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Opferbereitschaft und Segnungen in Nauvoo


Fünftes Kapitel

Opferbereitschaft und Segnungen in Nauvoo

Die Heiligen der Letzten Tage, die nach Illinois kamen, wurden von den großherzigen Bürgern der Stadt Quincy freundlich aufgenommen. Nachdem der Prophet Joseph Smith aus dem Gefängnis in Liberty entkommen und nach Quincy gelangt war, zogen die Heiligen etwa 50 Kilometer nordwärts den Mississippi hinauf. Dort entwässerten sie die großen Sümpfe und begannen an einer Flußbiegung die Stadt Nauvoo zu errichten. Schon bald war Nauvoo eine blühende Handelsstadt und voller Leben. Hier ließen sich Heilige der Letzten Tage aus allen Teilen der Vereinigten Staaten, aus Kanada und England nieder. Innerhalb von vier Jahren wurde Nauvoo zu einer der größten Städte in Illinois.

Die Mitglieder der Kirche lebten in relativem Frieden. Sie fühlten sich sicher, weil ihr Prophet unter ihnen lebte und wirkte. Der Prophet berief Hunderte von Missionaren, die von Nauvoo auszogen, um das Evangelium zu verkündigen. Ein Tempel wurde gebaut, die Begabung wurde offenbart, zum ersten Mal wurden Gemeinden geschaffen, Pfähle wurden gegründet, die Frauenhilfsvereinigung wurde ins Leben gerufen, das Buch Abraham wurde veröffentlicht, und wichtige Offenbarungen wurden empfangen. Über sechs Jahre lebten die Heiligen dort in bemerkenswerter Einigkeit, glaubenstreu und glücklich. Ihre Stadt wurde ein Wahrzeichen des Fleißes und der Wahrheit.

Die Opferbereitschaft der Missionare aus Nauvoo

Während die Heiligen ihre Häuser bauten und ihre Felder bestellten, erkrankten viele an Malaria, mit hohem Fieber und Schüttelfrost. Die meisten der zwölf Apostel und auch Joseph Smith wurden krank. Am 22. Juli 1839 erhob sich der Prophet vom Krankenlager; die Macht Gottes ruhte auf ihm. Mit der Macht des Priestertums heilte er sich selbst und die Kranken in seinem Haus. Dann gebot er, daß die Kranken, die in Zelten vor seiner Tür hausten, gesund würden. Viele Menschen wurden geheilt. Der Prophet ging von Zelt zu Zelt und von Haus zu Haus und segnete jeden. Dieser Tag war einer der großen Tage des Glaubens und Heilens in der Geschichte der Kirche.

In dieser Zeit berief der Prophet das Kollegium der Zwölf Apostel dazu, nach England auf Mission zu gehen. Elder Orson Hyde, ein Mitglied des Kollegiums der Zwölf, wurde nach Jerusalem berufen. Dort sollte er Palästina für die Sammlung des jüdischen Volkes und anderer Kinder Abrahams weihen. Missionare wurden in die gesamten Vereinigten Staaten und ins östliche Kanada berufen; Addison Pratt und andere gingen auf die pazifischen Inseln.

Diese Brüder brachten große Opfer; sie verließen Haus und Familie, um dem Ruf zu folgen und dem Herrn zu dienen. Viele Mitglieder des Kollegiums der Zwölf waren an Malaria erkrankt, als sie sich auf die Abreise nach England vorbereiteten. Wilford Woodruff, der sehr krank war, ließ seine Frau Phoebe zurück, die fast keine Lebensmittel hatte und der die Dinge des täglichen Bedarfs fehlten. George A. Smith, der jüngste Apostel, war so krank, daß er in den Wagen getragen werden mußte. Ein Mann, der ihn sah, fragte den Kutscher, ob er einen Friedhof geplündert habe. Nur Parley P. Pratt, der Frau und Kinder mitnahm, sowie sein Bruder Orson und John Taylor waren, als sie Nauvoo verließen, nicht krank. Elder Taylor wurde später jedoch sehr krank und wäre auf dem Weg nach New York City fast gestorben.

