2021
Hilfe bei psychischen Problemen
September 2021


Nur online: Junge Erwachsene

Hilfe bei psychischen Problemen

Ich war von meinen Angstzuständen wie gelähmt, doch dann wandte ich mich an den Herrn, und er half mir, Mittel und Wege für meine Genesung zu finden

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Eine junge Frau schaut zur Seite

Vor ein paar Jahren war ich eines Tages unglaublich erschöpft, als ich im Zug von der Arbeit nach Hause fuhr. Mir kamen die beklemmendsten, beunruhigendsten Gedanken. Es war nicht das erste Mal, dass mir solche Gedanken durch den Kopf gingen, aber sie kamen immer häufiger, und dieses Mal bekam ich Angst.

Plötzlich spürte ich so starke Schmerzen in der Brust, dass ich kaum atmen konnte. Ich geriet in Panik, und mein Herz raste. Als ich endlich am Bahnhof in der Nähe meines Zuhauses anlangte, setzte ich mich sogleich auf eine Bank. Ich konnte keinen Schritt mehr gehen.

Kurz darauf war ich im Krankenwagen auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich war mir sicher, ich würde sterben.

Ein Gefühl von Scham

Ein paar Monate vor diesem Vorfall hatte es in meinem Leben eine Reihe von äußerst belastenden Ereignissen gegeben, die sich auf meine psychische Gesundheit auswirkten. Ich fühlte mich deprimiert und fand mich selbst unausstehlich. Ich zog eine Therapeutin zu Rate, aber ich merkte, dass das nicht ausreichte. Trotzdem konnte ich mich nicht dazu durchringen, einen Arzt aufzusuchen. Ich wollte einfach nicht verurteilt oder als schwach abgestempelt werden, und ich schämte mich für das, was in mir vorging.

In Japan spricht man eigentlich nicht über psychische und seelische Probleme – und wenn überhaupt, dann nur im engsten Familienkreis.

Im Krankenhaus kamen die Ärzte zu dem Schluss, dass nichts Lebensbedrohliches vorliege. Ich hatte einfach eine Panikattacke gehabt. Also wurde ich entlassen, sobald ich wieder stabil war.

Am nächsten Tag war das Herzrasen aber immer noch da. Ich wusste, dass es mit meiner nachlassenden psychischen Gesundheit zusammenhängen musste, und nahm schließlich all meinen Mut zusammen und machte bei einem Psychiater einen Termin aus.

Bei mir wurde eine generalisierte Angststörung diagnostiziert, und der Arzt verschrieb mir Medikamente dagegen.

Um ehrlich zu sein, fiel es mir anfangs schwer, die Diagnose zu akzeptieren. Aber gleichzeitig war ich erleichtert, als der Arzt mir erklärte, dass es sich nicht um eine Schwäche handle, sondern um eine Erkrankung, die behandelt werden müsse.

Ich wandte mich an den Vater im Himmel und den Erretter

Ich dachte, ich würde schnell wieder gesund werden, aber das war nicht der Fall. Es war wie ein Teufelskreis: Erst ging es mir besser, doch dann holten mich die Depressionen wieder ein. Das setzte mir sehr zu.

An einem besonders schwierigen Tag beschloss ich, mich an den Herrn zu wenden. Dabei erkannte ich, dass der Vorgang der Heilung für mich gleichzeitig auch eine Chance war, demütig zu werden, meinen Sinn dafür zu öffnen, dass psychische Probleme etwas Reales sind, mich in Akzeptanz und Geduld zu üben und mich mehr auf den Vater im Himmel und den Erretter zu stützen.

Ich glaubte daran, dass sie mich heilen konnten, und betete eifrig um Kraft und Führung, um herausfinden zu können, was mir hilft. Ich hatte auch das Gefühl, ich solle an besonders schwierigen Tagen meine betreuenden Brüder um einen Priestertumssegen bitten. Ich wurde zwar nicht augenblicklich vollständig geheilt, konnte aber jedes Mal, wenn ich einen Priestertumssegen erhielt, Frieden im Herzen sowie Führung und Hoffnung spüren.

Ich habe wirklich die „unmittelbare Güte Gottes“ verspürt, von der Elder Kyle S. McKay von den Siebzigern gesprochen hat. „Selbst während wir geduldig auf den Herrn warten“, erklärte er, „erhalten wir bestimmte Segnungen sogleich.“1

Der Weg zur Heilung

Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich einmal mit psychischen Problemen zu ringen haben werde. Aber durch diese Erfahrung habe ich erneut gelernt, dass der Herr jeden von uns kennt.

Ich erlebte das etwa, als ich mich von der Arbeit freistellen ließ, damit meine Psyche genesen könne. Im Gespräch mit meinem Chef war ich überrascht von dem Mitgefühl und dem Verständnis, die er mir entgegenbrachte. Er erzählte mir auch, dass er selbst Psychotherapeut sei.

Ich hatte das Gefühl, es sei kein Zufall, dass ich für diesen Mann arbeite, vor allem angesichts der Tatsache, dass man in Japan ja nicht offen über psychische Probleme spricht. Die Barmherzigkeit des himmlischen Vaters und der Einfluss, den er auf einzelne Belange unseres Lebens nimmt, wurden mir noch viel mehr bewusst.

Psychische Probleme können jeden treffen, und sie sind nichts, wofür man sich schämen muss. Sie müssen behandelt werden, genau wie andere Beschwerden oder Krankheiten auch.2 Jetzt, wo sie Teil meines Lebens sind, empfinde ich Mitgefühl und Liebe denjenigen gegenüber, die darunter leiden.

Mir ist klar, dass zwar viele Menschen in meinem Umfeld nicht verstehen, was man bei einer psychischen Erkrankung durchmacht, aber der Erretter schon. Und er hat letztlich auch einen Weg bereitet, wie ich diese Schwierigkeiten durchstehen kann. Mit ihm können uns selbst die schwersten Lebenskrisen zum Guten gereichen und unserem geistigen Wachstum dienen (siehe Römer 8:28).

Ich bin immer noch nicht ganz geheilt, aber ich merke, dass meine Prüfungen dazu beitragen, dass ich die Liebe des himmlischen Vaters und die Liebe Jesu Christi für jeden von uns erkenne. Ich weiß, wenn wir uns auf unseren Vater im Himmel und auf den Erretter verlassen, werden sie uns in unseren Kämpfen stets beistehen und uns helfen, Hoffnung und Heilung zu finden.

Anmerkungen

  1. Kyle S. McKay, „Die unmittelbare Güte Gottes“, Liahona, Mai 2019, Seite 105

  2. Siehe Jeffrey R. Holland, „Wie ein zerbrochenes Gefäß“, Liahona, November 2013, Seite 40ff.