Blicke auf Gott und lebe
Denken wir doch immer dann, wenn wir geneigt sind, uns von den Schlägen des Lebens niedergedrückt zu fühlen, daran, daß andere denselben Weg gegangen sind, daß sie ausgeharrt und dann überwunden haben.
Haben Sie jemals mit der ganzen Familie Urlaub gemacht? Wenn nicht, machen Sie sich auf einige überraschungen gefaßt. Meine Frau und ich sind vor einigen Jahren mit unseren Kindern, ihren Ehepartnern und den Enkelkindern in Disneyland in Südkalifornien gewesen. Hinter dem Eingang zu diesem berühmten Vergnügungspark eilte die Gruppe zur neuesten Attraktion Star Tours. Man steigt in eine Rakete, nimmt Platz und schnallt sich an. Plötzlich beginnt das Raumschiff heftig zu vibrieren. Ich glaube, die mechanische Stimme, die über Lautsprecher zu hören ist, nennt das „schwere Turbulenzen“. (Ich habe mir diese Fahrt kein zweites Mal angetan, denn ich bekomme genug echte Turbulenzen, wenn ich von Stadt zu Stadt fliege, um meine Pflichten zu erfüllen.)
Nachdem wir uns ein paar Minuten erholt hatten, begaben wir uns zu der Attraktion, vor der die längste Schlange stand. Sie nannte sich Splash Mountain. Die Menschenmenge bewegte sich schlangenförmig voran. Die Musik, die von den Lautsprechern auf die Menschen strömte, erinnerte an Onkel Remus, eine Märchenfigur aus den Südstaaten. Sie enthielt die Worte:
Wie scheint heute doch die Sonne schön!
Also mir könnt’s gar nicht besser gehn,
Zip a di du da, zip a di du de!1
Inzwischen waren wir bereit, in das Boot zu steigen, mit dem wir steil in die Tiefe tauchen sollten, was die Passagiere im Boot vor uns mit Gekreisch quittierten, als das Boot den Wasserfall nach unten donnerte und dann langsam zum Stehen kam. Kurz bevor es abwärts ging, bemerkte ich an einer Wand ein kleines Schild, auf dem eine tiefsinnige Wahrheit stand. Es war ein Zitat von Onkel Remus: „Vor Schwierigkeiten kann man nicht weglaufen; so weit kommt man nie!“
Diese Worte sind bei mir haften geblieben. Sie gelten nicht nur für Splash Mountain, sondern auch für unser irdisches Leben.
Das Leben ist eine Schule der Erfahrungen, eine Zeit der Prüfungen. Wir lernern in dem Maß, wie wir unsere Bedrängnisse ertragen und unser Leid überstehen.
Wenn wir uns überlegen, was uns alles trifft Krankheit, Unfall, Tod und eine Menge sonstiger Herausforderungen , dann können wir mit Ijob sagen: „Der Mensch ist zur Mühsal geboren.“2 Ijob „war untadelig und rechtschaffen; er fürchtete Gott und mied das Böse.“3 Fromm in seinem Verhalten, erfolgreich in seinen Unternehmungen, sollte er einer Prüfung unterzogen werden, die jeden anderen vernichtet hätte. Nachdem er seinen Besitz verloren hatte, von seinen Freunden verschmäht worden war, vom Verlust seiner Angehörigen schwer mitgenommen war, sollte er Gott lästern und sterben.4 Er widerstand der Versuchung und erklärte vom Grunde seiner edlen Seele: „Seht, im Himmel ist mein Zeuge, mein Bürge in den Höhen.“ „Ich weiß: mein Erlöser lebt.“5 Ijob bewahrte den Glauben.
Man kann mit Sicherheit annehmen, daß es noch keinen Menschen gegeben hat6, der frei war von Leid und Kummer, auch hat es noch keine Zeit in der Geschichte der Menschheit gegeben, die nicht ihr Maß an Aufruhr, Untergang und Elend hatte.