Brigham Young war so krank, daß er selbst kurze Wege nicht ohne fremde Hilfe gehen konnte, und seinem Mitarbeiter Heber C. Kimball ging es nicht besser. Auch ihre Frauen und Kinder lagen krank im Bett. Als die beiden Apostel in einem Wagen liegend einen Höhenzug unweit ihrer Häuser erreichten, hatten sie das Gefühl, daß sie es nicht ertragen konnten, ihre Familie in einem so elenden Zustand zurückzulassen. Auf Hebers Vorschlag hin richteten sich beide auf, winkten mit dem Hut und riefen dreimal laut: „Hurra, hurra für Israel.“ Ihre Frauen, Mary Ann und Vilate, standen unter Aufbietung all ihrer Kräfte auf. Sie lehnten beide im Türrahmen und riefen zurück: „Auf Wiedersehen, Gott segne euch.“ Die beiden Männer legten sich freudig und zufrieden wieder auf ihr Lager im Wagen, denn sie hatten gesehen, daß ihre Frauen aufrecht stehen konnten und nicht krank im Bett lagen.

Die zurückbleibenden Familien bewiesen ihren Glauben dadurch, daß sie Opfer brachten und diejenigen unterstützten, die dem Ruf auf eine Mission gefolgt waren. Louisa Barnes Pratt berichtet über die Zeit, als ihr Mann, Addison Pratt, auf Hawaii eine Mission erfüllte: „Meine vier Kinder brauchten Unterricht und Kleidung, und ich hatte kein Geld. … Zunächst war ich traurig und niedergeschlagen, dann aber entschied ich mich, dem Herrn zu vertrauen und den Problemen des Lebens mutig entgegenzutreten, und ich freute mich, daß mein Mann für würdig befunden worden war, das Evangelium zu verkündigen.“

Louisa ging mit ihren Kindern zum Hafen, um ihren Mann zu verabschieden. Über ihre Rückkehr nach Hause berichtete Louisa: „Jetzt ergriff Traurigkeit von uns Besitz. Es dauerte nicht lange, da donnerte es laut. Auf der anderen Straßenseite wohnte eine Familie in einem undichten Haus, in das es hineinregnete. Die ganze Familie kam schnell zu uns und suchte Schutz vor dem Sturm. Wir waren dankbar, daß sie zu uns kamen; sie trösteten uns durch ihre Worte, sie sangen Kirchenlieder, und der Bruder betete mit uns. Sie blieben, bis der Sturm vorüber war.“1

Kurz nach Addisons Abreise erkrankte seine kleine Tochter an den Pocken. Die Krankheit war so ansteckend, daß jeder Priestertumsträger, der die Pratts besucht hätte, sich leicht hätte anstecken können. Also betete Louisa voller Glauben und „vertrieb das Fieber“. Auf der Haut ihrer Tochter bildeten sich elf kleine Pickel, aber die eigentliche Krankheit brach nicht aus. Innerhalb weniger Tage verschwand das Fieber. Louisa schrieb: „Ich zeigte das Kind jemanden, der mit dieser Krankheit vertraut war, und er sagte, daß das Mädchen angesteckt gewesen sei, ich die Krankheit aber durch Glauben überwunden hätte.“2

Die Missionare, die Nauvoo unter solchen Opfern verlassen hatten, brachten Tausende zur Kirche. Viele der neuen Mitglieder waren stark im Glauben und sehr mutig. Mary Ann Weston, die den Beruf der Schneiderin erlernte, lebte bei der Familie von William Jenkins in England. Bruder Jenkins hatte sich zum Evanglium bekehrt. Eines Tages besuchte Wilford Woodruff die Familie. Mary Ann war allein zu Hause. Wilford setzte sich an den Kamin und sang ein Kirchenlied. Mary Ann beobachtete ihn. Sie berichtet: „Er sah so friedlich und glücklich aus. Ich dachte bei mir, daß er ein guter Mensch sein müsse und daß das Evangelium, das er verkündete, wahr sein müsse.“3

Durch die Bekanntschaft mit Mitgliedern der Kirche bekehrte sich Mary Ann bald und ließ sich taufen – sie war die einzige in ihrer Familie, die der Botschaft des wiederhergestellten Evangeliums Gehör schenkte. Sie heiratete ein Mitglied der Kirche, aber ihr Mann starb vier Monate nach der Eheschießung, unter anderem wegen der Prügel, die er vom Mob bezogen hatte, als dieser eine Versammlung der Kirche stören wollte. Nun war Mary Ann ganz auf sich gestellt. Zusammen mit anderen Heiligen der Letzten Tage reiste sie mit dem Schiff nach Nauvoo und ließ ihr Haus, ihre Freunde und ihre Eltern, die ihren Glauben nicht teilten, zurück. Sie sah ihre Familie nie wieder.

