Generalkonferenz
Wir brauchen Friedensstifter
Frühjahrs-Generalkonferenz 2023


Wir brauchen Friedensstifter

Sie haben es in der Hand, ob Sie sich für Streit oder Versöhnung entscheiden. Ich fordere Sie eindringlich auf: Entscheiden Sie sich ein für allemal, ein Friedensstifter zu sein.

Meine lieben Brüder und Schwestern, ich freue mich, bei Ihnen zu sein. In den letzten sechs Monaten habe ich ständig an Sie gedacht und für Sie gebetet. Möge der Heilige Geist Ihnen kundtun, was der Herr Ihnen sagen will, wenn ich jetzt zu Ihnen spreche.

Vor vielen Jahren, als ich noch Assistenzarzt in der Chirurgie war, assistierte ich einem Chirurgen, der ein Bein mit hoch ansteckendem Wundbrand amputierte. Die Operation war schwierig. Als dann auch noch jemand aus dem Team eine Aufgabe unzureichend erledigte, brach der Chirurg in Wut aus. In seinem Wutanfall schleuderte er sein Skalpell weg, das mit Keimen belastet war. Es landete in meinem Unterarm!

Alle im Operationssaal – außer dem Chirurgen – waren entsetzt über diesen gefährlichen Verstoß gegen chirurgische Praktiken. Glücklicherweise wurde ich nicht infiziert. Dieses Erlebnis hinterließ bei mir jedoch einen bleibenden Eindruck. In dieser Stunde nahm ich mir fest vor, dass ich niemals derart die Fassung verlieren würde – ganz gleich, was in meinem Operationssaal geschah. Ich habe mir an diesem Tag auch geschworen, niemals aus Wut mit irgendetwas um mich zu werfen – weder mit Skalpellen noch mit Worten.

Auch jetzt noch – Jahrzehnte später – frage ich mich, ob das kontaminierte Skalpell, das in meinem Arm landete, nicht weniger schädlich war als die gehässige Streiterei, die heutzutage den öffentlichen Diskurs und allzu viele persönliche Beziehungen verseucht. Höflichkeit und Anstand scheinen in dieser Zeit der Polarisierung und der leidenschaftlichen Meinungsverschiedenheiten abhandengekommen zu sein.

Geschmacklose Bemerkungen, Schuldzuweisungen und übles Gerede über andere sind nur allzu weit verbreitet. Allzu viele Experten, Politiker, Entertainer, Influencer und andere einflussreiche Leute werfen mit Beleidigungen nur so um sich. Ich bin sehr besorgt darüber, dass so viele Menschen offenbar glauben, es sei überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn sie jeden verurteilen, verleumden oder verunglimpfen, der nicht ihrer Meinung ist. Viele scheinen geradezu darauf versessen zu sein, den Ruf eines anderen mit armseligen und markigen Sticheleien zu beschädigen.

Wut ist niemals überzeugend. Feindseligkeit baut niemanden auf. Streit führt nie zu inspirierten Lösungen. Bedauerlicherweise gibt es manchmal sogar in unseren eigenen Reihen Streitigkeiten. Wir hören von Menschen, die ihren Ehepartner und ihre Kinder herabwürdigen, die andere mit Wutausbrüchen gefügig machen wollen und die Familienmitglieder mit Schweigen bestrafen. Wir hören von Jugendlichen und Kindern, die mobben, und von Arbeitnehmern, die über ihre Kollegen lästern.

Meine lieben Brüder und Schwestern, so soll es nicht sein. Als Jünger Jesu Christi sollen wir ein Beispiel dafür sein, wie man mit anderen umgeht – erst recht dann, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Eine der einfachsten Methoden, einen wahren Nachfolger Jesu Christi zu erkennen, ist, darauf zu achten, wie viel Mitgefühl er seinen Mitmenschen entgegenbringt.

Der Erretter hat dies in seinen Predigten an seine Anhänger in der Alten und der Neuen Welt klar und deutlich gesagt. „Selig, die Frieden stiften“1, sagte er. „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin!“2 Und natürlich stammt von ihm auch diese Ermahnung, die jeden von uns herausfordert: „Liebt eure Feinde, segnet die, die euch fluchen, tut Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch böswillig schlecht behandeln und euch verfolgen.“3

Vor seinem Tod gebot der Erretter seinen zwölf Aposteln, einander so zu lieben, wie er sie geliebt hatte.4 Und dann fügte er hinzu: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“5

Die Botschaft des Erretters ist klar: Seine wahren Jünger bauen auf, erheben, machen Mut, überzeugen und inspirieren – ganz gleich, wie schwierig die Situation ist. Wahre Jünger Jesu Christi sind Friedensstifter.6

Heute ist Palmsonntag. Wir bereiten uns darauf vor, des allüberragenden bedeutendsten Ereignisses zu gedenken, das jemals auf Erden stattgefunden hat, nämlich das Sühnopfer und die Auferstehung des Herrn Jesus Christus. Eine der besten Möglichkeiten, wie wir den Erretter ehren können, ist, ein Friedensstifter zu werden.7

Das Sühnopfer des Erretters hat es uns ermöglicht, alles Böse zu überwinden – auch den Streit. Damit das ganz klar ist: Streit ist böse! Jesus Christus hat verkündet: „Wer den Geist des Streites hat, ist nicht von mir, sondern ist vom Teufel, der der Vater des Streites ist, und [der Teufel] stachelt den Menschen das Herz auf, im Zorn miteinander zu streiten.“8 Wer Streit anheizt, spielt das gleiche Spiel wie der Satan – ob es ihm bewusst ist oder nicht. „Niemand kann zwei Herren dienen.“9 Wir können den Satan nicht mit unseren verbalen Angriffen unterstützen und dann meinen, wir könnten Gott immer noch dienen.

