Generalkonferenz
Unser persönlicher Erretter
Frühjahrs-Generalkonferenz 2021


Unser persönlicher Erretter

Durch sein Sühnopfer hat der Erretter die Macht, einen nach dem anderen rein zu machen, zu heilen und zu stärken

Ich bin dankbar, an diesem wunderbaren Ostermorgen bei Ihnen zu sein. Wenn ich an Ostern denke, rufe ich mir gern in Erinnerung, was die Engel den Frauen sagten, die am Gartengrab standen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden.“1 Ich bezeuge, dass Jesus von Nazaret auferstanden ist und lebt.

Was denkt ihr über den Christus?

Vor 34 Jahren lernten mein Mitarbeiter und ich auf Mission einen hochgebildeten Mann kennen, der Beiträge für eine Lokalzeitung in Davao City auf den Philippinen schrieb. Wir trafen uns mit ihm. Die Gespräche machten uns Freude, denn er stellte viele Fragen und zeigte großen Respekt vor unseren Glaubensansichten. Unter all seinen Fragen stach eine besonders hervor: „Was denkt ihr über den Christus?“2 Natürlich erzählten wir freimütig von unseren Gefühlen und legten Zeugnis für Jesus Christus ab. Bald darauf veröffentlichte der Mann einen Artikel zu dem Thema, worin er den Erretter in eloquenten Worten beschrieb. Ich weiß noch, dass ich beeindruckt war, jedoch nicht unbedingt erbaut. Nichts von alledem war falsch, dennoch schien es irgendwie leer und ohne geistige Kraft.

Den Herrn mehr und mehr erkennen

„Was denkt ihr über den Christus?“ Mir ist klargeworden, dass meine Fähigkeit, den Erretter zu hören, und meine Reaktionen darauf erheblich davon abhängen, wie vertraut er mir ist. Vor einigen Jahren stellte Elder David A. Bednar im Verlauf einer Ansprache folgende Fragen: „Wissen wir nur etwas über den Heiland oder erkennen wir ihn mehr und mehr? Wie erkennen wir den Herrn?“3

Als ich tiefer in das Thema einstieg und darüber nachsann, wurde mir deutlich bewusst: Das Ausmaß dessen, was ich über den Erretter weiß, übersteigt bei weitem den Grad, wie gut ich ihn wirklich kenne. Also beschloss ich, mehr dafür zu tun, den Herrn zu erkennen. Ich bin sehr dankbar für die heiligen Schriften und die Zeugnisse treuer Jünger und Jüngerinnen Jesu Christi. In den letzten Jahren hat mich mein Bestreben zu vielen Themen geführt, die es zu erforschen galt, und zu vielen Entdeckungen. Ich bete, dass der Heilige Geist Ihnen heute zu verstehen gibt, was meine Worte nur höchst unzulänglich ausdrücken können.

Erstens müssen wir begreifen, dass es im Leben nichts Wichtigeres gibt, als den Erretter zu erkennen. Diesem Ziel sollte alles andere untergeordnet werden.

„Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus.“4

„Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“5

„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“6

Zweitens: Wenn wir daraufhin den Erretter mehr und mehr erkennen, werden uns Schriftstellen und die Worte der Propheten so vertraut, dass sie zu unseren eigenen Worten werden. Damit ist nicht gemeint, dass wir die Worte, Gefühle und Erfahrungen anderer auf uns übertragen, sondern dass wir vielmehr selbst – auf unsere eigene, unverwechselbare Weise – Erkenntnis erlangen, indem wir mit dem Wort einen Versuch machen7 und ein Zeugnis vom Heiligen Geist empfangen. Der Prophet Alma erklärte:

„Meint ihr denn nicht, ich wisse dies alles selbst? Siehe, ich bezeuge euch, ich weiß, dass das, wovon ich gesprochen habe, wahr ist. Und wie, meint ihr, weiß ich denn, dass es gewiss und wahr ist?

Siehe, ich sage euch: Es wird mir durch den Heiligen Geist Gottes zu wissen gegeben. Siehe, ich habe viele Tage gefastet und gebetet, um dies für mich selbst wissen zu können. Und nun weiß ich für mich selbst, dass es wahr ist; denn Gott, der Herr, hat es mir durch seinen Heiligen Geist kundgetan; und dies ist der Geist der Offenbarung, der in mir ist.“8

Drittens: Wenn wir immer besser verstehen, dass das Sühnopfer Jesu Christi für uns ganz persönlich und individuell gilt, erkennen wir den Herrn mehr und mehr. Über die allgemeine Bedeutung des Sühnopfers Christi nachzudenken und zu sprechen mag oft einfacher sein, als dessen Bedeutung für unser eigenes Leben zu erkennen. Das Sühnopfer Jesu Christi ist in seiner Breite und Tiefe unbegrenzt, ewig und allumfassend, doch in seiner Wirkung ganz persönlich und individuell. Durch sein Sühnopfer hat der Erretter die Macht, einen nach dem anderen rein zu machen, zu heilen und zu stärken.

