit entfernt war. Vilate schaute ebenfalls dorthin, und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht.

Es waren Brigham und Heber. Sie standen im hinteren Teil des Wagens und lehnten sich zur Stütze aneinander. „Hurra! Hurra!“, riefen die Männer und schwenkten ihre Hüte. „Hurra für Israel!“

„Auf Wiedersehen!“, riefen die Frauen aus. „Gott segne euch!“22


Während die Apostel nach Großbritannien aufbrachen, verfassten Heilige in Illinois und Iowa Aussagen, in denen sie die brutale Behandlung in Missouri ausführlich beschrieben, wie Joseph es ihnen aufgetragen hatte, als er im Gefängnis gewesen war. Bis zum Herbst hatten Führer der Kirche hunderte dieser Berichte gesammelt und ein formelles Gesuch verfasst. Insgesamt verlangten die Heiligen über zwei Millionen Dollar, womit der Verlust an Häusern, Land, Vieh und anderem Eigentum ausgeglichen werden sollte. Joseph hatte vor, diese Forderungen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem Kongress persönlich zu überbringen.

Joseph hielt Präsident Martin Van Buren für einen Staatsmann von hoher Gesinnung – jemanden, der die Rechte von Bürgern verteidigen würde. Joseph hoffte, dass der Präsident und andere Abgeordnete in Washington, D. C., vom Leid der Heiligen lesen und sich dann bereiterklären würden, sie für das Land und das Hab und Gut, das sie in Missouri verloren hatten, zu entschädigen.23

Nachdem er von seinem Zuhause in Illinois aus fast eintausendsechshundert Kilometer zurückgelegt hatte, stand Joseph am 29. November 1839 vor der Tür des Amtssitzes des Präsidenten in Washington. An seiner Seite hatte er seinen Freund und Rechtsberater Elias Higbee sowie John Reynolds, einen Abgeordneten aus Illinois.24

Ein Pförtner empfing sie an der Tür und bat sie herein. Der Amtssitz war erst kurz zuvor renoviert worden, und Joseph und Elias staunten über die Eleganz der Räume, die in krassem Gegensatz zu den notdürftigen Behausungen der Heiligen im Westen stand.

Die drei Männer wurden die Treppe hinauf in ein Empfangszimmer geführt. Während sie mit dem Gesuch und mehreren Empfehlungsschreiben in der Hand vor der Tür warteten, bat Joseph den Abgeordneten Reynolds, ihn einfach als einen „Heiligen der Letzten Tage“ vorzustellen. Den Abgeordneten schien die Bitte zu überraschen und zu erheitern, aber er sagte Joseph zu, seinem Wunsch nachzukommen. Reynolds wollte den Heiligen nicht unbedingt helfen, aber er wusste, dass sie so zahlreich waren, dass sie die Politik in Illinois beeinflussen konnten.25

Joseph war nicht davon ausgegangen, den Präsidenten mit einer so kleinen Delegation zu treffen. Als er im Oktober Illinois verlassen hatte, hatte er vorgehabt, Sidney Rigdon bei diesen Treffen die Führung übernehmen zu lassen. Aber Sidney war zu krank, um zu reisen, und hatte die Reise unterwegs abgebrochen.26

Endlich öffneten sich die Salontüren und die drei Männer traten ein. Genau wie Joseph war auch Martin Van Buren der Sohn eines Farmers aus dem Bundesstaat New York, doch er war viel älter, klein und untersetzt, mit hellem Teint und buschigem, weißem Haar, das den Großteil seines Gesichts umrahmte.

Wie versprochen, stellte der Abgeordnete Reynolds Joseph als Heiligen der Letzten Tage vor. Der Präsident lächelte über den ungewöhnlichen Titel und schüttelte dem Propheten die Hand.27

Nachdem Joseph den Präsidenten begrüßt hatte, reichte er ihm die Empfehlungsschreiben und wartete dann. Van Buren las sie und blickte finster drein. „Ihnen helfen?“, fragte er abweisend. „Wie kann ich Ihnen helfen?“28

Joseph wusste nicht, was er sagen sollte.29 Er hatte nicht erwartet, dass der Präsident sie so schnell abweisen würde. Er und Elias drängten den Präsidenten, zumindest vom Leid der Heiligen zu lesen, bevor er entschied, ihr Gesuch abzulehnen.