Ihr Mut und ihr Engagement waren schließlich ein Segen für viele Menschen. Sie heiratete den Witwer Peter Maughan, der sich im Cache Valley im Norden Utahs niedergelassen hatte. Dort zog sie viele Kinder groß, die dem Glauben treu blieben und die Kirche und ihre Familie in Ehren hielten.

Die heiligen Schriften

In Nauvoo wurden einige der heiligen Schriften veröffentlicht, die später das Buch Die köstliche Perle bildeten. Dieses Buch enthält Auszüge aus dem Buch Mose und dem Buch Abraham, einen Auszug aus dem Zeugnis des Matthäus, Auszüge aus der Lebensgeschichte von Joseph Smith sowie die Glaubensartikel. Joseph Smith schrieb beziehungsweise übersetzte diese Texte auf Weisung des Herrn.

Nun hatten die Heiligen die Bücher, die die heiligen Schriften der Kirche wurden: die Bibel, das Buch Mormon, Lehre und Bündnisse und die köstliche Perle. Für die Kinder Gottes sind diese Bücher von unschätzbarem Wert, denn sie enthalten die grundlegenden Wahrheiten des Evangeliums. Sie bringen den aufrichtig Suchenden zur Erkenntnis Gottes des Vaters und seines Sohnes, Jesus Christus. Weitere Offenbarungen wurden den neuzeitlichen heiligen Schriften hinzugefügt, wie es der Herr durch seine Propheten gebot.

Der Nauvoo-Tempel

Nur 15 Monate nach der Gründung Nauvoos gab die Erste Präsidentschaft, einer Offenbarung gehorchend, bekannt, daß die Zeit gekommen sei, „ein Haus des Betens zu bauen, ein Haus der Ordnung, ein Haus für die Verehrung unseres Gottes, wo die Verordnungen vollzogen werden können, die seinem göttlichen Willen angenehm sind.“4 Die Heiligen der Letzten Tage waren zwar arm und konnten ihre Familien nur unter großen Mühen unterhalten, aber sie folgten dem Ruf ihrer Führer und spendeten ihre Zeit und ihre Mittel für den Tempelbau. Über 1000 Männer verbrachten jeden zehnten Tag mit freiwilliger Arbeit. Louisa Decker, ein junges Mädchen, war sehr davon beeindruckt, daß die Mutter ihr gutes Service und eine gute Steppdecke verkaufte und den Erlös für den Bau des Tempels spendete.5 Andere Heilige der Letzten Tage spendeten Pferde, Schweine und Getreide, um beim Bau des Tempels zu helfen. Die Frauen von Nauvoo wurden aufgefordert, ihre Zehn- und Ein-Cent-Münzen für den Tempelfonds zu spenden.

Caroline Butler hatte nicht einmal solche Münzen, die sie hätte spenden können, aber sie wollte gern etwas geben. Eines Tages, als sie mit dem Wagen in die Stadt fuhr, sah sie zwei tote Büffel am Wegrand liegen. Sofort wußte sie, wie ihre Spende für den Tempel aussehen konnte. Sie rupfte zusammen mit ihren Kindern das lange Haar aus den Büffelmähnen und nahm es mit nach Hause. Sie wuschen und kämmten das Haar und spannen grobes Garn daraus. Dann strickten sie aus dem Garn acht Paar Fausthandschuhe für die Steinmetze, die in der bitteren Kälte am Tempel arbeiteten.6

Mary Fielding Smith, die Frau von Hyrum Smith, schrieb an Frauen der Kirche in England, die daraufhin innerhalb eines Jahres 50000 Pennys sammelten. Die Münzen wogen 434 Pfund und wurden nach Nauvoo verschifft. Bauern spendeten Ochsen und Fuhrwerke, einige verkauften einen Teil ihres Landes und spendeten den Erlös für den Tempelbau. Viele Uhren und Gewehre wurden gespendet. Die Heiligen aus Norway, Illinois, sandten 100 Schafe an das Tempelkomitee.

Brigham Young berichtet: „Wir haben am Nauvoo-Tempel hart und schwer gearbeitet, und in dieser Zeit war es schwierig, genügend Brot und andere Nahrungsmittel für die Arbeiter zu beschaffen.“ Dennoch riet Präsident Young denen, die für den Tempelfonds verantwortlich waren, das ganze Mehl auszuteilen. Er vertraute darauf, daß der Herr Vorsorge treffen werde. Kurze Zeit später kam Joseph Toronto, ein neubekehrter Bruder aus Sizilien, in Nauvoo an. Er brachte 2500 Dollar in Gold, die er den Brüdern zur Verfügung stellte.7 Dieses Geld, das Bruder Toronto über lange Zeit angespart hatte, wurde für den Kauf von Mehl und anderer dringend benötigter Dinge verwendet.

