2015
Muss ich das Geheimnis für mich behalten?
März 2015


Muss ich das Geheimnis für mich behalten?

„Liebet einander, wie ich euch liebe.“ („Liebet einander“, Gesangbuch, Nr. 200)

Sollte Luisa dieses Geheimnis wirklich für sich behalten müssen?

Als es klingelte, klappte Luisa das Mathebuch zu. In der letzten Stunde hatte sie sich sowieso nicht auf die Matheaufgaben konzentrieren können.

Die anderen Schüler stürmten rasch aus dem Zimmer. Es war die letzte Unterrichtsstunde am Freitag. Normalerweise freute sich Luisa aufs Wochenende. Aber heute machte sie sich einfach nur Sorgen. Schon seit dem Mittagessen. Da hatte ihre beste Freundin Carlotta sie nämlich gefragt: „Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?“

Luisa hatte eifrig genickt und sich gleich zu ihr hinübergebeugt. Und wie sie ein Geheimnis hüten konnte! Sie war ganz sicher, dass Carlotta ihr nun erzählen wollte, für welchen süßen Jungen sie gerade schwärmte.

Aber Carlottas Geheimnis war überhaupt nichts Schönes.

Eine Stimme riss Luisa aus ihren Gedanken. Sie blinzelte und schaute auf. „Hast du noch eine Frage zu den Hausaufgaben, Luisa?“, fragte ihre Lehrerin. Die anderen waren alle schon gegangen.

„Nein“, erwiderte Luisa. Ihr Blick traf den der Lehrerin. Sie musste es einfach jemandem sagen! Aber sie hatte Carlotta ja versprechen müssen, es niemand zu verraten.

„Ich muss zum Bus“, sagte Luisa rasch. Sie zog den Mantel an und lief schnell hinaus in die kalte Winterluft.

Auf der Heimfahrt hatte Luisa ein so ungutes Gefühl, dass sie es kaum aushielt. Es war ein beklemmendes Gefühl in der Brust, und es fiel ihr schwer zu atmen.

Luisa musste immerzu an Carlottas Geheimnis denken. Beim Mittagessen hatte Carlotta ihr verraten, dass sie neuerdings etwas sehr Gefährliches unternahm. Luisa konnte immer noch nicht glauben, was sie gehört hatte. Sie dachte, sie kenne ihre beste Freundin gut! Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass Carlotta etwas so Schlimmes tat. Carlotta hatte aber von Luisa verlangt, dass sie es niemals weitererzählen dürfe.

Was aber, wenn Carlotta in Gefahr geriet?

Luisa versuchte, nicht auf die lärmenden Schüler im Bus zu achten. Sie schloss die Augen und betete im Herzen:

„Bitte, Vater im Himmel, was soll ich bloß tun? Ich will doch nicht, dass meine Freundin auf mich böse ist. Ich will aber auch nicht, dass ihr etwas zustößt. Im Namen Jesu Christi. Amen.“

Der Weg nach Hause kam ihr länger vor als sonst. Würde Mutti ihr nicht anmerken, dass etwas nicht stimmte? Was sollte sie dann sagen?

Der Schnee auf dem Boden erinnerte Luisa an die Schneeballschlacht, die sie und Carlotta letzte Woche mit anderen Kindern im Park angefangen hatten. Das hatte so viel Spaß gemacht! Sie dachte an das, was sie und Carlotta gerne gemeinsam unternahmen: abhängen, wandern, Hausaufgaben machen, Sport.

Was wäre, wenn sie das Geheimnis verriete und Carlotta dann nicht mehr mit ihr befreundet sein wollte? Bei diesem Gedanken krampfte sich Luisas Magen noch mehr zusammen.

Doch da kam ihr noch ein anderer Gedanke. Am wichtigsten ist jetzt, was für Carlotta am besten ist, und nicht, was Carlotta vielleicht von ihr denken würde. Carlotta braucht jetzt eine richtige Freundin – eine Freundin, die dafür sorgt, dass Carlotta nicht in Schwierigkeiten gerät. Luisa wusste, dass Jesus immer das tat, was für die anderen am besten war, auch wenn ihn manche Leute deshalb nicht mochten.

Jetzt war sich Luisa sicher: Sie musste mit ihrer Mutter reden. Sie wollte auch Carlotta anrufen und ihr sagen, dass sie sich große Sorgen macht und dass sie einen Erwachsenen brauchten, der ihnen hilft. Vielleicht würde Carlotta dann auch mit ihrer Mutter reden wollen.

Luisa war viel leichter ums Herz, als sie auf die Haustür zuging.

„Mama?“, rief sie, als sie ins Haus ging. „Kann ich gleich mit dir reden?“

Selbst wenn Carlotta ihr vielleicht böse war – Luisa wusste, was sie zu tun hatte. Sie wollte eine wahre Freundin sein.

Manche Geheimnisse sind so folgenschwer, dass man sie nicht für sich behalten darf.