Wenn der Weg des Lebens plötzlich eine grausame Wendung nimmt, ist man versucht, sich zu fragen: „Warum ich?“ Es ist gang und gäbe, sich selbst die Schuld zu geben, auch wenn wir keinerlei Einfluß auf unsere Schwierigkeiten haben mögen. Manchmal ist am Ende des Tunnels kein Licht zu sehen, auch durchbricht keine Dämmerung das Dunkel der Nacht. Wir fühlen uns vom Schmerz gebrochener Herzen, von der Enttäuschung unerfüllter Träume und der Verzweiflung geschwundener Hoffnung umgeben. Dann stimmen wir ein in die biblische Frage: „Gibt es denn keinen Balsam in Gilead?“ Wir fühlen uns im Stich gelassen, enttäuscht, allein.7
Allen, die solche Enttäuschung durchmachen, möchte ich die Gewißheit schenken, die in den Psalmen zu finden ist: „Wenn man am Abend auch weint, am Morgen herrscht wieder Jubel.“8
Denken wir doch immer dann, wenn wir geneigt sind, uns von den Schlägen des Lebens niedergedrückt zu fühlen, daran, daß andere denselben Weg gegangen sind, daß sie ausgeharrt und dann überwunden haben.
Es scheint für jeden einen endlosen Vorrat an Beunruhigung zu geben. Unser Problem besteht offensichtlich darin, daß wir dafür eine sofortige Lösung erwarten und dabei vergessen, daß oft die himmlische Tugend Geduld erforderlich ist.
Kommt Ihnen die eine oder andere der folgenden Herausforderungen bekannt vor:
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behinderte Kinder
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der Tod eines geliebtenMenschen
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der Verlust des Arbeitsplatzes
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nicht mehr gebraucht werden
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ein Kind auf Abwegen
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geistige oder seelischeKrankheit
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Unfälle
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Scheidung
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Mißbrauch
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ein Schuldenberg
Die Liste ist endlos. In der heutigen Welt neigt man manchmal dazu, sich von dem, der jede gute Gabe gibt, losgelöst ja isoliert zu fühlen. Wir machen uns Sorgen, daß wir allein gehen. Sie fragen sich: „Wie kommen wir zurecht?“ Was uns letzten Endes Trost schenkt, ist das Evangelium.
Vom Schmerzenlager, vom tränennassen Kissen werden wir von der göttlichen Versicherung und kostbaren Verheißung himmelwärts getragen: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“9
Solcher Trost ist auf unserem Weg durch die Sterblichkeit mit seinen vielen Abzweigungen und Kreuzungen kostbar. Selten wird diese Versicherung durch blinkende Lichter oder akkustische Signale angekündigt. Die Sprache des Geistes ist vielmehr sanft, sie erhebt das Herz und beruhigt die Seele.
Damit wir wegen unseres Kummers nicht am Herrn zweifeln, bedenken wir doch, daß die Weisheit Gottes den Menschen wie Torheit scheinen kann; die großartigste Lektion, die wir im irdischen Leben lernen können, lautet jedoch wie folgt: Wenn Gott spricht und der Mensch gehorcht, hat der Mensch immer recht.
Die Erfahrung des Elija aus Tischbe macht diese Wahrheit deutlich. Inmitten einer schrecklichen Hungersnot, Trockenheit und der Verzweiflung angesichts des Hungers, des Leidens und vielleicht des Todes erging das Wort des Herrn folgendermaßen an ihn: „Mach dich auf und geh nach Sarepta … und bleib dort. Ich habe dort einer Witwe befohlen, dich zu versorgen.“10
Elija zweifelte nicht am Herrn. „Er machte sich auf und ging nach Sarepta. Als er an das Stadttor kam, traf er dort eine Witwe, die Holz auflas. Er bat sie: Bring mir in einem Gefäß ein wenig Wasser zum Trinken!
Als sie wegging, um es zu holen, rief er ihr nach: Bring mir auch einen Bissen Brot mit!
Doch sie sagte: So wahr der Herr, dein Gott, lebt: Ich habe nichts mehr vorrätig als eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig öl im Krug. Ich lese hier ein paar Stücke Holz auf und gehe dann heim, um für mich und meinen Sohn etwas zuzubereiten. Das wollen wir noch essen und dann sterben.