Kurze Zeit nach der Ankunft der Heiligen in Nauvoo offenbarte der Herr Joseph Smith, daß für verstorbene Vorfahren, die das Evangelium nicht gehört haben, die Taufe vollzogen werden kann (siehe LuB 124:29–39). Viele Heilige fanden die Verheißung, daß den Verstorbenen die gleichen Segnungen zuteil werden können wie denen, die das Evangelium hier auf der Erde annehmen, sehr tröstlich.

Der Prophet empfing auch eine wichtige Offenabrung über die Lehren, Bündnisse und Segnungen, die heute die Tempelbegabung genannt werden. Diese heilige Verordnung soll die Heiligen befähigen, „sich die Fülle dieser Segnungen zu sichern“, die sie vorbereiten, „hervorzukommen und in den ewigen Welten in der Gegenwart Elohims zu bleiben“.8 Mann und Frau können, nachdem sie die Begabung empfangen haben, durch die Macht des Priestertums für Zeit und alle Ewigkeit gesiegelt werden. Joseph Smith wußte, daß er nur noch kurze Zeit zu leben hatte, und so gab er, obwohl der Tempel noch im Bau war, einigen ausgewählten treuen Heiligen die Begabung im Obergeschoß seines roten Backsteinhauses.

Selbst als die Heiligen nach der Ermordung des Propheten Joseph Smith erkannten, daß sie nicht in Nauvoo bleiben konnten, bauten sie noch eifriger am Tempel. Das Dachgeschoß des unfertigen Tempelgebäudes wurde geweiht, damit dort die Begabung vollzogen werden konnte. Die Heiligen waren so sehr darauf bedacht, diese heilige Handlung zu empfangen, daß Brigham Young, Heber C. Kimball und andere Mitglieder des Kollegiums der Zwölf Tag und Nacht im Tempel blieben und nachts nicht länger als vier Stunden schliefen. Mercy Fielding Thompson wusch und bügelte die Tempelkleidung und beaufsichtigte die Küche. Auch sie wohnte im Tempel. Manchmal arbeitete sie die Nacht hindurch, damit alles für den folgenden Tag bereit war. Auch andere Mitglieder widmeten sich ihren Aufgaben mit gleicher Hingabe.

Warum arbeiteten diese Heiligen so sehr an einem Gebäude, das sie schon bald darauf aufgeben mußten? Fast 6000 Heilige empfingen die Begabung, bevor die Heiligen Nauvoo verließen. Als sie sich auf den Weg nach Westen begaben, war ihr Glauben durch die Gewißheit, daß ihre Familie für die Ewigkeit gesiegelt war, stark geworden. Die trauernden Familien, die in der weiten Prärie Amerikas ein Kind oder einen Ehepartner begraben mußten, zogen aufgrund der Gewißheit, die sie durch die heiligen Handlungen des Tempels erhalten hatten, entschlossen weiter.

Die FHV

Zur Zeit des Tempelbaus in Nauvoo beschäftigte Sarah Granger Kimball, die Frau von Hiram Kimball, einem der reichsten Bürger der Stadt, eine Näherin namens Margaret A. Cooke. Sarah wollte das Werk des Herrn unterstützen und stellte Stoff zur Verfügung, damit daraus für die Männer, die am Tempel arbeiteten, Hemden genäht werden konnten. Margaret wollte diese Arbeit tun. Kurz darauf kamen einige von Sarahs Nachbarinnen, die bei der Herstellung der Hemden helfen wollten. Die Schwestern, die im Wohnzimmer der Kimballs zusammenkamen, beschlossen, sich zu organisieren. Eliza R. Snow wurde gebeten, der neuen Vereinigung eine Verfassung und eine Satzung zu geben.

Eliza legte dem Propheten Joseph Smith die fertigen Dokumente vor. Joseph erklärte, daß es die beste Verfassung sei, die er je gesehen habe, aber er fühlte sich gedrängt, den Frauen einen noch tieferen Einblick in das zu vermitteln, was sie erreichen konnten. Er bat die Frauen, eine weitere Versammlung einzuberufen, in der er die Frauenhilfsvereinigung von Nauvoo gründete. Emma Smith, die Frau des Propheten, wurde die erste Präsidentin der FHV.

