2021
Stark bleiben, wenn ein uns Nahestehender die Kirche verlässt
April 2021


Junge Erwachsene

Stark bleiben, wenn ein uns Nahestehender die Kirche verlässt

Als mein Bruder der Kirche den Rücken kehrte, war ich zwar bestürzt, fand aber dennoch Mittel und Wege, eine enge Beziehung zu ihm aufrechtzuerhalten und mir mein starkes Zeugnis zu bewahren

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two boys sitting on a bail of hay together

Meine Mission lag noch nicht lange zurück, als mir meine Eltern eröffneten, dass mein Bruder – er war damals 19 – nicht mehr in die Kirche gehen wolle. Ich war bestürzt. Nie hätte ich gedacht, dass mein Bruder sich von der Kirche abwenden würde.

Ich weiß noch, dass ich ihm während meiner Mission E-Mails zu Evangeliumsthemen geschrieben und ihn gefragt habe, ob er nicht auf Mission gehen wolle. Er antwortete immer ausweichend, und rückblickend ist mir klar, dass es Anzeichen dafür gegeben hat, dass er sich im Hinblick auf das Evangelium nicht sicher war.

Das brachte mich zum Nachdenken darüber, was ich vielleicht hätte anders machen können. Zudem fragte ich mich, warum es wohl gerade jetzt passiere. Ich war traurig, denn ich wünschte mir für ihn so sehr, dass er ein Zeugnis um seiner selbst willen hätte. Ich erkannte aber auch, dass dieser Wunsch wohl sehr egoistisch war. Ich wollte, dass er mit mir zur Kirche kommt und ebenso wie ich auf Mission geht. So hätten wir uns über unsere Erlebnisse austauschen können. Daher war es ein Problem für mich, dass er nichts von alledem wollte.

Die letzten zwei Jahre hatte ich auf Mission damit verbracht, mit Menschen über Religion und Glauben zu sprechen. Es ging mir nicht in den Kopf, warum es so viel schwieriger sein sollte, diese Themen mit dem eigenen Bruder zu besprechen. Und doch war es so. Das forderte meinen Glauben auf ganz neue Weise heraus. Auf Mission bestand die Herausforderung darin, fleißig zu sein, mich Tag um Tag an meinen Aufgaben zu erfreuen und darauf zu vertrauen, dass alles gut ausgeht. Aber bei meinem Bruder war das schon gefühlsmäßig etwas ganz anderes.

Auf Mission hatte ich gelernt, dass man inspirierte Fragen stellen und um Erkenntnis beten solle. Diejenigen, die ich auf Mission unterwies, hatte ich vorher allerdings nicht gekannt. Meine Beziehung zu ihnen bestand einzig darin, sie zu unterweisen und ihnen zu helfen, Christus näherzukommen. Meinen Bruder kannte ich seit seiner Geburt, und in unserer Beziehung war es nie darum gegangen, dass ich ihm zu mehr Nähe zu Christus verhelfen sollte.

Einmal redeten wir miteinander, und ich fragte ihn, wie er zur Kirche stehe. Er sagte, er habe von einigem, was dort vermittelt wird, kein Zeugnis. Hätte es sich um jemanden gehandelt, dem ich auf Mission begegnet wäre, hätte ich das akzeptiert und Respekt gezeigt. Ich hätte gedacht, der Betreffende sei zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht bereit und andere Missionare würden sich später seiner annehmen. Doch gerade weil mir mein Bruder so viel bedeutete, war es schwieriger für mich, genauso verständnisvoll zu sein. Ich wollte ihn unbedingt das wissen lassen, was ich wusste. Ich wollte, dass er den gleichen Geist und die gleiche Liebe Gottes spürt wie ich. Zu akzeptieren, dass er sich gegen das Evangelium entschieden hatte, fiel mir schwer.

Es dauerte einige Zeit, bis ich mich an die Situation gewöhnt hatte. Doch jetzt, fast zwei Jahre nach meiner Mission, verstehe ich mich mit meinem Bruder noch immer gut. Wir reden nicht viel über das Evangelium, sondern mehr über andere Themen. Ich wünschte immer noch, wir hätten beide das Evangelium als Gemeinsamkeit, aber wir haben dennoch vieles andere gemeinsam. Wir verbringen immer noch Zeit miteinander und unternehmen allerhand zusammen. Ich liebe ihn so, wie er ist, denn er hat das Herz auf dem rechten Fleck.

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two friends talking by a river

Was ich gelernt habe

Im Laufe dieser Zeit habe ich einiges gelernt, was vielleicht hilfreich für euch ist, wenn jemand, der euch viel bedeutet, sich von der Kirche abwendet. So könnt ihr euch mit dem Betreffenden nicht nur weiterhin gut verstehen, sondern euch in einer Zeit geistiger Herausforderung auch euer eigenes Zeugnis bewahren.

  • Denkt daran, dass sich jeder frei entscheiden kann und es nicht an euch liegt, wenn jemand der Kirche den Rücken kehrt.

  • Festigt eure Beziehung zu dem Betreffenden. Zeigt ihm immer, dass ihr ihn liebhabt. Lasst nicht zu, dass eure Beziehung zu ihm von seinem Verhältnis zur Kirche beeinträchtigt wird.

  • Verbringt Zeit miteinander und macht, was euch beiden Spaß bringt.

  • Ihr könnt zwar für andere keine Entscheidungen treffen, ihr könnt aber dennoch ein Vorbild sein und sie unterstützen.