Sein einziger Wunsch – seine einzige Absicht von Anfang an – war es, den Willen des Vaters zu erfüllen. Der Wille des Vaters war, dass Christus dabei helfen sollte, „die Unsterblichkeit und das ewige Leben des Menschen zustande zu bringen“9, indem er unser „Beistand beim Vater“10 werden sollte. Deshalb hat Christus, „obwohl er der Sohn war, … durch das, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden“11.

„Und er wird hingehen und Schmerzen und Bedrängnisse und Versuchungen jeder Art leiden …

Und er wird den Tod auf sich nehmen, auf dass er die Bande des Todes löse …; und er wird [die] Schwächen [des Volkes] auf sich nehmen, auf dass sein Inneres von Barmherzigkeit erfüllt sei …, damit er gemäß dem Fleische wisse, wie er seinem Volk beistehen könne gemäß dessen Schwächen. …

Doch leidet der Sohn Gottes gemäß dem Fleische, damit er die Sünden seines Volkes auf sich nehmen kann, damit er dessen Übertretungen auslöschen kann gemäß der Macht seiner Befreiung.“12

Ich möchte Ihnen von einem einfachen Erlebnis erzählen, das zeigt, wie schwer es uns manchmal fällt, das Sühnopfer des Herrn auf uns selbst zu beziehen.

Vor Jahren las ich auf Anregung meines damaligen Priestertumsführers das Buch Mormon von vorn bis hinten durch und markierte dabei die Verse, die sich auf das Sühnopfer des Herrn beziehen. Außerdem sollte ich auf einer Seite zusammenfassen, was ich gelernt hatte. Ich dachte: „Eine Seite? Das ist einfach.“ Zu meiner Überraschung war diese Aufgabe jedoch äußerst schwierig, und ich scheiterte.

Heute weiß ich, dass ich das Ziel verfehlte, weil ich von falschen Annahmen ausgegangen war. Erstens wollte ich, dass die Zusammenfassung für jedermann inspirierend sein sollte. Sie war aber nur für mich gedacht und für niemanden sonst. Sie sollte dazu dienen, meine Gefühle für den Erretter festzuhalten – all das, was er für mich getan hat –, damit ich jedes Mal beim Lesen wieder an die wunderbaren, bewegenden, persönlichen geistigen Erfahrungen erinnert würde.

Zweitens hatte ich eine ausführliche, wohlformulierte und beredte Ausarbeitung vor Augen gehabt. Doch um große Worte ging es überhaupt nicht. Es ging darum, meine Überzeugung einfach und klar zusammenzufassen. „Denn meine Seele erfreut sich an Klarheit; denn auf diese Weise wirkt Gott, der Herr, unter den Menschenkindern. Denn Gott, der Herr, gibt dem Verständnis Licht.“13

Drittens hatte ich mir eine perfekte, endgültige Zusammenfassung vorgestellt – die letzte aller Zusammenfassungen, der nichts mehr hinzuzufügen war – und nicht ein fortlaufendes Werk, dem ich hier und da ein Wort oder einen Satz hinzufügen kann, wenn mein Verständnis des Sühnopfers Jesu Christi weiter heranreift.

Zeugnis und Einladung

Als junger Mann lernte ich viel aus meinen Gesprächen mit meinem Bischof. In diesen Jahren, in denen ich noch unerfahren war, wuchsen mir diese Worte aus meinem Lieblingslied ans Herz:

Erstaunt und bewundernd erkenne ich Jesu Lieb;

die Huld meines Heilands, die Gnade verwirret mich.

Mit Beben erblick ich für mich ihn gekreuzigt,

für mich, für den Sünder, erlitt er den bittren Tod.

Oh, es ist wunderbar, für mich ertrug er dies,

gab selbst sein Leben hin.

Oh, es ist wunderbar, wunderbar für mich.14

Der Prophet Moroni hat uns aufgefordert: „Und nun möchte ich euch anempfehlen, diesen Jesus zu suchen, von dem die Propheten und Apostel geschrieben haben.“15

Präsident Russell M. Nelson hat verheißen, dass es uns leichter fallen wird, uns von Sünde abzuwenden, wenn wir über Jesus Christus alles lernen, was wir können. Unser „Wunsch, die Gebote zu halten, wird beflügelt werden“16.

Mögen wir an diesem Ostersonntag – so wie der Erretter aus seinem steinernen Grab hervorkam – aus unserem geistigen Schlummer erwachen und uns über die Wolken des Zweifels, die Umklammerung der Angst, den Rausch des Stolzes und die Trägheit der Selbstgefälligkeit erheben. Jesus Christus und der Vater im Himmel leben. Ich bezeuge, dass ihre Liebe zu uns vollkommen ist. Im Namen Jesu Christi. Amen.