Joseph erklärte den Schwestern: „Ihr werdet durch die Ordnung, die Gott mit Hilfe derer, die bestimmt sind, zu führen, Unterweisung erhalten – und jetzt schließe ich für euch im Namen Gottes mit dem Schlüssel auf, und diese Vereinigung soll sich freuen, und Erkenntnis und Intelligenz werden von nun an herabströmen – damit beginnen bessere Zeiten für diese Gesellschaft.“9

Bald nach der Gründung der FHV besuchte ein Komitee alle Armen in Nauvoo, stellte fest, was sie brauchten, und sammelte Spenden, um den Menschen zu helfen. Mit Geldspenden und dem Erlös aus dem Verkauf von Nahrungsmitteln und Bettzeug konnten bedürftige Kinder die Schule besuchen. Flachs, Wolle, Garn, Dachpfannen, Seife, Kerzen, Blechwaren, Schmuck, Körbe, Tagesdecken und Decken, Zwiebeln, Äpfel, Mehl, Brot, Kekse und Fleisch wurden gespendet, damit den Notleidenden geholfen werden konnte.

Die Schwestern der FHV halfen nicht nur den Armen, sondern sie hielten auch Gottesdienste ab. Eliza R. Snow berichtete, daß in einer Versammlung „beinahe jede aufstand und sprach, wobei der Geist des Herrn wie ein reinigendes Wasser das Herz jeder Schwester erfrischte.“10 Die Schwestern beteten füreinander, stärkten einander im Glauben und weihten sich selbst und ihre Mittel dem Aufbau Zions.

Der Märtyrertod von Joseph Smith

Die Jahre in Nauvoo waren für die Heiligen im wesentlichen eine glückliche Zeit. Bald jedoch begann die Verfolgung wieder, die in der Ermordung von Joseph und Hyrum Smith gipfelte. Diese dunkle und traurige Zeit wird nie vergessen werden. Louisa Barnes Pratt schrieb auf, was sie empfand, als sie von der Ermordung hörte: „Es war eine stille Vollmondnacht. Eine Nacht des Todes, wie es schien, und alles tat sich zusammen, diese Nacht weihevoll werden zu lassen! Die Stimmen der Offiziere, die die Männer aus der Ferne zusammenriefen, drangen uns ins Herz wie Grabgeläut. Die Frauen standen in Gruppen zusammen, weinten und beteten, einige wünschten, daß schreckliche Strafen über die Mörder kommen mögen, andere sahen die Hand Gottes in dem, was geschehen war.“11

Viele Heilige der Letzten Tage, darunter Louisa Barnes Pratt, erinnerten sich an den 27. Juni 1844 als einen Tag der Tränen und der gebrochenen Herzen. Der Märtyrertod von Joseph und Hyrum Smith ist das traurigste Ereignis in der Anfangszeit der Kirche. Der Tod kam aber nicht unerwartet.

Seit 1829 hatte Joseph Smith den Heiligen wenigstens neunzehnmal erklärt, er werde wohl nicht auf friedliche Weise sterben.12 Zwar spürte er, daß seine Feinde ihm irgendwann das Leben nehmen würden, aber er wußte nicht, wann. Im Frühsommer 1844 arbeiteten die Feinde innerhalb und außerhalb der Kirche auf Josephs Vernichtung hin. Thomas Sharp, Herausgeber einer Lokalzeitung und Anführer der Anti-Mormonen-Partei im Kreis Hancock, rief öffentlich zur Ermordung des Propheten auf. Bürgergruppen, von der Kirche Abgefallene und leitende Leute in den Gemeinwesen schlossen sich zusammen, um die Kirche zu vernichten, indem sie den Propheten der Kirche umbrachten.

Der Gouverneur von Illinois, Thomas Ford, schrieb an Joseph Smith und bestand darauf, daß sich die Mitglieder des Stadtrats vor einem Gericht, das aus Nicht-Mormonen bestand, verantworteten, weil sie einen öffentlichen Aufruhr geschürt hätten. Der Gouverneur schrieb, daß nur ein solches Verfahren von der Bevölkerung akzeptiert würde. Er versprach den Männern Schutz, aber der Prophet war sich sicher, daß der Gouverneur sein Versprechen nicht einhalten konnte. Es war offensichtlich, daß es zu diesem Vorschlag keine Alternativen gab. Darum gingen der Prophet, sein Bruder Hyrum, John Taylor und andere ins Gefängnis, wohl wissend, daß sie keines Verbrechens schuldig waren.