Elija entgegnete ihr: Fürchte dich nicht! Geh heim, und tu, was du gesagt hast. Nur mache zuerst für mich ein kleines Gebäck, und bring es zu mir heraus! Dann kannst du für dich und deinen Sohn etwas zubereiten;
denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Der Mehltopf wird nicht leer werden und der ölkrug nicht versiegen bis zu dem Tag, an dem der Herr wieder Regen auf den Erdboden sendet.“11
Sie zweifelte nicht an der unwahrscheinlichen Verheißung. „Sie ging und tat, was Elija gesagt hatte. So hatte sie mit ihm und ihrem Sohn viele Tage zu essen. Der Mehltopf wurde nicht leer, und der ölkrug versiegte nicht, wie der Herr durch Elija versprochen hatte.“12
Blättern wir schnell durch die Geschichte bis zu der Nacht, als die Hirten bei ihrer Herde Nachtwache hielten und die heiligen Worte hörten: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll:
Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.“13
Mit der Geburt des Kindes in Betlehem wurde ein großes Geschenk zuteil eine Macht, die stärker ist als Waffen, ein Reichtum, der dauerhafter ist als die Münzen Cäsars. Die lange angekündigte Verheißung war erfüllt: Christus war geboren.
Die Bibel offenbart, daß der junge Jesus heranwuchs, seine Weisheit zunahm und er Gefallen fand bei Gott und den Menschen.14 Später vermerkt ein unauffälliger Eintrag, daß er herumzog und Gutes tat.15
Von Nazaret her und durch die Generationen der Zeit kommen sein hervorragendes Beispiel, seine willkommenen Worte und seine göttlichen Taten. Sie flößen die Geduld ein, die Bedrängnis zu überwinden, die Kraft, den Kummer zu ertragen, den Mut, dem Tod ins Auge zu sehen, und das Vertrauen, sich dem Leben zu stellen. In dieser Welt des Chaos, der Prüfung und der Ungewißheit haben wir die göttliche Hilfe nie dringender nötig gehabt als heute.
Die Lektionen von Nazaret, Kafarnaum, Jerusalem und Galiläa überwinden die Schranken der Entfernung, den Lauf der Zeit, die Grenzen des Verständnisses, wenn sie dem beunruhigten Herzen Licht und einen Ausweg bieten. Vorn liegen der Garten Getsemani und der Hügel Golgota.
Die Bibel berichtet: „Darauf kam Jesus mit seinen Jüngern zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu ihnen: Setzt euch und wartet hier, während ich dort bete.
Und er nahm Petrus, [Jakobus und Johannes] mit sich. Da ergriff ihn Angst und Traurigkeit,
und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist bis zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir!
Und er ging ein Stück weiter … und betete:“16
„Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.
Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und gab ihm (neue) Kraft.
Und er betete in seiner Angst noch inständiger, und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte.“17
Welches Leid, welches Opfer, welche Angst mußte er ertragen, um für die Sünden der Welt zu sühnen!
Zu unserem Nutzen schrieb der Dichter:
In goldner Jugend scheint die Welt
allein von Heiterkeit erhellt.
Wenn alles Frohsinn ist und Licht,
da ist kein Schatten noch in Sicht.
Verborgen liegt vor unsrem Blick,
von uns entfernt ein ganzes Stück,
ein Garten, zu dem’s jeden zieht,
der Garten von Getsemani.
Am Fluß vorbei und unter Bäumen,
auf Wegen von zerbrochnen Träumen
nach Jahren voller stillem Sehnen,
und kummervoll geweinten Tränen.
Kommt man zum Garten, ob man’s will
oder auch nicht, er liegt da still,
denn jeder Weg führt irgendwie
den Menschen durch Getsemani.18
Die irdische Mission des Erretters der Welt war bald zu Ende. Vor ihm lag das Kreuz auf der Schädelstätte, die verderbte Handlung derer, die nach dem Blut des Gottessohnes dürsteten. Seine göttliche Antwort ist eine einfache, jedoch zutiefst bedeutende Bitte: „Vater, vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“19
Dann sprach er die letzten Worte: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“20 Mit diesen Worten starb der große Erlöser. Er wurde in einem Grab bestattet. Er stand am Morgen des dritten Tages von den Toten auf. Er wurde von seinen Jüngern gesehen. Die Worte, die von dem epochalen Ereignis nachklingen, überwinden die Zeit und schenken sogar heute noch unserer Seele den Trost, die Sicherheit, den Balsam und die Gewißheit: „Er ist nicht hier. … Er ist auferstanden.“21 Die Auferstehung wurde für alle Wirklichkeit.