Meine lieben Brüder und Schwestern, es spielt wirklich eine große Rolle, wie wir miteinander umgehen! Es spielt eine Rolle, wie wir zuhause, in der Kirche, bei der Arbeit und im Internet mit anderen und über andere sprechen. Heute bitte ich darum, dass wir mit anderen auf eine höhere, heiligere Weise umgehen. Hören Sie bitte genau zu. „Wenn es etwas Tugendhaftes oder Liebenswertes gibt, wenn etwas guten Klang hat oder lobenswert ist“10, was wir über jemanden sagen können – sei es ins Gesicht oder hinter dem Rücken –, dann sollte das unser Maßstab für Kommunikation sein.

Wenn sich ein Ehepaar in Ihrer Gemeinde scheiden lässt, ein junger Missionar vorzeitig nach Hause zurückkehrt oder ein Jugendlicher an seinem Zeugnis zweifelt, braucht so jemand nicht Ihr Urteil, sondern er muss die Liebe Jesu Christi erfahren, die in Ihren Worten und Taten zum Ausdruck kommt.

Wenn ein Freund in den sozialen Medien ausgeprägte politische oder gesellschaftliche Ansichten vertritt, die allem zuwiderlaufen, woran Sie glauben, hilft eine wütende, bissige Erwiderung Ihrerseits nicht weiter. Brücken der Verständigung zu bauen, wird Ihnen einiges mehr abverlangen – aber genau das braucht Ihr Freund.

Streit vertreibt den Geist, und zwar regelmäßig. Streit verfestigt die falsche Vorstellung, dagegenhalten sei der Königsweg zur Beilegung von Differenzen. Doch dem ist niemals so. Streit ist eine Entscheidung. Frieden stiften ist eine Entscheidung. Sie haben es in der Hand, ob Sie sich für Streit oder Versöhnung entscheiden. Ich fordere Sie eindringlich auf: Entscheiden Sie sich ein für allemal, ein Friedensstifter zu sein.11

Brüder und Schwestern, wir können die Welt buchstäblich verändern – einen nach dem anderen, eine Begegnung nach der anderen. Wie? Indem wir vorleben, wie man mit ernsthaften Meinungsverschiedenheiten umgeht – nämlich mit beiderseitigem Respekt und im seriösen Gespräch.

Meinungsverschiedenheiten sind ein Teil des Lebens. Ich arbeite jeden Tag mit hingebungsvollen Dienern des Herrn zusammen, die einen Sachverhalt nicht immer auf die gleiche Weise betrachten. Sie wissen, dass ich bei allem, was wir besprechen, hören möchte, was sie denken und aufrichtig empfinden – insbesondere bei heiklen Themen.

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Präsident Dallin H.<nb/>Oaks und Präsident Henry B.<nb/>Eyring

Meine beiden vortrefflichen Ratgeber, Präsident Dallin H. Oaks und Präsident Henry B. Eyring, sind vorbildlich in der Art und Weise, wie sie ihre Gefühle zum Ausdruck bringen – vor allem dann, wenn sie vielleicht unterschiedlicher Meinung sind. Sie tun dies mit reiner gegenseitiger Liebe. Keiner von beiden behauptet, er wisse es am besten und müsse deshalb seinen Standpunkt rigoros verteidigen. Keiner von beiden erweckt den Eindruck, mit dem anderen im Wettstreit zu stehen. Weil beide von Nächstenliebe erfüllt sind, der reinen Christusliebe12, können unsere Überlegungen vom Geist des Herrn geleitet sein. Wie sehr ich diese beiden großen Männer liebe und bewundere!

Nächstenliebe ist das Gegenmittel zum Streit. Die Nächstenliebe ist die geistige Gabe, die es uns ermöglicht, den natürlichen Menschen abzulegen, der egoistisch, selbstgerecht, stolz und eifersüchtig ist. Die Nächstenliebe ist das Hauptmerkmal eines wahren Nachfolgers Jesu Christi.13 Nächstenliebe macht einen Friedensstifter aus.