Als sich der Prophet auf den Weg zum 30 Kilometer entfernten Gericht in Carthage begab, wußte er, daß er seine Familie und seine Freunde nicht wiedersehen würde. Er prophezeite: „Ich gehe wie ein Lamm zur Schlachtbank, aber ich bin so ruhig wie ein Sommermorgen.“13

Als der Prophet fortritt, liefen B. Rogers, der seit über drei Jahren auf Josephs Farm arbeitete, und zwei weitere Jungen über die Felder und setzten sich auf den Gitterzaun, um auf ihren Freund und Führer zu warten. Joseph hielt sein Pferd neben ihnen an und sagte zu den Milizleuten, die bei ihm waren: „Meine Herren, dies ist meine Farm und dies sind meine Jungen. Sie mögen mich, und ich mag sie.“ Dann gab er jedem der Jungen die Hand, bestieg sein Pferd und machte sich auf den Weg, dem Tod zu begegnen.14

Dan Jones, ein Mitglied der Kirche aus Wales, gesellte sich im Gefängnis von Carthage zum Propheten. Am 26. Juni 1844, in der letzten Nacht seines Lebens, hörte Joseph einen Gewehrschuß. Er stand vom Bett auf und legte sich neben Dan Jones auf den Boden. Der Prophet flüsterte: „Hast du Angst vor dem Sterben?“ „Ich glaube, daß der Tod keine großen Schrecken hat, wenn ich an einem solchen Werk beteiligt bin“, antwortete Dan Jones. „Du wirst Wales sehen und deine Mission erfüllen, bevor du stirbst“, prophezeite Joseph.15 Tausende treuer Heiliger der Letzten Tage haben heute die Segnungen des Evangeliums, weil Dan Jones nach diesen Ereignissen in Wales eine ehrenvolle und erfolgreiche Mission erfüllte.

Am Nachmittag des 27. Juni 1844, kurz nach fünf Uhr, stürmte der Mob, rund 200 Männer mit bemalten Gesichtern, das Gefängnis von Carthage. Sie erschossen Joseph und seinen Bruder Hyrum. John Taylor wurde schwer verwundet. Nur Willard Richards blieb unverletzt. Als der Mob den Ruf „die Mormonen kommen“ hörte, ergriffen die Angreifer gemeinsam mit den meisten Bürgern von Carthage die Flucht. Willard Richards kümmerte sich um den verletzten John Taylor, und beide trauerten um ihre getöteten Führer. Hyrums Leiche lag in der Gefängniszelle, die Leiche Josephs, der aus einem Fenster gestürzt war, lag neben dem Brunnen.

Samuel Smith war einer der ersten Heiligen der Letzten Tage, der am Ort des Geschehens ankam. Er war der Bruder der toten Märtyrer. Zusammen mit anderen half er Willard Richards, die Leichen für die lange und traurige Reise nach Nauvoo vorzubereiten.

Zur selben Zeit bereitete die Familie von James Cowley in Warsaw, Illinois, das Abendessen zu. Die Familie gehörte der Kirche an. Der vierzehnjährige Matthias hörte von einem ungewöhnlichen Aufruhr in der Stadt und schloß sich einer Menschenmenge an. Der Hauptredner entdeckte den jungen Matthias und befahl ihm, nach Hause zu seiner Mutter zu gehen. Andere Jungen, die der Kirche nicht angehörten, folgten Matthias und bewarfen ihn so lange mit Dreck, bis Matthias über das Grundstück eines Nachbarn lief und entkommen konnte.

In der Annahme, daß sich die Lage entspannt habe, ging Matthias an den Fluß, um einen Eimer Wasser zu holen. Dabei wurde er von Leuten aus dem Mob entdeckt, die einem betrunkenen Schneider Geld gaben, damit dieser ihn in den Fluß warf. Als Matthias mit dem Wasserschöpfen fertig war, packte ihn der Schneider im Nacken und sagte: „Du … kleiner Mormone. Ich ertränke dich.“ Matthias sagte: „Ich fragte ihn, warum er mich ertränken wolle. Hatte ich ihm jemals etwas zuleide getan? ‚Nein‘, sagte der Schneider, ‚ich ertränke dich nicht. … Du bist ein guter Junge, und du darfst nach Hause gehen.‘“ Dreimal versuchte der Mob in dieser Nacht, das Haus der Cowleys in Brand zu setzen, aber die Versuche schlugen fehl. Die Familie wurde durch ihren Glauben und ihre Gebete geschützt.16 Matthias Cowley wuchs heran und blieb der Kirche treu; sein Sohn Matthias und sein Enkel Matthew dienten später als Mitglieder des Kollegiums der Zwölf Apostel.