  • Betet darüber, was in der Situation zu tun ist. Der Vater im Himmel kennt seine Kinder. Ihr könnt daher sicher sein, dass er am besten weiß, wie er euch beistehen kann, die Situation zu meistern.

  • Erforscht die heiligen Schriften. Beispiele aus den heiligen Schriften haben mir sehr geholfen und mir gezeigt, dass eine Situation wie meine offenbar gar nicht so unüblich ist. Auch in den Schriften ist von vielen Familien die Rede, bei denen der eine oder andere vom Glauben abfiel oder gar gegen die Kirche war. Die Familie erwies den Betreffenden aber dennoch Liebe.

  • Sprecht mit denen in eurer Familie, die im Evangelium aktiv sind, offen über eure Gefühle. Der eine oder andere hat vielleicht ähnliche Gedanken und braucht jemanden, mit dem er sich austauschen kann. Unterstützt einander.

  • Zu guter Letzt: Vernachlässigt eure eigene geistige Gesinnung nicht.

An einem starken Zeugnis festhalten

Wenn jemand, der euch nahesteht, sich von der Kirche abwendet, kann euer eigener Glaube auf die Probe gestellt werden – vor allem dann, wenn der Betreffende jemand ist, zu dem ihr aufgesehen habt, was das Evangelium anbelangt. Das führt vielleicht dazu, dass ihr euer Zeugnis in gewisser Hinsicht in Frage stellt. Mir ging es jedenfalls so. Als sich mein Bruder abwandte, plagte ich mich ein wenig mit Zweifeln. Deshalb ist es umso wichtiger, auf sich selbst und das eigene Zeugnis gut achtzugeben. Solange ihr euer Zeugnis weiterentwickelt und bewahrt, braucht ihr die Entscheidungen eines anderen nicht zu fürchten.

Denkt daran: Wenn wir uns nicht anstrengen, unseren Glauben zu stärken, läuft jeder Gefahr, dass sich sein Glaube abschwächt. Die meisten Menschen sind nicht an einem Tag geistig stark und am nächsten wenden sie sich von der Kirche ab. Doch wenn man es versäumt, die Kleinigkeiten zu tun, die das Zeugnis Tag für Tag stärken, kann es passieren, dass man sich unbemerkt immer weiter vom Evangelium wegbewegt. Sich auf das Grundlegende zu besinnen – das Studium der heiligen Schriften, das tägliche Gebet und all die kleinen, von Glauben und Gottesliebe getragenen Taten –, kann einen starken Einfluss auf das eigene Zeugnis haben.

Wenn ein euch Nahestehender die Kirche verlässt und euer Zeugnis in Mitleidenschaft gezogen wird und in euch Zweifel oder Fragen aufkeimen, denkt an den weisen Rat: „Zweifeln Sie … bitte zuerst an Ihren Zweifeln, ehe Sie an Ihrem Glauben zweifeln!“1 Und: „Halten Sie an dem fest, was Sie schon wissen.2

Seid immer bestrebt, Gottes Sohn zu hören

Ich halte es für wichtig, dass junge Erwachsene einen Plan für ihr Leben haben, dass sie wissen, welchen Weg sie einschlagen und was sie tun wollen. Aber wir müssen darüber nachsinnen und den Herrn in diese Pläne und in unseren Alltag einbeziehen. Bei den vielen tagtäglich zu bewältigenden Aufgaben kann das schwierig sein. Für den Vater im Himmel und Jesus Christus sollten wir uns aber immer Zeit nehmen. Tun wir das, halten wir den Stürmen des Lebens immer stand. In Römer 8:31 heißt es ja: „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?“

Präsident Russell M. Nelson hat gesagt, es werde in künftigen Tagen nicht mehr möglich sein, ohne den Geist und ohne Offenbarung für unser Leben geistig zu überleben.3 Obwohl mir immer klar war, wie wichtig persönliche Offenbarung ist, habe ich nicht immer mein Bestes gegeben, mich darum zu bemühen. Ich weiß, dass ich mich darin verbessern kann, mich Tag für Tag dem Geist zu öffnen.

Persönliche Offenbarung ist genau das, was der Begriff aussagt – persönlich. Wenn wir lernen wollen, wie der Herr zu uns spricht, können wir ihn um Hilfe dabei bitten, dass wir seine Stimme und seine Hand in unserem Leben erkennen mögen. Der Herr ist der größte Lehrer.

Auf die Handlungsweise eines anderen haben wir nicht immer Einfluss, insbesondere dann nicht, wenn es darum geht, ob jemand seinen Glauben stärkt oder nach dem Evangelium lebt. Doch selbst wenn diejenigen, die wir am meisten auf dieser Welt lieben, an ihrem Glauben zweifeln, weiß ich: Wenn wir Gott an die erste Stelle setzen, seinem Willen folgen und bemüht sind, ihn zu hören, werden wir immer mit Antworten, mit einem starken Zeugnis und mit der geistigen Offenbarung gesegnet sein, die wir brauchen, um ihm beständig nachzufolgen.

Anmerkungen

  1. Dieter F. Uchtdorf, „Kommen Sie zu uns!“, Liahona, November 2013, Seite 23

  2. Jeffrey R. Holland, „Ich glaube“, Liahona, Mai 2013, Seite 94

  3. Siehe Russell M. Nelson, „Offenbarung für die Kirche, Offenbarung für unser Leben“, Liahona, Mai 2018, Seite 96