Wenn wir uns vor Gott demütigen und mit der ganzen Kraft des Herzens beten, gewährt Gott uns Nächstenliebe.14

Wer mit dieser erhabenen Gabe gesegnet ist, ist langmütig und freundlich. Er ist nicht neidisch auf andere und nimmt sich selbst nicht so wichtig. Er lässt sich nicht leicht reizen und denkt nicht schlecht über andere.15

Brüder und Schwestern, die reine Christusliebe ist die Antwort auf die Streitereien, die uns heutzutage plagen. Nächstenliebe treibt uns an, „des anderen Last zu tragen“16, anstatt uns gegenseitig Lasten aufzubürden. Die reine Liebe Christi ermöglicht es uns, „allzeit und in allem … als Zeugen Gottes aufzutreten“17 – besonders in angespannten Situationen. Die Nächstenliebe ermöglicht es uns, zu zeigen, wie Männer und Frauen Christi sprechen und handeln – besonders, wenn sie unter Beschuss stehen.

Mir geht es hier nicht um „Frieden um jeden Preis“18. Mir geht es darum, dass Sie andere so behandeln, wie es dem Bündnis entspricht, das Sie eingehen, wenn Sie vom Abendmahl nehmen. Sie geloben dabei, immer an den Erretter zu denken. Ich bitte Sie, sich in hitzigen Situationen und Streitgesprächen auf Jesus Christus zu besinnen. Beten Sie, dass Sie den Mut und die Weisheit haben mögen, das zu sagen oder zu tun, was er möchte. Wenn wir dem Friedensfürsten folgen, werden wir zu seinen Friedensstiftern.

Vielleicht denken Sie gerade an jemanden, den Sie kennen, und meinen, diese Botschaft würde ihm wirklich helfen. Vielleicht hoffen Sie, dass er dadurch netter zu Ihnen sein wird. Ich hoffe das auch! Aber ich hoffe auch, dass Sie tief in Ihr Herz schauen und prüfen, ob es Splitter von Stolz oder Eifersucht gibt, die Sie davon abhalten, ein Friedensstifter zu werden.19

Wenn Ihnen etwas daran gelegen ist, bei der Sammlung Israels mitzuhelfen und Beziehungen aufzubauen, die in der Ewigkeit Bestand haben, ist es jetzt an der Zeit, Bitterkeit abzulegen. Jetzt ist es an der Zeit, nicht mehr darauf zu bestehen, Ihr Weg sei der einzig richtige. Jetzt ist es an der Zeit, nichts mehr zu machen, was andere veranlasst, aus Angst, Sie zu verärgern, wie auf Eierschalen zu laufen. Jetzt ist es an der Zeit, Ihre Kriegswaffen zu begraben.20 Wenn Sie sich nur mit Beleidigungen und Anschuldigungen wehren können, ist es jetzt an der Zeit, diese Waffen wegzuräumen.21 Sie werden sich als geistig starker Mann oder starke Frau Christi erweisen.

Der Tempel kann uns bei diesem Bestreben helfen. Dort werden wir mit der Macht Gottes ausgestattet, die uns die Fähigkeit verleiht, den Satan zu überwinden, den Verursacher aller Streitigkeiten.22 Verbannen Sie ihn aus Ihren Beziehungen! Beachten Sie, dass wir den Widersacher auch jedes Mal abweisen, wenn wir ein Missverständnis ausräumen oder uns weigern, Anstoß zu nehmen. Stattdessen können wir liebevoll und barmherzig sein, was einen wahren Jünger Jesu Christi ausmacht. Friedensstifter wirken dem Widersacher entgegen.

Lassen Sie uns als Volk ein wahres Licht auf dem Berg werden – ein Licht, das „nicht verborgen bleiben [kann]“.23 Lassen Sie uns zeigen, dass es einen friedlichen, respektvollen Weg zur Lösung komplexer Fragen und einen erhabenen Weg zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten gibt. Wenn Sie Nächstenliebe demonstrieren, wie wahre Nachfolger Jesu Christi sie an den Tag legen, wird der Herr Ihre Anstrengungen groß machen, wie Sie es sich in Ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Das Evangeliumsnetz ist das größte Netz der Welt. Gott lädt alle ein, zu ihm zu kommen, „ob schwarz oder weiß, geknechtet oder frei, männlich oder weiblich“24. Raum ist für jeden vorhanden. Es gibt jedoch keinen Raum für Vorurteile, Verurteilungen oder Streitigkeiten jeglicher Art.

Meine lieben Brüder und Schwestern, das Beste kommt noch für diejenigen, die ihr Leben damit verbringen, andere aufzubauen. Heute bitte ich Sie, Ihre Nachfolge als Jünger unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, wie Sie andere behandeln. Ich segne Sie, dass Sie an Ihrem Verhalten alle eventuell notwendigen Korrekturen vornehmen können, sodass es Sie veredelt sowie respektvoll und charakteristisch für einen wahren Nachfolger Jesu Christi ist.

Ich segne Sie, dass Sie Angriffslust durch sanftes Bitten, Feindseligkeit durch Verständnis und Streit durch Frieden ersetzen können.

Gott lebt! Jesus ist der Messias. Er steht an der Spitze dieser Kirche. Wir sind seine Diener. Er wird uns helfen, zu seinen Friedensstiftern zu werden. Dies bezeuge ich im heiligen Namen Jesu Christi. Amen.