Der Gouverneur von Illinois, Thomas Ford, schrieb über die Ermordung: „Die Ermordung der beiden Smiths hat nicht, wie viele glaubten, den Mormonen ein Ende bereitet und sie zerstreut, sondern hat sie fester miteinander verbunden und ihnen neue Zuversicht in ihrem Glauben gegeben.“17 Ford schrieb weiter: „Jemand, der so begabt ist, wie Paulus es war, ein hervorragender Redner, der durch seine Wortgewandtheit Tausende in seinen Bann ziehen kann, … könnte erfolgreich neues Leben in [die Mormonenkirche] tragen und den Namen des ermordeten Joseph laut … erschallen lassen und die Herzen der Menschen bewegen.“ Ford hatte Angst, daß dies passieren könnte und daß sein eigener Name wie der des Pilatus oder Herodes „von den folgenden Generationen in den Schmutz gezogen“ würde.18 Fords Befürchtungen bewahrheiteten sich.

Präsident John Taylor genas von seinen Verwundungen und verfaßte später einen Nachruf auf die gefallenen Führer, der heute in Abschnitt 135 Lehre und Bündnisse nachzulesen ist: „Joseph Smith, der Prophet und Seher des Herrn, hat mehr für die Errettung der Menschen in dieser Welt getan als irgendein anderer Mensch, der je auf Erden gelebt hat – Jesus allein ausgenommen. … Er war groß im Leben, und er war groß im Sterben in den Augen Gottes und seines Volkes; und wie die meisten Gesalbten des Herrn in alter Zeit, so hat auch er seine Mission und sein Werk mit seinem Blut besiegelt; gleichermaßen sein Bruder Hyrum. Im Leben waren sie vereint, und der Tod hat sie nicht getrennt. … Sie lebten um der Herrlichkeit willen, sie starben um der Herrlichkeit willen, und Herrlichkeit ist ihr ewiger Lohn.“ (LuB 135:3,6.)

Die Nachfolge in der Präsidentschaft

Als der Prophet Joseph und sein Bruder Hyrum Smith im Gefängnis zu Carthage ermordet wurden, erfüllten die meisten Mitglieder des Kollegiums der Zwölf sowie andere Kirchenführer eine Mission und waren nicht in Nauvoo. Es vergingen einige Tage, bis diese Männer von den Ereignissen erfuhren. Als Brigham Young die Nachricht erhielt, wußte er, daß die Schlüssel der Priestertumsführung noch in der Kirche waren, denn diese Schlüssel waren dem Kollegium der Zwölf übertragen worden. Aber nicht allen Mitgliedern der Kirche war klar, wer den Platz von Joseph Smith als Prophet, Seher und Offenbarer einnehmen sollte.

Sidney Rigdon, der erste Ratgeber in der Ersten Präsidentschaft, traf am 3. August 1844, aus Pittsburgh, Pennsylvania, kommend, ein. Im vorhergehenden Jahr hatte er sich gegen den Rat des Propheten Joseph Smith gewandt und sich der Kirche entfremdet. Er wollte sich nicht mit den drei Mitgliedern des Kollegiums der Zwölf, die bereits in Nauvoo waren, treffen und sprach statt dessen zu einer großen Gruppe von Heiligen, die sich zum Sonntagsgottesdienst versammelt hatten. Er berichtete ihnen von einer Vision, durch die er erfahren habe, daß niemand die Stelle von Joseph Smith einnehmen könne. Er sagte, es müsse ein Treuhänder über die Kirche gesetzt werden und dieser Treuhänder sei er, Sidney Rigdon. Nur wenige Heilige unterstützten ihn.

Brigham Young, der Präsident des Kollegiums der Zwölf Apostel, kehrte erst am 6. August 1844 nach Nauvoo zurück. Er erklärte, er wolle nur wissen, was Gott darüber sage, wer die Kirche führen solle.19 Die Zwölf beriefen für Donnerstag, den 8. August 1844, eine Versammlung ein. Sidney Rigdon sprach in der Morgenversammlung über eine Stunde, konnte aber kaum Anhänger für seinen Standpunkt gewinnen.