Letzte Woche erhielt ich einen glaubenerfüllten Brief von Laurence M. Hilton. Ich möchte Ihnen diesen Bericht vorlesen, der schildert, wie persönliches Leid durch Glauben überwunden wurde.
1892 reisten Thomas und Sarah Hilton, die Großeltern von Laurence, nach Samoa, wo Thomas nach ihrer Ankunft als Missionspräsident eingesetzt wurde. Mit ihnen kam ihre kleine Tochter, zwei Söhne wurden während ihrer Mission geboren. Traurigerweise starben die drei Kinder auf Samoa, und 1895 kehrten Bruder und Schwester Hilton kinderlos von ihrer Mission zurück.
David O. McKay war ein Freund der Familie. Er war von ihrem Verlust zutiefst bewegt. 1921, auf einer Weltreise zu den Mitgliedern der Kirche in vielen Ländern, machte Elder McKay in Begleitung von Elder Hugh J. Cannon in Samoa Halt. Vor seiner Abreise hatte er der inzwischen verwitweten Schwester Hilton versprochen, er werde persönlich das Grab ihrer drei Kinder besuchen. Ich lese Ihnen den Brief vor, den er ihr aus Samoa schrieb.
Liebe Schwester Hilton,
Gerade als die Strahlen der Nachmittagssonne am 18. Mai 1921 die Wipfel der Kokospalmen berührten, stand eine Gruppe von fünf mit geneigten Kopf vor dem kleinen Friedhof von Fagali’i… . Wir waren dort, weil ich, wie Sie wissen, Ihnen vor der Abreise mein Versprechen gegeben hatte.
Die Gräber und die Grabsteine sind in einem guten Zustand… . Ich mache hier eine Kopie, die ich anfertigte, als ich … vor der Mauer am Grab stand.
Janette Hilton
Geb.: 10. Sept. 1891
Gest: 4. Juni 1892
„Ruhe, liebste Jennie“
George Emmett Hilton
Geb.: 12. Okt. 1894
Gest.: 19. Okt. 1894
„Friedlich sei dein Schlummer“
Thomas Harold Hilton:
Geb.: 21. Sept.1892
Gest.: 17. März 1894
„Ruhe auf dem Hügel, ruhe!“
Als ich auf diese drei kleinen Gräber blickte, versuchte ich mir vorzustellen, was Sie während Ihrer Mutterschaft in jungen Jahren auf dem alten Samoa wohl durchgemacht haben. Dabei wurden die Grabsteine zu Denkmälern nicht nur für die Babys, die unter ihnen schlafen, sondern auch für den Glauben einer Mutter sowie die Hingabe an die ewigen Grundsätze der Wahrheit und des Lebens. Ihre drei Kleinen, Schwester Hilton, haben mit einer beredten und wirksamen Stille Ihre edle Missionsarbeit, die vor fast dreißig Jahren begonnen hat, fortgesetzt, und sie werden sie so lange fortsetzen, wie es noch sanfte Hände gibt, die ihren letzten irdischen Ruheplatz pflegen.“
Von liebenden Händen wurden ihre sterbenden Augen geschlossen,
Von liebenden Händen ihre kleinen Glieder geordnet.
Von fremden Händen wird ihr Grab geschmückt,
Von Fremden geehrt, und von Fremden betrauert.
Tofa Soifua
David O. McKay
Dieser bewegende Bericht vermittelt dem trauernden Herzen den Frieden, „der alles Verstehen übersteigt“22. Unser himmlischer Vater lebt. Der Herr Jesus Christus ist unser Erretter und Erlöser. Er hat den Propheten Joseph Smith geführt. Er führt seinen Propheten, Präsident Gordon B. Hinckley, heute. Von dieser Wahrheit gebe ich dieses persönliche Zeugnis.
Daß wir unsere Sorgen ertragen, unsere Last auf uns nehmen und uns unseren ängsten stellen wie das der Erretter getan hat ist mein Gebet. Ich weiß, daß er lebt. Im Namen Jesu Christi, amen.