2010
Vertraut auch nicht auf den Arm des Fleisches
März 2010


Sie haben zu uns gesprochen

Vertraut auch nicht auf den Arm des Fleisches

Aus einer Ansprache, die am 23. April 2009 bei einer Abschlussfeier an der Brigham-Young-Universität gehalten wurde.

Sie mögen in den Wegen der Welt bewandert sein, aber vergessen Sie nicht die Macht Gottes.

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Elder Russell M. Nelson

Im Geleitwort zum Buch Lehre und Bündnisse erfahren wir, dass der Arm des Fleisches seine Grenzen hat. „Das Schwache der Welt wird hervorkommen und die Mäch-tigen und Starken niederbrechen, damit der Mensch nicht seinem Mitmenschen rate, auch nicht auf den Arm des Fleisches vertraue.“ (LuB 1:19.) Ich möchte diese Warnung so ausdrücken: Sie mögen in den Wegen der Welt bewandert sein, aber vergessen Sie nicht die Macht Gottes.

Meine Kommilitonen von der medizinischen Fakultät und ich haben diese Lektion vor über dreißig Jahren auf einprägsame Weise gelernt. Wir machten diese Erfahrung in der kleinen Stadt Manzanillo an der Westküste Mexikos. Es war im Jahr 1978. Wir, die wir 1947 unser Studium abgeschlossen hatten, nahmen gemeinsam mit unseren Frauen an einem Symposium für Ärzte teil.

An einem Abend, nachdem die wissenschaftlichen Vorträge zu Ende waren, ging es einem der Ärzte plötzlich sehr schlecht. Ohne jede Vorwarnung verlor er enorme Mengen Blut aus dem Magen. Wie betäubt umringten wir ihn und sahen, wie das lebenspendende Blut aus ihm strömte. Da standen wir, medizinische Fachleute aller Bereiche, darunter Chirurgen, Anästhesisten und Internisten, jeder mit über dreißig Jahren Berufserfahrung. Was konnten wir tun? Das nächste Krankenhaus lag in Guadalajara, über 160 Kilometer entfernt. Es war spät am Abend. Da flog kein Flugzeug mehr. Eine Bluttransfusion kam nicht in Frage, dazu fehlte die Ausrüstung. All unser vereintes Wissen reichte nicht aus, um die schwere Blutung zu stoppen. Uns fehlte jegliche Ausrüstung, um das Leben unseres lieben Freundes zu retten.

Dieser Kollege, ein treues Mitglied der Kirche, war sich seiner aussichtslosen Lage wohl bewusst. Aschfahl bat er mit kaum hörbarer Stimme um einen Priestertumssegen. Einige von uns trugen das Melchisedekische Priestertum. Wir kamen seiner Bitte sofort nach. Ich wurde gebeten, die Salbung zu siegeln. Der Geist gab mir ein, ich solle ihn segnen, dass die Blutung aufhören werde und dass er weiterleben und nach Hause zurückkehren werde. Dieser Segen wurde im Namen des Herrn gegeben.

Am nächsten Morgen ging es dem Kollegen besser. Die Blutung hatte auf wundersame Weise aufgehört. Der Blutdruck war wieder normal. Nach wenigen Tagen konnte er nach Hause zurückkehren. Gemeinsam dankten wir dem Herrn für diese erstaunliche Segnung.

Die Lektion, die wir lernten, war ganz einfach: „Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn, bau nicht auf eigene Klugheit.“ (Sprichwörter 3:5.) Das hatten wir nun selbst erlebt. Diese Lehre, die mehr als einmal in den heiligen Schriften zu finden ist,1 war für uns zur Gewissheit geworden.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Brüder und Schwestern. Natürlich müssen wir uns vorbereiten, um einen guten Beruf ausüben zu können. Ja, wir müssen unsere Arbeit gut machen, für welchen Beruf wir uns auch entscheiden. Wir müssen einen bedeutenden Beitrag leisten. Und um solche Kompetenz zu entwickeln, brauchen wir eine Ausbildung. Für uns ist Bildung eine religiöse Pflicht. Die Herrlichkeit Gottes ist wirklich Intelligenz (siehe LuB 93:36).

Aber menschliches Wissen hat seine Grenzen. Und manchmal, wie in der Situation, die wir im ländlichen Mexiko erlebten, reicht das vereinte Wissen vieler Fachleute nicht aus, wenn es dringend notwendig wäre. Wir müssen unser Vertrauen in den Herrn setzen.

Aus dieser Erfahrung in Mexiko lernten wir noch etwas Wichtiges. Es geht um unsere obersten Prioritäten und unsere höchste Bestimmung als sterbliche Wesen. Uns wurde bewusst, dass das Krankenhaus nicht das Endziel eines Arztes ist. Der Gerichtssaal nicht das Endziel eines Anwalts. Das Cockpit einer Boeing 747 nicht das Endziel eines Piloten. Der Beruf, den man wählt, ist nur Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck.

Das Ziel, nach dem jeder von uns streben sollte, ist, der Mensch zu sein, der wir werden können – der Mensch, der wir nach Gottes Willen werden sollen. Der Tag wird kommen, da unsere berufliche Laufbahn ein Ende hat. Die berufliche Laufbahn, für die wir so hart gearbeitet haben – die Arbeit, mit der wir den Lebensunterhalt für uns und unsere Familie verdient haben –, wird eines Tages hinter uns liegen.

Dann werden wir diese wichtige Lektion gelernt haben: Viel wichtiger als unser Beruf ist, was für ein Mensch wir werden. Wenn dieses Leben vorüber ist, dann kommt es vor allem darauf an, was aus uns geworden ist. Eigenschaften wie „Glauben, Tugend, Erkenntnis, Mäßigung, Geduld, brüderliches Wohlwollen, Gottesfurcht, Nächstenliebe, Demut [und] Eifer“ (LuB 4:6) sind für den Herrn von Bedeutung.

Fragen wir uns von Zeit zu Zeit: „Bin ich bereit, meinem Schöpfer zu begegnen?“, „Bin ich würdig, all die Segnungen zu empfangen, die er für seine glaubenstreuen Kinder bereithält?“, „Habe ich das Endowment und die Siegelung im Tempel empfangen?“, „Bin ich meinen Bündnissen treu geblieben?“, „Habe ich mich für die größte aller Segnungen Gottes – das ewige Leben – bereit gemacht?“ (siehe LuB 14:7).

Wem der Glaube an Gott wichtig ist – wer auf Gott vertraut –, dem ist in den heiligen Schriften verheißen: „Kein Mensch [soll] sich des Menschen rühmen, sondern er soll sich Gottes rühmen … Diese werden für immer und immer in der Gegenwart Gottes und seines Christus wohnen.“ (LuB 76:61,62.) Möge dies unser endgültiges Ziel sein.

Foto von Robert Casey

Viel wichtiger als unser Beruf ist, was für ein Mensch wir werden. Eigenschaften wie „Glauben, Tugend, Erkenntnis, Mäßigung, Geduld, brüderliches Wohlwollen, Gottesfurcht, Nächstenliebe, Demut [und] Eifer“ sind für den Herrn von Bedeutung.