Dann sprach Brigham Young kurz und tröstete die Heiligen. George Q. Cannon berichtet, daß, als Brigham sprach, „es Josephs Stimme war“, und „in den Augen der Menschen schien es, als sei es Joseph selbst, der da vor ihnen stand“.20 William C. Staines bezeugte, daß Brigham Young wie mit der Stimme des Propheten Joseph gesprochen habe. „Ich glaubte, er sei es“, sagte Staines, „und mit mir hatten Tausende denselben Eindruck.“21 Auch Wilford Woodruff erinnerte sich an diesen wunderbaren Augenblick. Er schrieb: „Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde mich niemand davon abbringen können, daß es Joseph Smith war. Und jeder, der diese beiden Männer kannte, hätte dasselbe bezeugt.“22 Durch diese wunderbare Kundgebung, die viele sahen, wurde es den Heiligen klar, daß der Herr Brigham Young erwählt hatte, nach Joseph Smith der Führer der Kirche zu sein.

Brigham Young ergriff in der Nachmittagsversammlung noch einmal das Wort und bezeugte, daß Joseph Smith die Apostel dazu ordiniert hatte, in der ganzen Welt die Schlüssel des Gottesreichs innezuhaben. Er prophezeite, daß diejenigen, die den Zwölfen nicht folgten, keinen Erfolg haben würden und daß das Reich Gottes nur durch die Apostel erfolgreich errichtet werden könne.

Dann bat Präsident Young, daß Sidney Rigdon sprechen möge, aber er wollte nicht. William W. Phelps und Parley P. Pratt sprachen, dann sprach Brigham Young erneut. Er sprach über die Fertigstellung des Nauvoo-Tempels, über den Empfang der Begabung vor dem Zug in die Wildnis und über die Bedeutung der heiligen Schriften. Er sprach über seine brüderliche Liebe zu Joseph Smith und über seine Zuneigung für die Familie des Propheten. Die Heiligen stimmten einstimmig dafür, daß die Zwölf Apostel die Kirche führen sollen.

Für die Mehrheit der Heiligen der Letzten Tage war die Krise, die durch die Nachfolgefrage entstanden war, vorüber, auch wenn einige wenige noch für sich das Recht auf die Präsidentschaft der Kirche in Anspruch nahmen. Brigham Young, der dienstälteste Apostel und Präsident des Kollegiums der Zwölf, war von Gott erwählt worden, sein Volk zu führen, und die Mitglieder standen einig hinter ihm.

Anmerkungen

  1. „Journal of Louisa Barnes Pratt“, Heart Throbs of the West, Hg. Kate B. Carter, 12 Bände (1939–51), 8:229.

  2. „Journal of Louisa Barnes Pratt“, 8:233.

  3. „Journal of Mary Ann Weston Maughan“, Our Pioneer Heritage, Hg. Kate B. Carter, 9 Bände (1958–66), 2:353f.

  4. History of the Church, 4:186.

  5. Louisa Decker, „Reminiscences of Nauvoo“, Women’s Exponent, März 1909, 41.

  6. „The Mormons and Indians“, Heart Throbs of the West, 7:385.

  7. B.H. Roberts, A Comprehensive History of the Church, 2:472.

  8. History of the Church, 5:2.

  9. Minutes of the Female Relief Society of Nauvoo, 28. Apr. 1842, 40.

  10. Minutes of the Female Relief Society of Nauvoo, 28. Apr. 1842, 33.

  11. „Journal of Louisa Barnes Pratt“, 8:231.

  12. History of the Church, 4:587, 604; 6:558.

  13. History of the Church, 6:555.

  14. Kenneth W. Godfrey, „A Time, a Season, When Murder Was in the Air“, Mormon Heritage, Jul/Aug 1994, 35f.

  15. History of the Church, 6:601.

  16. Matthias Cowley, „Reminiscences“ (1856), 3; in LDS Church Archives

  17. Thomas Ford, A History of Illinois, Hg. Milo Milton Quaife, 2 Bände (1946), 2:217.

  18. Thomas Ford, A History of Illinois, 2:221–23.

  19. History of the Church, 7:230.

  20. Zitiert in: History of the Church, 7:236.

  21. Zitiert in: History of the Church, 7:236.

  22. Zitiert in: History of the Church, 7:236.