„Ich kann nichts für Sie tun, meine Herren“, beharrte der Präsident. „Wenn ich Sie unterstütze, wende ich mich gegen den ganzen Staat Missouri, und dann wendet sich dieser Staat bei der nächsten Wahl gegen mich.“30

Enttäuscht verließen Joseph und Elias den Amtssitz und überbrachten ihr Gesuch dem Kongress. Sie wussten, dass Wochen vergehen würden, ehe die Abgeordneten es durchgehen und darüber beraten konnten.31

Während sie warteten, entschloss sich Joseph, die Zweige der Kirche im Osten zu besuchen. Auch wollte er in Washington und den umliegenden Ortschaften und Städten predigen.32


Wilford Woodruff und John Taylor kamen am 11. Januar 1840 in Liverpool an. Es war Wilfords erste Reise nach England, John jedoch war zurück in seiner alten Heimat unter Angehörigen und Freunden. Nachdem sie ihr Gepäck abgeholt hatten, gingen sie zum Haus von Johns Schwager George Cannon. George und seine Frau Ann waren überrascht, sie zu sehen, und luden sie ein, mit ihnen zu Abend zu essen.

Die Cannons hatten fünf Kinder. Das älteste, George, war ein aufgeweckter Dreizehnjähriger, der gerne las. Nach dem Essen gaben Wilford und John der Familie ein Buch Mormon und ein Exemplar der Missionsschrift Eine warnende Stimme, ein Buch, das Parley Pratt einige Jahre zuvor in New York veröffentlicht hatte. John erklärte der Familie die ersten Grundsätze des Evangeliums und forderte sie auf, die Bücher zu lesen.33

Die Cannons erklärten sich einverstanden, das Gepäck der Missionare aufzubewahren, während Wilford und John einen Zug nach Preston nahmen, um sich mit Joseph Fielding und Willard Richards zu treffen.34 Joseph und Willard hatten, seit Heber Kimball und Orson Hyde die Mission ein Jahr zuvor verlassen hatten, beide unter den britischen Heiligen eine Frau gefunden. Wie Heber es vorhergesagt hatte, hatte Willard Jennetta Richards geheiratet.

Nach dem Treffen in Preston kehrte John nach Liverpool zurück, und Wilford begab sich nach Südosten in die industriereiche Region Staffordshire, wo er schon bald einen Zweig gründete. Während er eines Abends mit den Heiligen zusammenkam, spürte Wilford, dass der Geist auf ihm ruhte. „Dies ist für eine lange Zeit die letzte Versammlung, die du mit diesen Menschen abhalten wirst“, tat ihm der Herr kund.

Die Botschaft erstaunte Wilford. Die Arbeit in Staffordshire hatte gerade erst begonnen, und er hatte in dem Gebiet viele Predigttermine vereinbart. Doch am nächsten Morgen betete er um mehr Führung, und der Geist inspirierte ihn dazu, weiter nach Süden zu gehen, wo viele Seelen auf Gottes Wort warteten.

Am nächsten Tag brach er zusammen mit William Benbow auf, einem der Heiligen aus Staffordshire, und reiste nach Süden zur Farm von John und Jane Benbow, dem Bruder und der Schwägerin von William.35 John und Jane besaßen ein geräumiges, weißes Backsteinhaus auf einer florierenden, einhundertzwanzig Hektar großen Farm. Als Wilford und William ankamen, blieben sie mit den Benbows bis zwei Uhr morgens auf und sprachen über die Wiederherstellung.

Das Paar hatte sich ein gutes Leben aufgebaut, aber in geistiger Hinsicht fehlte es ihm an Erfüllung. Kurz zuvor hatte sich die beiden zusammen mit anderen von ihrer Glaubensgemeinschaft abgespalten, um nach dem wahren Evangelium Jesu Christi zu suchen. Die Gruppe nannte sich United Brethren und hatte bei Gadfield Elm, einige Kilometer südlich der Farm der Benbows, und an einigen anderen Orten Gotteshäuser gebaut. Sie erwählten ihre Prediger aus ihren eigenen Reihen und baten Gott um mehr Licht.36

Als John und Jane an diesem Abend Wilford zuhörten, gelangten sie zu der Überzeugung, dass sie endlich die Fülle des Evangeliums gefunden hatten. Am nächsten Tag hielt Wilford im Haus der Benbows vor einer großen Gruppe von Nachbarn eine Predigt, und bald darauf taufte er John und Jane in einem Teich in der Nähe.

Im Laufe der darauffolgenden Wochen taufte Wilford über einhundertfünfzig Mitglieder der United Brethren, darunter sechsundvierzig Laiengeistliche. Weil sich noch mehr Menschen taufen lassen wollten, bat er Willard Richards in einem Brief um Hilfe.37

„Ich werde jeden Tag vier-, fünfmal gerufen, um zu taufen!“, erklärte Wilford. „Ich kann die Arbeit nicht allein verrichten!“38


Am 5. Februar hörte der siebenundsechzigjährige Matthew Davis, dass Joseph Smith, der Prophet der Mormonen, am Abend in Washington predigen würde. Matthew war Berichterstatter einer beliebten Zeitung in New York. Weil er wusste, dass seine Frau Mary auf die Heiligen der Letzten Tage neugierig war, wollte er den Propheten unbedingt sprechen hören und dessen Lehren dann seiner Frau mitteilen.

Bei der Predigt stellte Matthew fest, dass Joseph ein einfach gekleideter Farmer war, kräftig, mit einem hübschen Gesicht und würdevollem Auftreten. Sein Predigen verriet, dass er kaum Schulbildung genossen hatte, aber für Matthew war klar erkennbar, dass er willensstark war und großes Wissen besaß. Der Prophet wirkte aufrichtig, ohne jede Spur von Leichtfertigkeit oder Fanatismus in seiner Stimme.

„Ich werde Ihnen unsere Glaubensansichten darlegen, solange die Zeit es zulässt“, sagte Joseph zu Beginn seiner Predigt. Er gab Zeugnis für Gott und Gottes Wesen. „Er herrscht über alles, was im Himmel und auf Erden ist“, verkündete er. „Er hat den Fall des Menschen vorherbestimmt, aber weil er vollkommen barmherzig ist, hat er gleichzeitig einen Erlösungsplan für die ganze Menschheit vorherbestimmt.“

Weiter sagte er: „Ich glaube an die Göttlichkeit Jesu Christi und dass er für die Sünden aller Menschen gestorben ist, die in Adam gefallen sind.“ Er erklärte, dass alle Menschen rein und unbefleckt geboren werden und dass alle Kinder, die schon in einem jungen Alter sterben, in den Himmel kommen, weil sie nicht Gut von Böse unterscheiden und nicht sündigen können.

Matthew hörte zu und war von dem, was er hörte, beeindruckt. Joseph verkündete, dass Gott ewig ist, ohne Anfang oder Ende, genau wie auch die Seele eines jeden Menschen. Matthew fiel auf, dass der Prophet nur sehr wenig über Lohn oder Strafe im nächsten Leben sagte, außer dass er daran glaube, dass Gottes Strafe einen Anfang und ein Ende habe.

Nach zwei Stunden schloss Joseph seine Predigt mit seinem Zeugnis für das Buch Mormon. Er verkündete, dass er nicht der Verfasser des Buches sei, sondern dass er es von Gott empfangen hatte, direkt vom Himmel.

Matthew dachte über die Predigt nach. Er hatte an diesem Abend nichts gehört, was der Gesellschaft in irgendeiner Weise schaden würde. „Es gab bei seinen Glaubensregeln vieles, was die Menschen dazu bewegen würde, weniger schroff miteinander umzugehen“, schrieb er seiner Frau tags darauf in einem Brief, „und was den Menschen wohl zu einem vernünftigeren Wesen machen würde, wenn dieser sich daran hielte.“

Matthew hatte nicht vor, die Lehren des Propheten anzunehmen, aber er wusste seine Friedensbotschaft zu schätzen. „Seine Worte waren frei von Heftigkeit, Zorn oder Anprangerung“, schrieb er. „Seine Religion scheint die Religion der Sanftmut, Demut und friedfertigen überzeugenden Rede zu sein.“

„Ich habe meine Meinung über die Mormonen geändert“, erklärte er abschließend.39


Während Joseph darauf wartete, dass der Kongress sich mit dem Gesuch der Heiligen befasste, wurde er es leid, von seiner Familie getrennt zu sein. „Meine liebe Emma, mein Herz ist eng mit dir und den Kleinen verschlungen“, schrieb er im Winter. „Sag allen Kindern, dass ich sie liebe und so bald ich kann nach Hause komme.“40

Als Joseph Emma geheiratet hatte, hatte er geglaubt, dass ihre Verbindung mit dem Tod enden würde.41 Aber der Herr hatte ihm in der Zwischenzeit offenbart, dass Ehe und Familie durch die Macht des Priestertums über das Grab hinaus Bestand haben konnten.42 Während er mit Parley Pratt Zweige der Kirche in den Oststaaten besuchte, hatte Joseph ihm erzählt, dass rechtschaffene Heilige die Beziehungen in der Familie für immer pflegen konnten und ihre Zuneigung füreinander immer weiter wachsen konnte. Welche Entfernung die Mitglieder einer glaubenstreuen Familie auf Erden auch trennen mochte, sie konnten auf die Verheißung vertrauen, dass sie eines Tages in der künftigen Welt vereint sein würden.43

Während Joseph in Washington wartete, wurde er es auch überdrüssig, Politikern zuzuhören, wie sie feierliche Reden voller hochtrabender Worte und leerer Versprechungen hielten. „Sie brennen darauf, ihre Beredsamkeit selbst zu den alltäglichsten Anlässen zur Schau zu stellen. All die Benimmregeln, das Verbeugen, das Einschmeicheln, das Verdrehen und Wenden, damit man zeigen kann, wie geistreich man ist“, schrieb er seinem Bruder Hyrum in einem Brief. „Uns kommt es so vor, als ginge es ihnen mehr darum, Eindruck zu schinden, als sich ernsthaft mit Inhalten auseinanderzusetzen.“44

Nach einem ergebnislosen Treffen mit John C. Calhoun, einem der einflussreichsten Senatoren des Landes, erkannte Joseph, dass er in Washington seine Zeit vergeudete. Er beschloss, die Heimreise anzutreten. Jeder sprach über Freiheit und Gerechtigkeit, aber niemand schien bereit zu sein, die Menschen in Missouri dafür zur Rechenschaft zu ziehen, wie sie mit den Heiligen umgegangen waren.45

Nachdem der Prophet nach Illinois zurückgekehrt war, bemühte Elias Higbee sich weiterhin um Entschädigung für die Verluste der Heiligen. Im März befasste sich der Senat mit dem Gesuch der Heiligen und gewährte Delegierten aus Missouri, das Vorgehen ihres Staates zu verteidigen. Nachdem die Abgeordneten den Fall untersucht hatten, entschieden sie sich, nichts zu unternehmen. Sie räumten ein, dass den Heiligen Leid widerfahren war, waren aber der Ansicht, dass der Kongress nicht ermächtigt war, sich in das Vorgehen der Regierung eines Bundesstaates einzumischen. Nur Missouri könne die Heiligen für ihre Verluste entschädigen.46

„Unsere Arbeit hier ist nun doch beendet“, schrieb Elias enttäuscht an Joseph. „Ich habe in dieser Angelegenheit alles getan, was ich konnte.“47